Die Studentin
der Gegenwart
von
Julie Ohr
München-Gern 1909
Buchhandlung Nationalverein.
Geleitwort.
Die deutsche akademische Frauenbewegung hat eine etwa
fünfzehnjährige Vergangenheit. Jn ihrem Beginn zeigte
sie eine lebhafte Tätigkeit nach außen und lenkte die Auf-
merksamkeit der Gebildeten stark auf ihre Entwicklung. Jetzt
ist eine zweite Periode eingetreten, wo diese Bewegung sich
verbreitert, beruhigt, mehr im Stillen wirkt. Daneben
zeigen sich aber ganz offenbare Stillstände und Stok-
kungen. Hoffnungen, die anfänglich auf die Studentin-
nen gesetzt wurden, sind nicht in Erfüllung gegangen; die
modern gerichtete Studentenschaft und die Frauenbewe-
gung beklagen sich über die Teilnahmslosigkeit der stu-
dierenden Frau.
Die vorliegende kleine Schrift soll namentlich diese
letzten Momente herausheben und ihre Ursachen beleuchten.
Sie will auf die Art und Weise einer etwaigen Abhilfe ein-
gehen. Als Akademikerin glaubt die Verfasserin aus per-
sönlichen Erfahrungen heraus manche Winke, manche Anre-
gung geben zu können. Sie hofft das Jnteresse der all-
gemeinen Frauenbewegung auf diesen ihren Zweig lenken
zu können, namentlich aber alle diejenigen, die auf dem
Prinzip der Koedukation stehen, zur regen Mitarbeit an
der akademischen Frauenbewegung zu veranlassen.
München. Julie Ohr, Aerztin.
I.
Die akademische Frauenbewegung macht denselben Gang
durch, wie viele andere Bewegungen: Zuerst Zeiten der
Stürme, der trotzigen Kraft, die die hemmenden Wider-
stände überwindet, Zeiten der Extreme, dann Perioden
der Verbreiterung, der Ruhe, der Nachgiebigkeit.
Wer schon ins Philisterium eingetreten ist, der kann
sich an wunderliche Geschichten aus seiner Studienzeit er-
innern. Von Studentinnen mit kurz geschorenen Haaren,
mit männlichem Auftreten, die alle gesellschaftlichen Sit-
ten mit Verachtung übergingen; wunderliche Geschichten
von Zusammenstößen mit Professoren, wechselnd in Sieg
und Niederlage; alles aber mit phantastischem Aufputz,
der den neugierigen Hörer von der Schauerlichkeit der
Sache noch mehr überzeugen soll.
Daß es Frauen in den letzten Jahrhunderten nicht
unmöglich gemacht wurde, sich wissenschaftlich zu betä-
tigen und zu akademischen Würden zu gelangen, zeigt uns
die Geschichte. Sie erzählt uns von einer Marianne von
Ziegler, die 1730 in der philosophischen Fakultät als
laurea poetica promovierte. Dorothea Exleben promo-
vierte sogar in der medizinischen Fakultät 1754 in Halle
und Dorothea Schlozer erwarb die Magisterwürde 1787
in Göttingen. Von einer akademischen Frauenbewegung
ist natürlich nicht zu sprechen; diese einzelnen Frauen
blieben Ausnahmen. Die Bewegung selber läßt sich in
Deutschland eigentlich erst von dem Jahre 1889 an datieren.
Damals gründete Helene Lange in Berlin, die verdiente
Vorkämpferin um das weibliche akademische Studium, Real-
kurse, welche die Besucherinnen auf die Schweizerische Ma-
turität vorbereiteten. Viele Frauen haben sich da ihre
Vorbildung geholt, haben in der Schweiz sich dem Stu-
dium (meistens dem medizinischen) gewidmet. Letztere
haben dann in Deutschland als „in der Schweiz appro-
bierte Aerztin“ oder auch „in Zürich approbierte Aerztin“
um ihre Existenz gerungen, mit Kollegen und Behörden
gekämpft, aber sich dennoch einen guten Namen und das
Vertrauen des weiblichen Publikums erworben.
1893 machte Helene Lange aus den Realkursen Gym-
nasialkurse, die sich auf die höhere Mädchenschule auf-
bauten. Aus ihnen gingen 1896 die ersten staatlich ge-
prüften Abiturientinnen hervor, die an der Universität
Berlin als Hörerinnen zugelassen wurden.
Ein halbes Jahr später gründete Dr. Käthe Wind-
scheid in Leipzig Gymnasialkurse.
Schon 1893 wurde in Karlsruhe in der höheren Mäd-
chenschule eine Gymnasialabteilung eingerichtet. Vom 12.
Lebensjahre an konnten diese Kurse sechs Jahre hindurch
besucht werden; die Vorbereitung fürs Abiturium war also
eine analoge dem der Knabengymnasien.
Um die gleiche Zeit öffneten sich Knabengymnasien für
solche Mädchen, die das Abiturium ablegen wollten. Pforz-
heim, Mannheim, Konstanz sind rühmlich vorangegangen.
Sobald sich einmal der Staat um die Vorbildung
des weiblichen Geschlechts zur Universität bekümmerte,
konnte er nicht mehr gut den nächsten Schritt, die Er-
öffnung der wissenschaftlichen Bildungsanstalten zurück-
halten.Ganz so eigentümlich kann nicht jede Behörde handeln, wie
das preußische Kultusministerium, welches zwar die Jmmatrikulation
in Preußen gestattet, aber die weitere Konsequenz ausdrücklich ver-
weigert: „Es versteht sich von selbst(?), daß durch die Jmmatrikula-
tion die Frauen ebenso wenig wie die Männer einen Anspruch auf
Zulassung zu einer staatlichen und kirchlichen Prüfung, zur Doktor-
promotion oder Habilitation erwerben.“ So wurde denn dem weiblichen Geschlecht die
Zulassung zur Universität als Jmmatrikulierte oder als
Hörerin gestattet. Die süddeutschen Universitätsstädte sind
im allgemeinen mit der Jmmatrikulation vorangegangen.
Jm Norden war man meist vorsichtiger. Es mußten Kom-
promisse mir Professoren, die durchaus keine Frauen in
ihren Vorlesungen haben wollten, geschlossen werden.
Offenbar hatte man höheren Orts auch Angst vor den
jungen Abiturientinnen, sie könnten der Universität oder
den Professoren oder der Wissenschaft oder gar den Studen-
ten durch ihren Wissensdurst, durch ihr energisches Vor-
gehen oder durch ihre weiblichen Eigenschaften schaden.
– Wie schwer und heiß der Kampf damals gewesen ist,
kann die jetzige Generation von Studentinnen nur aus
Analogien erkennen, wenn sie die Brescharbeit der Frauen
im öffentlichen Leben überhaupt studiert, z. B. den jetzigen
Kampf um die Mädchenschule. Es war damals in der
ersten Zeit der Studentinnen so, daß manche sich persön-
lich ihren Platz durch alle erdenklichen Hindernisse hindurch
erwerben mußten. Wo aber eine Studentin eine Lücke
durch eine anscheinend starre Satzung geschlagen hatte,
da standen andere hinter ihr, um das Errungene zum dau-
ernden Besitztum zu machen. Wie oft wurde das, was
der Einzelnen als Privileg gewährt worden war, durch die
hinter ihr Nachdrängenden in allgemein gültiges Recht ver-
wandelt.
Der Einzug der Frauen in die Universität hat seiner-
zeit nicht nur im Kreise aller daran Beteiligten, der Fa-
milien der Studentinnen, sondern überhaupt in der ge-
bildeten Welt Aufsehen erregt. Die Diskussion über die
Wirkungen des Studiums auf die Weiblichkeit der Frau
waren tiefgründig und lebhaft – heute kann man noch
in ganz rückständigen Kreisen solche Erörterungen hören;
aber sie sind doch seltener geworden. Allem zum Trotz
ging die akademische Frauenbewegung weiter; sie war eben
aus der Zeit herausgeboren und konnte durch keine Macht
zurückgedrängt werden. Aus den freiheitlichen Teilen
Deutschlands, aus Baden, oder aus den großen Städten,
wo der Ansturm moderner Bewegungen immer stärker
ist, verbreitete sich die akademische Frauenbewegung all-
mählich über ganz Deutschland.
Jhre erste Periode haben wir hinter uns; das jetzige
Stadium ihrer Entwicklung läßt sich charakterisieren mit
dem allgemeinen Satz: Die studierende Frau ist
gleichberechtigtes Glied des akademischen
Lernkörpers geworden.
II.
Die Studentin ist, wie der Student, Bürgerin der
Universität. Was heißt das, Bürger sein? Nach unsern
modernen Begriffen ist er der Angehörige einer Gemein-
schaft, in der er Mitbestimmungsrecht hat. Es ist seine
Pflicht, daß er bei der Gesetzgebung seine persönliche
Mitwirkung einsetze. Den akademischen Bürgern steht
Aehnliches zu. Sie sind keine Schüler an der Hochschule,
die nur ein vorgeschriebenes Pensum zu erledigen haben.
Sie müssen sich um das Wesen der Jnstitution bekümmern,
der sie für einige Jahre angehören wollen; sonst verstehen
sie nie den Begriff der Universität, lernen nie, welche
Forderungen sie zu erfüllen haben, wo die Grenze ist,
da ihre Rechte beginnen.Ueber die Universität, ihre Einrichtung, die Aufgaben und
Ziele der Studentenschaft gibt eine glänzende, gründliche Darstellung
die Schrift von Dr. Felix Behrend „Der freistudentische Jdeenkreis“.
Bavariaverlag, München. 50 Pfg.)
