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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 108. Köln, 21. September 1848.

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Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 108. Köln, Donnerstag den 21. September. 1848.

Bestellungen für das nächste Quartal, Oktober bis Dezember, wolle man baldigst machen. Alle Postämter Deutschlands nehmen Bestellungen an.

Für Frankreich übernehmen Abonnements Hr. G. A. Alexander, Nr. 28 Brandgasse in Straßburg, und Nr. 23 Rue Notre-Dame de Nazareth in Paris, so wie das königl. Ober-Postamt in Aachen; für England die Herren J. J. Ewer et Comp. 72 Newgate-Street in London; für Belgien und Holland die resp. königl. Brief-Postämter und das Postbureau in Lüttich.

Abonnementspreis in Köln vierteljährlich 1 Thlr. 15 Sgr., in allen übrigen Orten Preußens 1 Thlr. 24 Sgr. 6 Pf. Inserate: die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf.

Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen der Zeitung die weiteste Verbreitung.

Uebersicht

Deutschland. Köln. (Der Aufstand in Frankfurt) Berlin. (Held - Neue Ministerkombination. - Verbrüderungsfest). Wien. (Die Vorfälle vom 13). Samter. (Libelt nach Frankfurt gewählt). Dresden. (Ministerkrisis) Naumburg. (Tumult). Hildburghausen. (Fortschaffung eines Ministers). Düsseldorf (Die verhafteten Demokraten) Bonn. (Bauerband). Wiesbaden. (Attentat). Breslau. (Mißtrauensvotum). Leobschütz. (Die Exesse in Beneschau).

Ungarn. Pesth. (Batthyany. - Der kroatische Krieg. - Rüstungen. - Erlaß des Ministers. - Vom Kriegsschauplatz).

Italien. (Die Eroberung Messina's. - Dekret der Regierung in Palermo. - Rüstungen - Reaktionäre Unruhen in Neapel. - Durando's Proklamation. - Der Waffenstillstand verlängert)

Franz. Republik Paris. (Die Wahlen. - Legitimistische Agitation und Komplotte im Süden - National-Versammlung). Straßburg. (Deutsche Auswanderer. - Hecker)

Großbritannien. London. (Cirkular des chartistischen Vollziehungsraths. - Lage des britischen Handels. - Kriegsmaßregeln gegen Irland. - Wie die Pariser Insurgenten in den Handel kommen). Dublin. (Neue Bewegung der Insurgenten).

Hinter-Indien. (Aufstand in Siam unterdrückt).

Central-Amerika. (Bürgerkrieg. - Die Engländer im Mosquitolande)

Deutschland.
** Köln, 20. Sept.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
103 Berlin, 18. Septbr.

Da das neue Ministerium immer noch auf sich warten läßt, beschäftigt sich heute ganz Berlin mit den heute in mehreren Tausend Exemplaren veröffentlichten Ideen des Demagogen Held. Seit acht Tagen waren bekanntlich die Angriffe der Demokraten gegen Held an der Tagesordnung, da man ihn einer Verbindung mit dem Prinzen von Preußen beschuldigte. Held läugnete den Verrath in allen Clubs und Versammlungen und behauptete, daß er nur die Freiheit und die Wohlfahrt des Volkes begründen wollte. Freiheit ohne Brod nütze dem Volke nichts und deshalb strebte er danach, Brod und Freiheit zu verschaffen; wie er das gethan, das wollte er binnen Kurzem der ganzen Welt bekannt machen. Heute endlich hat er Berlin damit beglückt; mit der Ueberschrift: "Meine Idee für die Verfassung Preußens und Deutschlands" werden Riesenplakate in der ganzen Stadt umhergetragen.

In diesem Plakat nun gesteht Hr. Held mit der ganzen Unverschämtheit eines Berliner Literaten ein, daß er dem Prinzen von Preußen die Krone hat verschaffen wollen, und untersteht sich dabei noch zu behaupten, er habe dies nur im Interesse des Volks gethan. Er macht ein langes verworrenes Gefalbader über den Charakter der Bewegung, drohende Bourgeoisie, Tyrannei, Elend u. s. w., und schlägt ein demokratisch-sozial-konstitutionelles Aufgehen Deutschlands in Preußen vor: ein einiges und untheilbares deutsches Reich mit dem Prinzen von Preußen an der Spitze! Die Majorität des Volks sei noch nicht reif, die Constituanten unfähig - also muß anders verfahren, oktroyirt werden. Volk und Krone ernennen einen Tribun auf 4 Wochen (Hrn. Held), der als Diktator die Verfassung oktroyirt. Hat Preußen diesen beneidenswerthen Zustand erschaffen, so schließt sich das übrige Deutschland höchst ungezwungen an, und so entsteht ein deutsches Reich. Dazu gehört aber ein energischer Fürst; Friedrich Wilhelm IV. paßt nicht dazu, er wird aber vielleicht abdanken und der Prinz von Preußen, der legitime Nachfolger, wäre der Mann dazu. Es fragt sich nur:

1) ob jener Prinz mit dem alten System so ganz und gar gebrochen hat, um sich dem neuen mit ganzer Seele hingeben zu können; 2) ob das Volk zu seiner Ehrenhaftigkeit das Vertrauen gewinnen kann, daß ihm seine Zusagen heilig sein werden; 3) ob er Luft und Kraft hat, eine weltgeschichtliche (!) Mission zu übernehmen.

