Auf dem Platze vor der Porta di San Niccolò stand an einem Herbstabend kurz nach Sonnenuntergang ein Mädchen und warf ungeduldige Blicke durch das Thor hinein in das enge Borgo, das, selbst am hellen Tage eine der düstersten Gassen von Florenz, jetzt in der Dämmerung einem Sacke mit schwarzem unergründlichem Boden glich. Obwohl ein lebhaftes Zuglüftchen durch das Thor wehte, ließ die mit einem halben Dutzend Ringe geschmückte Hand des Mädchens doch ihren rothen Papierfächer nicht einen Augenblick in Ruhe; die andere Hand aber zog den großen flachen Strohhut, der sonst wie üblich hinten im Nacken hing, in das Gesicht herein. Allein das half ihr nichts. Sie wurde doch erkannt von dem langen, langhalsigen Burschen, der eben durch das Thor kam und auf sie zu schritt.
Guten Abend, Gigia, redete er sie an. Wir machen also heute den Weg zusammen?
Nein, versetzte sie kurz, ich fahre.
Ganz recht, ich fahre auch — und sieh, da kommt Giannino mit seinem dürren Gäulchen.
Dürr genug war es freilich, das Gäulchen, welches die roth und blau bemalte Landkutsche zog; doch Giannino, sein Herr, hörte nicht auf zu schnalzen, zu schmeicheln, mit der Peitsche zwar bei Leibe nicht dem wackeren Thiere, aber doch der Luft klatschende Hiebe ertheilen, und, so angetrieben, schob sich das knarrende Gefährt immerhin mit mäßiger Eile vorwärts. Auf dem Platze vor dem Thore aber hielt Giannino nun an; denn hier pflegte er von den Fahrgästen erwartet zu werden, welche nicht bereits am Abgangsorte drinnen in der Stadt, in der Straße „Sui Renai“, eingestiegen waren. Dienstbeflissen sprang der kleine Fuhrherr — er war so mager als sein Pferd und hatte ebenso ungekämmte rothbraune Haare — vom Bock herunter, um dem Mädchen in den Wagen zu helfen.
Nein, ich will bei dir draußen sitzen, sagte Gigia. Eine volle Stunde habe ich auf dich gewartet, Giannino.
Thut mir leid, aber da die Signori — Giannino deutete auf zwei die Bank hinter dem Bock einnehmende Herren — haben nicht eher kommen können, und etwas leiser setzte er hinzu: Ihr seht, die Herren würden es zu enge haben, wenn ihr außen bliebet. Drinnen aber ist Platz genug.
Das Mädchen verzog das Gesicht, aber sie hatte als einen der Herren den Signor Baldo erkannt, einen in Florenz und weit über Florenz hinaus hochange-
sehenen Mann, der, da er nun einmal mit dem Fuhrwerk Giannino's vorlieb nahm, wenigstens ein Recht darauf hatte, nicht zu enge zu sitzen. Sie stieg also hinten in den Kasten und jener Bursche ihr nach. Der Bursche hatte vergnügt darein geschaut, als Gigia außen keinen Platz erhielt, aber jetzt kam an ihn die Reihe den Mund zu verziehen: seine Hoffnung, mit dem Mädchen allein zu sein in dem Wagen, erfüllte sich nicht, — es saß bereits Einer in der Ecke.
Draußen aber sagte, während das Gäulchen sich gemächlich in Bewegung setzte, der Signor Baldo zu dem Herrn neben ihm: Sie hätten wohl gern ein bischen zusammengerückt, Signor Germanico, um das schöne Mädchen neben sich zu haben.
Ja, schön ist sie, versetzte der Angeredete, und sein lebhaftes aber barbarisch klingendes Italienisch zeigte sofort, daß ihm die Bezeichnung „Germanico“ mit besserem Rechte zukam, als jenem Enkel des Augustus. Und mit welcher Würde sie dastand, als sie da auf den Wagen wartete! Wo in den weiten Marken meines deutschen Vaterlandes fände ich eine Bäuerin, die so zu stehen, so den Kopf zu tragen, so einen Fächer zu halten verstände? Doch was rede ich von Bäuerinnen! Wie manche deutsche Dame — — Der Deutsche vollendete den Satz nicht, der seinen Patriotismus in einem bedenklichen Lichte hätte erscheinen lassen können, aber der Italiener nickte ihm fein lächelnd zu, und die Beiden vertieften sich in solch ein Gespräch über deutsches und
italienisches Volksthum, wie sie es schon gar manchmal auf diesem Weg gehalten hatten; denn es geschah häufig, daß der ausländische Gast den Signor Baldo nach dessen Villa begleitete.
Bald hatte der Wagen die letzten Häuser der Vorstadt hinter sich gelassen und fuhr, vom Arno abbiegend, mit mäßiger Geschwindigkeit durch die fruchtbare Ebene von Ripoli dahin. Es war nun völlig dunkel geworden; in den Wohnungen am Weg und in den fernen Gehöften, die drüben jenseits des Flusses über den Hügeln verstreut lagen, glommen die Lichter auf; der Abendwind schaukelte leise die traubenbeladenen Rebenguirlanden, welche sich von Baum zu Baum rankten: hie und da grüßte die ernste Silhouette einer hageren Cypresse oder einer breitwipfeligen Pinie. Und als nun über den fernen Berghöhen von Vallombrosa der Vollmond aufstieg und seine silbernen Fluten über die Gegend ausgoß, daß das bewundernde Auge des Nordländers hüben und drüben alle die Wellenzüge der Hügel und rückwärts schauend das an Michelangelo gemahnende Campanile von San Miniato erkannte, da empfand er tief die Würde und Weihe des heiterernsten Bildes, und er wunderte sich nicht, daß in solcher Landschaft ein so altadeliges Geschlecht wohnte wie dieses toscanische Landvolk, welches ihm sein florentinischer Gastfreund eben schilderte.
Drinnen im Kasten begann jetzt auch ein Gespräch. Bis dahin hatte der Bursche, der mit Gigia einge-
stiegen war, an sich gehalten: wie sehr ihm das Wort, das er sagen wollte, auf der Zunge brannte, er mochte nicht reden, so lange er nicht wußte, wer der Jemand sei, der da still in der Ecke saß. Aber nun bei einer Wendung des Weges leuchtete der volle Mondschein in den Wagen herein und leuchtete jedes Bedenken des Burschen hinweg. Denn der da saß, war nur Maso Nencioni von Valtella, der Sohn eines Colonen des Signor Baldo, ein achtzehn-, höchstens zwanzigjähriger Junge, dessen Milchgesicht einem langen Recken wie Agenore Lori keine Scheu einflößen konnte.
So sag mir also, fing Agenore an, in einem Tone, wie wenn es sich um die Fortsetzung eines begonnenen Gesprächs handelte, sag, Gigina mia, wann werden wir Hochzeit halten?
Das Mädchen antwortete nicht; als hätte es die Frage überhört, so fuhr es fort, durch das Fenster hinauszuschauen auf die Straße. Er schien ihr merkwürdig zu dünken, der ochsenbespannte Karren, an welchem der Wagen eben vorüberfuhr, nachdem der im Karren auf dem platten Leib daliegende Lenker sich endlich bequemt hatte, aufzuwachen, die Zügel zu nehmen und dem ungeduldig mit der Peitsche knallenden Giannino auszuweichen.
Als Agenore sah, daß er keine Antwort erhielt, fühlte er das Bedürfniß dem Mädchen näher zu rücken, und da es in dem engen Kasten überhaupt nicht möglich war, weit von einander ab zu sitzen, so rückte er sehr nahe.
Mit Verlaub, rief das Mädchen unwirsch und zog an ihrem Rock, auf den Agenore unachtsamer Weise den Fuß gesetzt haben mochte.
Also, Gigia cara, hub Agenore zum andern Male an, wann werden wir Hochzeit halten? Diesmal schwieg das Mädchen nicht. Von wem redet Ihr, Sor Agenore? — Selbst im Mondschein ließ sich erkennen, wie unwillig sie dreinschaute.
O weh, rief Agenore spöttisch, mich Sor Agenore und Ihr zu nennen! Und doch kennst du mich seit dreiundzwanzig Jahren, denn so alt bist du, Gigia, und ich bin sechsundzwanzig, und seit deine Mutter dich geboren hat, sind keine zwei Dutzend Tage gewesen, an denen ich dich nicht gesehen hätte. Und hier der Maso Nencione von Valtella muß unsern Ort genugsam kennen; er sage, ob es in Urballa zwei Leute giebt, die besser dafür paßten, ein Paar zu werden, als wir Zwei? Maso ist noch jung, aber schon gescheit genug, um zu wissen, daß ein launisches Pferd einen starken Halfter braucht. Das weißt du, Maso, nicht wahr?
Das Mädchen warf einen kurzen verächtlichen Blick hinüber nach der Ecke, wo der so ins Gespräch Gezogene saß. Der aber antwortete dem Frager sofort: Weil du denn mich kennst und erfahren willst, wie ich denke, so muß ich dir sagen, daß es bei uns in Valtella nicht Sitte ist, ein Mädchen zu plagen, das nichts von einem wissen mag.
Bravo! rief Gigia lebhaft. Bei uns aber in Ur-
balla gibt es Keinen, der nicht meinte, er dürfe ein Mädchen ärgern und peinigen, das von ihnen allen sammt und sonders nichts wissen mag.
Du bist ein naseweises Bürschlein, rief Agenore voll Ingrimm. Ich verbiete dir, dich in unser Gespräch zu mischen.
Du hast ihn ja gefragt, sagte Gigia, und er hat geantwortet. Bravo Maso!
Was hat überhaupt ein Valtellaner in Giannino's Wagen zu thun? so fuhr Agenore fort, um seiner Wuth Luft zu machen. Der Wagen hier ist für die Leute von Urballa und für die von San Donato bestimmt, der Weg nach Valtella geht über Ponte a Ema.
Ihr habt mir nicht vorzuschreiben, welchen Weg ich nehmen darf, erwiderte Maso, und den Paolo eines Valtellaners läßt sich Giannino ebensowohl schmecken als die acht Grazie Eines von Urballa.
Du bist ein vorwitziger Junge, Maso.
Und du bist —
Per Carità, redet nicht so laut, rief das Mädchen. Wenn die Herren da draußen euch hörten!
O, der Signor Baldo kennt mich. Ich bin sein Colone. Er weiß, daß ich keine Händel zu suchen pflege.
Das wäre aber auch schön, sagte Agenore, wenn solch ein Säugling wie du Händel suchen wollte. Per Bacco, das wäre lustig.
Maso schnellte von seinem Sitze auf, da faßte die
Hand des Mädchens die seine. Du bleibst ruhig da in deiner Ecke, Maso. Wenn ihr Zwei euch zanken wollt, so wartet, bis ich nicht dabei bin.
Der Junge ließ sich dann sein Mädchen in die Ecke drücken und sagte kein Wort. Agenore aber war nicht so leicht zu beschwichtigen. Den Valtellaner da redest du mit Du an und hast ihn wohl keine dreimal bis heute gesehen, und mich, deinen Landsmann, nennst du Ihr. Das gedenk' ich dir, Gigia, und ihm auch.
In diesem Augenblick rollte der Wagen durch die Straße von Bagno a Ripoli. Vor einem Madonnenbild brannte ein Lämpchen. Auch das Feuer des Schmieds, der bei offener Thür arbeitete, glänzte in den Wagen herein, und da Giannino vor der Schmiede Halt machte, konnte sich Maso das Gesicht des Mädchens besser betrachten, als es bisher das Mondlicht gestattet hatte. Auch er fand, daß sie sehr schön war, und obwohl er sich nun erinnerte, ihr auch früher schon begegnet zu sein, so war's ihm doch, als sähe er sie zum ersten Mal.
Die Herren draußen verließen ihren luftigen Sitz; sie wollten, da von hier ab die Straße ziemlich scharf anstieg, zu Fuß weitergehen.
Nun, Maso, sagte der Signor Baldo, indem er an den Schlag des Kastens trat, wir gehen die zwei Meilen bis zur Villa. Komm mit.
Erlauben Sie mir, Signoria, noch das Stück zu fahren —
Bist du müde —?
Nein, aber — —
Ei, ei, Gigia, Ihr solltet nicht erlauben, daß Euch der Maso in die Augen sehe. Der darf noch nicht an die Schönen denken. Vergiß nicht, Maso, daß die Signora dich erwartet.
Der Junge war bei dem Scherzworte seines Herrn glutroth geworden. Gigia aber blickte verdrossen, und als der Wagen sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, sagte sie: Warum seid Ihr nicht ausgestiegen, Maso, wie der Padrone Euch hieß?
Ich dachte, es sei Euch lieb, wenn ich Euch nicht allein ließe mit — —
Fanget Ihr nun auch an, mir ansehen zu wollen, was mir lieb wäre? unterbrach in Gigia. Ich will in Ruhe gelassen werden, das ist mir lieb. Giannino, thu mir den Gefallen, halte noch einmal, ich will mich jetzt hinaussetzen.
Es geschah, und die beiden Burschen blieben drinnen allein. Agenore's Zorn war durch das Bleiben Maso's und zumal durch die Aeußerung, die es erklären sollte, noch gesteigert worden, aber nun, da von der schwierigen Laune Gigia's auch der Junge sein Theil abbekommen hatte, lachte er hell auf: Ja, wer Nesseln angreift, sticht sich. Merk dir das, Säugling.
Weiter wechselten die Beiden kein Wort. Maso regte sich nicht in seiner Ecke, Agenore aber sang laut und vernehmlich:
O Dirnlein trage nicht so hoch das Köpfchen,
Deine Mutter ist nicht eine Königin,
Dein Vater ist der König nicht von Frankreich, Und deine Schwester ist 'ne Bäuerin.
Nach einer halben Stunde langte der Wagen in Urballa an. Gigia, die bereits ihr Fahrgeld bezahlt hatte, hüpfte flink zur Erde und eilte, ohne die Burschen zu grüßen, nach ihrer Wohnung, die ein paar Schritte abseits der Straße lag. Die Mutter erwartete sie an der Hausthüre. Guten Abend, Mamma, sagte sie; bei diesem Giannino hat man Geduld nöthig; eine Stunde hab' ich vor Porta San Niccolò stehen müssen, und dann wollt' es mein Unglück, daß der freche Agenore mit einstieg, und dann —
Es wurde an die Hausthüre geklopft, schüchtern und leise, aber das scharfe Ohr der Sora Maria hörte es. Sie hieß die Tochter nachschauen, was es gebe. Gigia ging und öffnete. Draußen stand Einer. Ich vergaß, Euch eine gute Nacht zu wünschen, Gigia, und wenn ich Euch beleidigt habe, so verzeiht mir.
Das Mädchen schaute dem Jungen in das verlegene Gesicht. Poverino! sagte sie, sonst nichts, und schlug die Thüre zu. Der Mutter aber, auf die Frage, wer dagewesen sei, antwortete sie: Wer soll es sein? Ein neuer Liebhaber Eurer Tochter Gigia! Und was für einer! Als Sora Maria weiter fragen wollte, wehrte sie ungeduldig mit den Händen ab.
Maso blieb noch ein ganzes Weilchen vor der
Thüre stehen, als wartete er auf etwas. Erst nach einer Viertelstunde, da es ihm klar geworden war, daß nichts komme, begab er sich mit eiligen Schritten nach La Torre, der Villa des Signor Baldo. Dieselbe trug ihren Namen von einem derben viereckigen Thurmstumpf, dem einmal ein Blitzstrahl das altersgraue Haupt hinweggerissen haben mochte, der aber auch als Invalide noch einen stolzen Wächter vorstellte neben dem langgestreckten Bau des herrschaftlichen Hauses und den anstoßenden Wohnungen des Verwalters und des Unterverwalters. Da, wo die Gemarkungen der beiden Dorfschaften Urballa und Valtella aneinander grenzten, stand der Thurm, weithin in die Gegend leuchtend, wie ein ungeheurer Grenzstein, etwa gleich entfernt von dem in einer tiefen Mulde versteckten Valtella und dem Berge Montepilli, an dessen Abhang sich die Häuser von Urballa hinzogen.
