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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 88/89. Köln, 30. August 1848.

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Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 88. u. 89. Köln, Mittwoch den 30. August 1848. Wegen Differenzen mit dem bisherigen Drucker, Hrn. Clouth, hat die Nr. 88 nur in einem Auszuge erscheinen können. Die mit dem Umzuge verbundenen Störungen nöthigen uns, die ausführlichen Berichte in der heutigen Nummer nachzutragen. Dagegen können wir zugleich unseren geehrten Abonnenten die Versicherung ertheilen, daß alle bisherigen Unregelmäßigkeiten in Versendung des Blattes durch die neu getroffenen Einrichtungen binnen Kurzem beseitigt sein werden.
Uebersicht.

Deutschland. Köln. (Die Debatte über die Standesvorrechte). Wien. Arbeiteraufstand. Scheidung von Proletariat und Bourgeoisie. Sieg der Bourgeoisie und des Ministeriums. Sturz des Sicherheits-Ausschusses. Der erste Preßprozeß). Frankfurt. (Empfang der Wiener Deputation). Berlin. (Vermischtes. -- Vereinbarungssitzung. -- Preßgesetzentwurf. -- Neue Polizei-Uebergriffe. -- Verhaftungen. -- Abg. Meusebach). München. (Thon-Dittmer's Pläne). Reichenbach (Die 22ger). Frankenstein. (Ditto). Aus Thüringen. (Das Recht der Volksversammlung).

Ungarn. Pesth. (Kossuths Verrath).

Italien. (Volksdemonstration in Alessandria).

Franz. Republik. Blanc und Caussidiere geflohen. -- Scenen aus der Nachtsitzung. -- Der Spectateur Republicain über Deutschland. -- Blanc, Caussidiere, Ledru-Rollin vor ihren Anklägern).

Großbritannien. London. (Unterhaus. -- Finanzen. -- Wakley über die gefangenen Chartisten. -- Verlust des Ocean Monarch). Dublin. (Die Insurgenten, -- Duffy. -- Die Korrespondenz O'Briens durch Fälschung in Händen der Polizei).

Deutschland.
19 Köln, 28. Aug.

(Die Debatten über Standesprivilegien.

(Fortsetzung.)

Auf Hrn. Mohl, den schwäbischen Bürgerfreund, folgt in natürlicher Progression Hr. Schwetschke, der Lichtfreund aus Halle. Auf die liberalen Deklamationen über die "Werthlosigkeit des Adels" eine christliche Betrachtung über die "Heiligkeit der Familiennamen;" auf den klimpernden Hosentaschenbeweis für die praktische Aristokratie des Bürgerthums der Klingelbeutel frommer Sympathie für die idealen-historischen Erinnerungen des Adels.

Hr. Schwetschke erklärt sich zunächst mit dem "Prinzip" einer "allgemeinen Standesgleichheit" einverstanden. Soweit dieselbe nämlich als bloß platonisches "Rechtssprüchwort" gelten soll, und nicht in die "rohe, materialistische" Gleichheit ausartet. Die platonische, "prinzipielle" Standesgleichheit lebt in der lichtfreundlichen "höhern Idee," die "rohe, materialistische" Gleichheit sucht sich auf der platten bürgerlichen Erde geltend zu machen. Herr Schwetschke vermittelt den Gegensatz der praktischen Ungleichheit mit dem "höhern Gleichheitsprinzip," indem er als Amendement ein neues Rechtssprüchwort empfiehlt: "Alle Deutschen sind ohne Rücksicht auf die Führung bürgerlicher oder adeliger Familiennamen gleichen Standes." Alle Standesungleichheit ist zur Gleichheit erklärt.

Der ideale Lichtfreund betrachtet die praktische Forderung, den Adel aufzuheben, als ein sündhaftes Begehren nach fremdem Gut, welches zur Verwirrung, zur Anarchie, zum Nivelliren aller "natürlichen Verschiedenheit" führt. Die Forderung, den Adel aufzuheben, sagt Hr. Schwetschke, heißt nichts Anderes, als "verlangen, daß auch zugleich die Familiennamen aufhören sollen."

Angenehmer Scharfblick des hallischen Propheten! Die Aufhebung des Adels begründet das "Aufhören" der Familiennamen. Ohne das Dasein der Adelstitel würde die Welt nie den Familiennamen des Hrn. Schwetschke bewundert haben, Hr. Schwetschke würde vielleicht eine Nummer tragen. Halten wir also fest an dem Adel, dessen Verschwinden uns in den Zustand der Barbarei zurückschleudert, wo die "Familiennamen aufhören," wo nach Art der indianischen Häuptlinge nur "persönliche Bezeichnungen" gelten, und der edle Gagern nur "der kühne Griff", Herr Ostendorf "das junge Huhn," Herr Jahn gar "die schmutzige Hand" benamset würden!

Diese Forderung (das Aufhören der Familiennamen), erklärt Hr. Schwetschke, würde ein Eingriff in die heiligsten Beziehungen des Menschen, "in die Familienrechte" sein. "Der Name und die daran geknüpften Erinnerungen, sind aber so heilig, daß kein Bürgerlicher und kein Adeliger von seinem angeborenen Namen auch nur das Geringste aufgeben sollte."

Hr. Schwetschke macht, wie Friedrich Gentz, aus dem Adel eine Eigenthumsfrage. Die Namen sind "erblich, angeboren," und gehören also den "heiligsten Beziehungen" des Erbrechts und Familienrechts an; ihr Aufheben ist ein Eingriff in ein unveräußerliches Eigenthum! Wie rührend ist es, den hallischen Lichtfreund von erb- und eigenthümlicher Heiligkeit träufeln zu sehen!

Diese Begriffe sind natürlich "platonisch," nicht "roh, materialistisch" zu verstehen. Hat nicht der große Kriminalist Hitzig, ehe er sich taufen ließ, Itzig geheißen? Hat nicht König Friedrich Wilhelm IV. ein besonderes Gesetz über Familiennamen erlassen, worin den Juden befohlen wurde, ihren "angebornen" patriarchalischen Benennungen "Schmuhl, Feist, Johl," neue christliche Familiennamen anzuhängen? Hr. Schwetschke würde dies Alles als einen "Eingriff in die Heiligkeit des Familienrechts" dem Staatsanwalt denunziren, wenn nicht dies Eigenthum wie seine Heiligkeit ein bloßes "Rechtssprüchwort" wäre.

"Die Beziehungen zu meiner Familie sind mir so theuer, daß ich es als eine persönliche Beleidigung betrachten würde, wenn man mir den Adel anböte. (Immer im platonischen Sinn, nicht etwa roh, materialistisch verstanden, als ob man, um mit Hrn. Schwetschke Handel zu bekommen, denselben nur als Hrn. v. Schwetschke anzureden brauchte.) Aber ... wenn ich zu den Nachkommen eines Ulrich von Hutten oder Götz von Berlichingen gehörte, ich würde mir es ernstlich verbitten, wenn man mir diesen Namen schmälern wollte!" Wo wären die "großen historischen Erinnerungen" hingerathen, wenn die Nachkommen eines von seinen Zeitgenossen verachteten Verräthers aus den Bauernkriegen simpler "Bürger Berlichingen" hieße?

Nachdem Hr. Schwetschke, dessen angenehm bürgerlicher Biedersinn betreff des Adelanerbietens mit dem billigen Beifall der Linken belohnt wird, noch eine Zeitlang fortgeplaudert hat, tritt er ab unter dringender Empfehlung seines Amendements, welches die wohlthätigen Folgen hat, daß nach einem solchen "Rechtssprüchwort" kein Adeliger mehr gehindert ist, ohne Aufgeben seines Standesnamens an "stark gefärbten" demokratischen Bestrebungen Theil zu nehmen.

Auf die Tribüne tänzelt mit Schnallenschuhen, weißen Strümpfen und einem ewig lächelnden Kindergesicht Herr Ernst Moritz Arndt aus Bonn.

"Meine Herren! Ich alter Plebejer, der ich den Streit gegen den Adel und zwar den Streit gegen die Mißbräuche mit angefangen habe, die der Adel gegen die Bauern in meiner Heimath geübt, ich sollte gleichsam nur durch mein Gemüth -- denn was Anderes bewegt mich wahrlich nicht -- für den Adel sprechen; aber, (wörtlich!) wie ich glaube, ist es eine alte Lehre, daß wir Alle Adam's Kinder sind."

Unter wunderbarem Gedankengang und noch viel wunderbareren Satzkonstruktionen, unter kindlich schönen Anekdoten und Schnurren, aus denen uns der Hauch verkommener mährchenhafter Jahrhunderte lieblich anweht, erklärt der "alte Plebejer" seine Meinung dahin, daß nur das Privilegium, welches dem Adel "gleichsam die Erde an die Füße gebunden hat," abgeschnitten werden solle, nicht aber die "Gewalt seiner idealen Bilder." Die "Gefühle der Menschen, die Vorurtheile, Alles was oben schwebt, das poetische Heiligthum der Menschheit," Alles dies und noch einiges mehr, sagt Herr Arndt, muß von der Versammlung "geschont" werden.

"Ich bin von schlechtem Bauernstande, aber wenn ich ein Gütchen hätte, wo Bäume ständen, die mein Urgroßvater schon gepflanzt hätte, das wäre mir Adel." Welcher unerhörte Terrorismus gehörte dazu um Hrn. Arndt die "Gewalt" dieses "idealen Bildes" zu rauben?

Dieses "obenschwebende" Heiligthum der "idealen Bilder" berührt aber nicht nur den Adel, es ist das Eigenthum aller Stände. Hr. Schwetschke hat die Adelsfrage für eine allgemeine Familienrechtsfrage erklärt, Hr. Arndt macht sie zu einer allgemeinen Religionsfrage. Hr. Schwetschke folgerte aus ihr das Aufhören der Familiennamen, Hr. Arndt sieht die "Aufhebung der idealen Bilder" darin, eine Gefahr, die nicht bloß den Adel, sondern alle Stände gleich schwer treffen wird. Zum Beweis, daß die "idealen Bilder" allen Ständen gehören, erinnert Hr. Arndt daran, "wie hart, wie schwer es den Schuhmachern und Schneidern und manchen Andern gewesen, als man ihnen ihre Läden genommen und ihre Privilegien und Satzungen für abgeschafft erklärt habe" (das "Wegnehmen der Läden" war die Abschaffung der "idealen Bilder" der Zunftgenossen); er verweis't diejenigen, welche den Titel der Grafen und Barone abschaffen wollen, "in die Hütte der norwegischen Bauern, wo man die Geschlechtsregister auf Odin und Thor zurückführt" (trotzdem, daß in Norwegen durch Aufhebung des Adels alle "idealen Bilder und Erinnerungen" abgeschafft sind); er erzählt als Anekdote aus seinem eigenen Leben, wie er vor einem halben Jahre einen Amerikaner nach seinem Namen gefragt, und diesen "als einen Abkömmling des großen Grafen von Salisbury aus der Zeit Eduard I." kennen gelernt habe (was beweis't, daß auch in Amerika trotz der Abschaffung des Adels noch "heilige Gefühle für die idealen Erinnerungen" fortleben). Angenehme Ausbreitung der "Religion der idealen Bilder!"