Held schließt damit, daß er vielleicht die Genugthuung gehabt haben würde, diese Fragen mit Ja beantworten und dies Ja mit Beweisen belegen zu können, wenn ihm die Gelegenheit zur Ergründung alles dessen geworden wäre. Diese Gelegenheit sei ihm aber durch die seitens der Demokraten gegen ihn öffentlich gewordenen Verdächtigungen entrückt worden. Der arme Hr. Held! Man erzählt sich hier aber die Sache anders. Held hat seine ganze Idee schriftlich durch eine Mittelsperson dem Prinzen von Preußen zugeschickt, der aber nicht darauf eingehen wollte. Daß Held eine desfallsige Anfrage an den Prinzen gerichtet hat, gestand er mündlich gestern selbst ein, er setzte nur hinzu, keine Antwort vom Prinzen auf diese Anfrage erhalten zu haben.

Geld erhalten zu haben, leugnet Hr. Held. Im Uebrigen besitzt er trotz dieser plumpen Entschuldigung seines Bundes mit der Contrerevolution immer noch das Vertrauen eines Theils des Berliner Volks, was das schlimmste Zeugniß für den Bildungsstand der Berliner Demokraten ist. In der That, man muß merkwürdig leichtgläubig sein, um sich durch solches Larifari täuschen zu lassen, und solch phantastisches Gefasel für aufrichtig zu halten!

Nachschrift: Neueste Minister-Combination: v. Beckerath: Präsident. Pinder: Inneres. Der frühere Bundestagsgesandte Graf Döhnhoff: Aeußeres. General Pfuel (von Höllenstein): Krieg. Wenzel: Justiz. Camphausen der Jüngere: Finanzen. v. Rabe: Handel und Arbeit. Ladenberg: Kultus.

- Die gestern auf dem Exerzierplatze vor dem Schönhauser Thore von Demokraten zur Verbrüderung des Militärs mit dem Volke abgehaltene große Volksversammlung war, ungeachtet des unfreundlichen Wetters, von Civilisten und Soldaten außerordentlich zahlreich besucht und endete ohne die geringste Störung so erwünscht, daß Soldaten und Bürger, geführt von der Frauenwelt, jubelnd nach der Stadt Hand in Hand zogen.

Von einem Armeebefehle, den nach mehreren Zeitungen der König bereits im Sinne des von der Nationalversammlung am 7. d. Mts. auf den Stein'schen Antrag gefaßten Beschlusses erlassen haben soll, weiß das Militär hier bis heute noch nichts, und ist Männern, die davon zuerst unterrichtet sein müßten, auch noch nicht zur Kenntniß gekommen. Man erwartet indeß täglich einen königlichen Armeebefehl, welcher das Militär vor reaktionären und republikanischen Bestrebungen warnen soll.

(D. Z.)
61 Wien, 15. September.

Was ich Ihnen gestern voraussichtlich geschrieben, ist eingetroffen, das czechische Büreaukratengenie Strobach ist unter 321 Votirenden mit 230 Stimmen wieder zum Präsidenten des Reichstags ernannt worden. Schuselka hatte 85 Stimmen erhalten. Strobach besitzt die schöne Tugend, die Redner der Linken möglichst zu unterbrechen und nicht zu Wort kommen zu lassen, während er denen der Rechten die breiteste Grundlage gestattet. Im Laufe seiner bisherigen Amtsthätigkeit ist von allen Seiten eine Anzahl Proteste gegen seine Willkür erhoben worden und der Reichstag würde diesmal an seiner statt doch einen andern Präsidenten erwählt haben, wenn nicht die parlamentarische Taktlosigkeit der demokratischen Linken Alles verdorben hätte. Unmittelbar vor der Wahl hatte nämlich Löhner, ein deutscher Pedant zu dem absoluten Czechen-Fanatismus, einen Antrag eingebracht, der eine Art Mißtrauen wider den Präsidenten enthielt und nun von diesem sofort dahin exploitirt wurde, daß er den Präsidentensessel dem Vicepräsidenten Ritter von Straßer überließ und ihn ersuchte, über Löhner's Antrag abstimmen zu lassen. Ein Czeche beantragte sofort, darüber zur Tagesordnung überzugehen und die Kammer gehorchte. So war Löhner abgefahren, die Linke hatte eine Schlappe mehr erhalten. Bei der Stimmung der Kammer, die Löhner kennen mußte, war es eine Albernheit, einen solchen Antrag unmittelbar vor der Neuwahl zu stellen. Unter solche Kapitalalbernheiten der Linken rechne ich auch die Kleinigkeit, daß Kudlich, als am 13. Ritter Don Quixotte von Straßer Italien eine "deutsche Eroberung" nannte, bei dem Worte "deutsch" mit den Händen applaudirte und Bravo rief.