In die Nähe der Villa gekommen, mäßigte der Junge mit einem Male seine Schritte, murmelte ein Selbstgespräch, nicht ohne es mit bedächtigem Nicken des Kopfes zu begleiten, und schaute fragend die mondbeschienene Wächtergestalt des alten Thurrnes an, als sollte sie ihm Auskunft ertheilen, ob der Gedanke, der ihm plötzlich hatte eine Erleuchtung durch den Sinn gefahren, wirklich Glück bringen werde. Dann ging er entschlossen durch den Vorhof anfauf das Thor zu und ließ den Klopfer mit solcher Wucht niederfallen, als gälte es, dem verhaßten Agenore eins auf den dreisten Mund zu versetzen.
Der Diener, welcher öffnete, hatte einen dicken Pack Briefe in der Hand. Bist du's endlich, Maso! sagte er. Da sind die Briefe — nur dreizehn Stück. Daß du mir keinen verlierest!
Maso nahm die Briefe in Empfang, die er morgen, am Sonntag, frühzeitig nach Florenz zur Post bringen sollte. Er hatte solchen Botendienst oft zu besorgen; denn auf der Villa wurden viele Briefe geschrieben, und da an Sonn- und Festtagen der Signor Baldo nicht in die Stadt zu gehen pflegte, so mußte für diese Tage ein besonderer Bote mit dem Transport nach der Post betraut werden. Maso kannte alle Obliegenheiten seines Vertrauensamtes; allein heute fragte er, ob ihm die Padrona keine besonderen Anweisungen zu geben habe. Als der Diener dies verneinte, drehte er sich halb auf dem Absatz um, blieb aber wieder stehen und sagte, er müsse mit der Signora reden. Der Andere sah die Nothwendigkeit nicht ein, doch Maso bestand darauf, daß er der Herrin etwas zu sagen habe, und wurde, nachdem der Diener drinnen angefragt, in den Salotto geführt, wo die Signora, an einem langen, mit Büchern und Papieren bedeckten Tische sitzend, ein lebhaftes Gespräch führte mit dem deutschen Gaste, zugleich aber und ohne daß das Gespräch darunter litt, eifrigst Briefe schrieb. Donna Ersilia war nämlich eine so emsige Sprecherin als fleißige Briefschreiberin und vermochte wie Cäsar mehrere Thätigkeiten in einer und derselben Zeit zu verrichten.
Du willst etwas von mir, mein Sohn? fragte die Dame, indem sie den Jungen mit ihren großen, guten Augen freundlich anblickte.
Wenn Eure Signoria mir erlaubte — — begann Maso. Das milde Lächeln seiner Herrin benahm ihm jede Scheu, — wenn nur der fremde Hörer nicht gewesen wäre!
Voran, voran! in diesem kurzen Leben haben wir keine Zeit zu verlieren!
Eure Signoria spricht Gold! Eben weil ich keine Zeit verlieren mag — Maso stockte wieder und warf einen mißtrauischen Blick auf den Fremden.
Sprich immerhin vor diesem Herrn; der ist ein deutscher Doctor und also sehr zerstreut; der giebt nicht Acht auf deine Worte, und wenn er Acht giebt, so behält er sie nicht.
Maso nahm seinen Muth zusammen und sagte: Ich habe immer sagen hören, daß die Padrona allmächtig sei —
Allmächtig! schämst du dich nicht, mein Sohn, so etwas auszusprechen? Nur Gott der Herr ist allmächtig, — weißt du den Katechismus nicht mehr?
Gott der Herr wird noch allmächtiger sein, aber Jedermann sagt, daß die Padrona Alles fertig bringe, was sie fertig bringen will, und daß für sie kein Knäuel so verworren sei, daß sie das rechte Ende nicht fände, und daß, wenn sie rede, Niemand etwas einzuwenden habe. Und wer darum in Florenz oder sonstwo etwas
wünscht, der bittet Eure Signoria um ihren Beistand, und wenn es nur etwas Gutes und Rechtschaffenes ist, so bekommt er einen Brief und darin liest er, daß schon Alles, was er wünscht, geschehen sei. Und darum schreibt Niemand in der Welt so viele tausend Briefe, wie die Signora Illustrissima — wer weiß das besser als ich, ihr Diener, dem sie manchmal die Gnade erweist, ihn zur Post zu schicken, wenn sonst keiner von der Villa nach Florenz geht, — und gewiß, auch diese da werde ich morgen treulichst besorgen, und auch sonst bitte ich, mir zu befehlen, und wenn es sein muß, so will ich gern um jede Mitternacht aufstehen und einen Brief nach Florenz bringen.
Für jetzt war Maso mit seiner Beredsamkeit zu Ende. Die Dame aber liebte keine Pausen und fragte: Wohlan! was soll ich für dich thun?
Dem Padrone sagen, er möge nichts dagegen haben, wenn ich, Maso Nencioni, Sohn des Leopoldo, die Gigia Landi von Urballa heirathe.
Heirathen willst du? rief die Dame und tauschte einen Blick mit dem neben ihr sitzenden Herrn. Wie alt bist du denn?
Neunzehn Jahre und drüber, zu Befehl.
Und seit wann seid ihr verlobt?
Wir sind noch nicht verlobt.
Seit wann gehst du zu deiner Liebsten zur Veglia?
Ich bin noch nicht zur Veglia gegangen, aber daran
soll's von nun an nicht fehlen, die Signoria verlasse sich darauf.
Donna Ersilia brach in ihr helles, silbernes Lachen aus. Aber woher weißt du denn, daß das Mädchen dich nehmen wird?
Warum sollte sie mich nicht nehmen, falls mein Vater es erlaubt, und mein Vater wird's erlauben, wenn der Padrone nichts dagegen hat, und der Padrone wird nichts dagegen haben, wenn die Signora Padrona ihm in ihrer großen Güte zuredet.
Ich werde mich wohl hüten. Du bist noch viel zu jung zum Heirathen.
Ich habe keine Zeit zu warten. Wenn ich nicht eile, so nimmt sie mir ein Anderer hinweg.
Die Mädchen sterben nicht aus. Geh, mein Sohn, und vergiß nicht, noch vor Sieben die Briefe zu bestellen.
Maso schaute mit einem Blick voll dankbarer Zuversicht zu seiner Herrin auf. Er zweifelte nicht im Mindesten, daß sie sein Anliegen sehr ernsthaft nehme, nicht im Mindesten, daß sie mit ihrer ganzen unergründlichen, unerschöpflichen Macht ihm beistehen müsse. Die Heiligen werden oft vergebens angerufen, die Signora Ersilia niemals, so hatte er seinen Vater mehr als einmal sagen hören, und daß die Padrona hundert Zungen und tausend Arme habe, und in Valtella ging es als ein Sprichwort um, daß der Arno eher zu Ende kommen würde mit seinem Wasser, als Signora Ersilia
mit ihren klugen Reden und hülfreichen Thaten. Alles aber, was Maso je aus dem Munde Anderer vernommen hatte über ihre Güte, die sich Keinem versagte, über ihre Thätigkeit, die niemals stillstand, — was wollte es heißen im Vergleich mit dem Klange ihrer Stimme, mit dem Ausdruck ihres Gesichtes, mit der heiter stürmischen Lebhaftigkeit ihres Wesens? Es wäre leichter, all die schwirrenden Lerchen droben am Himmel einzufangen, als die Padrona an irgend etwas hindern zu wollen, — so ungefähr würde sich Maso geäußert haben, wenn er eben jetzt seine Gedanken hätte kund geben müssen. Er war fest überzeugt, daß nun, da die Freundliche, die Unermüdliche, die Allvermögende mit seinen Herzenswunsch wußte, er fest vertrauen dürfe: die Sache war bereits so gut wie fertig. Und gegen diese Ueberzeugung vermochten die Worte nichts, welche die Signora zu ihm gesprochen hatte. Sie gehört zu Denen, welche Nein sagen und Ja thun, so versicherte er sich selbst; auch das wußten ja alle Leute, daß die Signora nie, was sie zu thun gedachte, voraussagte, dafür aber jedesmal die kühnsten Erwartungen übertraf. Als ob die Padrona bereits den unfehlbaren Brief geschrieben hätte, kraft dessen Gigia seine Frau werden mußte, so eilte fröhlich jubelnd der siegesgewisse Junge den Hohlweg hinab, welcher von der Villa nach Valtella führte.
Was heißt das: zur Veglia gehen? fragte der deutsche Doctor, während er auf die vollendeten Briefe
der Signora die Adressen setzte, welche sie ihm dictirte. Donna Ersilia ließ nämlich nicht leicht eine zu ihrer Verfügung stehende Schreibkraft in müssiger Ungenutztheit.
Da haben wir den Tedesco! rief sie. An diesem ganzen rührenden Gespräch ist ihm nichts merkwürdig gewesen als ein Wort, das er nicht verstanden hat. Veglia heißt eine Abendgesellschaft, eine Abendunterhaltung; der Ausdruck wird gebraucht von den Besuchen, welche die verliebten Burschen am Feierabend bei ihren Mädchen zu machen pflegen. So! nun wissen Sie auch das, Sie Nimmersattes Wörterbuch. Aber niemals werden Sie begreifen lernen, welchen Verdruß ich fühle, wenn mich Jemand um meinen Beistand bittet und ich sein Begehren nicht gutheißen kann.
Auch der Deutsche fand, daß Maso ein allzu jugendlicher Freier sei. Aber, rief er aus, welche Schönheit ist diese Gigia! Sie fuhr mit uns im Wagen.
Am andern Morgen — die hellste Sonne beschien die barhäuptigen Berge und die olivenbewaldeten Hügel — begleitete der deutsche Gast die Signora bis zur Kirche San Giorgio a Urballa, und während die Dame drinnen die Messe hörte, ging der nordische Ketzer auf dem den Vorsprung eines Hügels einnehmenden Platz vor der Kirche auf und ab und ließ die Blicke schweifen über das mit Villen und Meierhöfen übersä'te Arnothal bis zur fernen Stadt, bis über die Stadt hinaus zu dem dunkelblauen Apennin und zu den noch hinter dem Apennin in die Landschaft hereinschauenden hell-
blauen apuanischen Alpen. Und der Ketzer glaubte an den Gott, dem dies Stück Erde so wohl gelungen war. Die Orgel verkündete durch ein frisches Allegro das Ende der Messe. Dem Gedränge der ländlichen Beter zuvorkommend, trat die Dame zuerst aus der Kirche, nahm den Arm des Gastes und sagte: Jetzt wollen wir der schönen Gigia einen Besuch abstatten.
Das war so ihre Art. Der Gast hatte gestern die Schönheit des Mädchens so sehr gerühmt, daß sie ihm den Anblick nochmals verschaffen wollte. Sie konnte nun einmal nicht anders, als immerfort bedacht sein, allen möglichen Menschen alle mögliche Freude zu bereiten. Und sie verlangte dafür keinen andern Dank, als daß man sich ihre fürsorgende Güte gefallen lasse. Undank beirrte sie nicht. Wenn nur der Undankbare wieder ihrer bedurfte, so waren neue Wohlthaten ihre Rache. Bloß die selbstgenügsamen Trotzköpfe mochte sie nicht, denen sie keinen Dienst leisten, nichts Gutes erweisen konnte.
Der Ort Urballa bestand zum kleinsten Theile aus zusammenhängenden, eine Gasse bildenden Baulichkeiten; die Mehrzahl der Häuser lag zerstreut in den Feldern diesseits und jenseits der Landstraße. Die Signora ließ sich das Häuschen der Familie Landi zeigen. Auf dem wohlgescheuerten, von Wachholdergebüsch und Feigenbäumen eingeschlossenen Vorplatz saß Sora Maria in beschaulicher Sonntagsruhe. Sie stand aber eilig auf, als sie den unverhofften Besuch eintreten sah.
Kennt Ihr mich, Massaia? so begann die Dame das Gespräch.
Wie sollt' ich solch eine gute und berühmte Signora nicht kennen! rief die Bäuerin und machte eine so artige Handbewegung, als wäre sie an den täglichen Empfang so vornehmen Besuches gewöhnt.
Nun war es eine Lust für den ausländischen Gast, das lebhafteste Gespräch in dem reinsten und ausdrucksvollsten Toscanisch mitanzuhören. Die beiden Frauen, die Dame und die Bäuerin, waren von der Natur mit einer wundervollen Beredsamkeit ausgestattet worden, und wenn jene sich auf das Fragen verstand, so liebte diese das Antworten. Mit großer Kunst führte Donna Ersilia das Gespräch so, daß sie bereits nach einer Viertelstunde alle Verhältnisse der Familie Landi aufs Genaueste in Erfahrung gebracht hatte.
Ja, ich weiß, Gigia ist die schönste Eurer Töchter. Es wundert mich, daß Ihr sie allein noch nicht versorgt habt.
O Signora mia, versetzte die Bäuerin und streckte wie zur Abwehr eines ungerechten Verdachtes die Hand aus, wie oft hätte ich sie versorgen können! Ich darf wohl sagen, wenn ich die Parteien, die sich ihr antrugen, an den Fingern aufzählen wollte, ich hätte nicht Finger genug. Es giebt keinen Burschen in Urballa, der ihr nicht zuschielte, und darunter die wohlhabendsten. Ich will nur zwei nennen: Agenore Lori, der älteste Sohn des Beppe — Beppe ist Colone des Marchese
di Sdraiano und hat ein gutes Podere und keine Schulden, und der Sohn — nun der gleicht ein bischen einem Zaunpfahl, aber die Pfähle sind ja dazu da, um sich daran zu halten. Und dann nenne ich Bistino Rossi, den Barbier; der hat sein eigen Haus und nimmt von seinen Miethern einen hübschen Zins ein, und im Frühjahr, wenn er den Leuten zur Ader läßt, da wird für ihn all das schlechte Blut zu gutem Geld — — Eure Signoria muß sein Haus kennen, es ist das neben der Schenke.
Auch der Deutsche erinnerte sich des Hauses: er hatte vorhin beim Vorübergehen das Bild betrachtet, welches, über der Thüre auf die Mauer gemalt, höchst anschaulich eine Hand vorstellte, die mit einer Lanzette groß wie ein Fleischermesser bewaffnet war, und einen aufgestreiften Arm, aus welchem das Blut im Bogen hervorsprang.
— Aber was hilft alles Zureden bei dieser Eigensinnigen, die Euch zur Antwort giebt: der Agenore sei so groß, daß er allein Alles aufessen und die Frau hungern lassen würde, so sagt sie, und dann wieder im Hause Bistino's würde der Blutgeruch sie am Schlafe hindern, — und so hat sie allemal eine Ausrede; aber die Wahrheit ist, sie hat sich nun einmal in den Kopf gesetzt, die Männer seien nur in der Welt, um die Frauen zu quälen, — der fremde Signore wolle mich entschuldigen — aber das ist nun einmal ihre Meinung, und darum will sie lieber ein Mädchen bleiben
und immer bei ihren Brüdern wohnen, deren Art zu quälen sie doch wenigstens kenne, sagt sie, und von denen sie keine Ueberraschung mehr zu befürchten habe.
Donna Ersilia wollte die Rückkunft des abwesenden Mädchens abwarten, und die Bäuerin ließ es sich nicht nehmen, den seltenen Besuch zu bewirthen. Armuth schadet nicht der Artigkeit, so entschuldigte sie sich mit dem toscanischen Sprichwort, lud die Gäste ein, ins Haus zu treten, und holte schönes Weißbrot, Trauben, Feigen, einen Masco Landwein, zündete auch auf dem Herde ein Reisigfeuer an, um Kastanien zu rösten. Die Signora griff aus Höflichkeit zu, der Signor Germanico aber ließ sich's mit deutscher Gründlichkeit schmecken in dem reinlichen Gemach, welches, Küche und Wohnstube zugleich, hoch, hell, mit dem rothen, geplätteten Fußboden, dem breiten Webstuhl in der Mitte und dem gewaltigen, vollbauchigen, schöngehenkelten Oelkrug in der Ecke von homerischer Luft erfüllt zu sein schien. Und nun kam die anmuthige Nymphe Gigia, grüßte freundlich und blieb so wenig als ihre Mutter der fragelustigen Dame eine Antwort schuldig. Bald hatte diese das Gespräch so gewendet, daß sie, ohne befremdliche Neugierde zu zeigen, das Mädchen ausforschen konnte: Ihr müßt auch den Maso kennen, den Maso Nencioni von Valtella.