"Diese Bilder, die jedes Haus, jeder Stand, jede Hütte in sich hat, wollen wir sie den Fürsten, den Grafen, den Freiherrn wegschneiden, wollen wir jedes Gefühl, jedes Vorurtheil wegschneiden, das wäre Unbarmherzigkeit." Und nachdem Hr. Arndt erklärt hat: "um der Ehre der deutschen Geschichte willen solle man das nicht thun," fügt er in wunderbarem Gedankengang hinzu: "Wer Geschichte gelehrt hat, in den letzten 20, 30 Jahren, weiß, was die neuen Eintheilungen der Länder für ein Ding sind, in den Schulen und Gymnasien, (wörtlich!) wie sie aus dem Mittelalter, aus allem richtigen Verständniß herausgeschnitten sind. Das sage ich gleichsam scherzweise, aber die Ehren der Namen sind seit Jahrhunderten mit unserer Geschichte verbunden, sie sind ein Glanz der Geschichte zugleich. Warum wollen wir diese Namen nicht durchgehen lassen? Dieses erinnerte mich an eine Anekdote."

Als in Frankreich bei Berufung der etats generaux ein Deputirter als adelig verlesen wurde, rief er aus: "Lassen Sie mir meinen ehrlichen Namen; meine Vorfahren waren weder Straßenräuber noch Speichellecker!" In Deutschland besteht der "Glanz der Geschichte" in den Adelsnamen: -- ehrenvolle deutsche Geschichte!

Zum Schluß erklärt der alte Geschichtslehrer, warum bei den Amerikanern, Schweizern, Norwegern u. s. w. allerdings Abschaffung des Adels und republikanische Staatsform durchgeführt werden konnte, was in Deutschland nicht angeht. "Sie sind Sachsen, Angeln und Friesen, bedächtig und ruhig, Alles was mit den Händen erfaßt werden kann, erfassend. Wie anders ist es mit den Schwaben, Thüringern, Baiern, mit den immer am Idealischen hin und herschwebenden Menschen!" Was bliebe den Deutschen, wenn man ihnen die "idealischen Bilder," die "heiligen Vorurtheile" "wegschnitte?" Die andern Völker haben sich auf der "platten Erde" entwickelt:

Franzosen und Russen gehört das Land,
Das Meer gehört den Britten,

-- was, außer dem "Luftreich des Traums" besitzen die Deutschen?

"Loben werde ich ewig die Mannigfaltigkeit, die Vielerleiheit, die Vielfältigkeit des glücklichen Volkes, welches sich das deutsche nennt; denn bei uns ist Alles, was wunderlich, idealisch, träumerisch ist, auf eine Weise ausgedrückt wie bei keinem andern europäischen Volk, so daß wir selbst zu Zeiten des Unglücks, wenn wir keinen Frieden zu Hause hatten, sagten: Glücklich, daß wir in Germanien geboren sind, wo man träumen kann für die ganze Welt, denn wir sind ein idealisches Volk, und das ist unser Glück."

"Was ist des Deutschen Vaterland?"

Die "glückliche Vielerleiheit", das Luftreich des "Wunderlichen und Träumerischen", und dies "ist unser Glück" -- im Unglück, sagt Hr. Arndt.

Beruhigende Wirkung der "idealischen Bilder"! Innige Nothwendigkeit des idealischen Adels für die -- Zeiten des Unglücks!

(Schluß folgt.)

61 Wien, Leopoldstadt, 23. Aug.

Ich eile Ihnen von hieraus zu melden, daß im Prater ein Arbeiteraufstand ausgebrochen ist, und ein Gemetzel stattgefunden hat, in Folge dessen viele geblieben sind. Die Nationalgarde, sagt man, hat Alles niedergehauen, was sich entgegenstellte. 3000 Arbeiter machten den Angriff und trieben die Sicherheitswache zurück. Die Weiber zeigten einen außerordentlichen Muth. So eben werden Todte, Verwundete und Gefangene vorüber gebracht. Die Arbeiter griffen mit Schaufeln u. s. w. an; man hat noch nicht geschossen. Die Nationalgarde soll mit kleinbürgerlicher Barbarei verfahren haben.

61 Wien, 23. Aug.

Die Bewegung hat sich gelegt, aber die Aufregung ist noch vorhanden. -- Wenn auch in der Hauptsache besiegt, -- denn es gelang nicht, das Ministerium zu stürzen, die Legion und den Sicherheitsausschuß aufzulösen, und dann dem demokratischen Reichstag auf den Leib zu rücken, der die italienische Kanonenwirthschaft nicht anerkennen wollte, -- so ist es der Kamarilla vorgestern doch gelungen, die Demokratie und ihre Institute bei den guten Bürgern anzuschwärzen, indem sie den Schmeerbäuchen durch Geschrei von republikanischem Terrorismus und dem furchtbaren Gespenst: Arbeiter-Republik! Leibschneiden verursachte. Vor diesem Gespenst ist der gute Bürger sofort bereit zu hauen, zu schießen, zu morden, trotz den Preußen in Posen, denn all sein Patriotismus hört auf bei dem Gedanken, daß ihm Jemand seinen Raub entreißen könnte.

Wie ich höre, soll die Garnison von Wien am 21. vom Kaiser eine dreitägige Gratislöhnung erhalten haben. Wozu? Ich schäme mich, Ihren Lesern ein so einfaches Rechenexempel aufzulösen.

Gegen die Abstimmung über Bewilligung der 20 Mill. fl. hat die Linke des konstituirenden Reichstags einen Protest eingelegt.

109 Wien am 23, 6 Uhr Abends.

Die Thore der Stadt sind gesperrt. Die Arbeiter haben sich in der Taborstraße verschanzt und leisten Widerstand; das barbarische Benehmen einzelner Nationalgarden und besonders der Sicherheitswache erregt allgemeine Entrüstung. Alle Läden sind geschlossen, die innere Stadt und Leopoldstadt wimmeln voll Menschen; die Arbeiter äußern überall laut ihren Unwillen. Der Generalmarsch wird geschlagen, die Nationalgarde rückt heran. Geschütz wird in der Taborstraße aufgepflanzt. Das Volk steht vor dem Spital der barmherzigen Schwestern, worin 25 Verwundete und Todte liegen. Die akademische Legion rückt aus; Alle jauchzen ihr entgegen. Auch die Nationalgarde beginnt zum Theil einzusehen, daß sie nur das Werkzeug der Kamarilla sein soll.

Die Vorstädte jenseits der Glacis sind abgesperrt. -- Kreaturen der Kamarilla haben es gewagt, das Einschreiten des Militärs zu beantragen. Ich hörte Fürsten sich ins Ohr flüstern: Jetzt gilts.

Der Reichstag hat heute Morgen das alte Rekrutirungsgesetz aufgehoben und bestimmt, daß augenblicklich ein neues entworfen und berathen werde.

9 Uhr Abends. Nach Berichten aus dem Sicherheitsausschuß. -- Um 6 Uhr waren 16 Todte, 64 Verwundete, worunter 10 Frauen, eingebracht, von denen eine mit einer Schußwunde von Fensterblei. Als die Berichterstatter ins Hospital getreten kamen, riefen die Meisten, weil sie sich anfangs in ihnen versahen: Da sind sie ja, die Mörder! -- Die Arbeiter stehen in der Brigittenau rund um von Nationalgarden umschlossen. Sämmtliche Berichte stimmen überein, daß die Nationalgarde den schändlichsten Mißbrauch von der Waffe gemacht hat und nur von der Sicherheitswache darin übertroffen worden ist. Nach dem Berichte eines Technikers entspann sich der Konflikt in der Taborau nächst dem Marienbade. Dort stand ein Piquet Munizipalgarde und nicht weit davon schwarzgelbe Bürgergrenadiere. Die Arbeiter besprachen sich über die gestrigen Vorfälle und über die Herabsetzung des Lohnes um 5 Kr. -- Mehrere wollten den Minister Schwarzer in effigie an den Galgen hängen, worauf einer seine Schaufel mit den Worten geschwungen haben soll: "Wir lassen unsere Brüder nicht morden!" Die Munizipalgarde mochte hierin eine Gefahr erblickt haben und rückte mit blanker Waffe in die Arbeiter hinein. Diese entflohen, indem sie zum Zeichen des Friedens ihre Schaufeln, Hacken u. s. w. hinwegwarfen, sich dann aber sammelten und zurückkehrten. Als die Bürgergrenadiere diese Bewegung sahen, wollten auch sie auf die Arbeiter eindringen und wurden nur durch das Abwehren des Technikers einstweilen noch abgehalten. Die Munizipalwache hatte sich indessen schon grobe Excesse erlaubt, sie hatte blind in die Leute eingehauen, viele verwundet, ja getödtet. Zu ihr hatten sich Bombardiere und Militärgrenadiere gesellt und nun kam es zu einem Krawall, an welchem sich auch die Bürgergrenadiere auf die plumpste Weise mit gefälltem Bajonett betheiligten, indem sie wehrlose Männer und Frauen durchstachen, niederhieben und selbst noch im Tode mit ordnungsfanatischem Vandalismus mißhandelten. So wurde ein Mädchen mit dem Kolben den Wall hinabgestoßen, ihm der Kopf zerschlagen und es dann von einer Munizipalwache bei den Haaren wieder heraufgezogen.

Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 88. u. 89. Köln, Mittwoch den 30. August 1848. Wegen Differenzen mit dem bisherigen Drucker, Hrn. Clouth, hat die Nr. 88 nur in einem Auszuge erscheinen können. Die mit dem Umzuge verbundenen Störungen nöthigen uns, die ausführlichen Berichte in der heutigen Nummer nachzutragen. Dagegen können wir zugleich unseren geehrten Abonnenten die Versicherung ertheilen, daß alle bisherigen Unregelmäßigkeiten in Versendung des Blattes durch die neu getroffenen Einrichtungen binnen Kurzem beseitigt sein werden.
Uebersicht.

Deutschland. Köln. (Die Debatte über die Standesvorrechte). Wien. Arbeiteraufstand. Scheidung von Proletariat und Bourgeoisie. Sieg der Bourgeoisie und des Ministeriums. Sturz des Sicherheits-Ausschusses. Der erste Preßprozeß). Frankfurt. (Empfang der Wiener Deputation). Berlin. (Vermischtes. — Vereinbarungssitzung. — Preßgesetzentwurf. — Neue Polizei-Uebergriffe. — Verhaftungen. — Abg. Meusebach). München. (Thon-Dittmer's Pläne). Reichenbach (Die 22ger). Frankenstein. (Ditto). Aus Thüringen. (Das Recht der Volksversammlung).

Ungarn. Pesth. (Kossuths Verrath).

Italien. (Volksdemonstration in Alessandria).