Die Studentin, die durch ihre Jmmatrikulation in den
Kreis der akademischen Bürgerschaft aufgenommen wurde,
erwarten wir also bei allem zu finden, was die Studenten-
schaft bewegt. Die akademische Frauenbewegung ist mo-
dern; wir suchen ihre Beteiligung überall, wo wir Ver-
wandtes, Modernes vermuten. Wir suchen sie vor allem
da, wo Jdeen und Versuche der Umformung des akademi-
schen Lebens gemacht werden. Denn als eine neue Er-
scheinung alten Sitten und Traditionen gegenüber, müssen
die Studentinnen ihre großen Vorteile darin erkennen,
daß in der Studentenschaft Strömungen erwachen, die
ihnen im Kampfe gegen das Alte zur Seite stehen.
Wir erwarten mithin die Studentinnen in der Anti-
duellbewegung, weil nur eine solche den Frauen die Mög-
lichkeit gibt, bei Verletzung ihrer Ehre Genugtuung zu
bekommen, in der Antialkoholbewegung, weil sie die Jdenti-
fizierung studentischer Fröhlichkeit mit dem Trinkkomment
zerstört. Wir erwarten sie überhaupt auf allen Gebie-
ten fortschrittlich gerichteter Organisationsarbeit, weil die
Frau dort auf den Mann einwirken, ihn durch ihre Tätig-
keit von ihrer Fähigkeit überzeugen und ihn an die Eigen-
tümlichkeit weiblicher Art gewöhnen kann. Und darum er-
warten wir vor allem, daß die Studentin begeistert die in
der „Freien Studentenschaft“ gepflegten Jdeen
der Selbstverwaltung und Selbsterziehung aufnehme, wo-
durch sie in den Stand gesetzt wird, nicht nur die Em-
pfängerin, die immer Gehorchende zu sein, sondern auch
aktiv an dem, was zur Verwaltung eines großen Organi-
sationskörpers gehört, sich zu beteiligen.
Sehen wir aber ins akademische Leben hinein, so finden
wir zu unserm Erstaunen, daß die Studentin fast überall
fehlt, wo Studenten für moderne Jdeen arbeiten. Am
ehesten noch treten die Studentinnen den akademischen Absti-
nenzvereinen bei. Sonst hören wir nur zu oft die Klagen
der fortschrittlich gerichteten Kommilitonen über die Gleich-
gültigkeit der Studentinnen, deren Mitarbeit sie durch-
aus schätzen würden. Wir vernehmen die Anschuldigungen
angesehener Führerinnen der Frauenbewegung, daß die
studierenden Frauen mit Jnteresselosigkeit danken, was die
Frauenbewegung für sie getan hat.
Die meisten Studentinnen gehen entweder in den Stu-
dentinnenverein, oder organisieren sich überhaupt nicht.
Wie sie einige Jahre früher ins Gymnasium tagein, tag-
aus wanderten, so gehen sie in demselben Tempo, meist mit
großer Treue und Gewissenhaftigkeit in die Hochschule.
Zuhause lesen sie mit ebensolchem Fleiße die Hefte oder
die Bücher der Professoren durch. Andere haben einen
netten Freundeskreis, mit dem sie in vergnügten Aus-
flügen, Bummeleien die studentischen Jugendjahre genies-
sen. Jm Uebrigen bekümmern sich die meisten Studen-
tinnen um die Vorgänge an der Universität nicht.
Und nun die große Frage: woher kommt die Gleichgül-
tigkeit der Studentinnen, woher der innere Stillstand
der akademischen Frauenbewegung? Woher die rein schul-
mäßige Auffassung des akademischen Lebens?
III.
Gar mancherlei Antworten werden auf diese Fragen
gegeben. Es wird Mangel an Zeit vorgeschützt, auf die
schwerfälligere Arbeitsweise der Studentin hingewiesen;
auf die häuslichen Verpflichtungen, die viel zahlreicher
seien als beim studierenden Sohn, auf gesellschaftliche
Rücksichten u. dergl. Und wir müssen zugeben, daß darin
manche Wahrheit liegt.
Zuerst weisen wir hin auf die großen Unterschiede zwi-
schen dem Zweck des männlichen und weiblichen. Universi-
tätsbesuchs. Jeder junge Mann geht zur Universität,
um des Berufs willen; auch diejenigen, welche als Hörer
einige Kollegs besuchen, ohne einen akademischen Beruf
zu ergreifen, tun es, weil die akademischen Kenntnisse ihnen
berufliche Vorteile materieller und ideeller Art bringen
können.
Beim weiblichen Geschlecht ist es anders. Eine kurze
Abschweifung ist nötig, um das vielgestaltige Bild, das
durch das Eindringen der Studentinnen und der Hörerin-
nen dem Universitätsleben gegeben wird, zu verstehen.
Die Frau ist von der Natur zur Mutterschaft bestimmt.
Die ganze Erziehung des weiblichen Geschlechtes zielt in
erster Linie auf diese Zukunftsaufgabe; sie muß eine Vor-
bereitung für die Mutterschaft sein, denn eine Vernachlässi-
gung dieses Zweckes würde die Existenz späterer Ge-
schlechter schwer bedrohen.Die nachfolgenden Erörterungen erheben keinen Anspruch auf
Originalität. Sie gehören zu den Grundgedanken der Frauen-
bewegung. Vgl. etwa Helene Lange, die Frauenbewegung, Leipzig,
Quelle u. Meyer.
Die heutige Erziehung des jungen Mädchens genügt
nun den Aufgaben nicht mehr, die die Mutterschaft und
das Familienleben stellen. Das zeigt sich in den unteren
Ständen, wo das junge Mädchen frühzeitig in das Er-
werbsleben hinausgestoßen wird und sich die zum Haus-
halt und zur Kinderpflege nötigen Sachkenntnisse nicht
aneignen kann. – Jm Mittelstande ist ebenfalls eine
starke Tendenz zu spüren, die jungen Mädchen außerhalb
des Hauses einen Verdienst suchen zu lassen. Die Vorbil-
dung zu einem Berufe ist aber in den meisten Fällen man-
gelhaft, während der Beruf dennoch die Zeit zur Erlernung
der Hauswirtschaft und Kinderpflege wegnimmt. Aus diesem
Stande rekrutiert sich ein Teil der Lehrerinnen und Stu-
dentinnen. Und zwar ist es sehr häufig so, daß die Söhne
derselben Familie einen höheren Beruf (z. B. einen aka-
demischen Beruf) ergreifen als die Töchter (die dem ge-
gebenen Beispiele entsprechend etwa als Volksschullehre-
rinnen ausgebildet würden).
Jn den höheren Ständen wird als Lebensziel eines
jungen Mädchens die Heirat angesehen. Die Eltern
glauben aber mit Mitgift und Hochzeit ihre Pflicht
getan zu haben. Eine berufliche Ausbildung des jungen
Mädchens ist in der Regel wegen Mangel an Zeit (gesell-
schaftliche Verpflichtungen, Sport) und Standesvorurteilen
verpönt. Trotzdem lernt das junge Mädchen weder die
Hauswirtschaft gründlich, noch lernt sie die primitivsten
Begriffe der Hygiene, Säuglingspflege, Krankenpflege,
Kindererziehung.
Zu diesen Ausführungen kommt hinzu, daß sich die
heutige Stellung des weiblichen Geschlechtes im Ver-
gleiche zu früheren Zeiten vollkommen geändert hat. Die
Ursache ist die Jndustrialisierung unserer Kultur. Sie
nimmt der Frau im weiten Umfang den eigentlichen
hauswirtschaftlichen Beruf weg, d. h. alle zur Erzeu-
gung der in dem Haushalt gebrauchten Dinge, die früher
von der Frau gearbeitet wurden, macht heute die Ma-
schine feiner, billiger, schneller. Ausgefüllt wird nun
die Lücke der früheren Arbeitsleistungen durch die Jn-
dustrie keineswegs. Das hat für die Frau zwei Folgen:
Entweder sitzt sie, wenn das Auskommen der Fa-
milie reicht, unbestätigt zu Hause, oder sie muß für
ihren Lebensunterhalt einen Beruf – auswärts oder in
der Heimarbeit – suchen. Der Beruf ist aber unerbittlich
und fordert die ganze Kraft des Menschen. So wird das
Leben der Frau in zwei Teile getrennt, in den Beruf und
in die Mutterschaft. Beide können nicht nebeneinander be-
stehen, das eine muß zum Schaden des andern weichen.
Damit sind wir bei dem großen Problem der Frauenbewe-
gung angelangt. Es heißt: Wie muß die Frauenarbeit ein-
gerichtet werden, daß dem Beruf wie der Mutterschaft
Genüge geleistet werden kann. Dieses Problem ist leider
noch nicht gelöst. Aber es ist das bedeutungsvollste und
tiefste Problem der Frauenbewegung, ohne das sie nicht
zum glücklichen Abschluß geführt werden kann. –
Die Entwicklung der Technik, der Jndustrie, des Han-
dels, der Wissenschaften, die geistigen wie materiellen Ver-
änderungen, die im Laufe von kaum hundert Jahren
tief in das Leben der Völker eingegriffen hat, mußte
merkwürdigerweise vor einer Jnstitution des Volkes Halt
machen: vor der Familie.
Es ist ganz eigentümlich, daß die deutsche Familie
mit einem Beharrungs- und Trägheitsvermögen, das
seinesgleichen sucht, einfach das moderne Leben in der
Weise, wie es geschieht, negieren kann.
Auch die Frauenbewegung, die so manche schöne Erfolge
zeitigte, hat bis jetzt auf die Umwandlung des Familien-
lebens noch verzweifelt wenig Einfluß gehabt.