Ja, sie nennen ihn den Säugling, erwiderte Gigia leichthin, und ein spöttisches Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel.
Als Dame Ersilia und ihr Begleiter das Haus der Landi verlassen hatten, sagte sie: Ich begreife nicht, wie Sie Gigia schön finden können. Sie ist eine Capricciosa. Donna Ersilia schien ein wenig verstimmt: hatte sie vielleicht erwartet, daß Gigia wie Maso sie um ihren Beistand angehen würde? Hatte sie vielleicht sich schon einen Plan ausgedacht, wie man trotz der Jugend Maso's das Paar doch beglücken könnte?
Die zwei Augen aber, welche nicht wenig aufgerissen worden waren, als sie die Dame aus dem Bauernhaus heraustreten sahen, merkten nichts von dem leichten Schatten, der über dem gütigen Gesichte lag. Maso's Augen waren es. Nachdem er in der Frühe die Briefe nach der Stadt getragen, hatte er rasch den Weg zurückgemacht, um hierher nach Urballa zu eilen und aus einem Versteck hinter einem Zaune die Wohnung der Geliebten anzustarren. Er brach in einen triumphirenden Schrei aus. Die Padrona war bei den Landi gewesen, um für ihn zu sprechen. Seine Sache war gewonnen. Er hatte es ja gewußt, daß die Padrona sich seiner annehmen müsse. Daß sie's aber so schnell thun, daß sie selbst zu den Landi gehen würde, das hatte er nicht gehofft — und doch: gerade so war sie ihm ja immer geschildert worden — als die beste, die schleunigste Helferin. Wäre sie ein Mann, man hätte sie ganz gewiß schon zum Papst gemacht! sagte er zu sich und schaute ihr voll andächtiger Verehrung nach.
Er wußte nun, was er zu thun hatte. Ungedul-
dig ersehnte er den Abend, die Stunde, da man zur Veglia geht. Endlich berührte die Sonnenscheibe den Rand der Berge, ein purpurnes Licht erfüllte die Luft, und droben in der Kapelle von Montisoni tönte das Ave Maria. Maso steckte sich ein Sträußchen duftender Gaggie ins Knopfloch und betrat den von Feigen und Wachholder eingeschlossenen Vorplatz, wo wieder wie am Vormittag Sora Maria saß und vergnügt an den Besuch der Donna Ersilia zurückdachte.
Was willst du, mein Sohn? fragte sie den Jungen, der da hereingekommen war und nun, statt zu sprechen, sich umschaute, als ob er etwas suchte.
Was ich will? Ich bin der Maso Nencioni von Valtella, und meine Padrona, die Signoria Ersilia, muß es Euch gesagt haben.
In der That, mir scheint, sie hat deinen Namen gesagt.
Nun ja — also wißt Ihr —
Was, mein Sohn?
Daß ich Eure Tochter Gigia zur Frau nehmen will.
Statt aller Antwort betrachtete Sora Maria den Jungen von unten bis oben und brach in ein lautes Lachen aus. Maso wartete ruhig, bis sie ausgelacht hatte, dann fuhr er fort: In ganz Valtella hat Keiner ein größeres Podere als mein Vater Leopoldo Nencioni, und wenn ich sage, daß der Signor Baldo unser Padrone ist, so, meine ich, wäre Alles gesagt. — Er schüttelte den Kopf, als das andauernde Schweigen der
Frau ihn zwang, noch mehr zur Begründung seiner Werbung hinzuzufügen. Unser Podere könnte vier Paare ernähren, aber wir sind nur drei Männer, mein Vater, ich und mein Bruder, und der will Kapuziner werden. Glaubt Ihr, daß Ihr so leicht einen wohlhabenderen Eidam finden könntet?
Mein Söhnchen, versetzte die Frau, ich glaube gern, daß es Euch gut geht, und Euer Padrone ist eine Perle von einem Signore. Aber Ihr seid zu jung für meine Tochter; im nächsten Monat, zwei Tage nach Santa Teresa, wird sie dreiundzwanzig alt, und Ihr — —
Was liegt daran, wie alt ich bin! Die Padrona muß mit Euch gesprochen haben. In diesem Augenblick öffnete sich die Hausthüre, und Gigia erschien auf der Schwelle. Maso betrachtete sie und vergaß darüber das Grüßen.
Guten Abend, Maso, sagte das Mädchen und lachte und setzte sich neben seine Mutter. Die schaute die Tochter an. Er will dich heirathen — denk dir, er will dich heirathen.
Wundert Euch das, Mamma? Mich nicht.
Und du bist's zufrieden?
Wenn Ihr's seid, Mamma, bin ich's auch, versetzte die Tochter.
Maso stand da mit glühendem Gesicht und offenem Munde.
So holt Euch doch einen Stuhl drinnen, redete ihn Gigia an, und stehet nicht da wie ein Stück Mauer.
Maso eilte hinein. Sora Maria hatte sich noch nicht von ihrem Erstaunen erholt. Den willst du nehmen, Gigia, — den— den Säugling?!
Warum nicht, wenn Ihr nichts dagegen habt. Er ist so jung und so einfältig — er wird mir weniger zu schaffen machen, als irgend ein Anderer. —
Der deutsche Doctor blieb meist vom Samstag bis zum Montag als Gast auf der Villa und kehrte erst am Montag Morgen mit Signor Baldo nach Florenz zurück, sei es in dessen eigenem Wagen, sei es in der rothblauen Kutsche des rothbraunen Giannino. Die immer bereite, immer bewegliche Donna Ersilia gab dann wohl dem Gaste das Geleite bis zur Landstraße, wo auf Signor Baldo gewartet und die Wartestunde lebhaft verplaudert wurde. Signor Baldo nämlich, nicht minder rührig als seine Gattin, pflegte schon in aller Frühe aufzubrechen und, bevor er in die Stadt ging, nach seinen Kalkbrennereien auf Montepilli zu schauen.
Ich habe meinem Manne gesagt, erzählte sie dem Gaste, daß Maso die Gigia heirathen wolle, und ihn gefragt, ob er glaube, daß die Beiden für einander paßten. Es würde ihm leid sein um den guten Jungen, hat er geantwortet, Gigia stehe im Rufe eines launischen, eigenwilligen Dinges. Sie sehen, die ganze Welt urtheilt wie ich, Niemand findet sie schön. Wenn ich nur schon wüßte, was ich für den armen Jungen thun könnte!
In diesem Augenblicke kam in vollem Laufe Maso auf die Beiden zu. Athemlos langte er bei ihnen an und vermochte nicht zu reden. Er ergriff nur die Hand der Padrona und küßte sie ehrerbietig, aber voll Inbrunst. Tausend Dank, rief er endlich, tausend Dank, Illustrissima!
Donna Ersilia's Erstaunen verdoppelte sich, als Maso erzählte, er habe sich gestern Abend mit Gigia verlobt. Wie das so schnell geschehen sei? fragte sie halb erschrocken. Aber Maso antwortete nichts als: das danke er ihr, nur ihr, und küßte nochmals ihre Hand und lief wieder davon. Er schien ganz toll vor Glück.
Da muß ich geschwind erforschen, wie das zugegangen, sagte Donna Ersilia. Der Deutsche glaubte ihr anzumerken, daß sie trotz ihres Schreckens eine gewisse Genugthuung verspürte: that es ihr immerhin wohl, daß Maso sie für seine Beglückerin hielt?
Zwei Tage darauf empfing aber der Deutsche einen Brief von Donna Ersilia, worin sie unter Anderem ihm mittheilte, daß es mit Maso's Verlobung schon wieder nichts mehr sei, der Junge dauere sie, aber sie habe ihn ja von Anfang an gewarnt, und nun müsse er dafür büßen, daß er ihre Warnung überhört. Donna Ersilia mochte allenfalls zulassen, für die Urheberin eines Glückes zu gelten, das zu schaffen ihr nicht vergönnt gewesen, aber kein Gedanke war ihr unerträglicher, als daß Jemand ihr eine Mitschuld an seinem Mißgeschick beimessen könne.
Daß aber Maso's schnelle Freude sich so schnell in Leid verwandelt hatte, das war also zugegangen.
Eine Verlobung in einer Ortschaft wie Urballa, wo die Häuser offene Vorplätze haben, pflegt nicht lange geheim zu bleiben, und am Montag Morgen, während Sora Maria kopfschüttelnd in ihrem Hause umherging und verwunderte Seitenblicke auf Gigia warf, welche eben gesagt hatte, sie wünsche jetzt nur recht bald Hochzeit zu machen und wieder in Ordnung zu kommen, — an eben diesem Montag Morgen wurde die Nachricht, Gigia Landi sei die Braut des Maso Nencioni von Valtella, bereits in allen Häusern von Urballa eifrigst besprochen. Und es hatte noch nicht Mittag geläutet, da betraten zwei Burschen das Haus der Landi: Agenore war's und Bistino Rossi, der Barbier. Sie wünschten erst der Mutter, dann der Tochter einen guten Tag, schauten aber gar finster drein, und zumal auf Agenore's Stirne stand eine so böse Falte, daß Gigia ganz blaß wurde und ihr das Herz zu pochen begann. Und nun fragte Agenore mit einer Stimme, aus deren Tone das Mädchen furchtbare Drohungen heraus hörte: Ist es wahr, Sora Maria, daß der verdammte Valtellaner Knirps, der gestern bei euch gewesen, der Bräutigam eurer Tochter ist.
Gigia ließ der Mutter keine Zeit zum Antworten. Was fällt dir ein, Agenore? Können wir etwas dafür, wenn der einfältige Junge sich in den Kopf setzte, er müsse mich zur Frau haben?
So ist's also nicht wahr, was ganz Urballa sich erzählt. Um so besser für dich, Gigia. Denn wisse, keiner von uns Burschen, die wir deine Mitbürger sind, hätte zugegeben, daß du Den zum Manne nehmest. Und merk es dir für alle Zukunft. Du bist so launisch, als du schön bist, und bei dir lügt das Sprüchwort nicht, welches sagt:
Schönheit und Unverstand
Gehn meistens Hand in Hand.
Du hättest wohl gethan, längst einen von uns zu heirathen, mich oder hier den Bistino, oder den Angelo oder wie wir Burschen von Urballa sonst heißen. Indessen dazu können wir dich nicht zwingen. Aber das brauchen wir nicht zu leiden und werden wir nicht leiden, daß das schönste Mädchen von Urballa einen Ausländer heirathe — und nun gar solch einen Valtellaner Knirps, den ich mit meinem linken kleinen Finger wollte tanzen lassen wie einen Kreisel. Also merk es dir und nimm Einsicht an und heirathe einen deiner Mitbürger, ehe es zu spät ist, denn auch der schönste Schuh wird zum Schlappen, und, die Jüngste bist du längst nicht mehr.
Als nach dieser Rede Agenore und sein Gefährte wieder gegangen waren, sagte Sora Maria, indem sie rathlos die Hände erhob und wieder zusammenlegte: Gigina, mein Kind, was soll das aber werden? Du bist ja doch nun einmal seine Braut. Ach, warum habe ich meine Einwilligung gegeben! Hätt' ich's nur nicht
gethan! In meiner Freude, daß du endlich Einen nehmen wolltest, dachte ich an nichts weiter. Und doch hätte es mir einfallen sollen, daß er ein Ausländer ist, und daß die hier es nimmermehr leiden würden. Haben sie nicht Recht? Wo, an welchem Orte der Welt wäre es je erlebt worden, daß man ein schönes Mädchen ruhig und ungehindert hätte in die Fremde heirathen lassen? Wenn sie nicht eifersüchtig deinethalben wären, es würde dir nicht zur Ehre gereichen. Aber nun — welch ein Durcheinander! welch eine Verlegenheit! wenn du nun den Maso heirathest, so wirst du keinen Schritt mehr hierher in dein Vaterland thun können, sie möchten dir was zu Leide thun, und wenn ich dich, meine Tochter, sehen will, so muß ich zu dir nach Valtella kommen.
Was schreit Ihr so, Mamma, ohne alle Noth! erwiderte Gigia. Hab' ich nicht gleich dem Agenore geantwortet, daß es mit Maso nichts sei? Agenore ist ein Wütherich, der wäre im Stande mich umzubringen — hast du gesehen, wie seine Augen rollten? Um das viele Gequäl loszuwerden, sagte ich dem Maso zu, aber wahrhaftig nicht, um nicht mehr des Lebens sicher zu sein. O ich Arme! wessen Frieden hab' ich je gestört, und gegen mich fuhren Alle Krieg. Aber sprecht, Mamma, wen schicken wir am besten nach Valtella, um dem Maso zu sagen, daß er sich nicht weiter um mich kümmern solle?
Ich will selbst gehen.
Was fällt Euch ein? Damit Ihr Red' und Ant-
wort stehen müßtet? Nein! Das Kürzeste ist, ich lasse ihm einen Brief schreiben.
Und der Brief wurde geschrieben — durch Gigia's Schwägerin Marietta, welche des Schreibens kundig war. Gigia sagte ihr ihn Wort für Wort vor:
„Lieber Maso, „Ich kann deine Braut nicht mehr sein und noch viel weniger dich heirathen. Denk also nicht weiter dran, ich will's auch nicht thun; es ist ein gutes Sprichwort, welches sagt: Vorbeigeflossenes Wasser mahlt nicht mehr. Diesen Brief habe ich, Gigia Landi, meiner Schwägerin Marietta, der Frau meines Bruders Gianni, vorgesagt, und sie hat ihn nachgeschrieben und sonst weiß keine Seele darum, und du brauchst dich vor Niemanden zu schämen.
Addio.“ Der Brief wurde durch Marietta's kleines Söhnchen noch an demselben Tage nach Valtella getragen und, wie dem Kinde anempfohlen worden, in Maso's eigene Hand abgegeben. Maso konnte nicht schreiben, aber ziemlich lesen. Nur heute wollte es mit dem Lesen nicht gelingen. Er buchstabirte den Brief wohl ein Dutzendmal durch: es wurde ihm dabei zwar schrecklich eng im Herzen, aber in seinem Kopfe sah's nach dem zwölften Mal noch dunkler aus als nach dem ersten. Er mußte sich, das begriff er endlich, den Brief von einem Andern lesen lassen. Doch von wem? Nur von der Padrona, meinte er, weil dann doch nichts Anderes als etwas Gutes darin stehen würde.
Am Abend eilte er also hinauf nach der Villa und glücklicher Weise hatte er nicht nöthig, sich erst durch den Diener anmelden zu lassen. Die Signora saß auf dem Rasenplatz vor dem Hause in regem Gespräche mit dem Priore von San Giorgio. Maso drückte sachte auf die Klinke der Plankenthüre, welche den Eingang von dem Vorhof nach dem lorbeerumhegten Platze bildete. Sofort wendete Donna Ersilia den Kopf; auch während der lebhaftesten Unterhaltung entging ihrer stets überallhin gerichteten Aufmerksamkeit kein Geräusch, keine Bewegung.
Padrona Illustrissima, rief der Junge, ich bin es der Maso, und näher tretend fuhr er fort: Eure Signoria verzeihe mir, aber wenn sie die Güte haben wollte, mir deutlich zu sagen, was auf dem Papiere da steht —
Donna Ersilia überflog den Brief. Signor Priore, sagte sie und wandte sich nicht an Maso, sondern an den neben ihr sitzenden Geistlichen, Sie haben da in Ihrer Herde ein böses Schaf. Die großen Augen der Dame sprühten, solcher Unwille hatte sie erfaßt. Sie gab dem Priore das Blatt.
Ja, sagte der alte Herr, nachdem er gelesen, und nickte lächelnd, die Gigia ist von hartem Holz. Das biegt sich nicht unter der kalten, kraftlosen Hand eines alten Pfarrers. Da braucht's was Anderes. Ich habe manchmal gedacht: ob dieses starre Erdreich sich nicht erweichte, wenn einmal Donna Ersilia den heißen Sturmwind ihrer Beredsamkeit darüber brausen ließe. Der
Prior war noch aus der alten guten Zeit und konnte auch über ein so ernstes Ding wie die Rettung einer Menschenseele heiter scherzhaft reden.