In Beziehung auf die Vorfälle vom 13. habe ich noch dieses nachzutragen:

Latour wollte am 13. der Henker von Wien werden. Er hatte schon vor 8 Tagen der Erzherzogin Sophie versprochen, Wien in Belagerungszustand zu versetzen, er hatte Windischgrätz die Weisung gegeben, sich bereit zu halten, auf die erste telegraphische Depesche mit einem Separattrain nach Wien zu eilen, um das Kommando zu übernehmen. Ohne die Permanenz des Reichstags würde dieser Kuppelplan am 13. zur Ausführung gekommen sein. Aber Latour hatte sich geirrt, als er glaubte, den Reichstag schon mit einigen erlogenen anonymen Briefen, die er selber hatte anfertigen und sich zubringen lassen, auseinanderzusprengen, um ihn dann nie mehr zusammenkommen zu lassen. Was ich Ihnen hier mittheile, beruht nicht auf bloßen Gerüchten, es wird sowohl durch die Zeitungen, als auch durch eine Menge Zuschriften, die bewährte Personen erhalten haben, bestätigt.

Als der Reichstag beschlossen hatte, daß das Militär zurückgezogen werde, als die von überallher herbeieilende Nationalgarde erkannte, daß die der Aula gemachten Beschuldigungen erlogen waren und sie sich immer mehr für dieselbe entschied, da zogen sich diese tapferen Mordgesellen wieder aus ihrem Kuppelgewebe zurück, denn sie sahen ein, daß sie vom Volke mit ihrer Soldateska zerschmettert würden. Aber das Volk sieht es meistens zu spät ein!

Dies ist die wahre Sachlage, zu deren Ueberzeugung heute Morgen die Mehrheit des Volks sich bekennt. Ueberall stehen Gruppen, überall werden einzelne Thatsachen herbeigebracht, welche gegen die Banditenschaar zeugen. - Das Militär war mit geistigen Getränken aufgewärmt worden; die Posten der akademischen Legion hatte man bei Seite zu schieben oder weit entfernt zu stellen gewußt; ein Theil der Nationalgarde der Stadt war nach Schönbrunn befohlen worden, während die Nationalgarde der um Schönbrunn liegenden Dörfer in die Stadt hatte marschiren müssen. Bourgeoisie, Büreaukratie und Ultramontanismus sprachen nur von zu mordenden Studentenbuben und republikanischen Wühlern. Die königlichen Geier glaubten schon ihre Krallen in das Herz des Volkes einzuschlagen, aber sie fanden das Volk wachsam. Da maskirten sie sich mit der gewohnten volksbeglückenden Heuchlermiene und heulten in rührender Weise: "Mitbürger! Die gesetzliche Ordnung ist heute abermals auf höchst betrübende Weise gestört worden. Das Ministerium wird nicht eher ruhen, bis Friede und Ordnung in die Mauern der Residenz wiedergekehrt sind. Fern sei Euch der Gedanke, daß durch das Erscheinen der Linientruppen die durch Se. Majestät verbürgten Freiheiten im Entferntesten geschmälert werden sollen u. s. w. Alle auf Aufregung berechneten Gerüchte, wie das von der Aufhebung der akademischen Legion, sowie andere Eingriffe in die konstitutionellen Rechte müssen daher als lügenhaft bezeichnet werden."

Wäre der Reichstag nicht, wie alle Reichstage, d. h. in den meisten Fällen erbärmlich-matt, er hätte gestern das Ministerium stürzen müssen. Aber er hörte die Schulbubenrechtfertigung Bach's, die ehrliche Verrätherei Dobblhof's und die kurz abgebrochene Bescheidung des Kriegsministers sogar mit Beifall an. Er hatte nicht ausgeschlafen, wird sich vielleicht morgen ermannen.

Nachdem ich Vorstehendes geschrieben, habe ich Folgendes erfahren:

Der Generalmarsch ist am 13. geschlagen worden, ohne daß ein Grund vorgelegen hat; das Ministerium hat die Bewegung wollen heraustrommeln lassen. - Während dessen empfing das Ministerium im Reichstag in einemfort Depeschen und entfernte sich zuletzt bis auf Latour, der nun urplötzlich die Lügen erklärte,

Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 108. Köln, Donnerstag den 21. September. 1848.

Bestellungen für das nächste Quartal, Oktober bis Dezember, wolle man baldigst machen. Alle Postämter Deutschlands nehmen Bestellungen an.

Für Frankreich übernehmen Abonnements Hr. G. A. Alexander, Nr. 28 Brandgasse in Straßburg, und Nr. 23 Rue Notre-Dame de Nazareth in Paris, so wie das königl. Ober-Postamt in Aachen; für England die Herren J. J. Ewer et Comp. 72 Newgate-Street in London; für Belgien und Holland die resp. königl. Brief-Postämter und das Postbureau in Lüttich.

Abonnementspreis in Köln vierteljährlich 1 Thlr. 15 Sgr., in allen übrigen Orten Preußens 1 Thlr. 24 Sgr. 6 Pf. Inserate: die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf.

Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen der Zeitung die weiteste Verbreitung.

Uebersicht

Deutschland. Köln. (Der Aufstand in Frankfurt) Berlin. (Held ‒ Neue Ministerkombination. ‒ Verbrüderungsfest). Wien. (Die Vorfälle vom 13). Samter. (Libelt nach Frankfurt gewählt). Dresden. (Ministerkrisis) Naumburg. (Tumult). Hildburghausen. (Fortschaffung eines Ministers). Düsseldorf (Die verhafteten Demokraten) Bonn. (Bauerband). Wiesbaden. (Attentat). Breslau. (Mißtrauensvotum). Leobschütz. (Die Exesse in Beneschau).