Die deutsche Familie ist meistens konservativ. Da herrscht
noch das patriarchalische Verhältnis: Das absolute Befehlen
der Eltern auf der einen Seite und der Gehorsam der Kin-
der, auch wenn sie vorkommende Unvernunft der elterlichen
Maßregeln einsehen. Der Unterschieb zwischen Sohn und
Tochter führt sehr häufig zur Hintansetzung der Töchter
zu Gunsten der Söhne, entgegen dem Grundsatz der Gleich-
berechtigung der beiden Geschlechter, wie er im Staats-
leben vielfach als notwendig und kulturfördernd sich ge-
zeigt hat. Schuld an der konservativen Haltung der Fa-
milie trägt sehr häufig die Frau – sie ist konservativ
erzogen, geht aus dem Elternhaus in die Hand des Man-
nes über und kennt nichts anderes als den Patriarchalis-
mus. Der Mann, der oft in seiner Jugend fortschrittlich
dachte, der ins reife Mannesalter hinein seine fortschritt-
liche Gesinnung bewahrt haben kann, ist in den aller-
meisten Fällen nicht selbstverläugnend, nicht energisch ge-
nug, seine Grundsätze gegenüber der konservativen Frau
aufrechtzuerhalten. Jn ihm regen sich die alten Herren-
und Machtgefühle, wenn die Frau im anerzogenen Ge-
horsam und mit selbstaufgebender Bereitwilligkeit sich
an ihn herandrängt. Die Frau überwindet ihren
Mann durch ihren stetigen, gefühlsmäßigen Einfluß.
Die Kindererziehung hat die Frau meistens in den Hän-
den – denn der Mann ist durch den Beruf zu sehr
in Anspruch genommen. So werden die Kinder auch
nach der alten Methode erzogen. Die Gesellschaft, die
sich aus den Familien zusammensetzt, kann demgemäß auch
kein anderes Aussehen haben. Auch hier die Bevorzugung
des einen Teils, des männlichen Geschlechts, die sich unter
anderm in einer schrankenlosen Freiheit zeigt, und die Be-
nachteiligung des andern Teils durch Einengung. Diese
äußert sich in einer ganz eigentümlichen Bevormundung der
Frau, wie sie gar nicht in unsere um Freiheit und Selb-
ständigkeit ringende Zeit hineinpaßt; eine Ueberwachung
und Beaufsichtigung des gleichen Menschen, den der Staat
für verfügungsfähig und rechtskräftig erklärt hat und be-
handelt. Zu der ängstlichen Aufmerksamkeit der Eltern
und Verwandten gesellt sich ein Verkehr der jungen Gene-
ration, der nicht auf gegenseitiger, erzieherischer Beeinflus-
sung, Offenheit und Freundschaft beruht, sondern auf
einer falschverstandenen Auslegung des Begriffs: Ritter-
lichkeit.
Allerdings, manches ist jetzt anders geworden. Die
Mädchen gerade derjenigen Stände, die für die Universi-
tät in Betracht kommen, fühlen oft ihre unwürdige Stel-
lung zu Hause, den Mangel einer regelmäßigen Tätig-
keit, das Ueberflüssigsein, die Einengung in einen engen
Jdeenkreis, das Fernhalten von der Wirklichkeit. Viele
fühlen den Gegensatz ihres Wissens zu dem, was das mo-
derne Leben leistet, die Unkenntnis auch in den alltäglichsten
Dingen, die mangelhafte Vorbereitung für die Hauswirt-
schaft, Kinder- und Krankenpflege. Dann kommen die
Wünsche nach einer geregelten täglichen Arbeit, das Ver-
langen nach einem richtigen Beruf.
III.
Heutzutage macht man einem jungen Mädchen, das
einen akademischen Beruf ergreifen oder akademische Bil-
dung sich aneignen will, nicht mehr solche Schwierigkeiten
wie früher. Jm Gegenteil, es liegt ein gewisser Stolz
für die Eltern darin, auf eine studierende Tochter hin-
weisen zu können. Es läßt sich gut damit vor Verwandten
und Bekannten prahlen, namentlich, wenn sich das junge
Mädchen durch einen Riesenfleiß, die besten Zeugnisse
im Gymnasium auszeichnet und ein glänzendes Doktor-
diplom holt. Da können die Eltern manchmal kindisch
in der Beurteilung der Leistungen ihrer Töchter sein. –
Die äußeren Schwierigkeiten wären also überwunden, aber
wie steht es mit den Konsequenzen für die Erziehung eines
studierenden Mädchens? Ein Menschenkind von fünfund-
zwanzig Jahren, das am Krankenbette steht und entscheiden
soll, dem wissenschaftliche Untersuchungen aufgetragen wer-
den, das junge Menschen erziehen soll, muß doch eine ganz
andere Erziehung genießen, als ein junges Mädchen, das
für Spiel und Tändelei oder zu Repräsentationen ꝛc herge-
richtet wird! Je ernster, je verantwortungvoller der Beruf
ist, desto mehr muß auf die Ausbildung eines festen Wil-
lens, eines auf Grundsätzen und Konsequenz fußenden
Charakters, eines praktischen Sinnes und auf Förderung
eines warmen Gefühlslebens geschaut werden. Vor allem
muß einem solchen jungen Mädchen viel Freiheit gegeben
werden, damit es sich selber zur Freiheit erziehen kann.
Leider aber ziehen die wenigsten Eltern diese Konsequenzen.
Abgesehen davon, daß von mancher Gymnasiastin oder
Studentin eine Fülle häuslicher Dienste verlangt wird,
daß die Eltern glauben, ihre Tochter den gesellschaftlichen
Ansprüchen nicht entziehen zu dürfen, suchen sehr viele
Eltern den engen Kreis veralteter Ansichten stehen zu
lassen, in den herkömmlicherweise die Töchter eingeschlossen
werden. Sie bewachen genau jeden Schritt der jungen
Studentin und verlangen Rechenschaft über alles, was sie
tut.
Vor zweierlei glauben die Eltern ihre studierenden
Töchter besonders bewahren zu müssen: vor jeder Berüh-
rung mit der Frauenbewegung und vor dem Umgang mit
den Kommilitonen. Die Führerinnen der Frauenbewegung
werden als emanzipiert, die Arbeit derselben als „un-
weiblich“ hingestellt. Mit dem Wort „unweiblich“ und
„weiblich“ wird überhaupt alles erreicht, was törichte
Erzieher wollen, denn gegen die Auslegung dieser beiden
Begriffe läßt sich nicht kämpfen.
Der Umgang mit Kommilitonen, die nicht im Hause
verkehren, wird einfach untersagt. Von Teilnahme an
studentischen Unternehmungen ist gar keine Rede. Der
Eintritt in einen Studentinnenverein wird gerade noch
gestattet. Was im Studentinnenverein getan wird, wird
von den Eltern, namentlich aber von Tanten u. dergl.
genau kontrolliert.
Ein solch ängstliches Verhalten der Eltern für ihre
studierenden Töchter ist aus manchen Gründen erklärlich.
Es hängt wieder damit zusammen, daß die Frauenbewe-
gung die Grundlagen der Kultur noch kaum berührt hat
– die Wertschätzung der arbeitenden Frau ist noch eine
viel zu geringe. Der Vater kennt das wirkliche Leben
mit seinen ganzen Gefahren für „ein junges, unbeschütz-
tes Mädchen“, die Mutter ahnt es; – so halten beide wach-
sames Auge über jeden Schritt ihrer Tochter. Daß damit
der geistigen Entwicklung des jungen Mädchens nicht ge-
dient und diese Art der Vorbereitung für den Beruf die
denkbar schlechteste ist, bedenken die Eltern nicht. Sie
wollen von dem einzigen Mittel, das ihren Töchtern durch
die tatsächlichen Schwierigkeiten des sozialen Lebens helfen
kann, im allgemeinen nichts wissen, von der Aufklärung
und der Bildung eines charakterfesten, selbständigen Mäd-
chenwillens.
IV.
Die Studentin, die unter solchen Umständen aufwächst,
– und ihre Zahl ist eine große und vermehrt sich mit der
Ausdehnung und Verallgemeinerung des Frauenstudiums
– bringt nun alle die Anschauungen in die Universität mit.
Sie verlangt vom Kommilitonen, was sie im Ballsaal
von ihrem Kavalier fordert. Sie hält an den gesell-
schaftlichen Formen umso fester, weil sie sich ohne den
Schutz der Erwachsenen fühlt. Jhr sind die Korporations-
studenten lieber, weil die korpsstudentische Erziehung die
Beherrschung gesellschaftlicher Formen garantiert. Viele
2
Studentinnen kennen das Korpsstudententum aus ihrer
eigenen Familie; sie bringen die Bewunderung für Band
und Mütze mit in die Universität.
Den Professoren gegenüber stellt sich die Studentin
häufig in das Verhältnis des blinden Gehorsams zur
Autorität. Das darf einen nicht wundern. Sie überträgt
nur, was ihr während der Jahre der Erziehung mit
allerlei tauglichen und untauglichen Mitteln eingetrichtert
wurde, auf die Universität. Die Vorbereitung für das
akademische Studium ist oft ein kritikloses Aufnehmen.
Jn Kursen, die auf die Mädchenschule aufgebaut sind, durch
Privatstunden, in Vorbereitungsanstalten, wo innerhalb
einer möglichst kurzen Zeit die Kenntnisse fürs Abiturium
erworben werden müssen, lernt ein großer Teil der jungen
Abiturientinnen das, wozu die Gymnasiasten sechs bis
sieben Jahre Zeit und dazu noch einen geregelten Lehrplan
haben. Daß die Mädchen in einem ungeregelten Lehrplan
nicht die Ruhe der gleichmäßigen Verarbeitung, nicht die
Muße der Kritik haben, ist begreiflich, und der Schaden
zeigt sich sehr häufig in einem mechanischen Hinnehmen
dessen, was geboten wird. So sehr reformbedürftig der
Lehrplan der Knabengymnasien ist, er ist noch weit besser
als im allgemeinen die Vorbereitung der Abiturientinnen.
Sonst würde neben dem erzieherischen Moment der Koe-
dukation die fortschrittliche Frauenbewegung nicht so sehr
auf den Eintritt der Mädchen ins Knabengymnasium dringen.