Still, lieber Priore, ich bitte Sie, der Junge meint so wie so, ich müsse ihm beistehen; allein ich will ihm zu wohl, als daß ich mich nicht freute, weil er von der falschen Dirne los ist. Ja, Maso, fuhr sie fort, indem sie sich an ihn richtete, so geht es, wenn man auf meinen Rath nicht hört. Doch glaube mir, es ist dein Glück, daß es so gekommen.
Sie entließ den Jungen, ohne ihm den Brief zurückzugeben; vielmehr hatte sie, während sie sprach, das große Gebund der heute an sie selbst eingetroffenen Briefe aus der Tasche gezogen und Gigia's arge Botschaft hineingeschoben, als gehörte sie auch dahin. That sie so, um den Jungen von der Gegenwart des giftigen Blattes zu befreien? Es wäre ein Gedanke gewesen, ganz ihres Zartgefühles würdig. Allein viele Leute, welche das Glück hatten, Donna Ersilia's Bekanntschaft zu genießen, wollen beobachtet haben, daß, gleich wie ein Botaniker nicht die auf seinem eigenem Grund und Boden gewachsenen Blüten und Gräser in seine Kapsel schiebt, sondern mit allen möglichen Pflanzen, wo immer er sie findet, sein Herbarium bereichert, so auch Donna Ersilia alle Briefe, die ihr unter die Hände geriethen, mochten sie nun geschrieben sein, von wem und an wen sie wollten, als in ihr großes Archiv gehörig an sich nahm und aufbewahrte. Es läßt sich
daher nicht mit Gewißheit behaupten, daß, als Donna Ersilia das Schreiben Gigia's in die Tasche steckte, ihr dabei eine bestimmte Absicht vorgeschwebt habe.
Maso aber, welcher von den großen, in einem besonderen Zimmer der Villa aufgestellten Briefherbarien seiner Padrona nichts wußte, meinte, das Verschwinden seines Briefe in der Tasche der Donna Ersilia sei ein Vorgang von hoher Bedeutung. Er fand darin den klaren Beweis, daß Donna Ersilia noch weiter seine Sache führen und daß sie auch diesen Knäuel entwirren werde. Und weil er nun einmal das Ding in solchem Lichte betrachtete, so fiel es ihm auch nicht ein, den Worten der Padrona einen schlimmen Sinn beizulegen. Es sei sein Glück, daß es so gekommen! Nun, worin anders konnte denn sein Glück bestehen, als daß Gigia trotz ihres räthselhaften Schreibens die Seinige würde? Von all seiner Bangigkeit befreit, munter und vertrauensvoll wie jüngst, ging er daher auch diesmal von der Villa heim.
Die Woche verstrich unter der drängenden Arbeit der Weinlese, und Maso, welchem den Tag über die schwere Traubenhütte auf dem Rücken hing, fielen am Abend die Augen zu, gerade wenn er meinte, ungestört an seine Herzensangelegenheit denken zu können. Dafür wollte er den Sonntag um so gründlicher ausnutzen. Am Abend zuvor war er auf der Villa gewesen, um wie gewöhnlich die Sonntagspost zur Beförderung nach Florenz in Empfang zu nehmen; allein zu seinem großen
Leide hatte er die Signora nicht sprechen können; sie war ihrem Manne und dem deutschen Doctor nach Bagno a Ripoli entgegengegangen, und Maso fühlte, daß es nicht schicklich sein würde, ihr wieder auf der Landstraße nachzulaufen. Uebrigens auch ohne daß sie es ihm sagte, höchst wahrscheinlich dünkte ihm, daß sie in der Zwischenzeit wieder bei der Landi gewesen, und wenn nicht, nun so hatte sie etwas Anderes, Gutes, Kluges für sein Glück gethan. Frohen Muthes trug er Sonntags frühe die Briefe nach Florenz, hörte dort in Or San Michele die Messe, kaufte bei einem Händler in Mercato Nuovo, welcher es mit der Sonntagsfeier nicht zu genau nahm, einen schönen Fächer aus Olivenholz, der sein erstes Geschenk für Gigia werden sollte, und trat dann schnell den Rückweg an. In fünfviertel Stunden legte er die fünf Miglien nach Valtella zurück, aß eilig zu Mittag und dachte, heute sei es angemessen, schon um vier Uhr zur Veglia zu gehen. Sein Sträußchen von Gaggie im Knopfloch, lief er mehr als er ging den Berg hinan nach Urballa. Als er an La Torre vorüberkam, langten eben im Vorhofe zwei Wagen an, welche Sonntagsgäste aus der Stadt brachten. Donna Ersilia war zu ihrem Empfang herausgeeilt, und obwohl jede andere Hausherrin mit der Begrüßung so zahlreicher Besucher vollauf beschäftigt gewesen wäre, so bemerkte sie doch auch den langen Blick, mit welchem der draußen vorübergehende Bauernjunge nach ihr schaute, und nickte ihm zum Dank für
sein ehrfurchtsvolles Grüßen freundlich zu. Sie weiß, wohin ich gehe, — so sagte Maso zu sich selbst —, und sie hat mir einen Wink gegeben, meine Sache gut zu machen: das werd' ich, Signoria, das werd' ich!
Da, wo der durch die Weinberge des Signor Baldo ansteigende Feldweg in die Landstraße mündete, war eine Anzahl Burschen beim Bocciaschieben versammelt, darunter Agenore und Bistino. Ohne auf sie zu achten, ging Maso an ihnen vorüber, kreuzte die Landstraße und schritt, indem er kletternd die Windungen des jenseits in die Höhe führenden Pfades abschnitt, geradewegs auf das Haus der Landi zu. Die Burschen unterbrachen ihr Spiel und sahen dem dreisten Jungen stumm nach, bis er oben zwischen den Hecken verschwand. Dann aber warf Agenore heftig seine Kugel zur Erde und rief: Habt ihr's gesehen? Als Frage waren Agenore's Worte überflüssig, aber sie wurden auch so nicht aufgefaßt, vielmehr als eine Aufforderung, gleich ihm das Spiel zu lassen und unter seiner Führung dem frechen Valtellaner nachzueilen.
Inzwischen schwelgte Maso im Anblick der Geliebten; sie saß mit der Mutter und der Schwägerin auf der Schwelle des Hauses, und da Marietta den beiden Andern einen Strang Korallen zeigte, welchen sie heute früh von einem herumziehenden neapolitanischen Krämer zum Spottpreise von einem halben Francescone erfeilscht hatte, so stand Maso ein Weilchen da und wurde nicht bemerkt. Wie er nun aber seinen Gruß erst an die
Mutter, dann an die beiden Jüngeren richten wollte, ließ ihm Gigia nicht die Zeit, zu dem ersten Worte das zweite zu fügen.
Dio Santissimo, schrie das Mädchen und schlug erschreckt die Hände zusammen, der Maso!
Der Maso! schrieen auch die beiden anderen Frauen.
Maso wollte seinen Gruß neu beginnen, allein wieder ließ ihm Gigia nicht die Zeit. Was wollt Ihr hier? Seid Ihr toll? Wißt Ihr nicht, daß, wenn Euch der Wütherich von Agenore hier betrifft, Ihr Eures Lebens nicht sicher seid als —
Als eine Zanzare, die sich mir auf die Nase setzt, vollendete Agenore durch die Wachholderhecke hereinbrechend; hinter ihm wurden sechs, acht andere Köpfe sichtbar.
Weh uns! was soll das werden? schrie Sora Maria geängstigt.
Seid vernünftig, Agenore! mahnte Marietta.
Bin ich ein Wütherich, so will ich auch nicht vernünftig sein, antwortete Agenore höhnisch lachend und trat mit drohend erhobener Hand auf Maso zu. Der ganze Haufe von Urballesen drängte dicht hinter ihm.
Maso wich keinen Schritt zurück. Voll Aerger über die Störung schrie er die freche Schaar an: Was habt ihr hier zu suchen, ihr Lümmel?
Das frag' ich dich, Bürschlein, erwiderte Agenore; was suchst du hier?
Ich bin zur Veglia bei meiner Braut, antwor-
tete Maso und streckte gebieterisch die Hand aus, als genügte das, die rohen Störenfriede hinauszuweisen.
Bei seiner Braut! sagte er. Tropf von einem Valtellaner, laß dir die Veglia wohl bekommen!
Bei diesen Worten riß Agenore sein Messer heraus; die Frauen kreischten auf; von den Burschen faßte Einer, Namens Angelo, Agenore's Arm, um ihn am Zustoßen zu verhindern; die meisten aber drangen zornentbrannt auf Maso ein; er hatte zu seiner Vertheidigung den für Gigia bestimmten Fächer erhoben; sie sahen nur die Bewegung und mochten meinen, das Ding, welches er dem Angreifer entgegenhielt, sei auch eine Waffe. Da, in diesem Augenblick des Getümmels, schrie Gigia: Thu ihm nichts, thu ihm nichts, Agenore; ich will ja deine Frau werden!
Ihr habt es gehört, rief Agenore, welcher sofort das Messer einsteckte. Auch du hast es gehört, Säugling, und weißt darum, daß du hier nichts zu holen hast. Zeigt ihm den Weg nach Valtella!
Maso wollte noch ein Wort zu Gigia sprechen oder doch einen Blick auf sie werfen; aber die feindliche Horde hatte ihn in die Mitte genommen, einer hatte seine rechte, ein anderer seine linke Schulter gepackt, und so, fast als ob er nur eben eine Bocciakugel wäre, stießen, schoben, drängten sie ihn hinaus und den Pfad hinunter bis zur Landstraße. Daß er sich nicht wieder nach Urballa versteige, wenn er seine
Knochen lieb habe, schrieen sie ihm zu, als sie ihn endlich mit einem letzten groben Schub entließen.
Unterdessen waren Sora Maria mit ihrer Schwiegertochter Marietta beschäftigt, den übel zugerichteten Vorplatz wieder in Ordnung zu bringen. Zwischen den Feigenbäumen waren Stricke ausgespannt gewesen, um Wäsche zu trocknen. Die Wäsche lag beschmutzt und zerrissen am Boden, die Bäume hatten die Hälfte ihrer Blätter eingebüßt, Küchen- und Gartengeräthe, welches in einem Winkel gestanden, lag zertreten, zertrümmert.
Eine schöne Verlobung! Das fängt gut an! rief Marietta und hielt eine zerrissene Schürze wider den Himmel, um den vollen Anblick der Löcher zu genießen.
Hättest du nicht ebenso gut den Angelo nehmen können? jammerte Sora Maria, der noch immer die Knie zitterten. Warum gerade den wilden Agenore? Ich sehe noch sein Messer funkeln. Wenn ihn Angelo nicht zurückgehalten hätte —
Wollt ihr mich zu Tode peinigen? Habt ihr sonst nicht immer dem Agenore das Wort geredet? Und nun, da ich keine Wahl hatte — Gigia, welche noch immer regungslos auf der Schwelle saß, konnte vor Schluchzen nicht weiter.
Was? keine Wahl? versetzte Sora Maria, ist Angelo nicht auch dein Mitbürger? Ein guter, sanftmüthiger Mensch, der nie in seinem Leben das Messer gezogen hat, ich wette. Keine Wahl, sagt sie! Hast du dich darum so lange besonnen, um endlich solch einen blut-
dürstigen Tiger zu nehmen, wie den Agenore! Madonna, noch sehe ich sein Messer funkeln, und ist er erst dein Mann, so hab' ich keine ruhige Nacht mehr. Der legt sich mit dem Messer ins Bett, ich wette, und Gott der Herr behüte dich, wenn du dich einmal vergäßest und schnarchtest — ach, warum hast du nicht Angelo gesagt statt Agenore —? — Und sieh hier: dein neues Hemd auch kurz und klein, ein Riß durch den Rücken und beide Aermel in Fetzen! Ach, Gigia, was für ein Tag der Zerstörung! Bis an mein Ende werde ich das Messer sehen!
Gigia konnte das Gejammer und Gezeter der Mutter nicht mehr anhören; sie war ohnehin ganz betäubt, ging hinein ins Haus, setzte sich auf einen Stuhl und lehnte ihr Gesicht wider die Wand. Sie hörte Agenore's häßliche Stimme. Wann werden wir Hochzeit machen, Gigia? Wie war es nur zugegangen, daß sie die Braut des schrecklichen Menschen geworden? Sie begriff es nicht: wohl erinnerte sie sich genau, daß sie seinem drohenden Messer hatte Einhalt thun wollen. Aber wenn er wirklich Maso verwundet, ja getödtet hätte — wäre es ihr so furchtbar gewesen, als ihr nun der Gedanke war, Agenore's Frau zu werden? Was brauchte ihr an dem albernen Jungen zu liegen? Sie kannte ihn ja kaum, und wozu war er wieder hierher gekommen, nachdem sie ihm doch gesagt, daß sie nichts mehr von ihm wissen wolle?
Unten in der Villa war man vom Tisch aufge-
standen; die Gesellschaft saß auf der Terrasse und nahm den Kaffee. Das Gespräch ging so lebhaft, so rastlos voran, wie immer, wenn Donna Ersilia es leitete. Sie war natürlich die beredteste von Allen, aber sie machte auch die Andern beredt, indem sie sich wunderbar auf die Kunst verstand, einem Jeden sein Bestes zu entlocken. Selbst der Signor Germanico, so lieb ihm seine Wortträgheit war, durfte hier nicht stumm dasitzen, sondern mußte seine rauhen, dunkeln Kehllaute unter die hellen, „der Blüte der Lippen“ entquellenden Tonperlen der Italiener mischen. Da plötzlich wurde die Unterhaltung gestört. Ein Diener kam und meldete dem Hausherrn, daß in einem Weggraben kaum einen Büchsenschuß von der Villa ein Verwundeter liege. Es scheine wieder einmal eine Rauferei zwischen dem Volke von Urballa und dem von Valtella gegeben zu haben. Sofort eilte Signor Baldo, von einigen der Herren begleitet, nach dem Orte, wo der Verwundete liegen sollte. Sie trafen auf ein paar Burschen aus Valtella, aus deren mit mehr Aufregung als Ordnung vorgebrachten Berichten zunächst nur das Eine zu entnehmen war, daß die Bosheit und Tücke derer von Urballa auf der Welt ihres Gleichen nicht habe. Aber als Signor Baldo ungeduldig näher tretend den Verwundeten betrachtete, der da im Graben lag, erkannte er zu seiner doppelten Betrübniß den armen Maso. Noch schien der Junge bewußtlos, seine Augen waren geschlossen, seine Brust arbeitete schwer und rasch, und unter dem blauen
Taschentuch, womit man seinen Kopf verbunden, quoll schwarzes, dickes Blut hervor. Sie hätten ihn, während sie ihn nach Valtella schaffen wollten, hier niedergelegt, so erzählten die Anderen, weil sein schweres Athmen sie erschreckte. Signor Baldo befahl, den Jungen nach der nahen Villa in das Haus des Verwalters zu tragen, und hieß nun einen der Burschen sprechen und die übrigen schweigen. Endlich wurden die Umstände, die zu dem so bedauerlichen Vorfall geführt hatten, einigermaßen klarer. Vor einer Stunde war Maso, halb sinnlos vor Wuth, nach Valtella gekommen und hatte soviel seiner Landsleute, als er in der Eile um sich versammeln konnte, aufgefordert ihm beizustehen gegen die Bösewichter von Urballa; und da man in Valtella seit unvordenklicher Zeit überzeugt war, daß nichts Schlimmes, was von denen von Urballa erzählt werde, unwahr sein könne, so wurde der Aufforderung Maso's sogleich entsprochen. Elf Mann hoch brach man auf gegen den feindlichen Ort. Wie man nun aber in die Nähe der Landstraße kam, da flog von oben ein dichter Steinhagel herunter, und ein Stein traf Maso, der den Uebrigen um fünfzig Schritte voraus war, an der linken Schläfe, so daß er auf der Stelle zusammenbrach.