Ungarn. Pesth. (Batthyany. ‒ Der kroatische Krieg. ‒ Rüstungen. ‒ Erlaß des Ministers. ‒ Vom Kriegsschauplatz).

Italien. (Die Eroberung Messina's. ‒ Dekret der Regierung in Palermo. ‒ Rüstungen ‒ Reaktionäre Unruhen in Neapel. ‒ Durando's Proklamation. ‒ Der Waffenstillstand verlängert)

Franz. Republik Paris. (Die Wahlen. ‒ Legitimistische Agitation und Komplotte im Süden ‒ National-Versammlung). Straßburg. (Deutsche Auswanderer. ‒ Hecker)

Großbritannien. London. (Cirkular des chartistischen Vollziehungsraths. ‒ Lage des britischen Handels. ‒ Kriegsmaßregeln gegen Irland. ‒ Wie die Pariser Insurgenten in den Handel kommen). Dublin. (Neue Bewegung der Insurgenten).

Hinter-Indien. (Aufstand in Siam unterdrückt).

Central-Amerika. (Bürgerkrieg. ‒ Die Engländer im Mosquitolande)

Deutschland.
** Köln, 20. Sept.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
103 Berlin, 18. Septbr.

Da das neue Ministerium immer noch auf sich warten läßt, beschäftigt sich heute ganz Berlin mit den heute in mehreren Tausend Exemplaren veröffentlichten Ideen des Demagogen Held. Seit acht Tagen waren bekanntlich die Angriffe der Demokraten gegen Held an der Tagesordnung, da man ihn einer Verbindung mit dem Prinzen von Preußen beschuldigte. Held läugnete den Verrath in allen Clubs und Versammlungen und behauptete, daß er nur die Freiheit und die Wohlfahrt des Volkes begründen wollte. Freiheit ohne Brod nütze dem Volke nichts und deshalb strebte er danach, Brod und Freiheit zu verschaffen; wie er das gethan, das wollte er binnen Kurzem der ganzen Welt bekannt machen. Heute endlich hat er Berlin damit beglückt; mit der Ueberschrift: „Meine Idee für die Verfassung Preußens und Deutschlands“ werden Riesenplakate in der ganzen Stadt umhergetragen.

In diesem Plakat nun gesteht Hr. Held mit der ganzen Unverschämtheit eines Berliner Literaten ein, daß er dem Prinzen von Preußen die Krone hat verschaffen wollen, und untersteht sich dabei noch zu behaupten, er habe dies nur im Interesse des Volks gethan. Er macht ein langes verworrenes Gefalbader über den Charakter der Bewegung, drohende Bourgeoisie, Tyrannei, Elend u. s. w., und schlägt ein demokratisch-sozial-konstitutionelles Aufgehen Deutschlands in Preußen vor: ein einiges und untheilbares deutsches Reich mit dem Prinzen von Preußen an der Spitze! Die Majorität des Volks sei noch nicht reif, die Constituanten unfähig ‒ also muß anders verfahren, oktroyirt werden. Volk und Krone ernennen einen Tribun auf 4 Wochen (Hrn. Held), der als Diktator die Verfassung oktroyirt. Hat Preußen diesen beneidenswerthen Zustand erschaffen, so schließt sich das übrige Deutschland höchst ungezwungen an, und so entsteht ein deutsches Reich. Dazu gehört aber ein energischer Fürst; Friedrich Wilhelm IV. paßt nicht dazu, er wird aber vielleicht abdanken und der Prinz von Preußen, der legitime Nachfolger, wäre der Mann dazu. Es fragt sich nur:

1) ob jener Prinz mit dem alten System so ganz und gar gebrochen hat, um sich dem neuen mit ganzer Seele hingeben zu können; 2) ob das Volk zu seiner Ehrenhaftigkeit das Vertrauen gewinnen kann, daß ihm seine Zusagen heilig sein werden; 3) ob er Luft und Kraft hat, eine weltgeschichtliche (!) Mission zu übernehmen.

Held schließt damit, daß er vielleicht die Genugthuung gehabt haben würde, diese Fragen mit Ja beantworten und dies Ja mit Beweisen belegen zu können, wenn ihm die Gelegenheit zur Ergründung alles dessen geworden wäre. Diese Gelegenheit sei ihm aber durch die seitens der Demokraten gegen ihn öffentlich gewordenen Verdächtigungen entrückt worden. Der arme Hr. Held! Man erzählt sich hier aber die Sache anders. Held hat seine ganze Idee schriftlich durch eine Mittelsperson dem Prinzen von Preußen zugeschickt, der aber nicht darauf eingehen wollte. Daß Held eine desfallsige Anfrage an den Prinzen gerichtet hat, gestand er mündlich gestern selbst ein, er setzte nur hinzu, keine Antwort vom Prinzen auf diese Anfrage erhalten zu haben.

Geld erhalten zu haben, leugnet Hr. Held. Im Uebrigen besitzt er trotz dieser plumpen Entschuldigung seines Bundes mit der Contrerevolution immer noch das Vertrauen eines Theils des Berliner Volks, was das schlimmste Zeugniß für den Bildungsstand der Berliner Demokraten ist. In der That, man muß merkwürdig leichtgläubig sein, um sich durch solches Larifari täuschen zu lassen, und solch phantastisches Gefasel für aufrichtig zu halten!