Nun einen Blick auf die Kommilitonen und ihr Ver-
halten zu den studierenden Frauen. Der junge Mann
bringt auf die Universität die Ansichten mit, die er zu
Hause, in der Gesellschaft, in der Verbindung, von Freun-
den und älteren Bekannten, die sich verpflichtet glauben,
ihn „in die Welt einführen zu müssen“, gelernt hat.
Vor der Studentin stehend, weiß er im ersten Augen-
blick nicht, wie er sich verhalten soll. Er bringt sie
in keine der beiden Kategorien unter, in die er sonst die
Frauen zu teilen pflegt. Die Studentin arbeitet mit ihm
um dasselbe Ziel; sie ist ernst, aber es fehlt die gewohnte
gesellschaftliche Umgebung, wo sonst guterzogene junge
Mädchen zu finden sind. Da gibt es denn drei Möglich-
keiten, wie der junge Mann mit der „Frauenbewegung“
fertig wird; eine beleidigende Gleichgültigkeit, die jede
Studentin als Luft im wörtlichsten Sinne behandelt; dann
die Gleichstellung der Frau mit denjenigen unglücklichen
Wesen, die man auf der Straße und in mindern Kneipen
trifft, und als drittes die Behandlung der Frau als ge-
sellschaftlich gleichgestellte Dame. Das erste und zweite
scheint sehr häufig vorzukommen; manche Studenten strei-
chen im Gefühle ihrer Unsicherheit ihre schlechten Ma-
nieren besonders heraus. Viel zu leiden haben die Aus-
länderinnen, namentlich alle, die man unter dem Namen
„Russinnen“ zusammenfaßt. Sie sind für manche Stu-
denten tatsächlich das „Freiwild.“ Da man über ihre
Sitten, ihre Anschauungen sich zu unterrichten nicht für
der Mühe wert hält, gibt man ihnen dafür Verachtung
und unziemliches Entgegentreten.
Eine eigentümliche Empfindlichkeit herrscht daher in
der Universität zwischen den Geschlechtern. Was der eine
oder andere Teil sagt, wird oft in die strengste Untersuchung
genommen und so lange zerpflückt, bis eine harmlose
Bemerkung in eine schwerwiegende Aufklärung verwandelt
ist. Mancher Student, der ein ehrlicher Freund der
Frauenbewegung war, ist durch das abweisende Verhal-
ten der Studentinnen zum erbitterten Frauengegner ge-
worden. Es handelt sich nicht immer um schwerwie-
gende Aeußerungen oder Handlungen. Die Studentinnen
glauben, Rücksicht auf ihren guten Ruf oder auf die Fa-
2*
milie nehmen zu müssen; die Scheu, ins öffentliche Ge-
rede zu kommen, die Angst vor Unziemlichkeiten seitens
der Kommilitonen hält sie vor jeder Annäherung zurück.
Und so ist man in denjenigen Jahren zurückhaltend
und meidet einander, in denen die beste Gelegenheit ge-
geben ist, sich unbeeinflußt kennen zu lernen. Es sind die
Jahre eines sorgenfreien Arbeitens, wo weder die Kon-
kurrenz, noch die Stellung Einfluß hat.
An dieser Stelle muß noch allerlei über das Zusam-
mensein der Geschlechter an der Universität gesagt werden
und damit ein Thema berührt werden, das sehr heikel
ist, über das jeder seine eigene Meinung hat. Es
wird viel von Kameradschaftlichkeit und Kollegialität
gesprochen. Jch möchte die Kameradschaftlichkeit defi-
nieren als den zwanglosen Verkehr, der jede belästigende
Formalität ablegt, Offenheit, bereitwillige Hilfe in jeder
Lebenslage. Kameradschaftlichkeit fordert einen kindlichen,
natürlichen Sinn, schließt jede Koketterie und jeden Flirt
aus. Sie kann bei jungen Menschen verschiedenen Ge-
schlechts wohl vorkommen und bedeutet in ihrem Leben
eine Quelle der Erfrischung und der Lebensfreudigkeit.
Kameradschaftlichkeit fehlt leider noch sehr an unsern
Hochschulen. Dazu sind die Vorbedingungen durch die
Erziehung zu schlecht beschaffen. Wie ist es möglich, wenn
zwanzig Jahre vorher die Geschlechter systematisch ge-
trennt wurden, gerade in einem Alter, wo der sexuelle
Trieb richtig zu erwachen beginnt, den möglichen und na-
türlichen Ton zu finden? Wie ist es möglich, wenn man
an dem einzigen Orte der Zusammenkunft beider Ge-
schlechter, im Gesellschaftsraum, zu Flirt und Tändelei
geradezu erzogen wird, auf einmal den richtigen Ton, den
Ernst der gemeinsamen Arbeit in Kursen, Seminarien,
Laboratorien zu finden, wo doch die Studierenden manch-
mal so sehr auf die Gegenseitigkeit angewiesen sind? Wie
ist überhaupt eine Zusammenarbeit von Student und Stu-
dentin möglich bei der Art sexueller Erziehung des jungen
Mannes, wie sie allgemein üblich ist? Der Mann wird
in dem Universitätsalter beinahe gezwungen, das weib-
liche Geschlecht nur als zu seiner Unterhaltung vorhanden
zu nehmen, nicht nur die korpsstudentische Erziehung tut
dies; die Lieder, die studentischen Traditionen, die An-
schauungen im Volke, die Frauen selber bringen ihn dazu.
Nichts ist häßlicher, nichts entwürdigt die der wissen-
schaftlichen Arbeit geweihten Räume mehr als wenn der
Klatsch die Gänge durchschleicht, dem sich die sexuelle
Lüsternheit beimischt, wenn etwa Studentinnen mit jener
dem Ballsaal entnommenen herausfordernden Haltung
durch die Hallen und die Lehrsäle gehen, womöglich mit dem
neuen Hut und der modernen Jacke angetan, um durch ihr
unakademisches Aussehen zu beweisen, wie wenig der Ernst
der Universität und der Wissenschaft ihnen bekannt ist.
Ebenso muß es scharf getadelt werden, wenn Studenten
sich nach jeder Kommilitonin umschauen, ihre Bemer-
kungen, ihre zweideutigen Witze machen und so ihren
tiefen Kulturstand beweisen.
Es ist dieses Kapitel eines der allerwichtigsten in dem
Leben des jungen Akademikers, denn wenn in dieser Peri-
ode, wo der Geschlechtstrieb in seiner vollen Gewalt ein-
zusetzen beginnt, nicht die Achtung vor dem andern Ge-
schlecht, die Ueberzeugung von der Gleichwertigkeit und
berechtigung eintritt, so ist die richtige sexuelle Erziehung
meistens verloren. Was der Student nicht lernt, lernt
der Akademiker im Berufe nie. Wir erkennen die Wahrheit
dieses Satzes in allen Handlungen und Unternehmen,
die vom Akademiker ausgehen. Wir sehen sie in der
Einschätzung der Frau im öffentlichen Leben, wo beinahe
alles, was das junge Mädchen, die Mädchenerziehung,
die erwerbende Frau, die verfolgte Frau, die fehlende
Frau betrifft, vom Akademiker mir einer beispiellosen Rück-
schrittlichkeit behandelt wird. Der Frauenbewegung türmen
sich die größten Schwierigkeiten da entgegen, wo es heißt,
Akademiker in irgend einer Form für ihre Pläne zu gewin-
nen, wo man auf die Unterstützung akademisch gebildeter
Behörden oder Kollegen angewiesen ist. Diese Hindernisse
und Schwierigkeiten in der Ausdehnung der Frauenbe-
wegung werden noch jahrelang bleiben. Sie bleiben, bis
ein Geschlecht herangezogen ist, das in der Universität
den richtigen Ton gefunden hat. Ein Geschlecht, das die
Kollegialität ohne Unterschied auf alle ausdehnt, ein Ge-
schlecht, das sich gegenseitig achtet, das die Freundschaft
zweier Menschen nicht in den Staub hinunterzieht, das die
Liebe nicht in den Schmutz zieht, das bei Verirrungen
trauert und stillschweigend sich zurückhält. Und dieses
Geschlecht kann erst gebildet werden, wenn Erzieher und
Lehrer in anderer Weise auf die halbwüchsige Jugend ein-
wirken. Es muß die gemeinsame Arbeit schon frühe geübt
werden, es muß ausgeführt werden, was die freiheitliche
Frauenbewegung jetzt schon als die Erziehung der Ge-
schlechter außerordentlich fördernd ansieht, die Koedukation
von der Volksschule bis zum Berufe.
V.
Nachdem wir so einen Ueberblick zu gewinnen suchten
über die Vorbedingungen, unter welchen das junge Mädchen
die Universität betritt, und dabei auch in großen Zügen
das Verhalten der beiden Geschlechter auf der Universität
streiften, müssen wir auf die Gesamtheit der studierenden
Frauen überhaupt eingehen und, da hier große Differenzen
vorliegen, eine Sichtung derselben vornehmen. Wie schon
erwähnt, ist der Zweck des männlichen und weiblichen
Universitätsbesuchs in mancher Hinsicht sehr verschieden.
