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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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ein Geheimnis behandelt wurde, denn er duldete nicht, daß
jemand während der Zeit sich im Zimmer aufhielt. Die Seinen
wußten das. Wenn es hieß: "Der Vater rechnet!" hielt man
sich wohlweislich fern, denn dann war nicht gut Kirschen essen
mit dem Alten.

Auch diesmal hatte er eine verzwickte Rechnung angestellt.
Das Ergebnis war ein sehr einfaches und in seiner Einfachheit
bestürzendes: Achthundert Mark! Auf mehr kam er nicht.
Das war nicht annähernd genug zur Deckung des Wechsels
und zur Bezahlung der Michaeliszinsen.

Der alte Mann ballte die Faust. Er wußte selbst nicht
gegen wen. Wer war es denn, der die Schuld daran trug,
daß ihm nicht der Lohn seiner Arbeit wurde? Sollte er den
lieben Gott dafür verantwortlich machen, oder sollte er die
Menschen bei dem lieben Gott verklagen? Wer war der Feind,
wo die Macht, die ihn um das Seine gebracht hatte? --

Der Bauer drohte in die leere Luft hinaus. Das war
nicht zu fassen, für seinen Arm nicht zu erreichen: die Mächte,
die Einrichtungen, die Menschen, welche Schuld hatten, daß
sein Schweiß umsonst geflossen war. Irgendwo da draußen,
unfaßlich für seinen ungelehrten Verstand, gab es ungeschriebene
Gesetze, die mit eherner Notwendigkeit auf ihn und seines¬
gleichen lasteten, ihn in unsichtbaren Ketten hielten, unter
deren Druck er sich wand und zu Tode quälte.

Das Exempel stimmte mit fürchterlicher Genauigkeit. Wenn
er den Wechsel bezahlte, langte es nicht zu den Zinsen, be¬
zahlte er die Zinsen, langte es nicht zum Wechsel.

Die einzige Hoffnung blieb jetzt, daß Harrassowitz Stun¬
dung gewährte. --

Noch ehe der Verfalltag eintrat, fuhr der Büttnerbauer
in die Stadt, er wollte mit dem Händler sprechen.

Als der Bauer das Produktengeschäft von Samuel Har¬
rassowitz betrat, wurde ihm gesagt, der Chef sei noch nicht im
Comptoir. Er ging daher fort und kam nach Verlauf von einigen
Stunden wieder. Diesmal wurde ihm mitgeteilt, Herr Har¬
rassowitz sei zu sehr beschäftigt, um ihn anzunehmen. Der

ein Geheimnis behandelt wurde, denn er duldete nicht, daß
jemand während der Zeit ſich im Zimmer aufhielt. Die Seinen
wußten das. Wenn es hieß: „Der Vater rechnet!“ hielt man
ſich wohlweislich fern, denn dann war nicht gut Kirſchen eſſen
mit dem Alten.

Auch diesmal hatte er eine verzwickte Rechnung angeſtellt.
Das Ergebnis war ein ſehr einfaches und in ſeiner Einfachheit
beſtürzendes: Achthundert Mark! Auf mehr kam er nicht.
Das war nicht annähernd genug zur Deckung des Wechſels
und zur Bezahlung der Michaeliszinſen.

Der alte Mann ballte die Fauſt. Er wußte ſelbſt nicht
gegen wen. Wer war es denn, der die Schuld daran trug,
daß ihm nicht der Lohn ſeiner Arbeit wurde? Sollte er den
lieben Gott dafür verantwortlich machen, oder ſollte er die
Menſchen bei dem lieben Gott verklagen? Wer war der Feind,
wo die Macht, die ihn um das Seine gebracht hatte? —

Der Bauer drohte in die leere Luft hinaus. Das war
nicht zu faſſen, für ſeinen Arm nicht zu erreichen: die Mächte,
die Einrichtungen, die Menſchen, welche Schuld hatten, daß
ſein Schweiß umſonſt gefloſſen war. Irgendwo da draußen,
unfaßlich für ſeinen ungelehrten Verſtand, gab es ungeſchriebene
Geſetze, die mit eherner Notwendigkeit auf ihn und ſeines¬
gleichen laſteten, ihn in unſichtbaren Ketten hielten, unter
deren Druck er ſich wand und zu Tode quälte.

Das Exempel ſtimmte mit fürchterlicher Genauigkeit. Wenn
er den Wechſel bezahlte, langte es nicht zu den Zinſen, be¬
zahlte er die Zinſen, langte es nicht zum Wechſel.

Die einzige Hoffnung blieb jetzt, daß Harraſſowitz Stun¬
dung gewährte. —

Noch ehe der Verfalltag eintrat, fuhr der Büttnerbauer
in die Stadt, er wollte mit dem Händler ſprechen.

Als der Bauer das Produktengeſchäft von Samuel Har¬
raſſowitz betrat, wurde ihm geſagt, der Chef ſei noch nicht im
Comptoir. Er ging daher fort und kam nach Verlauf von einigen
Stunden wieder. Diesmal wurde ihm mitgeteilt, Herr Har¬
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[124/0138] ein Geheimnis behandelt wurde, denn er duldete nicht, daß jemand während der Zeit ſich im Zimmer aufhielt. Die Seinen wußten das. Wenn es hieß: „Der Vater rechnet!“ hielt man ſich wohlweislich fern, denn dann war nicht gut Kirſchen eſſen mit dem Alten. Auch diesmal hatte er eine verzwickte Rechnung angeſtellt. Das Ergebnis war ein ſehr einfaches und in ſeiner Einfachheit beſtürzendes: Achthundert Mark! Auf mehr kam er nicht. Das war nicht annähernd genug zur Deckung des Wechſels und zur Bezahlung der Michaeliszinſen. Der alte Mann ballte die Fauſt. Er wußte ſelbſt nicht gegen wen. Wer war es denn, der die Schuld daran trug, daß ihm nicht der Lohn ſeiner Arbeit wurde? Sollte er den lieben Gott dafür verantwortlich machen, oder ſollte er die Menſchen bei dem lieben Gott verklagen? Wer war der Feind, wo die Macht, die ihn um das Seine gebracht hatte? — Der Bauer drohte in die leere Luft hinaus. Das war nicht zu faſſen, für ſeinen Arm nicht zu erreichen: die Mächte, die Einrichtungen, die Menſchen, welche Schuld hatten, daß ſein Schweiß umſonſt gefloſſen war. Irgendwo da draußen, unfaßlich für ſeinen ungelehrten Verſtand, gab es ungeſchriebene Geſetze, die mit eherner Notwendigkeit auf ihn und ſeines¬ gleichen laſteten, ihn in unſichtbaren Ketten hielten, unter deren Druck er ſich wand und zu Tode quälte. Das Exempel ſtimmte mit fürchterlicher Genauigkeit. Wenn er den Wechſel bezahlte, langte es nicht zu den Zinſen, be¬ zahlte er die Zinſen, langte es nicht zum Wechſel. Die einzige Hoffnung blieb jetzt, daß Harraſſowitz Stun¬ dung gewährte. — Noch ehe der Verfalltag eintrat, fuhr der Büttnerbauer in die Stadt, er wollte mit dem Händler ſprechen. Als der Bauer das Produktengeſchäft von Samuel Har¬ raſſowitz betrat, wurde ihm geſagt, der Chef ſei noch nicht im Comptoir. Er ging daher fort und kam nach Verlauf von einigen Stunden wieder. Diesmal wurde ihm mitgeteilt, Herr Har¬ raſſowitz ſei zu ſehr beſchäftigt, um ihn anzunehmen. Der

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/138>, abgerufen am 26.04.2024.