Franz. Republik. Blanc und Caussidière geflohen. — Scenen aus der Nachtsitzung. — Der Spectateur Républicain über Deutschland. — Blanc, Caussidière, Ledru-Rollin vor ihren Anklägern).

Großbritannien. London. (Unterhaus. — Finanzen. — Wakley über die gefangenen Chartisten. — Verlust des Ocean Monarch). Dublin. (Die Insurgenten, — Duffy. — Die Korrespondenz O'Briens durch Fälschung in Händen der Polizei).

Deutschland.
19 Köln, 28. Aug.

(Die Debatten über Standesprivilegien.

(Fortsetzung.)

Auf Hrn. Mohl, den schwäbischen Bürgerfreund, folgt in natürlicher Progression Hr. Schwetschke, der Lichtfreund aus Halle. Auf die liberalen Deklamationen über die „Werthlosigkeit des Adels“ eine christliche Betrachtung über die „Heiligkeit der Familiennamen;“ auf den klimpernden Hosentaschenbeweis für die praktische Aristokratie des Bürgerthums der Klingelbeutel frommer Sympathie für die idealen-historischen Erinnerungen des Adels.

Hr. Schwetschke erklärt sich zunächst mit dem „Prinzip“ einer „allgemeinen Standesgleichheit“ einverstanden. Soweit dieselbe nämlich als bloß platonisches „Rechtssprüchwort“ gelten soll, und nicht in die „rohe, materialistische“ Gleichheit ausartet. Die platonische, „prinzipielle“ Standesgleichheit lebt in der lichtfreundlichen „höhern Idee,“ die „rohe, materialistische“ Gleichheit sucht sich auf der platten bürgerlichen Erde geltend zu machen. Herr Schwetschke vermittelt den Gegensatz der praktischen Ungleichheit mit dem „höhern Gleichheitsprinzip,“ indem er als Amendement ein neues Rechtssprüchwort empfiehlt: „Alle Deutschen sind ohne Rücksicht auf die Führung bürgerlicher oder adeliger Familiennamen gleichen Standes.“ Alle Standesungleichheit ist zur Gleichheit erklärt.

Der ideale Lichtfreund betrachtet die praktische Forderung, den Adel aufzuheben, als ein sündhaftes Begehren nach fremdem Gut, welches zur Verwirrung, zur Anarchie, zum Nivelliren aller „natürlichen Verschiedenheit“ führt. Die Forderung, den Adel aufzuheben, sagt Hr. Schwetschke, heißt nichts Anderes, als „verlangen, daß auch zugleich die Familiennamen aufhören sollen.“

Angenehmer Scharfblick des hallischen Propheten! Die Aufhebung des Adels begründet das „Aufhören“ der Familiennamen. Ohne das Dasein der Adelstitel würde die Welt nie den Familiennamen des Hrn. Schwetschke bewundert haben, Hr. Schwetschke würde vielleicht eine Nummer tragen. Halten wir also fest an dem Adel, dessen Verschwinden uns in den Zustand der Barbarei zurückschleudert, wo die „Familiennamen aufhören,“ wo nach Art der indianischen Häuptlinge nur „persönliche Bezeichnungen“ gelten, und der edle Gagern nur „der kühne Griff“, Herr Ostendorf „das junge Huhn,“ Herr Jahn gar „die schmutzige Hand“ benamset würden!

Diese Forderung (das Aufhören der Familiennamen), erklärt Hr. Schwetschke, würde ein Eingriff in die heiligsten Beziehungen des Menschen, „in die Familienrechte“ sein. „Der Name und die daran geknüpften Erinnerungen, sind aber so heilig, daß kein Bürgerlicher und kein Adeliger von seinem angeborenen Namen auch nur das Geringste aufgeben sollte.“

Hr. Schwetschke macht, wie Friedrich Gentz, aus dem Adel eine Eigenthumsfrage. Die Namen sind „erblich, angeboren,“ und gehören also den „heiligsten Beziehungen“ des Erbrechts und Familienrechts an; ihr Aufheben ist ein Eingriff in ein unveräußerliches Eigenthum! Wie rührend ist es, den hallischen Lichtfreund von erb- und eigenthümlicher Heiligkeit träufeln zu sehen!

Diese Begriffe sind natürlich „platonisch,“ nicht „roh, materialistisch“ zu verstehen. Hat nicht der große Kriminalist Hitzig, ehe er sich taufen ließ, Itzig geheißen? Hat nicht König Friedrich Wilhelm IV. ein besonderes Gesetz über Familiennamen erlassen, worin den Juden befohlen wurde, ihren „angebornen“ patriarchalischen Benennungen „Schmuhl, Feist, Johl,“ neue christliche Familiennamen anzuhängen? Hr. Schwetschke würde dies Alles als einen „Eingriff in die Heiligkeit des Familienrechts“ dem Staatsanwalt denunziren, wenn nicht dies Eigenthum wie seine Heiligkeit ein bloßes „Rechtssprüchwort“ wäre.

„Die Beziehungen zu meiner Familie sind mir so theuer, daß ich es als eine persönliche Beleidigung betrachten würde, wenn man mir den Adel anböte. (Immer im platonischen Sinn, nicht etwa roh, materialistisch verstanden, als ob man, um mit Hrn. Schwetschke Handel zu bekommen, denselben nur als Hrn. v. Schwetschke anzureden brauchte.) Aber … wenn ich zu den Nachkommen eines Ulrich von Hutten oder Götz von Berlichingen gehörte, ich würde mir es ernstlich verbitten, wenn man mir diesen Namen schmälern wollte!“ Wo wären die „großen historischen Erinnerungen“ hingerathen, wenn die Nachkommen eines von seinen Zeitgenossen verachteten Verräthers aus den Bauernkriegen simpler „Bürger Berlichingen“ hieße?

Nachdem Hr. Schwetschke, dessen angenehm bürgerlicher Biedersinn betreff des Adelanerbietens mit dem billigen Beifall der Linken belohnt wird, noch eine Zeitlang fortgeplaudert hat, tritt er ab unter dringender Empfehlung seines Amendements, welches die wohlthätigen Folgen hat, daß nach einem solchen „Rechtssprüchwort“ kein Adeliger mehr gehindert ist, ohne Aufgeben seines Standesnamens an „stark gefärbten“ demokratischen Bestrebungen Theil zu nehmen.

Auf die Tribüne tänzelt mit Schnallenschuhen, weißen Strümpfen und einem ewig lächelnden Kindergesicht Herr Ernst Moritz Arndt aus Bonn.

„Meine Herren! Ich alter Plebejer, der ich den Streit gegen den Adel und zwar den Streit gegen die Mißbräuche mit angefangen habe, die der Adel gegen die Bauern in meiner Heimath geübt, ich sollte gleichsam nur durch mein Gemüth — denn was Anderes bewegt mich wahrlich nicht — für den Adel sprechen; aber, (wörtlich!) wie ich glaube, ist es eine alte Lehre, daß wir Alle Adam's Kinder sind.“

Unter wunderbarem Gedankengang und noch viel wunderbareren Satzkonstruktionen, unter kindlich schönen Anekdoten und Schnurren, aus denen uns der Hauch verkommener mährchenhafter Jahrhunderte lieblich anweht, erklärt der „alte Plebejer“ seine Meinung dahin, daß nur das Privilegium, welches dem Adel „gleichsam die Erde an die Füße gebunden hat,“ abgeschnitten werden solle, nicht aber die „Gewalt seiner idealen Bilder.“ Die „Gefühle der Menschen, die Vorurtheile, Alles was oben schwebt, das poetische Heiligthum der Menschheit,“ Alles dies und noch einiges mehr, sagt Herr Arndt, muß von der Versammlung „geschont“ werden.

„Ich bin von schlechtem Bauernstande, aber wenn ich ein Gütchen hätte, wo Bäume ständen, die mein Urgroßvater schon gepflanzt hätte, das wäre mir Adel.“ Welcher unerhörte Terrorismus gehörte dazu um Hrn. Arndt die „Gewalt“ dieses „idealen Bildes“ zu rauben?

Dieses „obenschwebende“ Heiligthum der „idealen Bilder“ berührt aber nicht nur den Adel, es ist das Eigenthum aller Stände. Hr. Schwetschke hat die Adelsfrage für eine allgemeine Familienrechtsfrage erklärt, Hr. Arndt macht sie zu einer allgemeinen Religionsfrage. Hr. Schwetschke folgerte aus ihr das Aufhören der Familiennamen, Hr. Arndt sieht die „Aufhebung der idealen Bilder“ darin, eine Gefahr, die nicht bloß den Adel, sondern alle Stände gleich schwer treffen wird. Zum Beweis, daß die „idealen Bilder“ allen Ständen gehören, erinnert Hr. Arndt daran, „wie hart, wie schwer es den Schuhmachern und Schneidern und manchen Andern gewesen, als man ihnen ihre Läden genommen und ihre Privilegien und Satzungen für abgeschafft erklärt habe“ (das „Wegnehmen der Läden“ war die Abschaffung der „idealen Bilder“ der Zunftgenossen); er verweis't diejenigen, welche den Titel der Grafen und Barone abschaffen wollen, „in die Hütte der norwegischen Bauern, wo man die Geschlechtsregister auf Odin und Thor zurückführt“ (trotzdem, daß in Norwegen durch Aufhebung des Adels alle „idealen Bilder und Erinnerungen“ abgeschafft sind); er erzählt als Anekdote aus seinem eigenen Leben, wie er vor einem halben Jahre einen Amerikaner nach seinem Namen gefragt, und diesen „als einen Abkömmling des großen Grafen von Salisbury aus der Zeit Eduard I.“ kennen gelernt habe (was beweis't, daß auch in Amerika trotz der Abschaffung des Adels noch „heilige Gefühle für die idealen Erinnerungen“ fortleben). Angenehme Ausbreitung der „Religion der idealen Bilder!“

„Diese Bilder, die jedes Haus, jeder Stand, jede Hütte in sich hat, wollen wir sie den Fürsten, den Grafen, den Freiherrn wegschneiden, wollen wir jedes Gefühl, jedes Vorurtheil wegschneiden, das wäre Unbarmherzigkeit.“ Und nachdem Hr. Arndt erklärt hat: „um der Ehre der deutschen Geschichte willen solle man das nicht thun,“ fügt er in wunderbarem Gedankengang hinzu: „Wer Geschichte gelehrt hat, in den letzten 20, 30 Jahren, weiß, was die neuen Eintheilungen der Länder für ein Ding sind, in den Schulen und Gymnasien, (wörtlich!) wie sie aus dem Mittelalter, aus allem richtigen Verständniß herausgeschnitten sind. Das sage ich gleichsam scherzweise, aber die Ehren der Namen sind seit Jahrhunderten mit unserer Geschichte verbunden, sie sind ein Glanz der Geschichte zugleich. Warum wollen wir diese Namen nicht durchgehen lassen? Dieses erinnerte mich an eine Anekdote.“

Als in Frankreich bei Berufung der états généraux ein Deputirter als adelig verlesen wurde, rief er aus: „Lassen Sie mir meinen ehrlichen Namen; meine Vorfahren waren weder Straßenräuber noch Speichellecker!“ In Deutschland besteht der „Glanz der Geschichte“ in den Adelsnamen: — ehrenvolle deutsche Geschichte!