Es gibt neben derjenigen studierenden Frau, die sich für
den vollen Lehrplan bei nötiger Vorbildung entschließt,
eine ganze Anzahl von Universitätsbesucherinnen, die ein-
fach aus Bildungstrieb auf die Universität gehen. Wir
sehen hier ab von denen, die aus Mode auf die Hochschule
laufen. Es gibt junge Mädchen, die den Trieb in sich
fühlen, ihre Allgemeinbildung zu erweitern, das wissen-
schaftliche Studium und die Art wissenschaftlichen Ar-
beitens kennen zu lernen. Sie haben sich bereits ihren
Pflichtenkreis geschaffen; aber sie sehen es als notwendige
Vorbereitung für Ehe und Mutterschaft an, durch eine
Schulung des Geistes, wie sie nicht auf der Mädchenschule
erreicht wird, hindurch zu gehen. Sie hören in der Woche
einige Vorlesungen, nehmen vielleicht auch an den Kursen
teil. – Man kann gegen eine solche Benutzung der Uni-
versität, die nicht der wissenschaftlichen Arbeit und Aus-
bildung dienen, protestieren. Allein das ist meiner An-
sicht nach ungerecht. Diese Frauen verderben und beein-
flussen den Hochschulcharakter nicht im geringsten. Da
gibt es ganz andere Feinde als sie. Sie verschwinden zudem
immer mehr, je mehr andere Bedingungen zu einem gründ-
lichen, wissenschaftlichen Unterricht gegeben werden, durch
Kurse außerhalb der Universität. Namentlich eine Volks-
hochschule wird solche strebsame junge Elemente aufneh-
men. Man soll dem, der lernen will, nicht die Türe ver-
schließen. – Wenn jemand zu leiden hat, so ist es die
akademische Frauenbewegung. Sie bekommt dadurch ein
äußerst kompliziertes Aussehen. Sie muß Mitgänger mit
sich schleppen, die eigentlich nicht zu ihr gehören.
Und nun zurück zur eigentlichen Trägerin der aka-
demischen Frauenbewegung, zur studierenden Frau im eng-
sten Sinne.
Die Studentin gehört zu den gentibus academicis.
Man hört so oft im Tone der Gegensätzlichkeit von
„Studentin und Studentenschaft“ sprechen; ja, man ist
nahe daran, den Begriff „Studentinnenschaft“ zu bilden.
Nichts unrichtiger als dies. Die Studentin ist durch die
JmmatrikulationDie Jmmatrikulation (wenigstens der Studentin deutscher
Nationalität) ist in ganz Deutschland, neuerdings ja auch in Preußen
und Straßburg durchgeführt. civitas academica; daran kann selbst
die Klausel„Aus besonderen Gründen können mit Genehmigung des
Ministers Frauen von der Teilnahme an einzelnen Vorlesungen
ausgeschlossen werden“. Erlaß des preußischen Kultusministers über
die Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium vom 18 August
1908. Der Satz bedeutet allerdings einen Eingriff in die
akademische Freiheit! Vgl. meinen Aufsatz in der Frauen-
bewegung No. 19, Jahrgang XIV. des preußischen Kultusministeriums nicht
mehr rütteln.
Wenn dem aber so ist, wenn wir die Studentin nicht als
etwas Besonderes herauslösen dürfen aus der akademischen
Gemeinschaft, dann ist es auch notwendig, zunächst diese
unseren Betrachtungen zu unterziehen und uns nachher
zu fragen, welche Stellung der Studentin innerhalb der
akademischen Bürgerschaft zukommt.
Wir sehen heute innerhalb der Studentenschaft deut-
lich zwei Strömungen. Wir können ganz gut von einer
ältern und einer jüngern Richtung sprechen. Die ältere baut
sich auf dem Prinzip der Auswahl und des Zusammenschlus-
ses Gleichgesinnter auf. Die Erziehung des Einzelnen nach
bestimmten Formen und Traditionen ist die Grundlage.
Hier wird die alte studentische Fröhlichkeit gepflegt; die
richtige Anwendung der Universitätsjahre in der Abschlies-
sung vom modernen Leben gesehen und deshalb alle
akademische Arbeit auf rein studentische Angelegenheiten
beschränkt.Dabei soll nicht geleugnet werden, daß das moderne Leben
auch hier seine beeinflußende Wirkung nicht verfehlt. Diese Anschauungsweise des akademischen
Lebens verschließt sich infolgedessen auch der Frauenfrage.
So unmöglich es ist, die Traditionen, auf denen sich die Ver-
bindungen aufbauen, zu ändern, so unmöglich ist den
Frauen der Eintritt in eine Verbindung. Für die Studen-
tinnen kommt also dieser Teil der Studentenschaft nicht
in Betracht.
Jhnen gegenüber stehen die wissenschaftlichen Vereine,
die Tendenzverbindungen und die nicht inkorporierte Stu-
dentenschaft. Diese Masse ist der Träger der modernen
Strömungen in der Studentenschaft. Die Art und Weise,
wie moderne Gedanken von den Studenten ergriffen und
verarbeitet werden, ist eine verschiedene. Teils sind es
Gruppen, Vereine, die eine einzelne Jdee auffassen und
in deren Sinn sich betätigen. Wir sehen, wie die Abstinenz-
bewegung zu studentischen Abstinenzvereinen und zur Pro-
pagierung der absoluten Enthaltsamkeit von alkoholischen
Getränken innerhalb der Studentenschaft geführt hat. Oder
die Einwirkung der modernen Zeit mit ihrem starken
sozialpolitischen Zug hat die Studenten veranlaßt, in an-
derer Weise als die Universität es tut, solche neuen Pro-
bleme in Diskussions- und Vortragsabenden, praktischen
Führungen und Untersuchungen zu erörtern. Politische
Jnteressen in freiheitlichem Sinne pflegt der Freibund.Vgl. Engelhardt, Die Freibundsbewegung; Blaustein, Der
Student in der polit. Entwicklung Deutschlands seit den Freiheits-
kriegen; Pfarrer Korell, Student und Politik; sämtlich im Verlag des
Nationalvereins, München 1909.
Andere Vereinigungen bestehen, deren Ziel die Bekämp-
fung des ultramontanen Einflusses aus den Universitäten
ist. Daneben sind die zahlreichen studentischen Fachver-
eine zu nennen. So zersplittern sich die modernen Stu-
denten in eine Menge kleiner Gesellschaften, die mit ein-
zelnen Jdeen sich befassen, auf einzelnen Gebieten eine
möglichst hohe spezielle Ausbildung versuchen.
Diesen Vereinsbestrebungen gegenüber besteht ein Un-
ternehmen, welches in gewissem Sinne einheitlich und zu-
sammenfassend wirken will: Es ist die Freie Studen-
tenschaft. Jhr Wesen ist aus zwei Grundprinzipien
zurückzuführen.Für ein näheres Eingehen auf das Wesen der Freien Stu-
dentenschaft empfehlen sich die Schriften: Der freistudentische
Jdeenkreis von Dr. Felix Behrend, Zur Erneuerung des deutschen
Studententums von Dr. W. Ohr, Altes und Neues Studententum
von J. Neumann, sämtlich im Bavariaverlag zu München erschienen. Einerseits baut sich die Freie Studenten-
schaft auf dem Vertretungsprinzip, anderseits auf der
„modernen Bildungsidee“ auf.
Um kurz auf das Vertretungsprinzip zu kommen, müssen
wir uns die Hochschule als Staat (der Name Civitas
academica besagt dasselbe) denken. Jn diesem Staat be-
sitzen zwar die Bürger Einfluß auf das Staatsleben, aber
dieser Einfluß hat durch die Masse seine Beschränkung er-
fahren. Wir sehen in diesem Staate einen Teil der Bürger
ihre Wünsche auf andere übertragen und diese als vertre-
tende Behörde über die Angelegenheiten der Hochschule
beraten. Die Professorenschaft läßt sich durch den Senat
vertreten und dieser setzt als ausführende Behörde den Uni-
versitätsrektor ein. Die Studenten wählen ebenfalls ihre
Abgeordneten. Es war in früheren Zeiten, wo das Kor-
porationswesen viel ausgebildeter war, wo freiheitliche,
oder der Zeit entsprechende Jdeen überhaupt nur inner-
halb der Verbindungen Verbreitung finden konnten, selbst-
verständlich, daß die Vertretung der Studenten von diesen
Körperschaften ausging. Der übliche Name für die Ver-
treter der Studentenschaft lautet: Studentenausschuß. Diese
Studentenausschüsse haben die studentischen Jnteressen zu
wahren. Bei allen wichtigen Angelegenheiten der Uni-
versität haben sie zu beraten und ihre Entschlüsse den
akademischen Behörden mitzuteilen. Nach parlamentari-
schen Prinzipien ist also die civitas academica eingerichtet;
auf diesen Prinzipien kann und muß jede Neuerung auf-
gebaut werden.
Jn dem Maße, als sich die Zahl der Studenten den
Korporationen entzog, wurde eine Lücke in der Vertretung
der Studentenschaft empfunden. Der Studentenausschuß
konnte nicht mehr als allgemeiner gelten, solange nur die
inkorporierten Studenten ihre Vertreter hatten. Es wurde
daher die Jdee der Freien Studentenschaft gefaßt als
der Gesamtheit aller Nichtinkorporierten, und darnach eine
Vertretung dieser Freien Studentenschaft im Studenten-
ausschuß beansprucht.
Das Vertretungsprinzip wird aber durch andere Ereig-
nisse in besonderer Weise mit der Freien Studentenschaft
verknüpft. Die Korporationen vertreten sich im allge-
meinen nach bestimmten feststehenden Zahlen, nicht nach
der Menge der Mitglieder einer einzelnen Verbindung.
Dennoch wird durch die Vielheit der Korporationen die
Vertretung derselben eine sehr große. Nach dem gleichen
Prinzip sollte die Freie Studentenschaft wie ein Verein
behandelt werden und eine sehr beschränkte Zahl, gewöhnlich
nicht mehr als zwei oder drei Vertreter im Ausschuß besitzen.
An denjenigen Universitätsstädten, wo die Freie Studenten-
schaft durch die Zahl der Nichtinkorporierten auf eine
starke Masse anschwoll, verlangte sie Revision der Wahl-
methoden in dem Sinne, daß das absolute Verhältnis aller
Korporierten dem absoluten Verhältnis aller Nichtinkor-
porierten entgegengestellt werde und die Zusammensetzung
des Ausschusses in diesem Sinne geschaffen werde. Auf
eine Universität, wie Zürich, macht das eine Zweidrittel-
mehrheit der Freien Studentenschaft gegenüber den Ver-
tretern der Korporationen.