Nachschrift: Neueste Minister-Combination: v. Beckerath: Präsident. Pinder: Inneres. Der frühere Bundestagsgesandte Graf Döhnhoff: Aeußeres. General Pfuel (von Höllenstein): Krieg. Wenzel: Justiz. Camphausen der Jüngere: Finanzen. v. Rabe: Handel und Arbeit. Ladenberg: Kultus.

‒ Die gestern auf dem Exerzierplatze vor dem Schönhauser Thore von Demokraten zur Verbrüderung des Militärs mit dem Volke abgehaltene große Volksversammlung war, ungeachtet des unfreundlichen Wetters, von Civilisten und Soldaten außerordentlich zahlreich besucht und endete ohne die geringste Störung so erwünscht, daß Soldaten und Bürger, geführt von der Frauenwelt, jubelnd nach der Stadt Hand in Hand zogen.

Von einem Armeebefehle, den nach mehreren Zeitungen der König bereits im Sinne des von der Nationalversammlung am 7. d. Mts. auf den Stein'schen Antrag gefaßten Beschlusses erlassen haben soll, weiß das Militär hier bis heute noch nichts, und ist Männern, die davon zuerst unterrichtet sein müßten, auch noch nicht zur Kenntniß gekommen. Man erwartet indeß täglich einen königlichen Armeebefehl, welcher das Militär vor reaktionären und republikanischen Bestrebungen warnen soll.

(D. Z.)
61 Wien, 15. September.

Was ich Ihnen gestern voraussichtlich geschrieben, ist eingetroffen, das czechische Büreaukratengenie Strobach ist unter 321 Votirenden mit 230 Stimmen wieder zum Präsidenten des Reichstags ernannt worden. Schuselka hatte 85 Stimmen erhalten. Strobach besitzt die schöne Tugend, die Redner der Linken möglichst zu unterbrechen und nicht zu Wort kommen zu lassen, während er denen der Rechten die breiteste Grundlage gestattet. Im Laufe seiner bisherigen Amtsthätigkeit ist von allen Seiten eine Anzahl Proteste gegen seine Willkür erhoben worden und der Reichstag würde diesmal an seiner statt doch einen andern Präsidenten erwählt haben, wenn nicht die parlamentarische Taktlosigkeit der demokratischen Linken Alles verdorben hätte. Unmittelbar vor der Wahl hatte nämlich Löhner, ein deutscher Pedant zu dem absoluten Czechen-Fanatismus, einen Antrag eingebracht, der eine Art Mißtrauen wider den Präsidenten enthielt und nun von diesem sofort dahin exploitirt wurde, daß er den Präsidentensessel dem Vicepräsidenten Ritter von Straßer überließ und ihn ersuchte, über Löhner's Antrag abstimmen zu lassen. Ein Czeche beantragte sofort, darüber zur Tagesordnung überzugehen und die Kammer gehorchte. So war Löhner abgefahren, die Linke hatte eine Schlappe mehr erhalten. Bei der Stimmung der Kammer, die Löhner kennen mußte, war es eine Albernheit, einen solchen Antrag unmittelbar vor der Neuwahl zu stellen. Unter solche Kapitalalbernheiten der Linken rechne ich auch die Kleinigkeit, daß Kudlich, als am 13. Ritter Don Quixotte von Straßer Italien eine „deutsche Eroberung“ nannte, bei dem Worte „deutsch“ mit den Händen applaudirte und Bravo rief.

In Beziehung auf die Vorfälle vom 13. habe ich noch dieses nachzutragen:

Latour wollte am 13. der Henker von Wien werden. Er hatte schon vor 8 Tagen der Erzherzogin Sophie versprochen, Wien in Belagerungszustand zu versetzen, er hatte Windischgrätz die Weisung gegeben, sich bereit zu halten, auf die erste telegraphische Depesche mit einem Separattrain nach Wien zu eilen, um das Kommando zu übernehmen. Ohne die Permanenz des Reichstags würde dieser Kuppelplan am 13. zur Ausführung gekommen sein. Aber Latour hatte sich geirrt, als er glaubte, den Reichstag schon mit einigen erlogenen anonymen Briefen, die er selber hatte anfertigen und sich zubringen lassen, auseinanderzusprengen, um ihn dann nie mehr zusammenkommen zu lassen. Was ich Ihnen hier mittheile, beruht nicht auf bloßen Gerüchten, es wird sowohl durch die Zeitungen, als auch durch eine Menge Zuschriften, die bewährte Personen erhalten haben, bestätigt.

Als der Reichstag beschlossen hatte, daß das Militär zurückgezogen werde, als die von überallher herbeieilende Nationalgarde erkannte, daß die der Aula gemachten Beschuldigungen erlogen waren und sie sich immer mehr für dieselbe entschied, da zogen sich diese tapferen Mordgesellen wieder aus ihrem Kuppelgewebe zurück, denn sie sahen ein, daß sie vom Volke mit ihrer Soldateska zerschmettert würden. Aber das Volk sieht es meistens zu spät ein!

