Höchst verehrter Herr und Göñer.
Auch bin, eben so wie Sie, unangenehm überrascht davon, daß Lindau
die zweite Hälfte meines AufsatzesSanders, Daniel: Variationen über ein Gutzkow'sches Thema. In: Lindau, Paul (Hg.): Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Neunter Jahrgang, Nr. 3. Berlin 1876, S. 40–41. [Online verfügbar: GoogleBooks, abgerufen am 08.01.2019.](https://books.google.de/books?id=DDvfh6c9KXoC) auf eine spätere Num̃er verscho-
ben hat. Allerdings wollte ich mit dieser kleinen „Variation“ eben nur im
Allgemeinen die Aufmerksamkeit namentlich der jüngeren Leserwelt auf die
neue Überarbeitung Ihrer Werke lenken und ein sorgfältiges Studium der von
Ihnen getroffenen Änderungen als ein Quell reicher Belehrung für einen guten
sorgfältig gefeilten Stil empfehlen. Daß mir dieser Zweck nicht mißlungen,
bestätigen mir die Briefe mancher Jüngeren, welche mir versichern, daß sie
auf meine Anregung sich die neue Ausgabe Ihrer Werke angeschafft und
in dem angegebenen Siñe zu verwerthen suchen wird.
Ich selbst werde, wie ich Ihnen früher geschrieben zu haben glaube,
den Vergleich Ihrer Werke in der älteren und in der neueren Gestalt na-
mentlich für meine „Sprachbriefe“Sanders, Daniel: Deutsche Sprachbriefe. Berlin 1879. [Online verfügbar: BSB digital, abgerufen am 08.01.2019.](http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb11023537-7) benutzen, ein Buch, das ich nach dem Ende
dieser oder doch im Anfang der folgenden Jahre fertig zu schaffen über-
nom̃en habe und wovon ich in möglichst anregernder Form die Lehre
von der deutschen Gram̃atik und vom Stil, anknüpfend an MusterstückMusterstücke
deutscher Schriftsteller zu behandeln gedenke. Ich hoffe zuversichtlich, doch
sollen und werden Sie mit mir vollständig zufrieden sein köñen. Hier
konnte und wollte ich eben Nichts mehr als aus meinem bisher wohl
kaum geltend gemachten Gesichtspunkte auf die Neubearbeitung Ihres
Werke als eine Muster hinweisen.
Für Ihre tapfere Unterstützung meiner schwierigen Stellung in
der Rechtschreibungsberathung sage ich Ihnen meinen herzlichen, verbindlichen
Dank. Ich bedurfte und bedarf einer solchen Unterstützung in der That
sehr dringend und vertraue, daß Sie mir dieselbe auch fernerhin zu
Theil lassen werden, um so mehr, als Sie dadurch nicht bloß mir persönlich
einen
einen Dienst erweisen, sondern – wie Sie in Ihrem Brief ganz richtig hervor
heben – auch der deutschen „Volksseele“, für deren zarten Regungen und Empfindungen
grade die auf ihren gelehrten Zopf so dünkelhaft stolzen, plumpen „Phonetikern“ das
allerwenigste Verständnis haben. Zeuge dafür der Beschluß, wonach unsere deutschen
Lettern (die Frakturbuchstaben) auf den Aussterbe-Etat gesetzt sind. Ihnen sofort
ganz zu Leibe zu rücken, dazu freilich fehlt der offene Muth und man fürchtet
wohl mit sofortiger Enthüllung des letzten Ziels, einen unwiderstehlichen Sturm
im ganzen Volk heraufzubeschwören. So sucht man denn auch den großen An-
fangsbuchstaben möglichst versteckt und allmählich den Garaus zu machen. Zwar
sind sie noch belassen bei den Substantiven, aber was will für die Zukunft
das Zugeständnis heißen, weñ so schwankschwankende und unbestim̃te Bemerkung
hinzutritt, wie:
Doch schreibt man auch Substantive klein… in verbalen Ausdrücken, wie…
teilnehmen, er nim̃t teil, zu teil werden [das th in deutschen Wörtern soll
einmal für allemal getilgt werden], zu stande bringen, vom stapel laufen,
gefar laufen, wunder nehmen, recht (unrecht) haben, thun [wo das Obj.Objekt des
Subst.Substantives vorliegt, vgl.vergleiche dagegen als Adv.Adverb: recht, unrecht handeln], wahrscheinlich
auch,– obgleich bei der raschen oberflächlichen Behandlung nicht auf alle
erwähnten Ausdrücke und noch weniger auf nähere Einzelheiten eingegan-
gen werden koñte –: maß halten, schul halten, stand halten, steif halten,
zu recht bestehen p.pp., vielleicht auch: ans werk setzen p.pp.