Diese Neuorganisation der Allgemeinen Studenten-
ausschüsse, hervorgerufen durch die veränderten Zeitver-
hältnisse ist der Jnhalt des Vertretungsprinzipes im en-
gem Sinne der Freien Studentenschaft.
Die Freie Studentenschaft hat sich neben dieser – wir
können sie nennen im Vergleich mit den Verhältnissen im
modernen Rechtsstaat – politischen Aufgabe eine weitere,
humanistische gestellt. Sie beruht auf der Bildungsidee.
Dadurch, daß seit etwa hundert Jahren die Wissen-
schaft so enorme Fortschritte gemacht hat, drohen die Uni-
versitäten in Fachschulen zu zerfallen und das Studium
reines Fachstudium zu werden. Das alte Jdeal der Uni-
versität ist, wie schon der Name universitas litterarum sagt,
eine Vermittlung allgemeiner Bildung neben der An-
eignung gründlicher Fachkenntnisse. Dieses humanistische
Jdeal stellt die allerhöchsten Forderungen an den Men-
schen; der Mensch soll Mensch sein (homo und humanus
hängen zusammen); nicht nur Kenntnisse wissenschaftlicher
Art genügen, nein, er soll sie auch in einen praktischen
Zusammenhang mit seiner Zeit bringen; er soll diese Kennt-
nisse zum Nutzen der Aufwärtsentwicklung seiner Gene-
ration verwerten; er soll am Fortschritt mitarbeiten, ohne
dabei einseitigen Radikalismus zu vertreten. Vom Aka-
demiker verlangt man, daß er dem humanistischen Jdeal
getreu und schöpferisch ins Leben eingreifend über dem
Volksganzen stehe; daß er die Bestrebungen der einzelnen
Jnteressentengruppen, die oft einander stark gegenüber-
stehen, mit einander in Zusammenhang bringe, um das
Ganze dadurch zu fördern. Kurz, das humanistische Jdeal
des Akademikers verlangt von ihm wissenschaftliche Bil-
dung, Zusammenhang mit der Wirklichkeit, Eingehen in die
Gesamtheit, um über der Gesamtheit stehen zu können.
Dieses Jdeal, so schwer es ist, ihm nachzustreben,
muß heute noch aufrecht erhalten werden. Daß es noch
vorhanden ist, beweist die Achtung vor dem Akademiker,
der Trieb zur Universität. Daß es aber auch anderseits
stark vernachlässigt wird, beweist die mißtrauische Hal-
tung des Volkes zu den Wissenschaftlern. Es sind deutlich
zwei Strömungen im Volke vorhanden. Die eine bildet
sich heraus aus dem Gefühl, daß das Studium dem Men-
schen eine besondere Stellung verleihe. Dieses Gefühl
stammt aus der Zeit her, wo die Akademiker an der
Spitze der Volksbewegung standen, wo sie tatsächlich die
Führer des Volkes waren, seine Jdeale aufrecht erhielten
und ihre Existenz für diese Jdeale in die Schranken setzten.
Denken wir an die Zeiten von den Freiheitskriegen an
bis zur 48er Revolution. Da waren die Professoren
und die Studenten Volksführer, die für die Freiheit, die
Konstitution und die Einigung Deutschlands kämpften.
Dann kam aber nach und nach ein Wechsel. Die
Wissenschaft machte Riesenfortschritte. Diese zwangen zur
Spezialisierung. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse führ-
ten zu einem ungeheuren Aufschwung der Technik und diese
zum Emporblühen der Jndustrie. Der Handel dehnte
sich über die ganze Welt aus. Das Leben veränderte
sich; eine neue Klasse Menschen, die Jndustriearbeiterklasse,
schob sich ins Volksganze ein. Neue Konstellationen im
Volksleben entstanden: die Masse und die Macht der Masse
durch ihre Organisierung. Das Kapital, sein Einfluß,
seine Riesenmöglichkeiten, gaben dem Streben des Menschen
andere Richtungen.
Wie verhielt sich der Akademiker bei diesen großen
Veränderungen? Er muß nicht den richtigen Weg einge-
schlagen haben, sonst hätte er nicht das Vertrauen des
Volkes verloren, wäre nicht ein Opfer des Volkswitzes
geworden und – was vor allem bedenklich ist – er wäre
nicht der Spielball moderner Mächte geworden, die seine
Unkenntnis der Praxis zu ihrem Vorteil ausnützen. Der
intelligente Arbeiter versteht vom modernen Leben, vom
richtigen Kämpfen um die Existenz mehr als im Durch-
schnitt der Akademiker. Sonst wäre dieser nicht als Arzt
in ein unwürdiges Abhängigkeitsverhältnis zu den Kran-
kenkassen gekommen, müßte nicht als Jurist das Mißtrauen
in seine Entscheidungen erleben, müßte nicht als Pfarrer
die Abwendung ganzer Volksklassen von der Kirche untätig
mitansehen, würde nicht als Lehrer der Jugend in die
Karrikatur hineingezogen, müßte nicht als Beamter Dienste
leisten, die mit der akademischen Vorbildung wenig in
Einklang stehen, müßte nicht als Techniker um Hunger-
löhne arbeiten und in Stellungen gehen, wo er ein Hand-
langer und kein mit Geist und Ueberlegung arbeitender
Mensch ist. Der Gelehrte von heute wird als Träumer
und Jdealist in Witzblättern verspottet und tatsächlich ver-
läßt der größte Teil der Studierenden mit einer Unkennt-
kenntnisnis des praktischen Lebens die Universität, durch die
eine große Zahl zur Beute unlauterer Konkurrenz und
proletarischer Armut werden.
Dem Mangel an Zusammenhang mit dem modernen
Leben abhelfen und die Neuentstehung des alten humanisti-
schen Jdeals in modernem Sinne fördern, das will die
Freie Studentenschaft. Jhre Organisationsform selber ist
modern – Vertretung der Masse (aber wohlgemerkt nicht
des Einzelnen in der Masse, sondern der Gesamtheit),
Neutralität in politischen und religiösen Dingen, Wahl
der Beamten und Entscheidung wichtiger Angelegen-
heiten durch die Generalversammlung, sowie die Verant-
wortlichkeit der Beamten an diese. Ferner sucht die Freie
Studentenschaft an allgemeiner Bildung zu bieten, was
möglich ist. So entstehen die wissenschaftlichen Abtei-
lungen, wo sich alle Fakultäten mischen, die Abteilungen
für Kunst und Sport, die Arbeiterunterrichtskurse, wo
der Student selber in den Elementarfächern unterrichtet;
Führungen durch Museen, Fabriken und staatliche Einrich-
tungen. Ueberall der Hinweis und die Anknüpfung an das
moderne Leben. Darauf, daß die Freie Studentenschaft
die Gegner des Duells durch Ehren- und Schiedsgerichte
schützt, daß in ihr die Jdee studentischer Selbstverwal-
tung entstanden ist, kann hier nur kurz hingewiesen werden.
VII.
Mitten in den modernen Strömungen der Stu-
dentenschaft nimmt nun die akademische Frau eine son-
derbare Stellung ein. Wie schon früher erwähnt, hätte
man denken können, daß sie mit großer Energie überall
da mitarbeiten würde, wo sie für ihre Entwicklung eine För-
derung zu sehen glaubt. Das ist nicht der Fall. Gründe
dafür sind bereits genannt worden.
Der eigentliche Träger der akademischen Frauenbewe-
gung sind die Studentinnenvereine. Sie zu charakteri-
sieren ist nicht einfach. Wenn wir ihren historischen Gang
verfolgen, so sehen wir sie aus der Notwendigkeit des Zu-
sammenschlusses und der gegenseitigen Unterstützung ent-
stehen. Als die Frauen um die Zulassung zur Uni-
versität kämpften, rechtlos und nur durch Vergünstigung
der Professoren Vorlesungen besuchten, als noch die stu-
dentischen Unternehmungen sie ausschlossen, da war eine
Zentralisation der Studentinnen notwendig und berechtigt.
Ratschläge, Auskünfte, Eingaben an die Behörden – das
waren die Aufgaben der Studentinnenvereine, die damals
auch engen Zusammenhang mit der Frauenbewegung be-
wahrten, weil die Führerinnen der Frauenbewegung ihnen
ihre Kraft und ihren Einfluß gerne liehen, während die
Studentinnen anderseits im Dienste der Frauenbewegung
arbeiteten. Die Studentinnenvereine waren also am An-
fang nach außen eine Organisation des Kampfes, nach
innen eine Jnteressengemeinschaft.
Nach und nach verwischte sich dieser Charakter. Je
mehr die akademische Frauenbewegung um sich griff, je
mehr die Schranken fielen, die Vorlesungen, Kurse, Exa-
mina den studierenden Frauen sich öffneten, desto mehr
wurden die Studentinnenvereine der Ort, wo sich die
Studentinnen nur, um sich gegenseitig kennen zu lernen,
trafen.
Geselligkeit stand auf dem Programm. Für viele
Studentinnen wurde der Verein überhaupt die einzige
Gelegenheit, außerhalb der Universität mit ihresgleichen
zu verkehren – die Eltern verboten die Beteiligung an
studentischen Unternehmungen. Für viele andere Stu-
dentinnen wurde und ist noch der Studentinnenverein der
erste Anfang, die erste Ahnung einer Organisation.
Nach und nach machten sich im Studentinnenverein der
Einfluß der modernen studentischen Strömungen bemerk-
bar. Unverkennbar sind freistudentische Beeinflussungen,
wie z. B. die moderne Bildungsidee. Danach wurde die
Ausbildung der Studentin im allgemeinen Sinne, die
Aneignung der Organisationstechnik, Vorträge und Dis-
kussionen als notwendig erkannt, wenn die Studentinnen
nicht hinter den Kommilitonen zurückbleiben wollten. Aller-
dings, die intelligenten und anregenden Elemente haben
vielfach große Mühe, die Jndifferenz der Kommilitoninnen
zu überwinden. Die Scheu, auch im Studentinnenverein
zu diskutieren, die Unkenntnis des Organisationslebens,
die mangelhafte Disziplin erschwert die Erziehung in
dieser Richtung aufs äußerste.
