S Antwerpen, 17. August. Die Scene ist nach Gent versetzt. Ein Zeuge sagt aus über das, was am 28. März in Gent vorgefallen. Dieser Zeuge ist der Kommissär Van Thildonck. Einzelne Steine sind auf dem Markte aufgerissen worden; die Gendarmerie ist hinzugekommen und die Steine wurden wieder eingesetzt. Der Generalprokurator fragt, ob man nicht schon angefangen habe, Barrikaden zu bauen. Die Aussage des Zeugen geht dahin, daß man einen Karren umgeworfen habe, der vielleicht auf 3 Rädern gestanden. Auf solchen schwachen Beinen steht die ganze Anklage. Wiederholt kommen die Fragen über 2 Franzosen vor, die auch in Gent gewesen, um das Gespenst der Revolution zu verbreiten. Die Anklage bewegt sich so unbestimmt, sie springt so von Einem auf das Andere, und die Thatsachen sind so geringfügig, und es wird ihnen von Bavay, dem General-Prokurator eine solche Wichtigkeit beigelegt, daß man sich des Lächelns nicht enthalten kann. Die Bankbillette, die man einwechselte, sind wieder zur Sprache gekommen. Der Wechsler ist citirt worden, und hat Spilthoorn und Marx deßhalb als verdächtige Personen erklärt, weil sie ihm etwas zu verdienen gegeben! Der gute Mann glaubte wirklich etwas zu verdienen, während die beiden andern Marx und Spilthoorn sich eilten, keine 300 Fr. zu verlieren. Der Flamänder, der gewöhnt ist, daß man einen auf's Blut akkordirt, ist nun ganz erstaunt, mehr als gewöhnlich verdient zu haben. Was würde er gesagt haben, wenn am anderm Tage wirklich die Bank ihre Zahlung eingestellt hätte! Nach ihm wird der Kutscher verhört, der die Herren Marx und Spilthoorn mit nach Hause führte! Ich sage Ihnen, es kann nichts kindischeres geben. Ernsthafter wird die Sache, als ein Zeuge den Tedesko beschuldigt, am 27. Februar in Brüssel aufgefordert zu haben: man sollte schreien: Es lebe die Republik! Tedesko enthüllt den Zeugen als einen Mouchard, einen Polizei-Agenten, und tadelt den Präsidenten sowohl als den Generalprokurator, ein solches Subjekt zugelassen zu haben. Drr Zeuge heißt Martin Sas; er ist dermaßen notorisch als ein Mouchard bekannt und glaubt sich in dieser Eigenschaft dermaßen im Besitze drr Macht, daß er eines Tages, in einem Wirthshause, wo er Streit bekam, eine geladene Pistole herauszog und Feuer zu geben drohte. Sas steht unter dem Schutze der Polizei; er wurde pro Forma eingesteckt, aber den andern Tag wieder entlassen. Einen solchen Menschen gab man dem Herrn Tedesko zur Seite; von einem solchen Menschen ließ man ihn bewachen, als er, Tedesko, noch in völliger Freiheit war, und der Angeklagte macht seiner Entrüstung in energischen Aurdrücken Luft, um das Verhalten der belg. Justiz des Parquets und der Polizei zu geißeln. Dieser Sas, wie andere Zeugen aussagen, hat sogar mitgeschrieen: Es lebe die Republik! und als der Präsident ihn darüber darüber zu Rede stellte, antwortete er: Ja, er habe ebenfalls so geschrieen; aber bloß, um zu sehn, was die Andern schreien würden. Der Präsident sieht sich genöthigt, diesen Zeugen aus der Reihe der Zeugen auszustreichen. Ein anderer Zeuge gegen Tedesko ist nicht mehr ein Mouchard, sondern der Polizeiinspektor Deckers in höchst eigener Person. Dieser Mann ist am 26. Februar selbst in der demokratischen Gesellschaft in Brüssel gewesen, nicht um den Mouchard abzugeben, sondern um dem General-Prokarator und dem Könige und den Ministern Rechenschaft abzustatten, über das was vorginge, damit letztere (es war unmittelbar nach der Februar Revolution) abziehen, der König abdanken, und der General-Prokurator Bavay sein Requisitorium gegen die Minister machen könnte. Die Sache gestaltete sich anderes: statt gegen die Minister aufzutreten, tritt der General-Prokurator für sie auf, als öffentliches Ministerium. Sie können sich nun leicht denken, wie der Polizei-Inspektor Deckers gegen Tedesko auftritt, den er im Falle, daß in Belgien die Republick proklamirt worden, vielleicht um Beibehaltung seiner Stelle hätte anbetteln müssen. Tedesko, sagt Deckers, sei ein gefährlicher Republikaner; im demokratischen Verein habe Tedesko zu sagen gewagt, er sei expres von Lüttich nach Brüssel gekommen, um dieser merkwürdigen Sitzung beizuwohnen. Aber das sei noch nicht Alles: Tedesko hat ferner gesagt, Gott habe uns alle gleich geschaffen, und man müsse darauf dringen, daß die Truppen zurückgeschickt würden. Sie sollten alle bewaffnet sein.