Ginge so Etwas im Volk durch, so wäre die Abschaffung der gro-
ßen Buchstaben für die Hauptwörter natürlich nur noch eine Frage der
Zeit und es wäre ehrlicher, gleich offen das auszusprechen, als zu-
nächst die kleinen Anfangsbuchstaben und die latein.lateinischen Lettern durch eine
Hinterthür (im Einverständnis mit den sogen.sogenannten „Historikern“ d.h. Reaktio-
nären) einzuschmuggeln.
Über ein ähnliches Verhalten in Bezug auf die Dehnungsbuch-
staben (die noch e und i zunächst noch beibehalten, aber nach a, ä
o, ö, u, ü fast ausnahmslos getilgt werden sollen, z.B. in A(a)l, A(h)le,
fa(h)l, ka(h)l, Sta(h)l, Sa(a)l, Sa(a)t, Sta(a)t p.pp., aber doch befahl, stahl,
Diebstahl, stiehlt, bestiehlt, gestohlen, befohlen p.pp. wegen des nicht anzutastenden
befehlen, stehlen p.pp.; lam, lämen, nachamen, wie kam p.pp., aber nahm, Ausnahme,
wegen nehmen, ferner z.B. our, loun , Son p.pp., füren, kün pp.pp.) – über dies Ver-
fa[h]ren habe ich einen ausfü[h]rlichen Aufsatz für die Nation.National-Zeitung geschrieben,
der wo[h]l in diesen Tagen zum Abdruck und zu Ihrer Keñtnis kom̃en wird.
Ich will nur noch als besonders keñzeichnend für die Haltung der
Versam̃lung erwähnen, daß mit 13 gegen meine Stim̃e das Streichen des
h im th alsaus deutschen Wörtern beschlossen, daß ich aber für den eventuellen
Antrag, dañ wenigstens auch in fremden (namentlich in griech.griechischen Wörtern)
das für unsere Aussprache ganz bedeutungslose th durch t zu ersetzen,
wie es die Italiäner, Spanier p.pp. thun, keine Stim̃e gewiñen koñte!
O des Gelehrtenzopfs!
Aus dem Gesagten, namentlich im Zusam̃enhalt mit dem Aufsatz
in der Nat.National-Zeitung, werden Sie Sich gewiß leicht ein richtiges Bild von
den Berathungen und Beschlüssen entwerfen köñen und ich glaube
nicht zu viel zu versichern, weñ ich sage, daß mit mir auch das deutsche
Volk Ihnen zu iñigem Dank verpflichtet sein wird, weñ Sie für das
in d allmählicher Entwicklung Gewordene gegen die (mit den
„Historikern“, richtigen Rückschritten sich in vielen Punkten begegnenden)
Machtgebote der einseitigen, rohen und zu däppischen „Phonetiker“
eine Lanze einlegen wollen.
Ich bitte Sie von ganzem Herzen, die möglichst bald
mit der ganzen Kraft einleuchtenden Gründe und Ihres
tausend Phonetiker aufwiegenden Namens zu thun.
Entschuldigen Sie die in diesen Zeilen sich nur zu deutlich
abspiegelnde Hast und bewahren Sie Ihre freundschaftliche
Gesiñung und unschätzbare BeihilfBeihilfe
Ihrem Ihnen in größter Hochachtung
ergebener
Dan. Daniel Sanders.
Altstrelitz, 25.1.76.