Vor allem aber kann den Studentinnenvereinen nicht
ohne Ursache vorgeworfen werden, daß sie ihr ursprüng-
liches Ziel, den Kampf um den Fortschritt der akademischen
Frauenbewegung, stark vernachlässigt haben. Wohl stehen
in den meisten Statuten etwas von Wahrung und För-
derung der Jnteressen der studierenden Frauen. Unter
Wahrung der Jnteressen würde ich in der augenblicklichen
Lage eine Kundgebung des Verbandes studierender Frauen
Deutschlands an das preußische Kultusministerium sehen,
der den dem Paragraphen über die Jmmatrikulation deut-
scher Studentinnen angeschlossenen Nebensatze: „Aus be-
sonderen Gründen können mit Genehmigung des Ministers
Frauen von der Teilnahme an einzelnen Vorlesungen
ausgeschlossen werden“, ausmerzen soll. Unter Förderung
der Jnteressen studierender Frauen würde ich ferner ver-
stehen: Hinweise auf die noch fehlenden Rechte in großen,
öffentlichen Versammlungen. Jeder Studentinnenverein
sollte mindestens einmal im Jahre einen öffentlichen Vor-
trag veranstalten, worin er die Forderungen stellt: Zu-
lassung zu allen Examina, Eröffnung der Staatsstellen,
weibliche Dozentur, Aufnahme in die Universitätsbehörden
Daß solche Propaganda ebenso Sache des Verbandstags
wäre, versteht sich von selbst.
Aber zu allem gehört eins: Die Fühlung mit den
Kommilitonen. Das ist einer der schlimmsten Vorwürfe,
den man den meisten Studentinnenvereinen machen muß.
Statt die Mitglieder für das allgemein studentische Leben
zu erziehen, statt sie hinzuweisen auf die studentischen
Unternehmungen und so einigermaßen die mangelnde Er-
3
ziehung im Elternhause zu ersetzen, werden die Studen-
tinnen in der Regel geradezu zurückgehalten. Natürlich
liest man diesbezügliche Einladungen der Studenten vor,
knüpft ein paar aufmunternde Worte hinzu, aber die
eigentliche Eingliederung in das gesamte akademische Leben
unterlassen die Studentinnenvereine im allgemeinen völ-
lig.Eine rühmliche Ausnahme davon macht der Verein Frei-
burger Studentinnen. S. Semesterunterricht des Freiburger Stu-
dentinnen Vereins W. S 1906/07. Auch für manche andere Stu-
dentinnenvereine mag unser Urteil nicht stimmen. Allerdings können die Studentinnenvereine preu-
ßischer Universitäten darauf hinweisen, daß sie eigent-
lich erst mit dem Wintersemester 1908/09 durch die Jm-
matrikulation die Berechtigung zur Arbeit in studentischen
Unternehmungen haben. Aber auf die dringenden Auf-
forderungen zur Mitarbeit von Seiten der Studenten
hätten auch in Preußen die Studentinnenvereine anders
reagieren sollen. Ob sich jetzt in dieser Hinsicht Ver-
änderungen vorbereiten, muß dahingestellt werden. Die
Zukunft wird es lehren.
Die Studentinnenvereine arbeiten eben mit alten Mit-
teln. Darin liegt ihre Schwäche und darauf ist ihre
Einflußlosigkeit auf das akademische Leben zurückzuführen.
Diese alten Mittel heißen: Abschließung, Auswahl.
Die modernen studentischen Unternehmungen werden
infolgedessen fast ausschließlich von der männlichen Stu-
dentenschaft unterstützt. Die beiden durch die Jmmatriku-
lation zusammengefügten Parteien spalten sich aufs
schroffste; ein Teil betrachtet den andern mit Mißtrauen
und Unverständnis. Der Schaden ist beiderseits; aber
größer ist er für die Studentinnen. – Zudem muß man
die Studentinnen auffordern, eine große und wichtige Auf-
gabe in Angriff zu nehmen, die durch ihre Aufnahme an
die Universität für beide Teile, das männliche wie weib-
liche Geschlecht, geschaffen wurde. Sie hängt zusammen
mit dem von der Freien Studentenschaft vertretenen
Erziehungsprinzip. Der junge Student soll zu
einer harmonischen Entwicklung seiner Persönlichkeit ge-
bracht werden, einerseits durch Selbsterziehung, an-
derseits durch den gegenseitigen erzieherischen Einfluß der
Kommilitonen, sowie durch die erzieherischen Wirkungen
von Professoren und von seiner ganzen weiteren Umgebung.
Durch die studierenden Frauen ist ein weiteres Moment
geschaffen worden, dessen hohe Bedeutung hier gebührend
hervorgehoben werden soll, weil es meistens unterschätzt
wird.
Was die Koedukationsbewegung verlangt und an-
strebt, das wird in der Universität erfüllt; der männliche
wie die weibliche Studierende unterliegen denselben Rech-
ten und Pflichten und genießen gemeinschaftlichen Unter-
richt. Sie stehen beide als gleichberechtigt da. Wenn
dieses letztere immer und immer wiederholt wird, so darf
das nicht verwundern; denn viele, die meisten Studen-
tinnen, fühlen sich noch nicht als gleichberechtigt, und die
Studenten haben immer noch zum größten Teil die An-
sicht, mehr Berechtigung auf die Hochschule zu haben als die
Kommilitoninnen. Die Gleichberechtigung aber ist die
Basis jedes erzieherischen Einflusses. Aus ihr muß die
Gleichwertung entspringen, die schon den ersten er-
zieherischen Akt bedeutet. So sehr bedauerlich es ist, daß
nicht schon in den eindruckfähigen Jahren des Gymna-
siums die beiden Geschlechter zusammengeführt werden,
so muß es doch als ein glücklicher Umstand bezeichnet
werden, daß wenigstens in den Universitätsjahren Mann
und Frau auf die gemeinsame Arbeit angewiesen sind.
Denn es sind noch Jahre der Entwicklung und der Ein-
flußfähigkeit, wenn auch manche junge Herren vollständig
reif und abgeschlossen zur Universität zu kommen meinen.
Worin soll nun die gegenseitige Erziehung bestehen?
Einerseits, daß man sich gegenseitig kennen lernt. Nir-
gends kann man einen Menschen besser erkennen als beim
Ernste der Arbeit. Dabei wird seine Befähigung, seine
Urteilskraft, sein Wille, seine Art zu arbeiten, offenbar.
Das ist sehr wichtig, weil namentlich der eine Teil, näm-
lich die Frauen, den Beweis ihrer wissenschaftlichen Be-
fähigung geben müssen. Sie haben jahrtausendelang die
Wissenschaft und deren Entwicklung den Männern über-
lassen und noch ist kaum eine Generation wissenschaftlich
arbeitender Frauen über die Erde gezogen. Da ist natür-
lich ein Urteil nicht zu fällen und auch die Analogien
aus der Kunst gelten nicht, weil in der Wissenschaft ganz
andere Gaben und Eigenschaften notwendig sind als in
der Kunst. Wie der wissenschaftliche Befähigungsnachweis
der Frau ausfallen wird, überlassen wir getrost der Zu-
kunft; zuerst öffne man ihr alle Möglichkeiten, zuerst lasse
man einige Generationen akademischer Frauen vorüber-
gehen, dann mögen vielleicht unsere Nachkommen ein Ur-
teil über eine Angelegenheit fällen, über die wir unsere
Köpfe in allen Fällen resultatlos zergrübeln.
Anderseits beruht der Erziehungsgedanke auf dem
Grundsatz, miteinander und füreinander zu arbeiten. Nicht
nur die wissenschaftliche Arbeit sollte einen; beinahe
noch erzieherischer wirkt die Arbeit im studentischen
Leben, die Organisationsarbeit und was damit zusam-
menhängt. Gerade bei einer solchen Betätigung zeigen
die Menschen ihr wahres Wesen; da beweist sich
der Mut, die Ausdauer, die Treue, die Disziplin des
Einzelnen. Alles Eigenschaften, die im Leben eine große,
praktische Rolle spielen. – Die Bestrebungen der Koedu-
kation haben oft genug darauf hingewiesen, daß der Sexu-
altrieb günstig beeinflußt wird, wo die beiden Geschlechter
in Arbeitsgemeinschaft zusammenkommen.
Tatsächlich sollen alle diejenigen, die auf die Stu-
dentenschaft in einem fortschrittlichen Sinne erzieherisch
einwirken wollen, auf Grund der Erfahrungen der Koe-
dukation, auf die gemeinsame Beteiligung beider Geschlech-
ter nicht nur an der wissenschaftlichen Arbeit sondern
auch an allen akademischen Unternehmungen den größten
Nachdruck legen. Es ist eine der besten Gaben, die der
junge Akademiker ins Leben mitbekommen kann, wenn
er in der Frau die gleichstrebende Kameradin erblickt.
Und ebenso wichtig ist es für die junge Studentin, daß sie
nicht in jedem Manne zuerst den Feind sieht, sondern
auf Grund der gemeinsamen Jnteressen die Mitarbeit mit
ihm erstrebt.