Tedesko erklärt sich allerdings daß er gesagt habe, sie müßten Alle bewaffnet sein; aber er habe hinzu gesetzt: man müsse eine Petition an das Stadthaus abgeben, um eben auf allgemeine Bewaffnung zu dringen. Die Zeugen bekräftigen diese Berichtigung. Unter den Schutzzeugen bemerken wir Herrn Braas, der in Paris anwesend war als Herr Spilthoorn dem Herrn Garnier Pagès die Adresse der demokraischen Gesellschaft überreichte, und auf die Beibehaltung der belgischen Nationalitäten drang.
S Antwerpen, 18. Aug. Unter den Schutzzeugen, die vorgeladen, hebe ich nur zwei hervor: den Herrn Mayntz aus Düsseldorf, Professor an der Universität Brüssel und den Advokaten Picard, beide Komite's-Mitglieder der demokratischen Gesellschaft. Sie sprechen sich über den Zweck dieser Gesellschaft aus, die auf eine friedliche Weise Proganda zu machen suchte.
„Das Wort ist an den General-Prokurator um seine Anklage zu entwickeln.“ Da hätten Sie den ernsten Mann, den Vertreter der öffentlichen Moral, der öffentlichen Sicherheit sehen sollen, wie er sich g avitätisch erhob, um das Attentat den flämischen Geschworenen zu entwickeln. Herr Bavay spricht französisch und will sogar ein fein-pariser-Französisch sprechen. Die Geschworenen sprechen flämisch und wissen dies fein-pariser-Französisch nicht zu würdigen. Das Einzige, was sie zu würdigen wissen, das ist die Länge der Rede des Herrn Prokurators, und dieses alleinigen Umstandes willen, wären sie im Stande die Angeklagten schuldig zu erklären, zumal da sie diese Rede zweimal anhören müssen, einmal im französischen und einmal im flämischen. Ich fürchte sehr, daß viele Angeklagte für die Langweiligkeit des Herrn Prokurators büßen müssen.
Herr Bavay fängt mit einer Eloge auf die belgische Constitution an, es ist dies stereotyp bei uns und bei Ihnen geworden. „Die belgische Constitution ist die Ehre der Civilisation.“ Natürlich, Deutsche haben es bewiesen, Deutsche, die zu uns gekommen, um nach dem Musterbilde unserer Constitution ihre eigene zu saconiren. Also was können die Republikaner von Freiheiten mehr verlangen, als diejenigen, die ihnen in der belgischen Constitution zugesagt sind? Also, schließt der Herr Prokurator, die Republikaner wollten in Belgien nicht die Republik, sondern etwas Anderes. Was dann? Sie wollten ihre sociale Stellung verbessern. De Rudder z. B., sagt Herr Prokurator, war ein „kleiner Metzger“, der ungeachtet aller seiner Anstrengungen nicht vorwärts mit seinem Geschäfte kommen konnte; Deleßrce ist ein sehr geschickter Erdarbeiter ‒ aber er hatte keine Arbeit und mußte Schulden machen. Fosses würde keinen Franken Kredit hier in Antwerpen erhalten. So geht der Staatsproturator die nothdürftigen Angeklagten der Reihe nach durch, und zeigt, daß es ihnen nicht so sehr um politische Freiheiten, als um sociale Stellungen zu thun war. Es waren im ersten Zuge, der nach Belgien zog, 1000 Arbeiter, die ebenfalls weiter nichts wollten. Also mit der politischen Constitution des jetzigen Staates war den Leuten die soziale Stellung nicht gegeben; die Politik sicherte ihnen ihr Leben nicht: sie hatten keine „sociale Stellung“: d. h. sie standen im Staate nicht. Nun ist aber die Politik am Ende weiter nichts als die Spitze, das Resumee aller socialen Stellungen, d. h. aller derjenigen, die im Staate stehen. Also bestand das Verbrechen dieser Leute darin, daß sie sich in ihrem Lande social feststellen wollten, um in den politischen Freiheiten begriffen zu sein: Und haben unsere grund- und bodenlosen Flamänder nicht dazu ein vollkommenes Recht? Haben sie nicht Alles verloren, bis auf ihr Spinnrad? Als ihre Väter für die Freiheit Belgiens stritten, war es damals nicht in der sichern Voraussicht, daß ihren Töchtern das Spinnrad und die Tugend verbliebe: Hatten Sie nicht ihr Leben daran gesetzt, und hatten sie nicht das Land gepflügt, daß es ihren Söhnen fromme? Aber seht, die konstitutionelle Entwicklung hat den Leuten den Boden unter den Füßen weggezogen, und hat unsern Töchtern Alles genommen, bis auf die Tugend, bis auf das Lebenskapital. Wir sind arm, lebensarm, blutarm geworden, und der Herr Prokurator rechnet den Leuten die bloße Absicht gegen den Hungertod anzufechten für ein Verbrechen an. Zugleich bekundet der Herr Prokurator eine ungemeine Unwissenheit, da er, nach Allem, was in Frankreich vorgegangen, noch immer nicht weiß, daß jede politische Frage weiter nichts als eine sociale ist. Doch warten Sie, wenn die Flamänder losbrechen und der Herr Prokurator, bei einer Umwälzung, besorgt um sein Geschäft und um sein Brod, genöthigt ist, die Minister oder gar den konstitutionellen Monarchen, im Namen dessen er jetzt spricht, in den Anklagezustand zu versetzen, dann wird er wohl diese Unterscheidung kennen lernen.
