7.
Aus einem Briefe
des
Herrn Oberbergraths von Humboldt
an
Herrn Hofrath Blumenbach.
Mailand, den 26. Aug. 1795.
Daß ich bey meiner geognoſtiſchen Unterſuchung uͤber
Schichtung und Lagerung der Gebirgmaſſen, doch unſe-
re Nervenverſuche nicht vergeſſen wuͤrde, konnten Sie
wohl erwarten. Da ich auf meiner Ruͤckreiſe von Ge-
nua Herrn Volta in Pavia nicht fand, ſo eilte ich, ihn
in ſeinem Landſitze am Comer-See aufzuſuchen. Jch
kann nicht dankbar genug ausdruͤcken, wie viel die Her-
ren Scarpa und Volta mir mittheilten, das ich zu
meiner Schrift, uͤber die gereitzte Nervenfa-
ſer, werde benutzen koͤnnen. Sie erinnern ſich meiner
Beobachtung, daß, wenn Zink am Nerven und Zink am
Muskel, mit trockenem Golde verkettet, nicht reitzen,
der Reitz ſogleich eintritt, ſobald das Goldſtuͤck mit dem
leiſeſten Hauche benetzt iſt. Hier brachte ich durch gleich-
artige Muskel- und Nervenreitze Zuckungen hervor!
Herr Alexander Volta hat (natuͤrlich ohne von
meinen Verſuchen zu wiſſen) eine aͤhnliche und viel wich-
tigere Entdeckung ſelbſt gemacht, die er aber bisher nur
ſchriftlich ſeinen Freunden mittheilemittheilte. Wir geriethen da-
her zufaͤllig beide auf einerley Wege, und ich bin dem
großen Manne, dem ich ſo gern nachſtaͤnde, nur in der
oͤffentlichen Bekanntmachung zuvorgekommen. Jch ſagte
Jhnen vor mehrern Monaten, daß mir das Waſſer et-
was
was mehr als leitende Subſtanz ſchiene, daß es wirklich
reitze. Herr Volta hat dieß jetzt zur hoͤchſten Evidenz
gebracht, und wenn ich gleich ſeine geiſtreiche Wirbeltheo-
rie nicht ganz annehme, ſo kann ſich den Factis doch mei-
ne Bewunderung nicht entziehen. Was ich erzaͤhle, habe
ich theils Herrn Volta unter meinen Augen experimenti-
ren ſehen, theils habe ich es, bey meinem Aufenthalte
in Como, ſelbſt wiederholt. Ziehen Sie einem Froſche
die Haut ab und praͤpariren Sie ihn ſo, daß Rumpf und
Schenkel nur durch die entbloͤßten Jſchiadnerven zuſam-
menhaͤngen. Setzen Sie zwey mit Waſſer gefuͤllte Wein-
glaͤſer neben einander, tauchen Sie den Rumpf in das
eine, die Schenkel ins andere Glas, und verbinden Sie
das Waſſer beider Glaͤſer durch einen Bogen von trocke-
nem Zink. Es erfolgt keine Zuckung. Der Zink iſt an
gleichartige Subſtanzen gekettet, oder nach Herrn Vol-
ta's Theorie, die aus den Enden des Bogens aus-
ſtroͤmende E. wird auf gleiche Weiſe durch einerley Kraft
zuruͤckhaltenzuruͤckgehalten. Es iſt kein Grund, warum die E.
mehr ſo — oder ſo hin — ſtroͤmen ſollte. Benetzen Sie
das eine Ende des Bogens mit Fruchtſaͤure, beſonders
mit fluͤſſigem vegetabiliſchen Laugenſalz, und tauchen Sie
den Bogen nun in die zwey Glaͤſer, ſo iſt die Zuckung
heftig vorhanden. Das Gleichgewicht am Bogen iſt,
nach Herrn Volta, aufgehoben. Auf einer Seite ſteht
dem Zink das Alkali, auf der anderandern Waſſer entgegen, alſo
ſtroͤmt die Electricitaͤt mehr nach einer als nach der an-
dern Seite. ..... Beſtreichen Sie beide Spitzen
des Bogens mit dem Ol. tartari p. del., ſo erfolgt kein
Reitz; wiſchen Sie die eine Spitze ab, ſo iſt er da;
wiſchen Sie beide ab, ſo verſchwindet er! Herr Vol-
ta hat bey mehr lebhaften Froͤſchen geſehen, daß ſeine
rechte und linke Hand die Stelle des Bogens vertrat.
Der Froſch zuckte, wenn der Finger der einen Hand mit
Alcali beſtrichen war. Hier iſt Reitz ohne alles Metall,
und
und das muß Sie nicht wundern; denn der (von Gal-
vani entdeckte) Verſuch, die Zuckung zu erregen, indem
man bloß den Waden des Froſches gegen ſeine Bruſt
beugt, gelingt mir immer, wenn der Froſch, wie oben be-
ſchrieben, praͤparirt iſt. Herr Volta hat die Bedingung
gefunden, unter der dieſer Reitz entſteht. Die Beruͤh-
rung muß mit dem tendineuſen, weißen, harten Theil
des Wadenmuskels geſchehen und die Bruſt des Froſches
muß mehr mit Blut, Seife oder Kleiſter beſchmiert ſeyn.
Dann beruͤhren ſich wieder drey heterogene Subſtanzen,
der weiche Muskel an der Bruſt, die Seife, (Blut) und
der tendineuſe Muskel am Waden, und nur bey drey Sub-
ſtanzen kann das Gleichgewicht der E. aufgehoben ſeyn.
Wiſchen Sie die Bruſt des Froſches rein ab, ſo zuckt er
nie, legen Sie naſſe Seife darauf, ſo iſt der Reitz wie-
der da. Wenn gleich Herr Volta alles auf die Geſetze
der ſogenannten gemeinen Electricitaͤt zuruͤckfuͤhrt, ſo zieht
er dennoch aus den Galvaniſchen Verſuchen wichtige
Schluͤſſe fuͤr die Oekonomie des thieriſchen Koͤrpers, be-
ſonders fuͤr die Art, wie der Nerv in den Muskel wirkt.
Ein Schuͤler von Scarpa, Herr Dr. PreſciauiPreſciani zu
Pavia, hat Nerven in allen Ordnungen der Wuͤrmer (Zoo-
phyten allein ausgeſchloſſen) entdeckt. Jn den Conchy-
lien ſind ſie beſonders deutlich und das Galvaniſche Reitz-
mittel, welches Hr. Presciani's große Entdeckung be-
ſtaͤtigt, ihn ſelbſt darauf geleitet, zeigt ſich hier von prakti-
ſchem Nutzen fuͤr die Zootomie. Hr. Mangili hat die
Nerven des Blutigels und Regenwurms beſchrieben (Diss.
de Syſtemate nerveo hirudinis, lumbrici terreſtris aliorum-
que vermium. Tic. 1795.), ja ſie gluͤcklich armirt. So
iſt beſtaͤtigt worden, was der gelehrte Ueberſetzer meiner
Aphor. ex physiol. chem. plantarum, Hr. Dr. Fiſcher,
meiner Behauptung uͤber Nervenloſigkeit der Wuͤrmer
entgegnete.