Es war nicht mehr und nicht weniger als ein Loch im Kopfe, was Maso von seinem unglücklichen Feldzuge davongetragen, und als erst der aus Ripoli herbeigeholte Medico Condotto die Wunde untersucht und den beruhigenden Ausspruch gethan hatte, daß es dem
Jungen im schlimmsten Fall nicht ans Leben gehen werde, meinten die Burschen, welche die Nachricht hinunter nach Valtella brachten, es sei eine bloße Kleinigkeit, von der es nicht lohne dem Gerichte Anzeige zu machen; sie wollten schon selbst dafür sorgen, daß es den Birboni von Urballesen eingetränkt würde. Inzwischen verging eine ganze Woche, ehe Maso auf seinem Bette im Hause des Verwalters aufsitzen konnte. Während dieser Zeit hatte ihn der Padrone an jedem Tag, die Padrona zweimal besucht. Donna Ersilia wünschte gar sehr, daß mit dem Kopf auch das Herz des Jungen heilen möchte, und sie glaubte bereits, diese doppelte Genesung zu gewahren. Denn als sie bei ihrem zweiten Besuche ihn ansprach, er wisse doch, daß Gigia jetzt die Braut Agenore's sei, da hatte er zu ihr aufgesehen und geblinzelt und genickt. Ueberhaupt schien er trotz seiner Wunde völlig guter Dinge und äußerte kein Wort des Grolles gegen das männliche oder weibliche Geschlecht von Urballa. Am Sonntag Morgen stattete die Signora ihren dritten Besuch in der Krankenstube ab; der gewöhnliche Sonntagsgast, der deutsche Doctor, begleitete sie. Maso war nun wieder so weit, daß er aufrecht da saß und auf die Frage des Deutschen, ob er viel Schmerzen ausgehalten habe, lachend erwiderte: das bischen Wunde sei ihm eine wahre Lust, weil er dadurch seiner Gigia bewiesen, daß er sie nicht weniger lieb habe, als sie ihn. Donna Ersilia fragte erschrocken, wie er das meine?
Das ist doch klar, Illustrissima. Wie Agenore mir mit dem Messer drohte, rief Gigia: Thu ihm nichts Agenore, ich will dich heirathen, und daran erst erkannt,erkannt' ich, wie gut sie mir ist. Ich aber habe gezeigt, daß ich mich vor Agenore nicht fürchte, und daß, so lange ich einen Finger rühren kann, sich auch Gigia nicht vor ihm zu fürchten braucht.
Donna Ersilia suchte ihr Glück darin, Glückliche zu machen, und kam sie damit nicht zu Stande, so empfand sie jenes Unbehagen, welches ein jeder ernsthafte Mensch empfindet, wenn ihm eine durch seinen Beruf gebotene Aufgabe mißlingt. Und die leidigste Unbefriedigung verspürte sie nicht etwa, wenn all ihr Muth und all ihre Thatkraft nicht mit den entgegenstehenden Hindernissen fertig wurden, sondern dann, wenn sie selbst ihrer Helferlust Zwang anthun, ihre Kraft zur Unthätigkeit verdammen mußte. Donna Ersilia war nämlich nicht die Frau, auf ihr eigenes Urtheil znzu verzichten, oder ihr Handeln in Widerspruch mit ihrem Urtheil zu setzen. Nimmermehr hätte sie es über sich gewonnen, Wünsche zu erfüllen, die ihr unverständig dünkten, Unternehmungen zu begünstigen, welche sie für verkehrt hielt. Mußte sie sich aber einem Hülfesuchenden versagen, weil sie ihm nicht zu einem Gute verhelfen mochte, von dessen Güte sie selbst nicht überzeugt war, so litt vermuthlich der abgewiesene Bittsteller weniger unter der Abweisung, als sie selbst. Und weil nun einmal völliges Nichtsthun ihr völlige Qual war, so pflegte sie einen
Ausweg zu suchen aus dem Widerstreite zwischen der Ungeduld ihres Herzens und der Bedächtigkeit ihres Verstandes. Einmal, Beispiels halber, ging Jemand — es war ein städtischer Beamter — sie um ihre einflußreiche Verwendung an, damit sie bei seinem Vorgesetzten, dem Bürgermeister von Florenz, eine Beförderung für ihn erlange; sie überzeugte sich, daß er die bessere Stelle nicht verdiene, und hütete sich wohl, ihm zu willfahren; aber sie erwirkte ihm einen Urlaub zum Gebrauch der Seebäder von Viareggio, damit er immerhin auf ein paar Wochen von seinem ungeliebten Amte loskäme.
Ach, wenn es nur ein Bad gegeben hätte, dahin sie den armen Thoren, den Maso, schicken konnte mit einiger Aussicht, daß er da Linderung fände von der bösen Glut, welche ihn entzündet hatte, und welche er selbst in seinem Unverstand fort und fort schürte! Der Junge — Gott segne ihn! — wie zwei Kohlen hatten seine Augen geglänzt, als er von der Dirne sprach! Und Donna Ersilia hatte heute früh in der Kirche mit ihren eigenen Ohren gehört, wie Gigia Landi zum ersten Male mit Agenore Lori aufgeboten wurde! Hätte Gigia sich aufbieten lassen, wenn es ihr nicht Ernst damit war, Agenore's Frau zu werden? wenn sie in ihrem Herzen die Neigung für Maso fühlte, welche der unbelehrbare Junge jenem schnöden Absagebrief zum Trotz ihr zutraute? Man läßt sich doch nicht zum Scherze in der Kirche als die Braut des Einen ausrufen, wenn man einen Andern im Sinne trägt und es gute und redliche
Wege giebt, die zu diesem Andern zu führen vermögen! Wußte Gigia etwa nicht, daß die Padrona Maso's Donna Ersilia hieß? wenn sie Beistand brauchte, warum kam sie nicht? war es so weit von Urballa bis zur Villa La Torre? Nein, das Mädchen, welches nicht nöthig fand, sich über ihre Gefühle zu äußern, fühlte eben nichts: ein träges Geschöpf war es, in dessen Adern Wasser statt Blutes floß. Welch Verhängniß, daß der warmherzige Junge den Schatz seiner Zärtlichkeit so falsch verwendete, so nutzlos ausgab!
Ernstlich betrübt, ja zürnend — ob über Maso, über Gigia, über sich selbst? wer will es entscheiden? — verließ Donna Ersilia ihren auch nur leiblich genesenden Schützling. Auf dem kurzen Gange vor dem Hause des Verwalters hinüber nach ihrem Salotto stieß sie nur einige ganz kurze Ausrufungen hervor, und dieses Versiegen des gewöhnlich so voll strömenden Redeflusses sagte am besten, wie unruhig es arbeitete in der Tiefe ihrer Natur; solch unheimliche Stille trat ein, wenn die Heiterkeit ihrer Seele durch heftige Wallungen gleichsam vulkanischer Elementarkräfte unterbrochen war, und kündigte einen um so heftigeren Ausbruch an. Die unerfreulichen Eindrücke, welche Gigia von allem Anfang an in ihr hervorgerufen durch all ihr Thun und Lassen bestätigt hatte, waren nun zu solch unleidlicher Stärke angewachsen, daß sie auf jede Weise abgeschüttelt werden mußten. Indem Donna Ersilia mit einer ungeduldigen Bewegung ihren Arm
aus dem des deutschen Gastes zog, rief sie, und ihre Augen sprühten Blitze: Gehen Sie mir mit dieser Capricciosa! Und Sie haben behaupten können, sie sei schön, — das vergesse ich Ihnen nie. Da weiß es unser Sprichwort besser, das sagt: Schönheit ohne Anmuth ist eine Angel ohne Köder.
Aber entbehrt denn Gigia der Anmuth? erlaubte sich der Deutsche einzuwenden.
Nun freilich: wenn Anmuth, wie mir dünkt, die sich im Aeußeren offenbarende Schönheit der Seele ist.
Der Signor Germanico, hartköpfig wie so manche seiner Landsleute, wollte die Richtigkeit dieser Definition bestreiten; allein Donna Ersilia war in diesem Punkte wie in einigen anderen nicht leicht zu überreden. Ihrem Bedürfniß, sich die Welt harmonisch vorzustellen, sagte es nicht zu, daß eine lieblose kalte Seele in einem schönen Körper wohnen könne, ohne durch ihre durchscheinende Unschönheit auch dessen Schönheit zu verderben. Donna Ersilia war Spiritualistin wie man sieht.
Aber, versetzte der Signor Germanico mit seiner nach der Meinung Donna Ersilia's ihm nicht zur Zier gereichenden Rechthaberei, aber der Köder muß der Schönheit Gigia's doch nicht gänzlich fehlen, da Maso so fest angebissen hat.
Dieser eigensinnige Widerspruch war nicht geeignet, die Verstimmung der Signora zu heben, und der deutsche Gast hätte sicherlich dafür büßen müssen, wenn das
Gespräch nicht durch den Eintritt des Signor Baldo unterbrochen worden wäre. Derselbe hatte seine Kalkbrennereien auf Montepilli besichtigt; auf dem Rückweg, der ihn durch Urballa führte, war er dem Prior von San Giorgio begegnet. In Urballa, so erzählte er, bereiten sich die Burschen heute als an einem Sonntag auf einen Zusammenstoß mit den Valtellanern vor; der Prior habe vergebens die Führer, Agenore und Bistino, gemahnt, Frieden zu halten; der alte Hader zwischen Urballa und Valtella sei wieder so heiß entbrannt wie je.
Und an all dem ist diese Capricciosa schuld, rief die Signora voll Entrüstung.
Ja, eine wahre Capricciosa! fuhr ihr Gatte fort. Der Priore hat mir erzählt: heute früh bei der Verlesung des Aufgebots habe er bemerkt, wie sie — — sie kniete auf den Stufen des Chors, und der Priore beobachtete sie aus der Nähe — da bemerkte er, wie sie bei der Verkündigung der beiden Namen ihr Gesicht weinend in ihrem Tuch verbarg, und er hörte auch ihr Wimmern: O ich Arme, ich Arme! Was sie nur eigentlich will, die seltsame Dirne! Andere Mädchen glühen vor Freude, wenn sie sich in der Kirche ausrufen hören.
Diese Worte ihres Gemahls machten einen tiefen, einen nicht unlieben Eindruck auf Donna Ersilia. Hatte Maso dennoch Recht? Das schien gewiß: Gigia fühlte sich nicht glücklich als die Braut Agenore's. Die Fal-
ten auf Donna Ersilia's Stirne glätteten sich: ihr Unwille hatte sich schon wieder in den wohlthätigen Eifer des Wohlthuns, ihre Abneigung in Mitgefühl verwandelt. So wenig sie das Betragen des Mädchens begreifen konnte, — wozu haben denn die Menschen die Sprache, wenn nicht um zu sagen, welcher Zahn ihnen weh thut? — so wenig konnte Donna Ersilia jetzt einen Augenblick in fühlloser Unthätigkeit verharren.
Es ist nur gut, sagte der Signor Baldo weiter, daß die Hochzeit bald stattfindet. Heute über acht Tage werden sie zum zweiten Male aufgeboten, und in der Woche darauf sollen sie getraut werden. Bis dahin wünsche ich dem Agenore, daß er sich in Acht nehme vor den Ehehindernissen, womit ihn die Eifersucht unsrer wackeren Valtellaner bedroht. Als ob Gigia mit ihnen allen verlobt gewesen wäre, so bös sind sie auf die Heirath mit Agenore zu sprechen. Ist er erst ein für allemal der Mann Gigia's, so wird es ihnen hoffentlich minder unerläßlich erscheinen, daß auch er sein Loch in den Kopf bekomme.
Donna Ersilia pflegte keine Zeit zu verlieren, — auch dann nicht, wenn es auf einen Tag früher oder später nicht ankam. Hier aber kam es darauf an. Sie schrieb sogleich an den Priore, — und während sie schrieb, hatte der Signor Germanico die Adresse vorzubereiten, — so daß schon nach zwei Minuten der Diener den Brief wegtragen konnte. Sie ersuchte darin den Priore, ihr die Gigia Landi zuzuschicken; noch
heute müsse sie mit dem Mädchen sprechen und zwar in den Frühstunden des Nachmittags, denn um fünf Uhr erwarte sie ihre Sonntagsgäste aus der Stadt. Der Priore las das Briefchen der Signora mit stillem Vergnügen; er erinnerte sich der Worte, die er jüngst scherzend zu Donna Ersilia gesprochen: daß nur ihrer Redegewalt es gelingen könnte, Eingang zu finden in das verschlossene Gemüth Gigia's, und er meinte, in Folge dieser seiner Worte lasse die verehrte Dame das Mädchen nun zu sich bescheiden. Er ging sofort selbst nach dem Haus der Landi, um die Aufforderung der Donna Ersilia auszurichten, und er brauchte nicht hinzuzufügen, daß man einer solchen Signora nichts abschlagen dürfe: Gigia, die er still dasitzend fand mit vom Weinen gerötheten Augen, zeigte keine Verwunderung, aber auch keine Freude über die Bestellung; sie nickte nur, stand auf, nahm ihren Fächer und sprach: Ich gehe, — sprach in dem Tone eines Menschen, der nicht anders weiß, als daß er thun muß, was man von ihm fordert.
Eure Signoria hat mich herbefohlen, da bin ich, sagte Gigia, als sie vor der Herrin von La Torre stand. Sie war sehr blaß, ihre Lippen zitterten, und die langen halbgesenkten Wimpern überschatteten zwei trüb blickende Augen. So trostlos blickten diese Augen, daß Donna Ersilia, bei welcher es sonst nicht leicht vorkam, daß sie Widerruf that, jetzt dem deutschen Gaste zuflüsterte: Wahrhaftig, heute ist sie schön! Und zu dem
Mädchen gewendet, sagte sie: Du hast in der Kirche geweint, als du mit Agenore ausgerufen wurdest. Wenn du einen Kummer hast, warum klagst du ihn nicht Denen, die dir helfen können?
Es ist unnütz, sagte Gigia.
Unnütz! wie kannst du's wissen! rief die Signora eifrig. Gott sei Dank, die Zeiten sind vorüber in unserm Italien, da die Mädchen zu verhaßten Ehen gezwungen wurden. Du, die Bäuerin, bist eine freie Italienerin, so gut wie ich, die Signora; wenn du es nicht weißt, so laß es dir von mir sagen, und nun sprich: du magst den Agenore nicht zum Manne? —
Was liegt daran, ob ich ihn mag oder nicht; ich muß ihn heirathen.
Du mußt? Schäme dich, meine Tochter! kein Mädchen muß einen Mann heirathen, gegen den sein Herz sich auflehnt. Freilich, es sollte sich auch nicht mit ihm verloben.
O Signora mia, es war nicht meine Schuld, ich konnte nicht anders.
Also ist's wahr? Du hättest ihn nur hindern wollen, dem Maso ein Leid anzuthun?
Ja, Illustrissima. Aber nun ist es geschehen; nun kann mir nicht mehr geholfen werden.
Warum nicht? eine Verlobung ist noch keine Ehe, nur die Ehe ist heilig und unauflöslich, eben darum soll man sie willig eingehen und in Liebe, denn mit Gewalt macht man Essig, und besser allein als in
schlechter Gesellschaft. Ich sage dir: wenn du den Agenore nicht liebst, so sollst du ihn nicht heirathen. Was schüttelst du den Kopf! Ich weiß, was ich sage, und ich wundere mich sehr, daß du nicht längst zu mir gekommen bist, um mich zu bitten, daß ich dir helfe.
Gigia heftete einen Blick voll Zweifel auf die Signora, die mit solcher Zuversicht von ihrer Hülfe sprach. Die Wangen des Mädchens rötheten sich, und in ihren Augen begann etwas wie Hoffnung aufzuleuchten.
Nun, wird es bald? rief Donna Ersilia heftig, aber ihrer Stimme war es anzuhören, daß sie in diesem Augenblicke keine Befriedigung empfand. Wird es bald? jetzt könntest du doch endlich reden!
Wohl, versetzte Gigia, noch immer zögernd. Wenn denn Eure Signoria wahr redet und mir helfen kann — es ist gewiß nicht leicht, aber wenn Eure Signoria es fertig brächte, daß ich nicht den Agenore zu heirathen brauchte, sondern — — sie stockte — vielleicht aus jungfräulicher Verschämtheit; doch erröthete sie weiter nicht.
Sondern — rief die Signora belustigt und ungeduldig.
Lieber würde ich den Angelo nehmen.
Den Angelo? rief Donna Ersilia und blickte sie groß an; sie glaubte nicht recht gehört zu haben. Wen würdest du lieber nehmen?