Nach dieser Kategorie von Angeklagten geht dann der Prokurator auf Herrn Spilthoorn über. Ich muß Ihnen vorab sagen, daß Spilthoorn, der unschuldigste Mann von der Welt, dem Herrn Prokurator deßhalb ein Dorn im Auge ist, weil Spilthoorn schon 1830 in Gent Mitglied der provisorischen Regierungskommission, noch ehe der Prokurator Prokurator, war, daß Spilthoorn sich damals entschieden gegen die Monarchie ausgesprochen, also den Tod über alle kommenden Bavay's verhängt hatte.
Spilthoorn, sagt Hr. Bavay, ist am 27. Febr. nach Brüssel gekommen, auf Einladung des Hrn. Joltrand, um der Demokraten-Gesellschaft beizuwohnen. In dieser Gesellschaft sei jene Adresse an die Franzosen beschlossen worden, worin es heiße, daß man durch eine friedliche, aber energische Agitation die Vortheile noch erringen wolle, die man schon in Frankreich errungen. Bei dieser Stelle geht der Prokurator in „philosophisch-politische Betrachtungen“ ein über das, was eine friedliche Agitation sei. Er könne die friedliche Agitation nicht begreifen, und die Mitglieder der demokratischen Gesellschaft hätten sie so wenig begriffen, daß sie an demselben Abend bedeutende Unruhen auf dem öffentlichen Markte verursacht. Sie waren zu dieser Zeit noch in Brüssel, und Sie wissen, welch eine Bewandniß es mit den bedeutenden Unruhen gehabt; der Mouchard Sas, der gegen Tedesco auftrat und vom Präsidenten abgewiesen worden, hatte an diesem Abend allein die Republik leben lassen und Verhaftungen vorgenommen. Unter diesen Verhafteten befand sich Herr Wolff aus Breslau, den der Herr Prokurator mit einem ungeheuren Dolche bewaffnet. Dieser Dolch, den der Herr Prokurator ihm in die Schuhe schiebt, ist ihm vom Mouchard Sas unter die Füße geworfen worden, bloß, um einen Grund zu seiner Verhaftung zu haben. Ueberhaupt haben die Deutschen dem Herrn Prokurator als Arabesken im Prozesse gedient.
Unter andern war bei der Expedition der Brüsseler Zeitung als Trager ein deutscher Zwerg angestellt, dessen Geisteskräfte mehr oder minder verwachsen waren. Dieser Mensch hatte in göttlicher Trunkenheit dem Herrn Bornstädt einen antiken Dolch entwendet, den er an einen Gürtel, wie einen Schleppsäbel gebunden und so durch die Straßen Brüssels zog. Bis auf die heutige Stunde erscheint dieser am Dolche festgebundene Zwerg der Polizei sowohl als dem Staatsprokurator als die mystische Person, die durch den ganzen Prozeß durchgeht. Dieses gefährliche unbekannte Wesen wird von Hrn. Bavay mehrmals citirt als der Geist der Verschwörung, und niemals nennt er ihn ohne inneres Grauen. Wie wird Hr. Bornstädt lachen, wenn er die Rolle sieht, welche der Prokurator seinem Groom, seinem Bedienten zuerkennt. Dieser Zwerg, von dem immer im Prozesse gesprochen wird, und der niemals erscheint, ist von der Polizei in einem besondern Zellenwagen, oben und unten mit Soldaten bewacht, die beständig das Kreuz schlugen, auf die französische Gränze gebracht worden. Bei den Franzosen erregte seine affenartige Erscheinung ein allgemeines Gelächter, besonders als sie die Angst der belgischen Soldaten erblickten.
Hr. Bavay geht sodann auf Spilthoorns Reise nach Paris über, und zeichnet ihn uns als einen Mann, durch dessen Vermittlung „die belgische Legion Lebensmittel“ erhalten. Ein Hauptanklagepunkt gegen Spilthoorn ist ein Brief an den Advokaten Braas in Namur, worin ersterer seine Hoffnung ausdrückt, daß Leopold bald abdanken werde. Was wäre dann aus Herrn Bavay geworden? Leopold, der am 26. zu Herrn Jottrand geschickt, und so gern abgedankt hätte, wenn er es auf eine anständige Weise und mit einem anständigen Gehalte hätte thun können, hätte den Herrn Bavay, den königlichen Prokurator aufgeben müssen. Das wäre jammerschade um sein schönes Talent gewesen. Spilthoorn's Reise nach Paris, Spilthoorn's „revolutionäre Reden“ im Klub Menilmontant und an der Jult-Kolonne, das sind die Punkte, die gegen ihn vorgebracht werden.