Dies ist die wahre Sachlage, zu deren Ueberzeugung heute Morgen die Mehrheit des Volks sich bekennt. Ueberall stehen Gruppen, überall werden einzelne Thatsachen herbeigebracht, welche gegen die Banditenschaar zeugen. ‒ Das Militär war mit geistigen Getränken aufgewärmt worden; die Posten der akademischen Legion hatte man bei Seite zu schieben oder weit entfernt zu stellen gewußt; ein Theil der Nationalgarde der Stadt war nach Schönbrunn befohlen worden, während die Nationalgarde der um Schönbrunn liegenden Dörfer in die Stadt hatte marschiren müssen. Bourgeoisie, Büreaukratie und Ultramontanismus sprachen nur von zu mordenden Studentenbuben und republikanischen Wühlern. Die königlichen Geier glaubten schon ihre Krallen in das Herz des Volkes einzuschlagen, aber sie fanden das Volk wachsam. Da maskirten sie sich mit der gewohnten volksbeglückenden Heuchlermiene und heulten in rührender Weise: „Mitbürger! Die gesetzliche Ordnung ist heute abermals auf höchst betrübende Weise gestört worden. Das Ministerium wird nicht eher ruhen, bis Friede und Ordnung in die Mauern der Residenz wiedergekehrt sind. Fern sei Euch der Gedanke, daß durch das Erscheinen der Linientruppen die durch Se. Majestät verbürgten Freiheiten im Entferntesten geschmälert werden sollen u. s. w. Alle auf Aufregung berechneten Gerüchte, wie das von der Aufhebung der akademischen Legion, sowie andere Eingriffe in die konstitutionellen Rechte müssen daher als lügenhaft bezeichnet werden.“

Wäre der Reichstag nicht, wie alle Reichstage, d. h. in den meisten Fällen erbärmlich-matt, er hätte gestern das Ministerium stürzen müssen. Aber er hörte die Schulbubenrechtfertigung Bach's, die ehrliche Verrätherei Dobblhof's und die kurz abgebrochene Bescheidung des Kriegsministers sogar mit Beifall an. Er hatte nicht ausgeschlafen, wird sich vielleicht morgen ermannen.

Nachdem ich Vorstehendes geschrieben, habe ich Folgendes erfahren:

Der Generalmarsch ist am 13. geschlagen worden, ohne daß ein Grund vorgelegen hat; das Ministerium hat die Bewegung wollen heraustrommeln lassen. ‒ Während dessen empfing das Ministerium im Reichstag in einemfort Depeschen und entfernte sich zuletzt bis auf Latour, der nun urplötzlich die Lügen erklärte,