Den Angelo Boldrini — der ist doch kein blutdürstiger Tiger wie Agenore.
Als Donna Ersilia den unbekannten Namen wiederholen hörte, ging es wie ein Sturm über ihr Antlitz. Wahrhaftig, so brach sie endlich aus mit bebender Stimme, nun will sie sich mit dem Dritten verloben, und sie konnte nicht umhin beizufügen: Mädchen, Mädchen, du gefällst mir wenig. In hoher Erregung ging sie zweimal durch die Stube und stellte sich dann wieder vor Gigia hin, deren Blicke ihr erschrocken gefolgt waren. Wie kommst du nun auf Den? Rede!
Die Illustrissima verzeihe mir. Ich weiß es ja, daß es nicht möglich ist und daß ich den Agenore heirathen muß. Hat die Signoria mir noch etwas zu befehlen? Gigia glaubte, die Unterredung müsse fertig sein, und schickte sich an zu gehen.
Aber Donna Ersilia wollte wenigstens wissen, ob es einen Grund gäbe für diese abermalige Wandlung des launischen Geschöpfes; freilich, dachte sie bei sich, die Launen wachsen wie das Unkraut; von dem weiß auch Niemand, woher es kommt. Wer ist der Angelo, der dir jetzt auf einmal beliebt? fragte sie.
Ach, Illustrissima, ich hab's ja nur gesagt, weil die Signoria mir's geboten hat. Angelo ist doch von Urballa und mein Mitbürger, und auch meine Mutter meint, ich hätte besser ihn genommen, als den Agenore. Aber freilich, vom Verstand, der hinterdrein kommt, laufen die Gräben über. In meiner Angst, da ich das blanke Messer sah, das schon zustoßen wollte, da erlosch
in meinem armen Kopf das Licht der Vernunft, und ich rief Agenore's Namen, und wußte nicht, wie ich dazu kam.
Du meinst, als Agenore dem Maso mit dem Messer drohte — — also hätte es dir doch leid gethan um den Jungen, wenn er getroffen worden wäre?
O Signora, um jeden Christenmenschen hätte es mir leid gethan — ich kann nun einmal kein Blut sehen, ich Närrin, und um kein Blut zu sehen, habe ich mich selbst an den Schlächter verkauft. Denn Agenore wird mich umbringen, ich weiß es, ob ich ihn heirathe oder nicht.
So so! rief Donna Ersilia empört, wie sie es selten war, wie aber nur sie es sein konnte, du hast also nie sagen hören, daß das Herz kostbarer ist als das Blut. Daß Agenore's Messer ihn träfe, davor graute dir, aber wenn er an deiner Starrheit sich zerreißt, wie ein Lamm, das der Sturm wider den Felsen wirft, das merkst du nicht und es kümmert dich nicht. Gott muß wissen, was er mit dir vor hatte, als er dich schuf; ich werde nicht klug aus solch einer Creatur wie du, welche ein Menschenantlitz, ein Weiberantlitz trägt, und ist doch gefühllos wie der Kiesel, der den armen Maso getroffen hat, um deinetwegen getroffen hat, setzte die Signora mit zwiefach erhobener Stimme hinzu. Wieder ging sie durch die Stube, und mehr im Selbstgespräch als zu dem Mädchen, welches demüthig mit ineinander gelegten Händen dastand
sagte sie: Wer nicht brennt, der entzündet nicht, so heißt's im Sprichwort, und es ist ein schönes Wort. Wär' es nur so wahr, als es schön ist! Daß man diesen Hohn nicht erlebte und sähe wie die warme Sonne den unfruchtbaren Dornbusch bescheint, und er trägt doch immerdar nur Dornen. Aber das kommt davon, daß der Junge auf meinen Rath nicht hörte!
Gigia hatte von diesen Worten, welche hervorbrausten wie ein plötzlich angeschwollenes Bergwasser, wenig mehr als den Namen Maso's verstanden; sie fragte kleinlaut, ob es denn mit seiner Heilung nicht so gut gehe, als sie gehört hatte?
Frage mich nicht nach ihm! er ist das sehr überflüssig, dünkt mir. Er ist dir so gleichgültig wie das Wetter des vorigen Jahres. Hätt' ich ihn nur erst so weit, daß er auch dich vergessen hätte! Das ist die Heilung, die Noth thut! aber sie wird Mühe kosten, fürcht ich, große Mühe.
Gigia wagte nicht mehr zu reden, aber sie schaute die Signora unverwandt und ganz ernsthaft an. Ihr Blick schien zu fragen: Liegt ihm so viel an mir?
Donna Ersilia bemerkte den Blick nicht; denn sie ging noch immer auf und nieder. Erst nach einer Weile trat sie wieder auf das Mädchen zu und redete aufs Neue höchst eindringlich: Jetzt bitte ich dich um Eines: geh und heirathe deinen Bräutigam — so bald als möglich. Du liebst keinen Andern, kannst keinen lieben; Agenore ist dein Bräu-
tigam, — basta — nimm ihn und sieh zu, nicht noch mehr Unheil zu stiften. Großer Gott, wenn ich denke, daß der Maso die Tollheit wieder von vorne beginnen wollte, und er wird es, er wird — kenn' ihn jetzt — er ist im Stande, ganz allein Krieg zu führen mit eurem ganzen Orte — so vernarrt ist er in dich, daß er keine Gefahr kennt, keinen Tod scheut — ich meine, so viel Barmherzigkeit müßtest du fühlen, daß es dir nicht gleich wäre, wenn der Junge um deinetwillen sich zu Grunde richtete. Er ist ein so guter Junge, eigentlich ein Kind, ganz Liebe und Zärtlichkeit. Das sollte auch dich ein wenig rühren, und du glaubst ja doch an Gott und die Heiligen und hoffst auf die himmlische Gnade: also lade nicht noch größere Schuld auf dich! Ich will Maso nicht hier aus dem Hause lassen, bis du verheirathet bist, ich versprech' es dir — du aber versprichst, mir, alsbald Hochzeit zu machen. Wenn du verheirathet bist, nimmt er's hoffentlich ruhiger. Ich will dem Priore schreiben, daß er euch traue, ohne anderes Aufgebot, — und nun geh, meine Tochter, Gott der Herr rette und befreie dich!
Im nächsten Augenblicke wurde die Ankunft der Gäste aus Florenz gemeldet. Das Mädchen mußte gehen, obwohl es noch eine Frage auf dem Herzen zu haben schien; denn trotz der Verabschiedung war es stehen geblieben und hatte die Signora mit großen Augen angeschaut, während seine Lippen zuckten, als gelänge es ihnen nicht, das rechte Wort zu sprechen.
Donna Ersilia wurde an diesem Abend im Kreise ihrer Gäste zweimal auf einer Zerstreutheit betroffen, und als man die Köpfe schüttelte und scherzhafte Vermuthungen anstellte über dieses durchaus ungewöhnliche Vorkommniß, da erwiderte sie lächelnd: Auch der beste Pflüger hat seinen Tag, an dem er schiefe Furchen zieht.
Es war ihr gar nicht wohl zu Muth. Niemand pflegte milder zu urtheilen über fremde Fehler als sie; aber Niemand fand sich schwerer in die Wahrnehmungen, daß es Geschöpfe giebt, deren fehlerhafte Anlage die Natur selbst verschuldet hat, und deren angeborne Lücken kein eigner noch Anderer Wille auszufüllen vermag. Die Wahrnehmung paßte nicht zu ihrer Anschauung von Gott und der Welt. Es dünkte ihr sehr recht, daß die Menschen nicht vollkommen geboren würden: ihrem Thätigkeitsbedürfniß hätte eine Menschheit, an welcher sich nichts bessern, zu deren Wohl und Glück sich nichts beitragen ließ, nimmermehr entsprochen. Auf! auf! so lautet ihr Wahlspruch. Aber es paßte ihr nur ein solches Maß von Fehlerhaftigkeit als mit eigener Anstrengung und fremdem Beistand allgemach zu bewältigen war. Daß da Seelen seien, so arm, daß sie die eigne Armuth nicht empfinden, so verlassen, daß sie von ihrer Einsamkeit nichts wissen, so lieblos, daß sie sich nach keiner Liebe sehnen, das war für Donna Ersilia ein so unverständliches, ein so peinliches Räthsel, als es etwa für einen Physiker ein dem Gesetz der Schwere entzogener Körper wäre. Und solch einen Widerspruch
mit der Ordnung der Dinge bedeutete ihr diese Gigia, welche keine Zuneigung empfand und keine brauchte. Das Gespräch mit dem Mädchen lastete den ganzen Abend auf ihr mit unleidlichem Drucke; und sie, der kein körperlicher Schmerz je die geistige Spannkraft rauben oder auch nur verringern konnte, blieb heute tief niedergeschlagen; die Schwungfedern, welche sie sonst auftrugen, waren wie gelähmt.
Sie ging in den nächsten Tagen mehrmals hinüber nach der Wohnung des Verwalters, jedesmal in der Absicht, dem Jungen klar und bündig zu sagen, daß Gigia nicht an ihn denke und daß er sie sich aus dem Kopf schlagen müsse. Allein je weiter Maso's Genesung voranschritt, — er war nun schon einige Stunden täglich außer dem Bette —, desto unaufhörlicher redete er davon, wie er Gigia von Agenore befreien und an dem frechen Menschen Rache üben wolle. Mit jedem Besucher redete er davon, mit dem Verwalter und dessen Frau, mit seinem Vater und seinem Bruder, die öfters nach ihm schauten, zumal aber mit seinen Kameraden aus Valtella, wenn sie Abends in der Feierstunde sich um sein Bett versammelten. Und da in seinen Kameraden der Valtellaner Patriotismus mächtig war, so gaben sie ihm mehr als Recht und versicherten, sie würden seine Verwundung den Urballesen längst zehnfach heimgezahlt haben, wenn sie nicht ihm zu lieb den Tag der Rache aufschieben wollten, bis er selbst dabei sein könne. Die Nachricht, daß Gigia bereits einmal
mit Agenore aufgeboten worden, beirrte ihn nicht im Mindesten, aber sie verdoppelte seine Ungeduld. Bin ich nur erst wieder auf den Beinen, so soll er bald die Lust verlieren, sie zu heirathen, so sagte er ein Dutzendmal am Tag, und ebenso oft fragte er, ob er morgen endlich hinausdürfe. Wer Athem zu verschwenden hat, mag's ihm ausreden, sagte der Verwalter zu Donna Ersilia, alle Psalmen endigen mit dem Gloria, und alle seine Worte endigen mit Gigia. Ich wette, wenn er wieder gesund ist, giebt's Mord und Todtschlag. Donna Ersilia fürchtete den schon so ungeduldigen Jungen zu einem verzweifelten Schritt zu treiben, wenn sie mit einem Male seinen Wahn zerstörte. Sie begnügte sich, ihm ganz im Allgemeinen vorzustellen, daß die Zeit jedes Ding heile, daß kein Uebel ohne seinen Nutzen sei, daß der Schaden sich nicht immer da finde, wo man ihn suche, und daß es hinter dem Berge wieder abwärts gehe; sie flocht in ihre Reden wiederholt die Weisheit ein: Liebe den, der dich liebt, und antworte dem, der dich ruft! und bewies, daß nur Thoren ihr Herz an bloße Körperschönheit hängen, weil die Rosen abfallen und die Dornen bleiben. Maso begriff nicht, warum er dies Alles zu hören bekam. Als die Padrona aber von den Gefahren redete, in welchen schon manch ein von Liebeswahnsinn verblendeter Bursche elendiglich zu Grunde gegangen sei, da erwiderte er: an einem Messerstich sterben oder aus Liebe sei beides der Tod.
Donna Ersilia sah, daß hier mit kluger Vorsicht
gehandelt werden mußte. Sie gab dem Arzt einen Wink, daß er den Jungen einstweilen nicht aus der Stube entlasse, sie gebot den Verwaltersleuten, jeden Besuch abzuweisen und selbst kein Wort von Gigia's bevorstehender Hochzeit zu reden; den Priore aber bat sie dringend, die Trauung zu beschleunigen, und dieselbe wurde, da Agenore nichts Besseres begehrte und Gigia keinen Einspruch that, auf den nächsten Sonntag angesetzt.
Es war spät am Samstagabend. Sora Maria hatte sich in den Gedanken, daß ihre Tochter den Agenore heirathe, um so rascher gefunden, als ihr ja früher der Colone des Marchese di Sdraino keineswegs ein übler Schwiegersohn gedünkt hatte. Der Schreck, welchen auch ihr das funkelnde Messer des hitzigen Burschen eingejagt, war überwunden, und sie fürchtete nicht mehr, ihre Tochter könne das Verbrechen des Schnarchens mit dem Tode zu büßen haben. Gigia pflegte ja gar nicht zu schnarchen, sondern so still im Bette zu liegen wie der Bambino Gesù in der Krippe. Auch empfand es Sora Maria, als wäre ihr ein Stein vom Herzen genommen worden, daß nun endlich einmal Gigia dicht vor der Hochzeit stand; denn sie war der Meinung, daß die Töchter im Haus der Mutter und die Waren im Laden des Kaufmanns durch das Liegen nicht an Werth zunehmen. Uebrigens aber kam ja keine Klage über Gigia's Lippen, und wenn sie blaß war, nun, so bedeutete das auch nicht viel.
Sora Maria hatte schon mehr als Eine Braut gesehen, die bei ihrer Hochzeit weinte wie eine geschnittene Rebe, und die drei Tage darauf sang wie eine Cicade. Auch stand ihrer Tochter die Blässe nicht schlecht: niemals war Gigia ihr schöner vorgekommen als jetzt eben, da sie ihr zur Probe den Hochzeitsputz angelegt hatte: das dunkle wollene Kleid, aus dessen besatzlosem Ausschnitte der schlanke, zart ins Gelbliche schimmernde Hals so frisch und voll emporschaute, und um den Hals das Vezzo, die schöne Perlenschnur, welche den werthvollsten Theil der Mitgift ausmachte, und um die feine Hüfte das bunte römische Band mit den langen Fransen. Wohl war das Gesicht blaß, aber die langen dunklen Wimpern dünkten der stolzen Mutter nur um so mehr „wie gemalt“, und nun gar der silberne Kranz mit den vergoldeten Blumen im Haar — konnte man was Lieblicheres schauen? Die Madonna dell' Impruneta ist nicht schöner als du, meine Tochter, sie verzeihe mir die Lästerung! so rief Sora Maria entzückt und zugleich über sich selbst erschrocken, als sie vor der fertiggeschmückten Tochter stand; und nun, Gigia mia, zieh dich aus, — es ist schon zehn Uhr — und geh zu Bett und schlaf dich satt, denn morgen ist ein großer Tag, und an welchem du nicht müde sein darfst. Sora Maria gab ihrer Tochter zum letzten Mal den doppelten Gutnachtkuß auf die rechte und die linke Wange — morgen küßte ein Anderer das liebe Gesicht — und ging hinaus.
Gigia entkleidete sich nicht, sondern setzte sich auf
den Rand ihres Bettes. Es war dies das schmale Ding, in welchem sie vor Jahren als kleines Mädchen geschlafen; denn ihr großes, ganz ebenso breites wie langes Bett, dessen Matratze sie selbst mit wollenen Flicken gefüllt, und dessen Ueberzüge sie gesponnen, gewebt und genäht hatte, war bereits in das Haus Agenore's gebracht worden. Viele Stunden saß Gigia so da, ganz regungslos; nur ein kurzer Schauer ging von Zeit zu Zeit über ihren Körper, und diese Schauer folgten sich häufiger, je näher der Morgen kam. Da plötzlich — von dem über zwei Miglien entfernten Kloster L'Incontro trug der Ostwind den Klang der Glocke, welcher die Mönche zur Mette rief, bis hierher, und wie der Ton an Gigia's Ohr schlug, stand sie wie erschrocken auf, ging leise zur Thüre, öffnete sie, schlich hinaus, an den Stuben vorüber, wo ihre Mutter und die Brüder schliefen, schob sachte, sachte den Riegel weg, welcher den Hauseingang verschloß, und eilte mit zwei raschen Schritten über den Vorplatz hinaus ins Freie. Hier aber blieb sie stehen, als ob ihr etwas einfiele, was sie nicht bedacht. Ja, sie hatte gestern sagen hören, daß zwei Urballeser Burschen die ganze Nacht hindurch drunten an der Landstraße Wache stehen würden, um gleich ein Zeichen zu geben, falls etwas Verdächtiges sich regte. Denn es hieß, die Valtellaner wollten noch zuletzt die Hochzeit hindern und führten etwas Ungeheuerliches im Schilde, etwas wie einen Ueberfall, eine Brandlegung, eine Brunnenvergiftung.