Zum Schluß erklärt der alte Geschichtslehrer, warum bei den Amerikanern, Schweizern, Norwegern u. s. w. allerdings Abschaffung des Adels und republikanische Staatsform durchgeführt werden konnte, was in Deutschland nicht angeht. „Sie sind Sachsen, Angeln und Friesen, bedächtig und ruhig, Alles was mit den Händen erfaßt werden kann, erfassend. Wie anders ist es mit den Schwaben, Thüringern, Baiern, mit den immer am Idealischen hin und herschwebenden Menschen!“ Was bliebe den Deutschen, wenn man ihnen die „idealischen Bilder,“ die „heiligen Vorurtheile“ „wegschnitte?“ Die andern Völker haben sich auf der „platten Erde“ entwickelt:

Franzosen und Russen gehört das Land,
Das Meer gehört den Britten,

— was, außer dem „Luftreich des Traums“ besitzen die Deutschen?

Loben werde ich ewig die Mannigfaltigkeit, die Vielerleiheit, die Vielfältigkeit des glücklichen Volkes, welches sich das deutsche nennt; denn bei uns ist Alles, was wunderlich, idealisch, träumerisch ist, auf eine Weise ausgedrückt wie bei keinem andern europäischen Volk, so daß wir selbst zu Zeiten des Unglücks, wenn wir keinen Frieden zu Hause hatten, sagten: Glücklich, daß wir in Germanien geboren sind, wo man träumen kann für die ganze Welt, denn wir sind ein idealisches Volk, und das ist unser Glück.“

„Was ist des Deutschen Vaterland?“

Die „glückliche Vielerleiheit“, das Luftreich des „Wunderlichen und Träumerischen“, und dies „ist unser Glück“ — im Unglück, sagt Hr. Arndt.

Beruhigende Wirkung der „idealischen Bilder“! Innige Nothwendigkeit des idealischen Adels für die — Zeiten des Unglücks!

(Schluß folgt.)

61 Wien, Leopoldstadt, 23. Aug.

Ich eile Ihnen von hieraus zu melden, daß im Prater ein Arbeiteraufstand ausgebrochen ist, und ein Gemetzel stattgefunden hat, in Folge dessen viele geblieben sind. Die Nationalgarde, sagt man, hat Alles niedergehauen, was sich entgegenstellte. 3000 Arbeiter machten den Angriff und trieben die Sicherheitswache zurück. Die Weiber zeigten einen außerordentlichen Muth. So eben werden Todte, Verwundete und Gefangene vorüber gebracht. Die Arbeiter griffen mit Schaufeln u. s. w. an; man hat noch nicht geschossen. Die Nationalgarde soll mit kleinbürgerlicher Barbarei verfahren haben.

61 Wien, 23. Aug.

Die Bewegung hat sich gelegt, aber die Aufregung ist noch vorhanden. — Wenn auch in der Hauptsache besiegt, — denn es gelang nicht, das Ministerium zu stürzen, die Legion und den Sicherheitsausschuß aufzulösen, und dann dem demokratischen Reichstag auf den Leib zu rücken, der die italienische Kanonenwirthschaft nicht anerkennen wollte, — so ist es der Kamarilla vorgestern doch gelungen, die Demokratie und ihre Institute bei den guten Bürgern anzuschwärzen, indem sie den Schmeerbäuchen durch Geschrei von republikanischem Terrorismus und dem furchtbaren Gespenst: Arbeiter-Republik! Leibschneiden verursachte. Vor diesem Gespenst ist der gute Bürger sofort bereit zu hauen, zu schießen, zu morden, trotz den Preußen in Posen, denn all sein Patriotismus hört auf bei dem Gedanken, daß ihm Jemand seinen Raub entreißen könnte.

Wie ich höre, soll die Garnison von Wien am 21. vom Kaiser eine dreitägige Gratislöhnung erhalten haben. Wozu? Ich schäme mich, Ihren Lesern ein so einfaches Rechenexempel aufzulösen.

Gegen die Abstimmung über Bewilligung der 20 Mill. fl. hat die Linke des konstituirenden Reichstags einen Protest eingelegt.

109 Wien am 23, 6 Uhr Abends.

Die Thore der Stadt sind gesperrt. Die Arbeiter haben sich in der Taborstraße verschanzt und leisten Widerstand; das barbarische Benehmen einzelner Nationalgarden und besonders der Sicherheitswache erregt allgemeine Entrüstung. Alle Läden sind geschlossen, die innere Stadt und Leopoldstadt wimmeln voll Menschen; die Arbeiter äußern überall laut ihren Unwillen. Der Generalmarsch wird geschlagen, die Nationalgarde rückt heran. Geschütz wird in der Taborstraße aufgepflanzt. Das Volk steht vor dem Spital der barmherzigen Schwestern, worin 25 Verwundete und Todte liegen. Die akademische Legion rückt aus; Alle jauchzen ihr entgegen. Auch die Nationalgarde beginnt zum Theil einzusehen, daß sie nur das Werkzeug der Kamarilla sein soll.

Die Vorstädte jenseits der Glacis sind abgesperrt. — Kreaturen der Kamarilla haben es gewagt, das Einschreiten des Militärs zu beantragen. Ich hörte Fürsten sich ins Ohr flüstern: Jetzt gilts.

Der Reichstag hat heute Morgen das alte Rekrutirungsgesetz aufgehoben und bestimmt, daß augenblicklich ein neues entworfen und berathen werde.

9 Uhr Abends. Nach Berichten aus dem Sicherheitsausschuß. — Um 6 Uhr waren 16 Todte, 64 Verwundete, worunter 10 Frauen, eingebracht, von denen eine mit einer Schußwunde von Fensterblei. Als die Berichterstatter ins Hospital getreten kamen, riefen die Meisten, weil sie sich anfangs in ihnen versahen: Da sind sie ja, die Mörder! — Die Arbeiter stehen in der Brigittenau rund um von Nationalgarden umschlossen. Sämmtliche Berichte stimmen überein, daß die Nationalgarde den schändlichsten Mißbrauch von der Waffe gemacht hat und nur von der Sicherheitswache darin übertroffen worden ist. Nach dem Berichte eines Technikers entspann sich der Konflikt in der Taborau nächst dem Marienbade. Dort stand ein Piquet Munizipalgarde und nicht weit davon schwarzgelbe Bürgergrenadiere. Die Arbeiter besprachen sich über die gestrigen Vorfälle und über die Herabsetzung des Lohnes um 5 Kr. — Mehrere wollten den Minister Schwarzer in effigie an den Galgen hängen, worauf einer seine Schaufel mit den Worten geschwungen haben soll: „Wir lassen unsere Brüder nicht morden!“ Die Munizipalgarde mochte hierin eine Gefahr erblickt haben und rückte mit blanker Waffe in die Arbeiter hinein. Diese entflohen, indem sie zum Zeichen des Friedens ihre Schaufeln, Hacken u. s. w. hinwegwarfen, sich dann aber sammelten und zurückkehrten. Als die Bürgergrenadiere diese Bewegung sahen, wollten auch sie auf die Arbeiter eindringen und wurden nur durch das Abwehren des Technikers einstweilen noch abgehalten. Die Munizipalwache hatte sich indessen schon grobe Excesse erlaubt, sie hatte blind in die Leute eingehauen, viele verwundet, ja getödtet. Zu ihr hatten sich Bombardiere und Militärgrenadiere gesellt und nun kam es zu einem Krawall, an welchem sich auch die Bürgergrenadiere auf die plumpste Weise mit gefälltem Bajonett betheiligten, indem sie wehrlose Männer und Frauen durchstachen, niederhieben und selbst noch im Tode mit ordnungsfanatischem Vandalismus mißhandelten. So wurde ein Mädchen mit dem Kolben den Wall hinabgestoßen, ihm der Kopf zerschlagen und es dann von einer Munizipalwache bei den Haaren wieder heraufgezogen.

