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Bahnson, Minna: Ist es wünschenswert, daß der § 3 aus den Satzungen des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht gestrichen wird? Bremen, [1912].

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wie auf kommunalem Gebiet besaßen. Die Frauen erstrebten also
nur das, was die Männer schon hatten! Ebenso haben die Frauen
in Schweden für die Kommunen vorläufig nur eine Art von Zensus-
wahlrecht und ein sich daraus ergebendes indirektes Wahlrecht fürs
Herrenhaus. Ein Wahlrecht, das, wie Mrs. Chapman-Catt in Stockholm
ausführte, zu den merkwürdigsten Widersprüchen führt, indem die Frauen
teilweise den Männern gleich stehen; teilweise, da die Frauen auch in
die "städtischen Räte" wählbar sind, haben sie sogar mehr Rechte als
die meisten der Männer; sie können auch, falls sie ein gewisses Einkommen
aufweisen, ein mehrfaches Stimmrecht besitzen, sodaß manche Frauen
bis zu 40 Stimmen haben - aber ich habe noch nicht gehört oder
gelesen, daß die schwedischen Frauenstimmrechtsvereine erklärt hätten,
dies alles wäre zu ungerecht, sie wollten nur das allgemeine, gleiche
Wahlrecht haben, auch wenn die Männer es noch nicht hätten!

Ja, die Frauen in England und den Niederlanden erklärten noch
1909 - trotzdem England schon auf eine mehr als 50jährige Frauen-
stimmrechtsbewegung zurücksehen konnte - ausdrücklich, "daß sie zunächst
nur für das Frauenstimmrecht zu denselben Bedingungen, wie es die
Männer ihres Landes hätten, eintreten könnten, weil eine Erweiterung
der Männerrechte in ihrem Lande nur eine Verschleppung der Wahl-
rechtsreform bedeuten würde. Es bestände für sie eher die Möglichkeit,
Mehrheiten in den Parlamenten für das Frauenstimmrecht zu den-
selben
Bedingungen zu erhalten, wie sie jetzt für die Männer ihres
Landes beständen, als Mehrheiten für die Erweiterung der all-
gemeinen
Volksrechte zu erzielen." Und man muß doch zugeben, daß
es bei uns genau ebenso liegt, daß es wörtlich auf unser Gemeinde-
Wahlrecht zutrifft. Und wenn sie in dem so viel fortschrittlicheren
England sich noch bis vor kurzem mit diesen Forderungen begnügten,
so braucht es wahrlich nicht bei uns beinahe als Verrat an der Frauen-
stimmrechtsbewegung bezeichnet zu werden, wenn wir auch vorerst nur
das fordern, was die Männer schon haben.

Jn demselben Jahre 1909 schreibt Else Lüders selbst von den
Suffragists, sie hätten eine neue Taktik eingeschlagen. "Während früher
der Stimmrechtsverband stark der liberalen Partei zuneigte, wird jetzt
das Frauenstimmrecht über die Partei gestellt!" Jst das nicht genau
das, was mit der Streichung des § 3 erzielt werden würde? Dabei
möchte ich noch besonders darauf hinweisen, daß trotz der sehr scharfen
Kampfesweise mit der die Suffragettes, d. h. die englischen ganz
radikalen Frauen vorgehen, sie sich doch mit der gemäßigten Richtung,
den Suffragists, auf die sogenannte Versöhnungs-Bill (Conciliation-

wie auf kommunalem Gebiet besaßen. Die Frauen erstrebten also
nur das, was die Männer schon hatten! Ebenso haben die Frauen
in Schweden für die Kommunen vorläufig nur eine Art von Zensus-
wahlrecht und ein sich daraus ergebendes indirektes Wahlrecht fürs
Herrenhaus. Ein Wahlrecht, das, wie Mrs. Chapman-Catt in Stockholm
ausführte, zu den merkwürdigsten Widersprüchen führt, indem die Frauen
teilweise den Männern gleich stehen; teilweise, da die Frauen auch in
die „städtischen Räte“ wählbar sind, haben sie sogar mehr Rechte als
die meisten der Männer; sie können auch, falls sie ein gewisses Einkommen
aufweisen, ein mehrfaches Stimmrecht besitzen, sodaß manche Frauen
bis zu 40 Stimmen haben – aber ich habe noch nicht gehört oder
gelesen, daß die schwedischen Frauenstimmrechtsvereine erklärt hätten,
dies alles wäre zu ungerecht, sie wollten nur das allgemeine, gleiche
Wahlrecht haben, auch wenn die Männer es noch nicht hätten!

Ja, die Frauen in England und den Niederlanden erklärten noch
1909 – trotzdem England schon auf eine mehr als 50jährige Frauen-
stimmrechtsbewegung zurücksehen konnte – ausdrücklich, „daß sie zunächst
nur für das Frauenstimmrecht zu denselben Bedingungen, wie es die
Männer ihres Landes hätten, eintreten könnten, weil eine Erweiterung
der Männerrechte in ihrem Lande nur eine Verschleppung der Wahl-
rechtsreform bedeuten würde. Es bestände für sie eher die Möglichkeit,
Mehrheiten in den Parlamenten für das Frauenstimmrecht zu den-
selben
Bedingungen zu erhalten, wie sie jetzt für die Männer ihres
Landes beständen, als Mehrheiten für die Erweiterung der all-
gemeinen
Volksrechte zu erzielen.“ Und man muß doch zugeben, daß
es bei uns genau ebenso liegt, daß es wörtlich auf unser Gemeinde-
Wahlrecht zutrifft. Und wenn sie in dem so viel fortschrittlicheren
England sich noch bis vor kurzem mit diesen Forderungen begnügten,
so braucht es wahrlich nicht bei uns beinahe als Verrat an der Frauen-
stimmrechtsbewegung bezeichnet zu werden, wenn wir auch vorerst nur
das fordern, was die Männer schon haben.

Jn demselben Jahre 1909 schreibt Else Lüders selbst von den
Suffragists, sie hätten eine neue Taktik eingeschlagen. „Während früher
der Stimmrechtsverband stark der liberalen Partei zuneigte, wird jetzt
das Frauenstimmrecht über die Partei gestellt!“ Jst das nicht genau
das, was mit der Streichung des § 3 erzielt werden würde? Dabei
möchte ich noch besonders darauf hinweisen, daß trotz der sehr scharfen
Kampfesweise mit der die Suffragettes, d. h. die englischen ganz
radikalen Frauen vorgehen, sie sich doch mit der gemäßigten Richtung,
den Suffragists, auf die sogenannte Versöhnungs-Bill (Conciliation-

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-12-05T18:44:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-12-05T18:44:52Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Bahnson, Minna: Ist es wünschenswert, daß der § 3 aus den Satzungen des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht gestrichen wird? Bremen, [1912], S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahnson_satzungen_1912/15>, abgerufen am 28.03.2024.