Zwei Augenblicke stand Gigia rathlos, dann kehrte sie um, aber nicht um wieder ins Haus zu treten, sondern vom Vorplatz aus schwang sie sich über die Mauer in den Weinberg und gewann den Pfad, der durch die von Gigia's Brüdern bebauten Ländereien ins Thal fiel. Auf diesem Pfade eilte sie hinunter; mehr als einmal stieß sie in der Dunkelheit wider die rebenumrankten Pappelstämmchen, aber sie ließ sich nicht aufhalten. Nun kam sie der Landstraße nahe, welche sie unter allen Umständen zu überschreiten hatte. Wahrscheinlich war es nicht, daß die ausgestellten Wachen ihre Aufmerksamkeit bis hierher richteten, denn Gigia hatte sich weit genug links gehalten, daß zwischen der Stelle, wo sie die Straße zu kreuzen gedachte, und dem Orte, wo die beiden Burschen in der Richtung nach Valtella ausschauten, ein gehöriges Stück und dazu eine Krümmung der Straße lag. Aber wenn man sie doch hörte —? Leise, leise, die Hand auf der klopfenden Brust, huschte sie über die Straße, dann drüben den Abhang hinunter, zwischen den Büschen des Ginsters und der wilden Rosen sich durchwindend; jetzt und jetzt wieder strauchelte sie über die Steine, jetzt mußte sie sich an den Zweigen halten und achtete nicht, daß sie ihr die Hände blutig rissen, und dabei hörte ihr angstvolles Herz nicht auf zu schlagen, als wollte es zerspringen. Nun endlich war sie unten in der Schlucht angelangt, wo der Bach über die Klippen und viele künstliche Wehre brauste. Glücklicher Weise kam ihr
der erste Morgenschimmer zu Hülfe; sonst wäre sie unfehlbar ausgeglitten auf dem feuchten Pfad, welcher dicht am Saum des tiefgebetteten Baches über den von den Ueberschwemmungen glattgewaschenen Felsen hinlief. Dafür aber ängstigte sie auch wieder der nahende Tag. In den Gehöften rings auf den Höhen krähten die Hähne; noch eine Stunde, und Alles war wach, und sie konnte nicht hoffen, daß sie wieder unbemerkt heimkomme. Sie beschleunigte ihre Schritte. Jetzt endlich war sie um den Hügel herum, auf welchem die Kirche von San Giorgio lag; nun eilte sie wieder bergan, und wieder meinte sie, das Herz müsse ihr bersten, bis sie — die Madonna sei gelobt! — das Wäldchen erreichte, welches zur Villa La Torre gehörte; das hatte sie noch zu durchschreiten, dann war sie am Ziel. Aufs Neue wanderte sie im Dunkeln, denn die Steineichen standen hier dicht und zwischen ihnen Schlehen und Weißdorn; die Eule, welche in dem ausgebrannten Ziegelofen saß, athmete laut und weithin vernehmlich wie um Mitternacht; alle anderen Vögel schwiegen noch schlafbefangen. Doch wie lange noch, so wurde es auch hier in den Büschen hell! Wie von einem Feinde gejagt, eilte Gigia vorwärts. Nun schimmerte es weiß durch die Bäume, nun trat sie aus dem Waldesdunkel; bloß die lange, mit Rosen und Kirschlorbeer bestandene Allee blieb noch zu durcheilen, die geradewegs auf das Thor der Villa zuführte. In den Vorhof eingetreten, hob jedoch Gigia nicht den Klopfer am Thor, sondern wandte sich nach
rechts dem Hause des Verwalters zu und pochte, noch athemlos vom Laufen, an das niedrige Fenster. Es war nun schon der lichte Tag nicht mehr fern; als der Laden geöffnet wurde, spiegelte sich das Morgenroth in den Scheiben.
Die Frau des Verwalters starrte den frühen Besuch in sprachloser Verwunderung an. Gigia warf einen Blick auf sich selbst und gewahrte sich im vollen Hochzeitsstaat. Freilich war er nicht mehr so glatt und sauber, als ihn die Mutter ihr gestern Abend angelegt hatte. In ihrer Verlegenheit brachte Gigia kein Wort heraus; doch dann erinnerte sie sich, daß sie keinen Augenblick verlieren durfte, und in fliegender Eile fragte sie: Ist es wahr, Fattoressa, daß der Maso Nencioni noch bei Euch krank darniederliegt?
Die Verwalterin meinte, keine Antwort schuldig zu sein, ehe ihre eigene gerechte Neugierde Befriedigung erlangt hätte, und fragte ihrerseits: Seid Ihr verrückt geworden, Figliuola mia?
In solcher Weise drohte das Gespräch keinen so schnellen Fortgang zu nehmen, als das Mädchen wünschte; zum Glück hatte das Klopfen noch Jemanden im Hause geweckt, der ein sonderlich scharfes Gehör dafür hatte, die Stimme Gigia's zu erkennen.
Nein, Gigia, ich bin nicht mehr krank, schrie von drinnen Maso; mit einem Satze war er aus dem Bette, aber nun, mitten in seiner Wonne, vermochte er einen Fluch nicht zu unterdrücken, weil er seine Jacke nicht
gleich fand, und ohne Jacke konnte er sich doch vor der Geliebten nicht sehen lassen. Endlich war er, so gut es eben ging, angekleidet; ein tüchtiger Ruck, zu welchem ein neuer Fluch die noch etwas karge Kraft in Stand setzte, schob den schweren Pflock hinweg, womit die Hausthüre verrammelt war, und Maso stürzte heraus.
Per amor di Dio, geh hinein, Maso! rief das Mädchen angstvoll.
Der Kopf des Jungen war noch verbunden, und Gigia stellte sich die Wunde unter dem Tuch sechsmal so groß vor, als sie war.
Hab' ich nun Recht gehabt, Fattoressa? schrie Maso triumphirend und sprang vor Lust in die Höhe. Sie meinten, du würdest den Agenore heirathen, den Lump, den Räuber, den patzigen Bauernkerl.
Maso, Maso, willst du gleich hereinkommen, schrie die Verwalterin erschrocken; sie erinnerte sich der strengen Vorschrift der Padrona. Ihr dürft nicht mit ihm reden, Ihr! rief sie zornig dem Mädchen zu.
Ein Wort nur laßt mich ihm sagen, bat Gigia demüthig. Höre Maso! Du mußt mir versprechen, vernünftig zu sein. Damit du mir das versprechest, bin ich hergekommen. Es ist unnütz, noch weiter an mich zu denken. Heute heirathe ich den Agenore —
Den Agenore? — heute? — rief Maso und lachte; er fand das gar zu lustig.
Aber Gigia lachte nicht mit; sie blieb sehr ernst und fuhr fort: Ja, heute, und wir sehen uns jetzt zum
letzten Mal, denn ich will nicht, daß du auch nur einen Schritt nach Urballa thuest, so lange ich noch lebe, und das wird gar nicht lange sein, denn ich weiß, das Herz sagt es mir, der Agenore wird mich umbringen — und es ist unnütz, daß auch du dich von ihm todtstechen lassest; dein Blut käme am Ende gar auf mich, und ich müßte dafür brennen in der Hölle, und ich wünsche dir doch alles Gute, und daß du die Wunde da bekommen, ist es meine Schuld, ist es wirklich meine Schuld, Maso?
Statt aller Antwort faßte Maso sie in seine Arme, preßte sie an sich und hatte sie zehnmal auf den Mund geküßt, ehe sie ihn zurückstoßen konnte.
Um aller Heiligen willen, Maso, willst du, daß ich auch, wenn ich gestorben bin, elend bleibe und in ewiger Verdammniß schmachte? Weh mir! auf Montisoni läutet's schon — Addio, Maso, denke nicht mehr an mich — es ist höchste Zeit, daß ich gehe.
Es gelang ihr wirklich mit einer heftigen Anstrengung sich von ihm loszumachen; aber er stürzte ihr nach und erreichte die Davoneilende und packte sie bei dem Band, das ihr Hochzeitskleid gürtete; sie rangen mit einander, und die Verzweiflung der Liebe gab ihm größere Stärke als ihr die Verzweiflung der Angst. Als er sie widerstandslos in seine Gewalt gegeben sah, lachte er wieder hell auf: Du hast's haben wollen, Gigia, daß ich dir die Arme so zusammenschnürte; nun bist du matt vor Schmerz und kannst nicht mehr Oh sagen; aber du hast's haben wollen.
Als Gigia wieder zu Athem gelangte, klagte sie: Nun komme ich zu spät, nun wird er mich gleich heute erstechen, noch ehe wir Mann und Frau sind. Weh mir, weh mir! Sie brach in krampfhaftes Weinen aus und rief ein über das andere Mal: Mamma mia!
Maso stand so rathlos, wie jeder junge Bursche gestanden haben würde, als er zum ersten Male Zeuge wurde solch eines weiblichen Thränenausbruchs, dessen Wuth ihm nur mit der eines Gewitters in den Hundstagen vergleichbar schien. Er wußte nichts Anderes zu sagen als: Ich begreife nicht, warum du so tobst, Gigia; sei doch ruhig! Du wirst ja den Agenore nicht heirathen, sondern mich, den Maso!
Niemals! niemals! schrie Gigia.
Den möcht' ich sehen, der das verhindern wollte! Meinst du, ich fürchte den Agenore? Nicht so viel! Maso machte eine sehr deutliche Geberde höchster Geringschätzung. Ihn nicht sammt all den Urballeser Großsprechern.
Mamma mia! er bildet sich ein, ich dürfe ihn heirathen!
Wozu bist du denn hierher gekommen, mein holder Schatz, heute in aller Frühe, wenn du mich nicht heirathen willst? Er faßte zärtlich ihre Hand; sie ließ es geschehen, aber sie sah ihn nicht an, sondern sagte traurig: Wozu ich gekommen bin? Weil ich die ganze Nacht nicht geschlafen habe, weil ich immerfort dich sah, wie du in deiner blinden Unvernunft den Agenore gegen
dich aufbrachtest, und wie er dir das Messer in die Brust stieß. Und weil ich nicht verdiene, daß du aus Liebe zu mir sterbest, darum bin ich hergekommen und hab' es dir gesagt, daß du mich vergessen mußt. Und sieh an, was du gethan hast, — du hast mich mit Gewalt hier gehalten, und jetzt ist es so spät, daß ich nicht mehr so ungesehen heim kann, wie ich ungesehen gekommen bin. Es ist gewiß schon sechs Uhr; um sechs Uhr aber wollte ich in San Giorgio sein und bei dem Herrn Priore beichten — auch diese Sünde, daß ich so heimlich hierhergelaufen bin, — und ihm sagen, daß es ja gewiß Buße genug sei, den Agenore zu heirathen, der mir so zuwider ist —
Siehst du, er ist dir zuwider, mich aber hast du lieb, Gigia mia.
Nein, ich habe dich nicht lieb, ich habe ein starres Herz, das nicht lieben kann, deine Padrona hat es mir gesagt, und daß ich dich nicht verdiene, und daß ich den Agenore heirathen müsse.
Das hätte die Padrona gesagt? Nun, möglich ist es, aber so gemeint hat' sie's nicht. Dazu ist sie viel zu gut. O, ich kenne sie jetzt. Gut ist sie, aber auch schlau. Die sagt einem nie, was sie für einen thun will, und sie thut's doch, damit man zu der Freude auch die Ueberraschung habe. Aber ich weiß es längst, und mich hat sie nie irre gemacht. Auch mir wollte sie einreden, daß ich dich nie haben werde und daß du mir nicht gut seist und andere solche Märchen. Aber
keinen Augenblick hat sie mich irre gemacht — und sieh, ich wette: auch dies, daß du heute gekommen bist, hat sie vorausgewußt, ja, sie hat es so angestellt, denn sie will mir wohl, und sie weiß, daß ich ohne dich nicht so viel werth wäre als ein Olivenbaum, auf den der Frost gefallen ist.
Gigia sah vor sich hin und schüttelte den Kopf. Es wollte ihr, so zuversichtlich auch Maso sprach, nicht einleuchten, daß sie in Wahrheit nur darum von Hause fortgelaufen und hierher gekommen sei, weil die Signora haben wolle, daß sie Maso's Frau werde. Indessen, nun stand kein Rückweg mehr offen — in Urballa mußte ihre Abwesenheit jetzt kund geworden sein — und weil es keine andere Rettung für sie gab, als wenn Maso recht hätte, so flüsterte sie mit einem tiefen Seufzer: Die Madonna gebe, daß es so ist!
Als die Verwalterin sah, daß sie das Gespräch der Beiden nicht unterbrechen könne, war sie, um sich von aller Verantwortlichkeit zu befreien, hinüber nach der Villa geeilt; sie kannte ihren Padrone als einen Frühaufsteher, den man zwischen fünf und sechs nicht mehr störte; wirklich traf sie ihn in seinem Arbeitscabinet und erzählte ihm, draußen stehe die Gigia Landi im Hochzeitskleid, und der Maso sei nicht mit Reden mit ihr zu hindern gewesen.
Der Signor Baldo schaute ernsthaft drein. Er bedachte sich und meinte, nun habe Gigia auch die Heirath mit Agenore unwiderruflich verscherzt, und sie sei
doch eine heillose Dirne und — Er brach ab, ging hinüber und weckte seine Frau; er wußte, sie liebte es nicht, daß man sie schlafen ließ, wenn große Nachrichten ihrer harrten.
Kaum daß Donna Ersilia den Bericht ihres Mannes vernommen hatte, so stand sie gleich auf und gab Befehl, Maso und Gigia in den Salotto zu führen.
Gigia trat zitternd ein; die Erinnerung an die grünen Wände und die gemalte Decke des Zimmers war ebenso lebhaft in ihr zurückgeblieben, wie der Ton der zürnenden Reden, die sie hier hatte hören müssen; ja, die beiden Eindrücke waren in ihrem Geiste auch jetzt noch so engverbunden, daß, als sie sich innerhalb derselben grünen Wände sah, sie nichts Anderes denken konnte, als daß sie hier aufs Neue strafende, verdammende Worte zu vernehmen habe. Maso's fröhliches Vertrauen heiterte sie nicht im Geringsten auf. Und als nun Donna Ersilia erschien und in der That mit sehr unwilliger Stimme fragte: Was soll das heißen? da warf sich das Mädchen vor ihr nieder und brach in neue Thränen aus und rief: Verzeihung, Signora Illustrissima, ich schwöre, ich bin nur hierher gekommen, um dem Maso zu sagen, daß er sich um meinetwillen nicht in Tod und Unglück rennen dürfe.
Donna Ersilia bedurfte keine weiteren Erklärungen, es gab Dinge, zu deren Verständniß mancher Andere wer weiß wie lange gebraucht hätte, und die sich ihr rasch wie der Blitz enthüllten. Vielleicht war es das
bloße Zittern in Gigia's Stimme, das sie überzeugte. Und wie rührend schön sah die Arme aus, da sie vor ihr lag in ihrem halbverdorbenen Putze und ihr die heißen Thränen so unaufhaltsam aus den Augen stürzten.
Maso sah das befriedigte Lächeln im Gesichte seiner Padrona und rief: Sie will nicht glauben, die Sonderbare, daß Eure Signoria uns den Tisch so schön gedeckt hat!
Donna Ersilia suchte den seligen Jungen nicht von seiner Auffassung der Ereignisse abzubringen. Vielmehr sagte sie zu dem Mädchen: Nun ja, es ist gut, steh auf. Hättest du gleich Anfangs mich in der rechten Weise angesprochen, so würd' ich dir all die Noth und Verwirrung erspart haben.
O Illustrissima, rief Gigia nndund seufzte auf, aber vor Freude, weil die Signora ihr so freundlich zulächelte, da sehe ich wieder einmal, wie wahr es ist, daß man nicht eher an den Heiligen glaubt, als bis er das Wunder gethan hat.