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      <titlePage type="heading">
        <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung</titlePart>
        <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart>
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          <docDate>No 88. u. 89. Köln, Mittwoch den 30. August 1848. Wegen Differenzen mit dem bisherigen Drucker, Hrn. Clouth, hat die Nr. 88 nur in einem Auszuge erscheinen können. Die mit dem Umzuge verbundenen Störungen nöthigen uns, die ausführlichen Berichte in der heutigen Nummer nachzutragen. Dagegen können wir zugleich unseren geehrten Abonnenten die Versicherung ertheilen, daß alle bisherigen Unregelmäßigkeiten in Versendung des Blattes durch die neu getroffenen Einrichtungen binnen Kurzem beseitigt sein werden.</docDate>
        </docImprint>
      </titlePage>
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        <head>Uebersicht.</head>
        <p><hi rendition="#g">Deutschland</hi>. Köln. (Die Debatte über die                     Standesvorrechte). Wien. Arbeiteraufstand. Scheidung von Proletariat und                     Bourgeoisie. Sieg der Bourgeoisie und des Ministeriums. Sturz des                     Sicherheits-Ausschusses. Der erste Preßprozeß). Frankfurt. (Empfang der Wiener                     Deputation). Berlin. (Vermischtes. &#x2014; Vereinbarungssitzung. &#x2014; Preßgesetzentwurf.                     &#x2014; Neue Polizei-Uebergriffe. &#x2014; Verhaftungen. &#x2014; Abg. Meusebach). München.                     (Thon-Dittmer's Pläne). Reichenbach (Die 22ger). Frankenstein. (Ditto). Aus                     Thüringen. (Das Recht der Volksversammlung).</p>
        <p><hi rendition="#g">Ungarn</hi>. Pesth. (Kossuths Verrath).</p>
        <p><hi rendition="#g">Italien</hi>. (Volksdemonstration in Alessandria).</p>
        <p><hi rendition="#g">Franz. Republik</hi>. Blanc und Caussidière geflohen. &#x2014; Scenen                     aus der Nachtsitzung. &#x2014; Der Spectateur Républicain über Deutschland. &#x2014; Blanc,                     Caussidière, Ledru-Rollin vor ihren Anklägern).</p>
        <p><hi rendition="#g">Großbritannien</hi>. London. (Unterhaus. &#x2014; Finanzen. &#x2014; Wakley                     über die gefangenen Chartisten. &#x2014; Verlust des Ocean Monarch). Dublin. (Die                     Insurgenten, &#x2014; Duffy. &#x2014; Die Korrespondenz O'Briens durch Fälschung in Händen der                     Polizei).</p>
      </div>
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        <head>Deutschland.</head>
        <div xml:id="ar088-089_001" type="jArticle">
          <head><bibl><author>19</author></bibl> Köln, 28. Aug.</head>
          <p>(<hi rendition="#g">Die Debatten über Standesprivilegien</hi>.</p>
          <p>
            <ref type="link">(Fortsetzung.)</ref>
          </p>
          <p>Auf Hrn. Mohl, den schwäbischen Bürgerfreund, folgt in natürlicher                         Progression Hr. Schwetschke, der Lichtfreund aus Halle. Auf die liberalen                         Deklamationen über die &#x201E;<hi rendition="#g">Werth</hi>losigkeit des Adels&#x201C;                         eine christliche Betrachtung über die &#x201E;Heiligkeit der Familiennamen;&#x201C; auf                         den klimpernden Hosentaschenbeweis für die praktische Aristokratie des                         Bürgerthums der Klingelbeutel frommer Sympathie für die idealen-historischen                         Erinnerungen des Adels.</p>
          <p>Hr. Schwetschke erklärt sich zunächst mit dem &#x201E;Prinzip&#x201C; einer &#x201E;allgemeinen                         Standesgleichheit&#x201C; einverstanden. Soweit dieselbe nämlich als bloß                         platonisches &#x201E;Rechtssprüchwort&#x201C; gelten soll, und nicht in die &#x201E;rohe,                         materialistische&#x201C; Gleichheit ausartet. Die platonische, &#x201E;prinzipielle&#x201C;                         Standesgleichheit lebt in der lichtfreundlichen &#x201E;höhern Idee,&#x201C; die &#x201E;rohe,                         materialistische&#x201C; Gleichheit sucht sich auf der platten bürgerlichen Erde                         geltend zu machen. Herr Schwetschke vermittelt den Gegensatz der praktischen                         Ungleichheit mit dem &#x201E;höhern Gleichheitsprinzip,&#x201C; indem er als Amendement                         ein neues Rechtssprüchwort empfiehlt: &#x201E;Alle Deutschen sind ohne Rücksicht                         auf die Führung bürgerlicher oder adeliger Familiennamen <hi rendition="#g">gleichen Standes</hi>.&#x201C; Alle Standesungleichheit ist zur Gleichheit                         erklärt.</p>
          <p>Der ideale Lichtfreund betrachtet die praktische Forderung, den Adel                         aufzuheben, als ein sündhaftes Begehren nach fremdem Gut, welches zur                         Verwirrung, zur Anarchie, zum Nivelliren aller &#x201E;natürlichen Verschiedenheit&#x201C;                         führt. Die Forderung, den Adel aufzuheben, sagt Hr. Schwetschke, heißt                         nichts Anderes, als &#x201E;<hi rendition="#g">verlangen, daß auch zugleich die                             Familiennamen aufhören sollen</hi>.&#x201C;</p>
          <p>Angenehmer Scharfblick des hallischen Propheten! Die Aufhebung des Adels                         begründet das &#x201E;<hi rendition="#g">Aufhören</hi>&#x201C; der Familiennamen. Ohne das                         Dasein der Adelstitel würde die Welt nie den Familiennamen des Hrn.                         Schwetschke bewundert haben, Hr. Schwetschke würde vielleicht eine Nummer                         tragen. Halten wir also fest an dem Adel, dessen Verschwinden uns in den                         Zustand der Barbarei zurückschleudert, wo die &#x201E;Familiennamen aufhören,&#x201C; wo                         nach Art der indianischen Häuptlinge nur &#x201E;persönliche Bezeichnungen&#x201C; gelten,                         und der edle Gagern nur &#x201E;der kühne Griff&#x201C;, Herr Ostendorf &#x201E;das junge Huhn,&#x201C;                         Herr Jahn gar &#x201E;die schmutzige Hand&#x201C; benamset würden!</p>
          <p>Diese Forderung (das Aufhören der Familiennamen), erklärt Hr. Schwetschke,                         würde ein Eingriff in die <hi rendition="#g">heiligsten</hi> Beziehungen des                         Menschen, &#x201E;in die Familienrechte&#x201C; sein. &#x201E;Der Name und die daran geknüpften                         Erinnerungen, sind aber so <hi rendition="#g">heilig,</hi> daß kein                         Bürgerlicher und kein Adeliger von seinem <hi rendition="#g">angeborenen</hi> Namen auch nur das Geringste aufgeben sollte.&#x201C;</p>
          <p>Hr. Schwetschke macht, wie Friedrich Gentz, aus dem Adel eine                         Eigenthumsfrage. Die Namen sind &#x201E;erblich, <hi rendition="#g">angeboren,</hi>&#x201C; und gehören also den &#x201E;heiligsten Beziehungen&#x201C; des                         Erbrechts und Familienrechts an; ihr Aufheben ist ein Eingriff in ein                         unveräußerliches Eigenthum! Wie rührend ist es, den hallischen Lichtfreund                         von erb- und eigenthümlicher Heiligkeit träufeln zu sehen!</p>
          <p>Diese Begriffe sind natürlich &#x201E;platonisch,&#x201C; nicht &#x201E;roh, materialistisch&#x201C; zu                         verstehen. Hat nicht der große Kriminalist Hitzig, ehe er sich taufen ließ,                         Itzig geheißen? Hat nicht König Friedrich Wilhelm IV. ein besonderes Gesetz                         über Familiennamen erlassen, worin den Juden befohlen wurde, ihren &#x201E;<hi rendition="#g">angebornen</hi>&#x201C; patriarchalischen Benennungen &#x201E;Schmuhl,                         Feist, Johl,&#x201C; neue christliche Familiennamen anzuhängen? Hr. Schwetschke                         würde dies Alles als einen &#x201E;Eingriff in die Heiligkeit des Familienrechts&#x201C;                         dem Staatsanwalt denunziren, wenn nicht dies Eigenthum wie seine Heiligkeit                         ein bloßes &#x201E;Rechtssprüchwort&#x201C; wäre.</p>
          <p>&#x201E;Die Beziehungen zu meiner Familie sind mir so theuer, daß ich es als eine                         persönliche Beleidigung betrachten würde, wenn man mir den Adel anböte.                         (Immer im platonischen Sinn, nicht etwa roh, materialistisch verstanden, als                         ob man, um mit Hrn. Schwetschke Handel zu bekommen, denselben nur als Hrn.                         v. Schwetschke anzureden brauchte.) Aber &#x2026; wenn ich zu den Nachkommen eines                         Ulrich von Hutten oder Götz von Berlichingen gehörte, ich würde mir es                         ernstlich verbitten, wenn man mir diesen Namen schmälern wollte!&#x201C; Wo wären                         die &#x201E;großen historischen Erinnerungen&#x201C; hingerathen, wenn die Nachkommen                         eines von seinen Zeitgenossen verachteten Verräthers aus den Bauernkriegen                         simpler &#x201E;Bürger Berlichingen&#x201C; hieße?</p>
          <p>Nachdem Hr. Schwetschke, dessen angenehm bürgerlicher Biedersinn betreff des                         Adelanerbietens mit dem billigen Beifall der Linken belohnt wird, noch eine                         Zeitlang fortgeplaudert hat, tritt er ab unter dringender Empfehlung seines                         Amendements, welches die wohlthätigen Folgen hat, daß nach einem solchen                         &#x201E;Rechtssprüchwort&#x201C; kein Adeliger mehr gehindert ist, ohne Aufgeben seines                         Standesnamens an &#x201E;stark gefärbten&#x201C; demokratischen Bestrebungen Theil zu                         nehmen.</p>
          <p>Auf die Tribüne tänzelt mit Schnallenschuhen, weißen Strümpfen und einem ewig                         lächelnden Kindergesicht Herr Ernst Moritz Arndt aus Bonn.</p>
          <p>&#x201E;Meine Herren! Ich alter Plebejer, der ich den Streit gegen den Adel und zwar                         den Streit gegen die Mißbräuche mit angefangen habe, die der Adel gegen die                         Bauern in meiner Heimath geübt, ich sollte gleichsam <hi rendition="#g">nur                             durch mein Gemüth</hi> &#x2014; denn was Anderes bewegt mich wahrlich nicht &#x2014;                         für den Adel sprechen; <hi rendition="#g">aber,</hi> (wörtlich!) wie ich                         glaube, ist es eine alte Lehre, daß wir Alle Adam's Kinder sind.&#x201C;</p>