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          <p>Da das neue Ministerium immer noch auf sich warten läßt, beschäftigt sich heute ganz Berlin       mit den heute in mehreren Tausend Exemplaren veröffentlichten Ideen des Demagogen <hi rendition="#g">Held.</hi> Seit acht Tagen waren bekanntlich die Angriffe der Demokraten gegen       Held an der Tagesordnung, da man ihn einer Verbindung mit dem Prinzen von Preußen       beschuldigte. Held läugnete den Verrath in allen Clubs und Versammlungen und behauptete, daß       er nur die Freiheit und die Wohlfahrt des Volkes begründen wollte. Freiheit ohne Brod nütze       dem Volke nichts und deshalb strebte er danach, Brod und Freiheit zu verschaffen; wie er das       gethan, das wollte er binnen Kurzem der ganzen Welt bekannt machen. Heute endlich hat er       Berlin damit beglückt; mit der Ueberschrift: &#x201E;Meine Idee für die Verfassung Preußens und       Deutschlands&#x201C; werden Riesenplakate in der ganzen Stadt umhergetragen.</p>
          <p>In diesem Plakat nun gesteht Hr. Held mit der ganzen Unverschämtheit eines Berliner       Literaten ein, daß er dem <hi rendition="#g">Prinzen von Preußen die Krone hat verschaffen        wollen,</hi> und untersteht sich dabei noch zu behaupten, er habe dies nur im Interesse des       Volks gethan. Er macht ein langes verworrenes Gefalbader über den Charakter der Bewegung,       drohende Bourgeoisie, Tyrannei, Elend u. s. w., und schlägt ein       demokratisch-sozial-konstitutionelles Aufgehen Deutschlands in Preußen vor: ein einiges und       untheilbares deutsches Reich mit dem Prinzen von Preußen an der Spitze! Die Majorität des       Volks sei noch nicht reif, die Constituanten unfähig &#x2012; also muß anders verfahren, oktroyirt       werden. Volk und Krone ernennen einen Tribun auf 4 Wochen (Hrn. Held), der als <hi rendition="#g">Diktator</hi> die Verfassung oktroyirt. Hat Preußen diesen beneidenswerthen       Zustand erschaffen, so schließt sich das übrige Deutschland höchst ungezwungen an, und so       entsteht ein deutsches Reich. Dazu gehört aber ein energischer Fürst; Friedrich Wilhelm IV.       paßt nicht dazu, er wird aber vielleicht abdanken und der Prinz von Preußen, der legitime       Nachfolger, wäre der Mann dazu. Es fragt sich nur:</p>
          <p>1) ob jener Prinz <hi rendition="#g">mit dem alten System so ganz und gar gebrochen        hat,</hi> um sich dem neuen mit ganzer Seele hingeben zu können; 2) ob das Volk zu seiner       Ehrenhaftigkeit das Vertrauen gewinnen kann, daß ihm seine Zusagen heilig sein werden; 3) ob       er Luft und Kraft hat, eine weltgeschichtliche (!) Mission zu übernehmen.</p>
          <p>Held schließt damit, daß er vielleicht die Genugthuung gehabt haben würde, diese Fragen mit <hi rendition="#g">Ja</hi> beantworten und dies Ja mit Beweisen belegen zu können, wenn ihm       die Gelegenheit zur Ergründung alles dessen geworden wäre. Diese Gelegenheit sei ihm aber       durch die seitens der Demokraten gegen ihn öffentlich gewordenen Verdächtigungen entrückt       worden. Der arme Hr. Held! Man erzählt sich hier aber die Sache anders. Held hat seine ganze       Idee schriftlich durch eine Mittelsperson dem Prinzen von Preußen zugeschickt, der aber nicht       darauf eingehen wollte. Daß Held eine desfallsige Anfrage an den Prinzen gerichtet hat,       gestand er mündlich gestern selbst ein, er setzte nur hinzu, keine Antwort vom Prinzen auf       diese Anfrage erhalten zu haben.</p>
          <p>Geld erhalten zu haben, leugnet Hr. Held. Im Uebrigen besitzt er trotz dieser plumpen       Entschuldigung seines Bundes mit der Contrerevolution immer noch das Vertrauen eines Theils       des Berliner Volks, was das schlimmste Zeugniß für den Bildungsstand der Berliner Demokraten       ist. In der That, man muß merkwürdig leichtgläubig sein, um sich durch solches Larifari       täuschen zu lassen, und solch phantastisches Gefasel für aufrichtig zu halten!</p>
          <p><hi rendition="#g">Nachschrift:</hi> Neueste Minister-Combination: v. Beckerath: Präsident.       Pinder: Inneres. Der frühere Bundestagsgesandte Graf Döhnhoff: Aeußeres. General Pfuel (von       Höllenstein): Krieg. Wenzel: Justiz. Camphausen der Jüngere: Finanzen. v. Rabe: Handel und       Arbeit. Ladenberg: Kultus.</p>
          <p>&#x2012; Die gestern auf dem Exerzierplatze vor dem Schönhauser Thore von Demokraten zur       Verbrüderung des Militärs mit dem Volke abgehaltene große Volksversammlung war, ungeachtet des       unfreundlichen Wetters, von Civilisten und Soldaten außerordentlich zahlreich besucht und       endete ohne die geringste Störung so erwünscht, daß Soldaten und Bürger, geführt von der       Frauenwelt, jubelnd nach der Stadt Hand in Hand zogen.</p>
          <p>Von einem Armeebefehle, den nach mehreren Zeitungen der König bereits im Sinne des von der       Nationalversammlung am 7. d. Mts. auf den Stein'schen Antrag gefaßten Beschlusses erlassen       haben soll, weiß das Militär hier bis heute noch nichts, und ist Männern, die davon zuerst       unterrichtet sein müßten, auch noch nicht zur Kenntniß gekommen. Man erwartet indeß täglich       einen königlichen Armeebefehl, welcher das Militär vor reaktionären und republikanischen       Bestrebungen warnen soll.</p>
          <bibl>(D. Z.)</bibl>
        </div>
        <div xml:id="ar108_003" type="jArticle">
          <head><bibl><author>61</author></bibl> Wien, 15. September.</head>