Diese Antwort gewann ihr vollends die Gunst der Signora, welche bei sich dachte: Gut! gut! des Glaubens sollen sie bleiben, daß ich ihr Schicksal so wohl gewendet habe: dann werde ich auch ferner Einfluß üben auf ihre Gemüther und sie in der Liebe zu einander erhalten können.
Donna Ersilia verordnete, daß Maso, der jetzt gesund sei, heim nach Valtella in das elterliche Haus kehre, Gigia aber an seiner Statt bei den Verwalters-
leuten bleibe. Denn nach Urballa konnte Gigia jetzt nicht zurück. Erst mußte noch ein anderes Wunder vollbracht, erst mußten die Urballesen damit versöhnt werden, daß Gigia nun doch den Ausländer Maso heirathete. Wie es sich anstellen ließe, daß der Hader zwischen Valtella und Urballa in einem unverbrüchlichen Friedensschluß sein Ende fände, das war nun Donna Ersilia's vornehmster Gedanke; sie mußte die Angst los werden, daß Maso für sein Liebesglück noch theuer zu zahlen haben möchte. Aber selbst ihr erfinderischer Geist und ihr ausdauernder Eifer schienen scheitern zu sollen an dieser schwierigsten aller Unternehmungen: zwei Nachbarvölker zu versöhnen, welche zu der alten Erbschaft verhärteten Grolles und sorglich angesammelter Eifersucht neue Beleidigung und neue Rache gefügt haben. Vergebens schrieb sie Briefe an die vornehmsten Grundbesitzer in den zwei Gemarkungen, damit dieselben ihren Colonen strengstens jede Gewaltthat untersagten. Vergebens hielt auf ihre Eingebung der Priore eine gar schöne Predigt über den Text: „Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichtes schuldig.“ Die Urballeser Burschen verließen San Giorgio sehr gerührt, aber sie waren noch keine hundert Schritte von der Kirche entfernt, so zog Bistino ein Messer heraus und rief: Ach, daß ich jetzt solch einen Racker von Valtellaner hier hätte; wie werde ich ihm den struppigen Bart rasiren! Und selbst der sanfte Angelo, der die allzu
ernsthaften Messerstiche nicht leiden mochte, sprach die Ansicht aus: einen Feind durchzuprügeln am Sonntag, wenn die Arme von sonst keiner Arbeit müde sind, es gehe doch nichts darüber!
Die Lage wurde immer bedenklicher, die Stimmung immer erregter; bei solcher Gewitterschwüle mußte die Entladung bald erfolgen. Am letzten Sonntag vor dem Beginn der Adventszeit sollte Maso's Hochzeit sein, und allgemein nahm man an, es werde an dem Tage die längst erwartete Schlacht geschlagen werden. Zwar die Valtellaner versicherten, den Frieden nicht stören, bloß sich vertheidigen zu wollen, wenn sie angegriffen würden. Die Versicherung war wohl glaublich; seitdem es feststand, daß das schönste Mädchen von Urballa die Frau eines Valtellaners werde, hatten die Mitbürger des glücklichen Bräutigams ein gewaltiges Guthaben voraus in der nie schließenden Rechnung mit ihren Nachbarn und konnten sich gedulden. Dafür waren die Urballesen um so aufgebrachter; der Schimpf, welchen sie in einem ihrer Besten, in Agenore, erlitten hatten, mußte gerächt werden — und welche Rache hätte ihn genügend vergolten?
Auch dem Priore bereitete die Erbitterung seiner Pfarrkinder schwere Sorge; er hegte den Wunsch, daß Gigia's Trauung durch ihn in San Giorgio geschehe, wie von Anfang an bestimmt gewesen. Weil sie nun nicht mehr den Agenore, sondern den Maso heirathete, war das ein Grund, daß sein Amtsbruder von Valtella den
Segen über sie spreche? Nicht daß es ihm um die Soldgebühr zu thun gewesen wäre; aber dem Valtellaner Amtsbruder, dem heimlichen Jesuiten, gönnte er, der liberale Priester, der Anhänger des Bischofs Ricci von Pistoia, nun einmal nicht mehr Gutes, als durch die Pflicht der christlichen Liebe geboten war. Allein wenn es nicht rathsam erschien, die Trauung in San Giorgio vorzunehmen, weil die Urballesen sie zu stören, wohl gar die heilige Stätte durch Gewaltthat zu entweihen drohten? Der Priore sann und sann — und richtig, es kam ihm ein Gedanke, ein so einleuchtender Gedanke, daß er sich wunderte, wie ihm der nicht schon längst gekommen war.
Er ging mit Donna Ersilia auf dem Rasenplatz vor der Villa auf und ab; zum Dasitzen war's nun nicht mehr warm genug: vielmehr gab er Acht, sich die schwarzen Strümpfe nicht im feuchten Grase zu netzen, und dachte bei sich: Die Gesundheit dieser trefflichen Dame muß man haben und von Husten und Schnupfen nichts wissen. Signora mia, sagte er und schaute munter aus seinen kleinen graublauen Augen, wem's gelungen ist, das Herz Gigia's zu erweichen, der wird auch fertig mit der Verstocktheit meiner anderen störrigen Schafe, der sollte auch den Burschen von Urballa eine Rede halten. Da würden die etwas Anderes zu hören bekommen, als so eine Predigt ihres alten Priore.
Zu seinem Bedauern ging die Signora auf seine
Bitte nicht ein. Er wunderte sich, weil er wußte, wie gern und gut sie sprach; er bedachte nicht, daß sie, eben weil sie gut sprach, sich nicht an so völlig unberechenbare Hörer wenden mochte, wie die Burschen von Urballa. Gleich allen großen Rednern liebte Donna Ersilia, ihres Erfolges im Voraus sicher zu sein.
Allein der Priore gab seinen Plan nicht auf, und da er nicht nur ein wilder Priester, sondern auch ein schalkhafter Toscaner war, der zur Erreichung eines guten Zweckes eine kleine List nicht verschmähte, so wußte er es schlau anzustellen, daß Donna Ersilia ihm den Willen thun mußte. Mit der harmlosesten Miene bat er sie, sie möchte am nächsten Sonntag nach der Messe ihm die Ehre ihres Besuchs in der Prioria gewähren; sein Vetter, der Caplan der italienischen Capelle in Marseille, habe ihm ein wundervolles Geschenk gesendet, das er ihr zeigen müsse: ein Tintenfaß, welches, ohne daß man je neue Tinte hineinzuschütten brauche, unerschöpflich sei wie der Oelkrug der Wittwe im siebzehnten Kapitel des ersten Buchs der Könige. Donna Ersilia konnte ein so merkwürdiges und nützliches Ding wie dieses Tintenfaß nicht unbesichtigt lassen. Sie stattete dem Priore den erbetenen Besuch ab; aber siehe da: während sie eben, um die Beschaffenheit der unerschöpflichen Tinte zu prüfen, einen Brief schrieb, ging die Thüre auf, und es traten nicht weniger als einundzwanzig Burschen von Urballa ein. Sie stellten sich vor dem Tische, an welchem die Signora schrieb,
in einem Halbkreise auf. Donna Ersilia blickte verwundert den Priore an der aber sagte: Es heißt, daß ein Tropfen Honig ein Meer voll Galle läutere, und da von den Lippen Eurer Signoria die Worte wie Honig träufeln, so möchte ich Sie bitten, diesen wackeren und hochgesinnten Burschen meiner Gemeinde Urballa zu sagen, wie wenig Eure Signoria es ihrer für würdig hält, daß sie mit ihren Nachbarn von Valtella in Unfrieden leben. Donna Ersilia drohte dem Priore mit dem Finger, als wollte sie sagen: Ei, ei, Priore mio, einmal dient es Euch, meine Rede mit dem Brausen des Sturmes, ein andermal mit dem Träufeln des Honigs zu vergleichen; zur Strafe sollte ich Euch beweisen, daß mein Mund auch schwirrende Pfeile versenden kann, die ihr Ziel nicht verfehlen; — allein man durfte doch den Burschen da nicht das Schauspiel eines Zwistes mit ihrem geistlichen Führer geben, und da sie nun einmal durch die List des Priore in diese Falle gelockt worden war, so blieb nichts übrig, als sich mit Würde herauszuziehen; Verlegenheit kannte sie nicht, und ohne sich zu besinnen, hob sie an: Ihr wisset, meine Freunde, daß ich mich glücklich schätze, eure Mitbürgerin zu sein. Denn die bin ich, da die meisten unserer Ländereien und zumal die besten unserer Weinberge zu der Gemarkung von Urballa gehören. Die Villa aber steht auf Valtellaner Grund und Boden, und darum bin ich auch eine Bürgerin von Valtella, und nun frage ich euch, ob mein Herz nicht weinen
muß ob des Unfriedens, der zwischen meinen Mitbürgern von Valtella und meinen Mitbürgern von Urballa herrscht. Ich kann es nicht hindern, daß ich zugleich euch liebe und die Valtellaner; denn ich kenne euch beide und weiß, daß ihr, wie der Signor Priore gesagt hat, wacker und hochgesinnt seid, aber die von Valtella sind es ebenso wie ihr —
Das leugne ich, schrie Agenore, die Valtellaner sind feige Memmen.
Willst du wohl schweigen, Flegel, rief es von allen Seiten. Ist das eine Art, solch eine Signora zu unterbrechen? — Eure Signoria erweise uns die Ehre, fortzufahren!
Ich danke euch. Weil ihr denn wollt, daß ich weiter rede, so erlaubt mir, euch offen zu sagen, daß diese lange Feindschaft euch nicht zur Zierde gereicht. Alles auf dieser Erde wird alt und stirbt: Mensch und Thier, Baum und Strauch. Nur euer Haß hat noch Milchzähne und ist doch älter als irgend ein Mensch oder ein Baum in diesen beiden Gemarkungen. Dünkt euch das recht? Giebt es kein Mittel, dieser häßlichen Zwietracht ein Ziel zu setzen? Doch, es giebt eines: ich bin hierher gekommen, um Namens meiner Mitbürger von Valtella zu versprechen, daß sie fortan allen Groll fahren lassen und Frieden und Freundschaft mit euch halten werden; wolltet ihr nun mir, die ich ja auch eure Mitbürgerin bin, das Unrecht anthun, daß ihr euch weigert, wenn ich euch bitte, gleichfalls eurem
Zorn zu entsagen und feierlich hier vor dem Senior Priore und mir Frieden zu geloben?
Einige Burschen nickten und murmelten etwas, das sanft und versöhnlich klang; die Meisten aber schüttelten die Köpfe, und Bistino drückte die Meinung dieser Mehrheit aus, indem er sagte: Die Valtellaner haben gut Friede und Freundschaft versprechen: wer die Ohrfeige gegeben hat, vergißt sie, aber nicht, wer sie bekommen hat.
Auch wir versprechen, Frieden zu halten, rief Agenore, wenn Eure Signoria ihrem Colonen Maso verbietet, die Gigia Landi zu heirathen.
Ja, ja, riefen die Burschen im Chor, so soll es sein: wenn Eure Signoria die Heirath verbieten will, wollen wir Frieden halten.
Dieses Ergebniß ihrer Beredsamkeit hatte nun freilich Donna Ersilia nicht gewünscht; aber sie ließ sich nicht aus der Fassung bringen und sagte: Gut! wenn ihr mich von euren Gründen gegen diese Heirath überzeugt, so soll sie nicht stattfinden; redet!
Der sanfte Angelo ergriff das Wort: Eure Signoria kennt ohne Zweifel den Spruch:
Die Ochsen und die Frau
Aus deinem eignen Gau!
Wir wollen unsre Mädchen für uns behalten. Die Ruballesin für den Ruballesen, die Valtellanerin für den Valtellaner. Maso suche in seinem Vaterland Valtella!
Was Urballa! was Valtella! rief Donna Ersilia
mit tönender Stimme, indem sie aufstand und den Burschen näher trat. Wisset ihr noch nicht, daß euer Vaterland Italien heißt? Gott sei Dank, die Zeit ist vorüber, die trostlose, da der Italiener kein Vaterland hatte, da Italien dem Fremden gehörte, weil seine Söhne, statt zusammenzustehen gegen ihn, einander in blutiger Zwietracht zerfleischten. Jetzt endlich hat die lange Noth ihr Ende gefunden, die italienische Familie ist wieder einig, und weil sie wieder einig ist, ist sie frei und groß. Aber ihr, schämt ihr euch nicht, ihr habt den Muth, euch allein ausschließen zu wollen, ihr paar Urballesen? Urballa! wer hat je draußen in der Welt von Urballa gehört? Aber bis zu den fernsten Heidenvölkern ist die Kunde gedrungen von dem einigen Italien. Es giebt keinen Fremden mehr, der es nicht als eine Gnade Gottes ansähe, wenn er als Italiener hätte zur Welt kommen dürfen. Fragt doch einen Fremden, ob er Lust trage, ein Urballese zu werden. Und ich selbst, ich nehme mein Wort zurück: nein, ich bin eure Mitbürgerin nicht, — eine Italienerin bin ich und keine Urballesin!
Aber auch keine Valtellanerin? fragte einer der Burschen, während die übrigen in schweigender Zerknirschung standen.
Auch keine Valtellanerin.
Wir sind gleichfalls Italiener — ja, wir sind auch Italiener, schrie es von allen Seiten.
Gut, so beweis't es, indem ihr, statt zu grollen,
vielmehr frohlocket über die Heirath des Italieners Maso mit der Italienerin Gigia! Denn ich sage euch, diese Heirath ist nichts Anderes als ein Band mehr um die wiederzusammengefügten Glieder Italiens! und Agenore, der — ich sehe es ihm an — jetzt gern auf Gigia verzichtet, zeigt sich dadurch würdig, zu den Tausenden und Abertausenden gezählt zu werden, welche Gut und Blut für das Vaterland dahingegeben haben!
Die Hochzeit wird nicht gestört werden, ich wette, sagte der Priore sehr vergnügt, sobald die Burschen nach einem begeisterten Eviva auf Italien und auf Donna Ersilia gegangen waren.
So groß aber die Befriedigung Donna Ersilia's war, — als am Hochzeitsmorgen die Brautleute in der Villa erschienen, um der Padrona die Hand zu küssen, konnte sie nicht umhin, zu Gigia wieder in mild verweisendem Ton zu sagen: Sieh zu, meine Tochter, fortan nicht wieder in Trägheit und Gleichgültigkeit zu verfallen. Und wenn dich etwas bedrückt, so giebst du dir die Mühe, zu mir zu kommen. Willst du das?
Die Signora Illustrissima habe keine Angst, versetzte Gigia, und mit einem Blick nach Maso hin: wer Liebe in der Brust fühlt, fühlt die Sporen in der Seite. Ja, setzte sie lächelnd hinzu, die Sporen haben mir dies mein Hochzeitskleid zerrissen; seinen Glanz hat es in den Weinbergen und drunten am Bach gelassen, als ich in der Nacht hierher lief.
Beruhige dich, mein Kind: am meisten glänzt, wer am meisten glüht.
Der deutsche Doctor war gerade wieder auf der Villa zu Besuch, als die Hochzeit stattfand. Und obwohl ein Ketzer, ging er diesmal mit in die Kirche hinein und hörte die Trauungsrede des Priore. Einige Tage später schrieb er in einem Brief an einen deutschen Freund unter Anderem auch diese Worte: „In meiner Arbeit über die historische Entwicklung des italienischen Volkscharakters ist eine für mich sehr bedauerliche Stockung eingetreten. Ich ging, wie du weißt, davon aus, daß Leidenschaftlichkeit des Empfindens, Schlaffheit im Handeln die Grundzüge dieses Charakters bilden. Allein zwei Frauentypen, die ich von Nahem zu studiren die Gelegenheit hatte, haben mich einigermaßen irre gemacht: zwei Typen, deren einer ganz Thätigkeit, deren anderer Abwesenheit aller Leidenschaft ist. So lange es mir nicht gelungen sein wird, das Gesetz, welches diese Ausnahmen erklärt, deutlich zu erkennen, wird meine Untersuchung nicht vom Flecke kommen. Was meinst du? ob ich hier wohl dem großen Probleme der Einwirkung des longobardischen Elementes auf das römische Volksthum etwas näher rücke?“