          <p>Unter wunderbarem Gedankengang und noch viel wunderbareren                         Satzkonstruktionen, unter kindlich schönen Anekdoten und Schnurren, aus                         denen uns der Hauch verkommener mährchenhafter Jahrhunderte lieblich anweht,                         erklärt der &#x201E;alte Plebejer&#x201C; seine Meinung dahin, daß nur das Privilegium,                         welches dem Adel &#x201E;gleichsam die Erde an die Füße gebunden hat,&#x201C;                         abgeschnitten werden solle, nicht aber die &#x201E;Gewalt seiner idealen Bilder.&#x201C;                         Die &#x201E;Gefühle der Menschen, die <hi rendition="#g">Vorurtheile</hi>, Alles                         was <hi rendition="#g">oben schwebt,</hi> das poetische Heiligthum der                         Menschheit,&#x201C; Alles dies und noch einiges mehr, sagt Herr Arndt, muß von der                         Versammlung &#x201E;<hi rendition="#g">geschont</hi>&#x201C; werden.</p>
          <p>&#x201E;Ich bin von <hi rendition="#g">schlechtem</hi> Bauernstande, aber wenn ich                         ein Gütchen hätte, wo Bäume ständen, die mein Urgroßvater schon gepflanzt                         hätte, das wäre mir Adel.&#x201C; Welcher unerhörte Terrorismus gehörte dazu um                         Hrn. Arndt die &#x201E;Gewalt&#x201C; dieses &#x201E;idealen Bildes&#x201C; zu rauben?</p>
          <p>Dieses &#x201E;obenschwebende&#x201C; Heiligthum der &#x201E;idealen Bilder&#x201C; berührt aber nicht                         nur den Adel, es ist das Eigenthum aller Stände. Hr. Schwetschke hat die                         Adelsfrage für eine allgemeine Familienrechtsfrage erklärt, Hr. Arndt macht                         sie zu einer allgemeinen Religionsfrage. Hr. Schwetschke folgerte aus ihr                         das Aufhören der Familiennamen, Hr. Arndt sieht die &#x201E;Aufhebung der idealen                         Bilder&#x201C; darin, eine Gefahr, die nicht bloß den Adel, sondern alle Stände                         gleich schwer treffen wird. Zum Beweis, daß die &#x201E;idealen Bilder&#x201C; allen                         Ständen gehören, erinnert Hr. Arndt daran, &#x201E;wie hart, wie schwer es den                         Schuhmachern und Schneidern und manchen Andern gewesen, als man ihnen ihre                         Läden genommen und ihre Privilegien und Satzungen für abgeschafft erklärt                         habe&#x201C; (das &#x201E;Wegnehmen der Läden&#x201C; war die Abschaffung der &#x201E;idealen Bilder&#x201C;                         der Zunftgenossen); er verweis't diejenigen, welche den Titel der Grafen und                         Barone abschaffen wollen, &#x201E;in die Hütte der norwegischen Bauern, wo man die                         Geschlechtsregister auf Odin und Thor zurückführt&#x201C; (trotzdem, daß in                         Norwegen durch Aufhebung des Adels alle &#x201E;idealen Bilder und Erinnerungen&#x201C; <hi rendition="#g">abgeschafft</hi> sind); er erzählt als Anekdote aus                         seinem eigenen Leben, wie er vor einem halben Jahre einen Amerikaner nach                         seinem Namen gefragt, und diesen &#x201E;als einen Abkömmling des großen Grafen von                         Salisbury aus der Zeit Eduard I.&#x201C; kennen gelernt habe (was beweis't, daß                         auch in Amerika trotz der Abschaffung des Adels noch &#x201E;heilige Gefühle für                         die idealen Erinnerungen&#x201C; fortleben). Angenehme Ausbreitung der &#x201E;Religion                         der idealen Bilder!&#x201C;</p>
          <p>&#x201E;Diese Bilder, die jedes Haus, jeder Stand, jede Hütte in <hi rendition="#g">sich</hi> hat, wollen wir sie den Fürsten, den Grafen, den Freiherrn                         wegschneiden, wollen wir jedes Gefühl, jedes <hi rendition="#g">Vorurtheil</hi> wegschneiden, das wäre Unbarmherzigkeit.&#x201C; Und nachdem                         Hr. Arndt erklärt hat: &#x201E;um der Ehre der deutschen Geschichte willen solle                         man das nicht thun,&#x201C; fügt er in wunderbarem Gedankengang hinzu: &#x201E;Wer                         Geschichte gelehrt hat, in den letzten 20, 30 Jahren, weiß, was die neuen <hi rendition="#g">Eintheilungen der Länder</hi> für ein Ding sind, in                         den Schulen und Gymnasien, (wörtlich!) wie sie aus dem Mittelalter, aus                         allem richtigen Verständniß herausgeschnitten sind. Das sage ich gleichsam <hi rendition="#g">scherzweise,</hi> aber die Ehren der Namen sind seit                         Jahrhunderten mit unserer Geschichte verbunden, sie sind ein Glanz der                         Geschichte zugleich. Warum wollen wir diese Namen nicht <hi rendition="#g">durchgehen</hi> lassen? <hi rendition="#g">Dieses</hi> erinnerte mich                         an eine Anekdote.&#x201C;</p>
          <p>Als in Frankreich bei Berufung der états généraux ein Deputirter als adelig                         verlesen wurde, rief er aus: &#x201E;Lassen Sie mir meinen ehrlichen Namen; meine                         Vorfahren waren weder Straßenräuber noch Speichellecker!&#x201C; In Deutschland                         besteht der &#x201E;Glanz der Geschichte&#x201C; in den Adelsnamen: &#x2014; ehrenvolle deutsche                         Geschichte!</p>
          <p>Zum Schluß erklärt der alte Geschichtslehrer, warum bei den Amerikanern,                         Schweizern, Norwegern u. s. w. allerdings Abschaffung des Adels und                         republikanische Staatsform durchgeführt werden konnte, was in Deutschland                         nicht angeht. &#x201E;Sie sind Sachsen, Angeln und Friesen, bedächtig und ruhig,                         Alles was <hi rendition="#g">mit den Händen</hi> erfaßt werden kann,                         erfassend. Wie anders ist es mit den Schwaben, Thüringern, Baiern, mit den                         immer am <hi rendition="#g">Idealischen hin und herschwebenden</hi> Menschen!&#x201C; Was bliebe den Deutschen, wenn man ihnen die &#x201E;idealischen                         Bilder,&#x201C; die &#x201E;heiligen Vorurtheile&#x201C; &#x201E;<hi rendition="#g">wegschnitte</hi>?&#x201C;                         Die andern Völker haben sich auf der &#x201E;platten Erde&#x201C; entwickelt:</p>
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            <l>Franzosen und Russen gehört das Land,</l><lb/>
            <l>Das Meer gehört                         den Britten,</l><lb/>
          </lg>
          <p>&#x2014; was, außer dem &#x201E;Luftreich des Traums&#x201C; besitzen die Deutschen?</p>
          <p>&#x201E;<hi rendition="#g">Loben</hi> werde ich <hi rendition="#g">ewig</hi> die                         Mannigfaltigkeit, die <hi rendition="#b">Vielerleiheit,</hi> die                         Vielfältigkeit des glücklichen Volkes, welches sich das deutsche nennt; denn                         bei uns ist Alles, was <hi rendition="#g">wunderlich, idealisch,                             träumerisch</hi> ist, auf eine Weise ausgedrückt wie bei keinem andern                         europäischen Volk, so daß wir selbst zu Zeiten des Unglücks, wenn wir keinen                         Frieden zu Hause hatten, sagten: Glücklich, daß wir in Germanien geboren                         sind, wo man träumen kann für die ganze Welt, denn wir sind <hi rendition="#g">ein idealisches Volk</hi>, und das ist unser Glück.&#x201C;</p>
          <p>&#x201E;Was ist des Deutschen Vaterland?&#x201C;</p>
          <p>Die &#x201E;glückliche Vielerleiheit&#x201C;, das Luftreich des &#x201E;Wunderlichen und                         Träumerischen&#x201C;, und dies &#x201E;ist unser Glück&#x201C; &#x2014; im Unglück, sagt Hr. Arndt.</p>
          <p>Beruhigende Wirkung der &#x201E;idealischen Bilder&#x201C;! Innige Nothwendigkeit des                         idealischen Adels für die &#x2014; Zeiten des Unglücks!</p>
          <p>
            <ref type="link">(Schluß folgt.)</ref>
          </p>
        </div>
        <div xml:id="ar088-089_002" type="jArticle">
          <head><bibl><author>61</author></bibl> Wien, Leopoldstadt, 23. Aug.</head>
          <p>Ich eile Ihnen von hieraus zu melden, daß im Prater ein Arbeiteraufstand                         ausgebrochen ist, und ein Gemetzel stattgefunden hat, in Folge dessen viele                         geblieben sind. Die Nationalgarde, sagt man, hat Alles niedergehauen, was                         sich entgegenstellte. 3000 Arbeiter machten den Angriff und trieben die                         Sicherheitswache zurück. Die Weiber zeigten einen außerordentlichen Muth. So                         eben werden Todte, Verwundete und Gefangene vorüber gebracht. Die Arbeiter                         griffen mit Schaufeln u. s. w. an; man hat noch nicht geschossen. Die                         Nationalgarde soll mit kleinbürgerlicher Barbarei verfahren haben.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar088-089_003" type="jArticle">
          <head><bibl><author>61</author></bibl> Wien, 23. Aug.</head>
          <p>Die Bewegung hat sich gelegt, aber die Aufregung ist noch vorhanden. &#x2014; Wenn                         auch in der Hauptsache besiegt, &#x2014; denn es gelang nicht, das Ministerium zu                         stürzen, die Legion und den Sicherheitsausschuß aufzulösen, und dann dem                         demokratischen Reichstag auf den Leib zu rücken, der die italienische                         Kanonenwirthschaft nicht anerkennen wollte, &#x2014; so ist es der Kamarilla                         vorgestern doch gelungen, die Demokratie und ihre Institute bei den guten                         Bürgern anzuschwärzen, indem sie den Schmeerbäuchen durch Geschrei von <hi rendition="#g">republikanischem Terrorismus</hi> und dem furchtbaren                         Gespenst: <hi rendition="#g">Arbeiter-Republik</hi>! Leibschneiden                         verursachte. Vor diesem Gespenst ist der gute Bürger sofort bereit zu hauen,                         zu schießen, zu morden, trotz den Preußen in Posen, denn all sein                         Patriotismus hört auf bei dem Gedanken, daß ihm Jemand seinen Raub entreißen                         könnte.</p>
          <p>Wie ich höre, soll die Garnison von Wien am 21. vom Kaiser eine dreitägige                         Gratislöhnung erhalten haben. Wozu? Ich schäme mich, Ihren Lesern ein so                         einfaches Rechenexempel aufzulösen.</p>
          <p>Gegen die Abstimmung über Bewilligung der 20 Mill. fl. hat die Linke des                         konstituirenden Reichstags einen Protest eingelegt.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar088-089_004" type="jArticle">
          <head><bibl><author>109</author></bibl> Wien am 23, 6 Uhr Abends.</head>