Ein weiterer Vorteil bietet sich da, wo Stu-
dent und Studentin miteinander innerhalb derselben
Organisation stehen. Es wird dadurch die beste Ge-
legenheit zur Propaganda der Frauenbewegung ge-
geben. Der Gebildete muß heutzutage die wich-
tigsten Prinzipien der Frauenbewegung kennen. Der
Akademiker muß namentlich über ihre sozialen Forde-
rungen unterrichtet sein. Bedenken wir, welch großen Ein-
fluß der Akademiker in allem, was mit der Gesetzgebung
zusammenhängt, besitzt! Er ist derjenige, der einerseits
die ganze Mädchenbildung in Händen hat, der anderseits
die Gesetze über die Stellung der Frau im sozialen wie
politischen Leben bearbeitet. Allerdings wird man mir
vorhalten, daß diejenigen studentischen Elemente, die später
mit der Gesetzgebung betraut werden, in den allermeisten
Fällen aus den Verbindungen genommen werden, wo von
einem Zusammenkommen mir den Studentinnen nur sehr
indirekt zu sprechen ist. Wir müssen aber bedenken, daß
einer großzügigen und nachhaltigen Agitation und durch
ein kräftiges Eingreifen der Studentin in die akademischen
Angelegenheiten ein Einfluß auch auf die zurückhaltendsten
Elemente ausgeübt wird. Ganz kann man sich der moder-
nen Zeit nicht entziehen. – Aber nicht nur diejenigen, die
die Spitzen der Behörden erreichen wollen, sollen ge-
wonnen werden. Weit wichtiger ist es, den Gleichwertungs-
gedanken von Mann und Frau durch die Akademiker
hinaustragen zu lassen ins kleinste Dorf, in die Masse
des Volkes hinein. Es muß hier auf diese große Aufgabe
der Studentin hingewiesen werden – auf diese Kultur-
aufgabe, wie wir sie sehr gut nennen können. Sie kann
nicht in den Bahnen der Studentinnenvereine geleistet
werden, wo unter Ausschluß der Kommilitonen Vorträge
über die verschiedenen Gebiete der Frauenbewegung ge-
halten werden. Einen Einfluß auf das Denken der Stu-
dentin auszuüben, ist nur dann möglich, wenn die Stu-
dentinnen in großer Zahl und mit großer Energie in den
studentischen Organisationen arbeiten.
VIII.
Es sind von studentischer Seite Versuche gemacht wor-
den, die Kommilitoninnen heranzuziehen. Es gibt zahl-
reiche Vereine, die bedingungslos Frauen aufnehmen. Lei-
der aber ist die Zahl der weiblichen Mitglieder mei-
stens sehr schwach geblieben. Welche Erfolge die neuen
„Abteilungen für Frauenfragen“ haben, die die Freien Stu-
dentenschaften einiger Universitätsstädte (bisher München
und Leipzig) gegründet haben, kann bis jetzt noch nicht ent-
schieden werden. Die Jdeen aber, die diese Abteilungen
tragen, sind jeder Unterstützung wert.
Es sollen diese Abteilungen für Frauenfragen
das Problem der Frauenbewegung in die Studentenschaft
hineintragen. Wie ich schon erwähnte, gehört die Frauen-
bewegung zu denjenigen modernen und wichtigen Erschei-
nungen, über die auch der Akademiker orientiert sein muß.
Es ist äußerst wichtig, daß er über Tatsachen unterrichtet
sei, wie folgende: Jn Deutschland sind etwa ein Drittel
aller im Erwerbsleben stehender Volksgenossen Frauen,
(augenblicklich 9 ½ Millionen), und von den erwerbs-
tätigen Frauen über 50 Jahren sind 57 $%$ Witwen.
Das soll den Akademiker auf nationalökonomische
Fragen bringen, wie folgt: Jst die Berufsausbil-
dung dieser ungefähr 9 ½ Millionen Frauen so, daß
sie mit dem Manne als ebenbürtige Konkurrenten auf-
treten, daß sie auch im Alter eine lohnende Tätig-
keit wieder aufnehmen können, drängen diese Frauen
den Mann nicht durch mindere Bezahlung aus dem Ver-
dienste heraus? Ferner: Die Arbeitszeit der erwerbstätigen
Frau in Betrieben beträgt maximal 10-12 Stunden. Jst
es da möglich, daß die verheiratete Frau ihren Familien-
und Mutterpflichten nachkomme? Kann sie den Haushalt
versehen, den Säugling stillen, die Kinder zu ordentlichen
Menschen erziehen? Jst die Heimarbeit so beschaffen, daß
die verheiratete Frau noch die Möglichkeit hat, neben
ihr die Familie ordentlich zu halten? Von solchen Fragen
hängt die geistige und leibliche Gesundheit des Volkes ab.
Ueber solche Fragen wird vorgetragen und diskutiert.
Da eine freistudentische Abteilung keine Rücksicht nimmt auf
die Zusammensetzung des Publikums (den Kern bildet
natürlich der nichtinkorporierte Student und die Studentin,
aber auch Gäste, ältere Akademiker, Nichtakademiker, sind
willkommen), so ersehen wir den großen Vorteil darin,
daß die Kenntnis der Frauenbewegung über die direkt
daran beteiligte Frau hinaus in weitere Kreise getragen
wird.
Ferner erfüllt die Abteilung die Forderung der akademi-
schen Genossenschaftsarbeit, Student und Studentin sind an
demselben Unternehmen als Hörer oder als Ehrenbeamte
(gemischte Vorstandschaft) interessiert. Ferner werden alle
diejenigen Studentinnen, die in diese Abteilung hinein-
gezogen werden, gleich mitten in das studentische Leben
hineingeführt; solche Studentinnen werden nicht bei dieser
Abteilung, nicht bei anderen Abteilungen stehen bleiben,
sondern überhaupt sich mit dem freistudentischen und dar-
über hinaus mit dem akademischen Leben befassen. Dies
sicher eher, als wenn sie in einen Verein geraten, der immer
die Tendenz hat, die einmal gefangenen Mitglieder auch
zu behalten.
Fragen wir jetzt nach der Stellung der Studentinnen
zur Frauenbewegung. Man verlangt von ihnen, sie sollten
durch ihre Mitarbeit ihre Dankbarkeit für das, was die
Frauenbewegung für sie getan hat, beweisen. Aus dem
vorhergegangenen ist zu ersehen, wie sich ungefähr diese
Mitarbeit gestaltet. Die Studentin soll die Gedanken
der Frauenbewegung kennen, sie soll sich selbst als Zweig
dieser Frauenbewegung fühlen. Aber ihr erstes Augen-
merk soll sie auf die akademische Frauenfrage richten.
Hier liegt ihr Feld. Die Studentin ist in erster Linie
akademische Bürgerin. Die Rechte und Pflichten ihrer
Bürgerstellung müssen ihr im Vordergrund stehen. Da
muß sie ihre Kraft, ihre Treue, ihre Ausdauer hineinlegen.
Da hat sie die Gelegenheit, die großen, weiten Ausblicke
über das gesamte Volksleben zu erfassen. Da wird sie
richtig vorbereitet für ihre spätere Stellung; da bekommt
sie Liebe zu ihrem Beruf und bekommt Heimatsgefühle
für die Stätten ihrer Vorbereitung. Durch die Mitarbeit
am akademischen Leben wird sie auch aufmerksam gemacht
auf die Rechte, die ihr noch fehlen zum akademischen
Vollbürgertum, und sie wird diese Forderungen wieder
aufnehmen und sie nicht nur im Kreise der Kommilitonin-
nen, sondern auch der Studenten, deren Mitarbeit an der
akademischen Frauenbewegung ein wertvolles Moment ist,
propagieren.
Die Frauenbewegung hat als Prinzip angenommen,
die Kräfte der Frau auf dem Posten zu entwickeln, den
sie sich erwählt hat. Der Studentin gehört eine akademi-
sche Tätigkeit. Diese bietet der studierenden Frau eine
solche Fülle von Arbeit, daß ihr keine Zeit für anderes
übrig bleibt. Mögen diejenigen Führerinnen der Frauen-
bewegung, welche Einfluß auf die Studentinnen haben, sie
hinweisen auf ihre akademischen Rechte und Pflichten,
und sie nicht auf außerakademischen Kampffeldern dauernd
beschäftigen wollen. Die Früchte einer solchen Tätigkeit sind
ja nicht verloren. Die Frauenbewegung gewinnt Einfluß
auf die Akademiker. Das bedeutet viel für sie.
Wenn die Frauenbewegung die Studentinnen so in die
wirklichen Gebiete ihrer Arbeit verweist, wird vielleicht
auch das Verhältnis von Frauenbewegung und studie-
renden Frauen besser. Man hört heutzutage allgemein
klagen über die Gleichgültigkeit der Studentinnen. Der
Frauenbewegung gegenüber natürlich spielt der häusliche
Einfluß eine große Rolle. Aber eine intensive studen-
tische Tätigkeit wird mancher Studentin in diesem Punkt
die Augen öffnen.
Es muß eine Aenderung geschehen, die Studentin muß
mehr ins akademische Leben hinein. Sie verliert zu sehr
den Zusammenhang mit ihm und wird immer mehr in
den Hintergrund geschoben. Das moderne studentische
Leben wird immer reger und entwickelt sich in aufsteigender
Linie; wer nicht mitmacht, wer sich nicht hineindrängt,
der wird an die Wand gedrückt. Der Studentin ist es so
leicht gemacht, am akademischen Leben teilzunehmen; sie
wird direkt dafür gesucht. Vergleichen wir in dieser Be-
ziehung die Lage anderer weiblicher Berufe, die trotz des
besten Willens von den Männerorganisationen ausge-
schlossen werden, so müssen wir die Vorteile der studie-
renden Frauen, die Abgeschlossenheit ihres Arbeitsgebietes,
in viel lebhafterer Weise ausnützen. Und da gibt es
keinen anderen Weg, als daß alle diejenigen, die mit der
Hochschule in Verbindung stehen, und die modern denken,
ihren Einfluß für eine viel ausgebildetere Koedukation an
der Universität verwerten. Die Studentinnen selber wer-
den ihre akademische Vorbereitung fürs Leben in einem
ganz anderen Sinne betreiben können, wenn sie aus ihrer
passiven Haltung heraustreten, wenn sie sich unter die
Kommilitonen mischen, wenn sie sich mehr um akademische
Angelegenheiten kümmern und mit den Kommilitonen
zusammen arbeiten an einer Umwandlung des akademischen
Lebens nach modernen Prinzipien.