          <p>Die Thore der Stadt sind gesperrt. Die Arbeiter haben sich in der Taborstraße                         verschanzt und leisten Widerstand; das barbarische Benehmen einzelner                         Nationalgarden und besonders der Sicherheitswache erregt allgemeine                         Entrüstung. Alle Läden sind geschlossen, die innere Stadt und Leopoldstadt                         wimmeln voll Menschen; die Arbeiter äußern überall laut ihren Unwillen. Der                         Generalmarsch wird geschlagen, die Nationalgarde rückt heran. Geschütz wird                         in der Taborstraße aufgepflanzt. Das Volk steht vor dem Spital der                         barmherzigen Schwestern, worin 25 Verwundete und Todte liegen. Die                         akademische Legion rückt aus; Alle jauchzen ihr entgegen. Auch die                         Nationalgarde beginnt zum Theil einzusehen, daß sie nur das Werkzeug der                         Kamarilla sein soll.</p>
          <p>Die Vorstädte jenseits der Glacis sind abgesperrt. &#x2014; Kreaturen der Kamarilla                         haben es gewagt, das Einschreiten des Militärs zu beantragen. Ich hörte                         Fürsten sich ins Ohr flüstern: Jetzt gilts.</p>
          <p>Der Reichstag hat heute Morgen das alte Rekrutirungsgesetz aufgehoben und                         bestimmt, daß augenblicklich ein neues entworfen und berathen werde.</p>
          <p><hi rendition="#g">9 Uhr Abends</hi>. Nach Berichten aus dem                         Sicherheitsausschuß. &#x2014; Um 6 Uhr waren 16 Todte, 64 Verwundete, worunter 10                         Frauen, eingebracht, von denen eine mit einer Schußwunde von Fensterblei.                         Als die Berichterstatter ins Hospital getreten kamen, riefen die Meisten,                         weil sie sich anfangs in ihnen versahen: Da sind sie ja, die Mörder! &#x2014; Die                         Arbeiter stehen in der Brigittenau rund um von Nationalgarden umschlossen.                         Sämmtliche Berichte stimmen überein, daß die Nationalgarde den                         schändlichsten Mißbrauch von der Waffe gemacht hat und nur von der                         Sicherheitswache darin übertroffen worden ist. Nach dem Berichte eines                         Technikers entspann sich der Konflikt in der Taborau nächst dem Marienbade.                         Dort stand ein Piquet Munizipalgarde und nicht weit davon schwarzgelbe                         Bürgergrenadiere. Die Arbeiter besprachen sich über die gestrigen Vorfälle                         und über die Herabsetzung des Lohnes um 5 Kr. &#x2014; Mehrere wollten den Minister                         Schwarzer in effigie an den Galgen hängen, worauf einer seine Schaufel mit                         den Worten geschwungen haben soll: &#x201E;Wir lassen unsere Brüder nicht morden!&#x201C;                         Die Munizipalgarde mochte hierin eine Gefahr erblickt haben und rückte mit                         blanker Waffe in die Arbeiter hinein. Diese entflohen, indem sie zum Zeichen                         des Friedens ihre Schaufeln, Hacken u. s. w. hinwegwarfen, sich dann aber                         sammelten und zurückkehrten. Als die Bürgergrenadiere diese Bewegung sahen,                         wollten auch sie auf die Arbeiter eindringen und wurden nur durch das                         Abwehren des Technikers einstweilen noch abgehalten. Die Munizipalwache                         hatte sich indessen schon grobe Excesse erlaubt, sie hatte blind in die                         Leute eingehauen, viele verwundet, ja getödtet. Zu ihr hatten sich                         Bombardiere und Militärgrenadiere gesellt und nun kam es zu einem Krawall,                         an welchem sich auch die Bürgergrenadiere auf die plumpste Weise mit                         gefälltem Bajonett betheiligten, indem sie wehrlose Männer und Frauen                         durchstachen, niederhieben und selbst noch im Tode mit ordnungsfanatischem                         Vandalismus mißhandelten. So wurde ein Mädchen mit dem Kolben den Wall                         hinabgestoßen, ihm der Kopf zerschlagen und es dann von einer Munizipalwache                         bei den Haaren wieder heraufgezogen.
</p>
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</TEI>
[0451/0001] Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 88. u. 89. Köln, Mittwoch den 30. August 1848. Wegen Differenzen mit dem bisherigen Drucker, Hrn. Clouth, hat die Nr. 88 nur in einem Auszuge erscheinen können. Die mit dem Umzuge verbundenen Störungen nöthigen uns, die ausführlichen Berichte in der heutigen Nummer nachzutragen. Dagegen können wir zugleich unseren geehrten Abonnenten die Versicherung ertheilen, daß alle bisherigen Unregelmäßigkeiten in Versendung des Blattes durch die neu getroffenen Einrichtungen binnen Kurzem beseitigt sein werden. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Die Debatte über die Standesvorrechte). Wien. Arbeiteraufstand. Scheidung von Proletariat und Bourgeoisie. Sieg der Bourgeoisie und des Ministeriums. Sturz des Sicherheits-Ausschusses. Der erste Preßprozeß). Frankfurt. (Empfang der Wiener Deputation). Berlin. (Vermischtes. — Vereinbarungssitzung. — Preßgesetzentwurf. — Neue Polizei-Uebergriffe. — Verhaftungen. — Abg. Meusebach). München. (Thon-Dittmer's Pläne). Reichenbach (Die 22ger). Frankenstein. (Ditto). Aus Thüringen. (Das Recht der Volksversammlung). Ungarn. Pesth. (Kossuths Verrath). Italien. (Volksdemonstration in Alessandria). Franz. Republik. Blanc und Caussidière geflohen. — Scenen aus der Nachtsitzung. — Der Spectateur Républicain über Deutschland. — Blanc, Caussidière, Ledru-Rollin vor ihren Anklägern). Großbritannien. London. (Unterhaus. — Finanzen. — Wakley über die gefangenen Chartisten. — Verlust des Ocean Monarch). Dublin. (Die Insurgenten, — Duffy. — Die Korrespondenz O'Briens durch Fälschung in Händen der Polizei). Deutschland. 19 Köln, 28. Aug. (Die Debatten über Standesprivilegien. (Fortsetzung.) Auf Hrn. Mohl, den schwäbischen Bürgerfreund, folgt in natürlicher Progression Hr. Schwetschke, der Lichtfreund aus Halle. Auf die liberalen Deklamationen über die „Werthlosigkeit des Adels“ eine christliche Betrachtung über die „Heiligkeit der Familiennamen;“ auf den klimpernden Hosentaschenbeweis für die praktische Aristokratie des Bürgerthums der Klingelbeutel frommer Sympathie für die idealen-historischen Erinnerungen des Adels. Hr. Schwetschke erklärt sich zunächst mit dem „Prinzip“ einer „allgemeinen Standesgleichheit“ einverstanden. Soweit dieselbe nämlich als bloß platonisches „Rechtssprüchwort“ gelten soll, und nicht in die „rohe, materialistische“ Gleichheit ausartet. Die platonische, „prinzipielle“ Standesgleichheit lebt in der lichtfreundlichen „höhern Idee,“ die „rohe, materialistische“ Gleichheit sucht sich auf der platten bürgerlichen Erde geltend zu machen. Herr Schwetschke vermittelt den Gegensatz der praktischen Ungleichheit mit dem „höhern Gleichheitsprinzip,“ indem er als Amendement ein neues Rechtssprüchwort empfiehlt: „Alle Deutschen sind ohne Rücksicht auf die Führung bürgerlicher oder adeliger Familiennamen gleichen Standes.“ Alle Standesungleichheit ist zur Gleichheit erklärt. Der ideale Lichtfreund betrachtet die praktische Forderung, den Adel aufzuheben, als ein sündhaftes Begehren nach fremdem Gut, welches zur Verwirrung, zur Anarchie, zum Nivelliren aller „natürlichen Verschiedenheit“ führt. Die Forderung, den Adel aufzuheben, sagt Hr. Schwetschke, heißt nichts Anderes, als „verlangen, daß auch zugleich die Familiennamen aufhören sollen.“ Angenehmer Scharfblick des hallischen Propheten! Die Aufhebung des Adels begründet das „Aufhören“ der Familiennamen. Ohne das Dasein der Adelstitel würde die Welt nie den Familiennamen des Hrn. Schwetschke bewundert haben, Hr. Schwetschke würde vielleicht eine Nummer tragen. Halten wir also fest an dem Adel, dessen Verschwinden uns in den Zustand der Barbarei zurückschleudert, wo die „Familiennamen aufhören,“ wo nach Art der indianischen Häuptlinge nur „persönliche Bezeichnungen“ gelten, und der edle Gagern nur „der kühne Griff“, Herr Ostendorf „das junge Huhn,“ Herr Jahn gar „die schmutzige Hand“ benamset würden! Diese Forderung (das Aufhören der Familiennamen), erklärt Hr. Schwetschke, würde ein Eingriff in die heiligsten Beziehungen des Menschen, „in die Familienrechte“ sein. „Der Name und die daran geknüpften Erinnerungen, sind aber so heilig, daß kein Bürgerlicher und kein Adeliger von seinem angeborenen Namen auch nur das Geringste aufgeben sollte.“ Hr. Schwetschke macht, wie Friedrich Gentz, aus dem Adel eine Eigenthumsfrage. Die Namen sind „erblich, angeboren,“ und gehören also den „heiligsten Beziehungen“ des Erbrechts und Familienrechts an; ihr Aufheben ist ein Eingriff in ein unveräußerliches Eigenthum! Wie rührend ist es, den hallischen Lichtfreund von erb- und eigenthümlicher Heiligkeit träufeln zu sehen! Diese Begriffe sind natürlich „platonisch,“ nicht „roh, materialistisch“ zu verstehen. Hat nicht der große Kriminalist Hitzig, ehe er sich taufen ließ, Itzig geheißen? Hat nicht König Friedrich Wilhelm IV. ein besonderes Gesetz über Familiennamen erlassen, worin den Juden befohlen wurde, ihren „angebornen“ patriarchalischen Benennungen „Schmuhl, Feist, Johl,“ neue christliche Familiennamen anzuhängen? Hr. Schwetschke würde dies Alles als einen „Eingriff in die Heiligkeit des Familienrechts“ dem Staatsanwalt denunziren, wenn nicht dies Eigenthum wie seine Heiligkeit ein bloßes „Rechtssprüchwort“ wäre. „Die Beziehungen zu meiner Familie sind mir so theuer, daß ich es als eine persönliche Beleidigung betrachten würde, wenn man mir den Adel anböte. (Immer im platonischen Sinn, nicht etwa roh, materialistisch verstanden, als ob man, um mit Hrn. Schwetschke Handel zu bekommen, denselben nur als Hrn. v. Schwetschke anzureden brauchte.) Aber … wenn ich zu den Nachkommen eines Ulrich von Hutten oder Götz von Berlichingen gehörte, ich würde mir es ernstlich verbitten, wenn man mir diesen Namen schmälern wollte!“ Wo wären die „großen historischen Erinnerungen“ hingerathen, wenn die Nachkommen eines von seinen Zeitgenossen verachteten Verräthers aus den Bauernkriegen simpler „Bürger Berlichingen“ hieße? Nachdem Hr. Schwetschke, dessen angenehm bürgerlicher Biedersinn betreff des Adelanerbietens mit dem billigen Beifall der Linken belohnt wird, noch eine Zeitlang fortgeplaudert hat, tritt er ab unter dringender Empfehlung seines Amendements, welches die wohlthätigen Folgen hat, daß nach einem solchen „Rechtssprüchwort“ kein Adeliger mehr gehindert ist, ohne Aufgeben seines Standesnamens an „stark gefärbten“ demokratischen Bestrebungen Theil zu nehmen. Auf die Tribüne tänzelt mit Schnallenschuhen, weißen Strümpfen und einem ewig lächelnden Kindergesicht Herr Ernst Moritz Arndt aus Bonn. „Meine Herren! Ich alter Plebejer, der ich den Streit gegen den Adel und zwar den Streit gegen die Mißbräuche mit angefangen habe, die der Adel gegen die Bauern in meiner Heimath geübt, ich sollte gleichsam nur durch mein Gemüth — denn was Anderes bewegt mich wahrlich nicht — für den Adel sprechen; aber, (wörtlich!) wie ich glaube, ist es eine alte Lehre, daß wir Alle Adam's Kinder sind.“ Unter wunderbarem Gedankengang und noch viel wunderbareren Satzkonstruktionen, unter kindlich schönen Anekdoten und Schnurren, aus denen uns der Hauch verkommener mährchenhafter Jahrhunderte lieblich anweht, erklärt der „alte Plebejer“ seine Meinung dahin, daß nur das Privilegium, welches dem Adel „gleichsam die Erde an die Füße gebunden hat,“ abgeschnitten werden solle, nicht aber die „Gewalt seiner idealen Bilder.“ Die „Gefühle der Menschen, die Vorurtheile, Alles was oben schwebt, das poetische Heiligthum der Menschheit,“ Alles dies und noch einiges mehr, sagt Herr Arndt, muß von der Versammlung „geschont“ werden. „Ich bin von schlechtem Bauernstande, aber wenn ich ein Gütchen hätte, wo Bäume ständen, die mein Urgroßvater schon gepflanzt hätte, das wäre mir Adel.“ Welcher unerhörte Terrorismus gehörte dazu um Hrn. Arndt die „Gewalt“ dieses „idealen Bildes“ zu rauben? Dieses „obenschwebende“ Heiligthum der „idealen Bilder“ berührt aber nicht nur den Adel, es ist das Eigenthum aller Stände. Hr. Schwetschke hat die Adelsfrage für eine allgemeine Familienrechtsfrage erklärt, Hr. Arndt macht sie zu einer allgemeinen Religionsfrage. Hr. Schwetschke folgerte aus ihr das Aufhören der Familiennamen, Hr. Arndt sieht die „Aufhebung der idealen Bilder“ darin, eine Gefahr, die nicht bloß den Adel, sondern alle Stände gleich schwer treffen wird. Zum Beweis, daß die „idealen Bilder“ allen Ständen gehören, erinnert Hr. Arndt daran, „wie hart, wie schwer es den Schuhmachern und Schneidern und manchen Andern gewesen, als man ihnen ihre Läden genommen und ihre Privilegien und Satzungen für abgeschafft erklärt habe“ (das „Wegnehmen der Läden“ war die Abschaffung der „idealen Bilder“ der Zunftgenossen); er verweis't diejenigen, welche den Titel der Grafen und Barone abschaffen wollen, „in die Hütte der norwegischen Bauern, wo man die Geschlechtsregister auf Odin und Thor zurückführt“ (trotzdem, daß in Norwegen durch Aufhebung des Adels alle „idealen Bilder und Erinnerungen“ abgeschafft sind); er erzählt als Anekdote aus seinem eigenen Leben, wie er vor einem halben Jahre einen Amerikaner nach seinem Namen gefragt, und diesen „als einen Abkömmling des großen Grafen von Salisbury aus der Zeit Eduard I.“ kennen gelernt habe (was beweis't, daß auch in Amerika trotz der Abschaffung des Adels noch „heilige Gefühle für die idealen Erinnerungen“ fortleben). Angenehme Ausbreitung der „Religion der idealen Bilder!“ „Diese Bilder, die jedes Haus, jeder Stand, jede Hütte in sich hat, wollen wir sie den Fürsten, den Grafen, den Freiherrn wegschneiden, wollen wir jedes Gefühl, jedes Vorurtheil wegschneiden, das wäre Unbarmherzigkeit.“ Und nachdem Hr. Arndt erklärt hat: „um der Ehre der deutschen Geschichte willen solle man das nicht thun,“ fügt er in wunderbarem Gedankengang hinzu: „Wer Geschichte gelehrt hat, in den letzten 20, 30 Jahren, weiß, was die neuen Eintheilungen der Länder für ein Ding sind, in den Schulen und Gymnasien, (wörtlich!) wie sie aus dem Mittelalter, aus allem richtigen Verständniß herausgeschnitten sind. Das sage ich gleichsam scherzweise, aber die Ehren der Namen sind seit Jahrhunderten mit unserer Geschichte verbunden, sie sind ein Glanz der Geschichte zugleich. Warum wollen wir diese Namen nicht durchgehen lassen? Dieses erinnerte mich an eine Anekdote.“ Als in Frankreich bei Berufung der états généraux ein Deputirter als adelig verlesen wurde, rief er aus: „Lassen Sie mir meinen ehrlichen Namen; meine Vorfahren waren weder Straßenräuber noch Speichellecker!“ In Deutschland besteht der „Glanz der Geschichte“ in den Adelsnamen: — ehrenvolle deutsche Geschichte! Zum Schluß erklärt der alte Geschichtslehrer, warum bei den Amerikanern, Schweizern, Norwegern u. s. w. allerdings Abschaffung des Adels und republikanische Staatsform durchgeführt werden konnte, was in Deutschland nicht angeht. „Sie sind Sachsen, Angeln und Friesen, bedächtig und ruhig, Alles was mit den Händen erfaßt werden kann, erfassend. Wie anders ist es mit den Schwaben, Thüringern, Baiern, mit den immer am Idealischen hin und herschwebenden Menschen!“ Was bliebe den Deutschen, wenn man ihnen die „idealischen Bilder,“ die „heiligen Vorurtheile“ „wegschnitte?“ Die andern Völker haben sich auf der „platten Erde“ entwickelt: Franzosen und Russen gehört das Land, Das Meer gehört den Britten, — was, außer dem „Luftreich des Traums“ besitzen die Deutschen? „Loben werde ich ewig die Mannigfaltigkeit, die Vielerleiheit, die Vielfältigkeit des glücklichen Volkes, welches sich das deutsche nennt; denn bei uns ist Alles, was wunderlich, idealisch, träumerisch ist, auf eine Weise ausgedrückt wie bei keinem andern europäischen Volk, so daß wir selbst zu Zeiten des Unglücks, wenn wir keinen Frieden zu Hause hatten, sagten: Glücklich, daß wir in Germanien geboren sind, wo man träumen kann für die ganze Welt, denn wir sind ein idealisches Volk, und das ist unser Glück.“ „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Die „glückliche Vielerleiheit“, das Luftreich des „Wunderlichen und Träumerischen“, und dies „ist unser Glück“ — im Unglück, sagt Hr. Arndt. Beruhigende Wirkung der „idealischen Bilder“! Innige Nothwendigkeit des idealischen Adels für die — Zeiten des Unglücks! (Schluß folgt.) 61 Wien, Leopoldstadt, 23. Aug. Ich eile Ihnen von hieraus zu melden, daß im Prater ein Arbeiteraufstand ausgebrochen ist, und ein Gemetzel stattgefunden hat, in Folge dessen viele geblieben sind. Die Nationalgarde, sagt man, hat Alles niedergehauen, was sich entgegenstellte. 3000 Arbeiter machten den Angriff und trieben die Sicherheitswache zurück. Die Weiber zeigten einen außerordentlichen Muth. So eben werden Todte, Verwundete und Gefangene vorüber gebracht. Die Arbeiter griffen mit Schaufeln u. s. w. an; man hat noch nicht geschossen. Die Nationalgarde soll mit kleinbürgerlicher Barbarei verfahren haben. 61 Wien, 23. Aug. Die Bewegung hat sich gelegt, aber die Aufregung ist noch vorhanden. — Wenn auch in der Hauptsache besiegt, — denn es gelang nicht, das Ministerium zu stürzen, die Legion und den Sicherheitsausschuß aufzulösen, und dann dem demokratischen Reichstag auf den Leib zu rücken, der die italienische Kanonenwirthschaft nicht anerkennen wollte, — so ist es der Kamarilla vorgestern doch gelungen, die Demokratie und ihre Institute bei den guten Bürgern anzuschwärzen, indem sie den Schmeerbäuchen durch Geschrei von republikanischem Terrorismus und dem furchtbaren Gespenst: Arbeiter-Republik! Leibschneiden verursachte. Vor diesem Gespenst ist der gute Bürger sofort bereit zu hauen, zu schießen, zu morden, trotz den Preußen in Posen, denn all sein Patriotismus hört auf bei dem Gedanken, daß ihm Jemand seinen Raub entreißen könnte. Wie ich höre, soll die Garnison von Wien am 21. vom Kaiser eine dreitägige Gratislöhnung erhalten haben. Wozu? Ich schäme mich, Ihren Lesern ein so einfaches Rechenexempel aufzulösen. Gegen die Abstimmung über Bewilligung der 20 Mill. fl. hat die Linke des konstituirenden Reichstags einen Protest eingelegt. 109 Wien am 23, 6 Uhr Abends. Die Thore der Stadt sind gesperrt. Die Arbeiter haben sich in der Taborstraße verschanzt und leisten Widerstand; das barbarische Benehmen einzelner Nationalgarden und besonders der Sicherheitswache erregt allgemeine Entrüstung. Alle Läden sind geschlossen, die innere Stadt und Leopoldstadt wimmeln voll Menschen; die Arbeiter äußern überall laut ihren Unwillen. Der Generalmarsch wird geschlagen, die Nationalgarde rückt heran. Geschütz wird in der Taborstraße aufgepflanzt. Das Volk steht vor dem Spital der barmherzigen Schwestern, worin 25 Verwundete und Todte liegen. Die akademische Legion rückt aus; Alle jauchzen ihr entgegen. Auch die Nationalgarde beginnt zum Theil einzusehen, daß sie nur das Werkzeug der Kamarilla sein soll. Die Vorstädte jenseits der Glacis sind abgesperrt. — Kreaturen der Kamarilla haben es gewagt, das Einschreiten des Militärs zu beantragen. Ich hörte Fürsten sich ins Ohr flüstern: Jetzt gilts. Der Reichstag hat heute Morgen das alte Rekrutirungsgesetz aufgehoben und bestimmt, daß augenblicklich ein neues entworfen und berathen werde. 9 Uhr Abends. Nach Berichten aus dem Sicherheitsausschuß. — Um 6 Uhr waren 16 Todte, 64 Verwundete, worunter 10 Frauen, eingebracht, von denen eine mit einer Schußwunde von Fensterblei. Als die Berichterstatter ins Hospital getreten kamen, riefen die Meisten, weil sie sich anfangs in ihnen versahen: Da sind sie ja, die Mörder! — Die Arbeiter stehen in der Brigittenau rund um von Nationalgarden umschlossen. Sämmtliche Berichte stimmen überein, daß die Nationalgarde den schändlichsten Mißbrauch von der Waffe gemacht hat und nur von der Sicherheitswache darin übertroffen worden ist. Nach dem Berichte eines Technikers entspann sich der Konflikt in der Taborau nächst dem Marienbade. Dort stand ein Piquet Munizipalgarde und nicht weit davon schwarzgelbe Bürgergrenadiere. Die Arbeiter besprachen sich über die gestrigen Vorfälle und über die Herabsetzung des Lohnes um 5 Kr. — Mehrere wollten den Minister Schwarzer in effigie an den Galgen hängen, worauf einer seine Schaufel mit den Worten geschwungen haben soll: „Wir lassen unsere Brüder nicht morden!“ Die Munizipalgarde mochte hierin eine Gefahr erblickt haben und rückte mit blanker Waffe in die Arbeiter hinein. Diese entflohen, indem sie zum Zeichen des Friedens ihre Schaufeln, Hacken u. s. w. hinwegwarfen, sich dann aber sammelten und zurückkehrten. Als die Bürgergrenadiere diese Bewegung sahen, wollten auch sie auf die Arbeiter eindringen und wurden nur durch das Abwehren des Technikers einstweilen noch abgehalten. Die Munizipalwache hatte sich indessen schon grobe Excesse erlaubt, sie hatte blind in die Leute eingehauen, viele verwundet, ja getödtet. Zu ihr hatten sich Bombardiere und Militärgrenadiere gesellt und nun kam es zu einem Krawall, an welchem sich auch die Bürgergrenadiere auf die plumpste Weise mit gefälltem Bajonett betheiligten, indem sie wehrlose Männer und Frauen durchstachen, niederhieben und selbst noch im Tode mit ordnungsfanatischem Vandalismus mißhandelten. So wurde ein Mädchen mit dem Kolben den Wall hinabgestoßen, ihm der Kopf zerschlagen und es dann von einer Munizipalwache bei den Haaren wieder heraufgezogen.

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 88/89. Köln, 30. August 1848, S. 0451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz088089_1848/1>, abgerufen am 28.03.2024.