          <p>Was ich Ihnen gestern voraussichtlich geschrieben, ist eingetroffen, das czechische       Büreaukratengenie <hi rendition="#g">Strobach</hi> ist unter 321 Votirenden mit 230 Stimmen       wieder zum Präsidenten des Reichstags ernannt worden. <hi rendition="#g">Schuselka</hi> hatte       85 Stimmen erhalten. <hi rendition="#g">Strobach</hi> besitzt die schöne Tugend, die Redner       der Linken möglichst zu unterbrechen und nicht zu Wort kommen zu lassen, während er denen der       Rechten die breiteste Grundlage gestattet. Im Laufe seiner bisherigen Amtsthätigkeit ist von       allen Seiten eine Anzahl Proteste gegen seine Willkür erhoben worden und der Reichstag würde       diesmal an seiner statt doch einen andern Präsidenten erwählt haben, wenn nicht die       parlamentarische Taktlosigkeit der demokratischen Linken Alles verdorben hätte. Unmittelbar       vor der Wahl hatte nämlich <hi rendition="#g">Löhner,</hi> ein deutscher Pedant zu dem       absoluten Czechen-Fanatismus, einen Antrag eingebracht, der eine Art Mißtrauen wider den       Präsidenten enthielt und nun von diesem sofort dahin exploitirt wurde, daß er den       Präsidentensessel dem Vicepräsidenten Ritter von <hi rendition="#g">Straßer</hi> überließ und       ihn ersuchte, über Löhner's Antrag abstimmen zu lassen. Ein Czeche beantragte sofort, darüber       zur Tagesordnung überzugehen und die Kammer gehorchte. So war Löhner abgefahren, die Linke       hatte eine Schlappe mehr erhalten. Bei der Stimmung der Kammer, die Löhner kennen mußte, war       es eine Albernheit, einen solchen Antrag unmittelbar vor der Neuwahl zu stellen. Unter solche       Kapitalalbernheiten der Linken rechne ich auch die Kleinigkeit, daß <hi rendition="#g">Kudlich,</hi> als am 13. Ritter Don Quixotte von Straßer Italien eine &#x201E;deutsche Eroberung&#x201C;       nannte, bei dem Worte &#x201E;<hi rendition="#g">deutsch</hi>&#x201C; mit den Händen applaudirte und Bravo       rief.</p>
          <p>In Beziehung auf die Vorfälle vom 13. habe ich noch dieses nachzutragen:</p>
          <p><hi rendition="#g">Latour</hi> wollte am 13. der Henker von Wien werden. Er hatte schon vor       8 Tagen der Erzherzogin Sophie versprochen, Wien in Belagerungszustand zu versetzen, er hatte       Windischgrätz die Weisung gegeben, sich bereit zu halten, auf die erste telegraphische       Depesche mit einem Separattrain nach Wien zu eilen, um das Kommando zu übernehmen. Ohne die       Permanenz des Reichstags würde dieser Kuppelplan am 13. zur Ausführung gekommen sein. Aber       Latour hatte sich geirrt, als er glaubte, den Reichstag schon mit einigen erlogenen anonymen       Briefen, die er selber hatte anfertigen und sich zubringen lassen, auseinanderzusprengen, um       ihn dann nie mehr zusammenkommen zu lassen. Was ich Ihnen hier mittheile, beruht nicht auf       bloßen Gerüchten, es wird sowohl durch die Zeitungen, als auch durch eine Menge Zuschriften,       die bewährte Personen erhalten haben, bestätigt.</p>
          <p>Als der Reichstag beschlossen hatte, daß das Militär zurückgezogen werde, als die von       überallher herbeieilende Nationalgarde erkannte, daß die der Aula gemachten Beschuldigungen       erlogen waren und sie sich immer mehr für dieselbe entschied, da zogen sich diese tapferen       Mordgesellen wieder aus ihrem Kuppelgewebe zurück, denn sie sahen ein, daß sie vom Volke mit       ihrer Soldateska zerschmettert würden. Aber das Volk sieht es meistens zu spät ein!</p>
          <p>Dies ist die wahre Sachlage, zu deren Ueberzeugung heute Morgen die Mehrheit des Volks sich       bekennt. Ueberall stehen Gruppen, überall werden einzelne Thatsachen herbeigebracht, welche       gegen die Banditenschaar zeugen. &#x2012; Das Militär war mit geistigen Getränken aufgewärmt worden;       die Posten der akademischen Legion hatte man bei Seite zu schieben oder weit entfernt zu       stellen gewußt; ein Theil der Nationalgarde der Stadt war nach Schönbrunn befohlen worden,       während die Nationalgarde der um Schönbrunn liegenden Dörfer in die Stadt hatte marschiren       müssen. Bourgeoisie, Büreaukratie und Ultramontanismus sprachen nur von zu mordenden       Studentenbuben und republikanischen Wühlern. Die königlichen Geier glaubten schon ihre Krallen       in das Herz des Volkes einzuschlagen, aber sie fanden das Volk wachsam. Da maskirten sie sich       mit der gewohnten volksbeglückenden Heuchlermiene und heulten in rührender Weise: &#x201E;Mitbürger!       Die gesetzliche Ordnung ist heute abermals auf höchst betrübende Weise gestört worden. Das       Ministerium wird nicht eher ruhen, bis Friede und Ordnung in die Mauern der Residenz       wiedergekehrt sind. Fern sei Euch der Gedanke, daß durch das Erscheinen der Linientruppen die       durch Se. Majestät verbürgten Freiheiten im Entferntesten geschmälert werden sollen u. s. w.       Alle auf Aufregung berechneten Gerüchte, wie das von der Aufhebung der akademischen Legion,       sowie andere Eingriffe in die konstitutionellen Rechte müssen daher als lügenhaft bezeichnet       werden.&#x201C;</p>
          <p>Wäre der Reichstag nicht, wie alle Reichstage, d. h. in den meisten Fällen erbärmlich-matt,       er hätte gestern das Ministerium stürzen <hi rendition="#g">müssen.</hi> Aber er hörte die       Schulbubenrechtfertigung Bach's, die ehrliche Verrätherei Dobblhof's und die kurz abgebrochene       Bescheidung des Kriegsministers sogar mit Beifall an. Er hatte nicht ausgeschlafen, wird sich       vielleicht morgen ermannen.</p>
          <p>Nachdem ich Vorstehendes geschrieben, habe ich Folgendes erfahren:</p>
          <p>Der Generalmarsch ist am 13. geschlagen worden, ohne daß ein Grund vorgelegen hat; das       Ministerium hat die Bewegung wollen heraustrommeln lassen. &#x2012; Während dessen empfing das       Ministerium im Reichstag in einemfort Depeschen und entfernte sich zuletzt bis auf Latour, der       nun urplötzlich die Lügen erklärte,
</p>
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</TEI>
[0537/0001] Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 108. Köln, Donnerstag den 21. September. 1848. Bestellungen für das nächste Quartal, Oktober bis Dezember, wolle man baldigst machen. Alle Postämter Deutschlands nehmen Bestellungen an. Für Frankreich übernehmen Abonnements Hr. G. A. Alexander, Nr. 28 Brandgasse in Straßburg, und Nr. 23 Rue Notre-Dame de Nazareth in Paris, so wie das königl. Ober-Postamt in Aachen; für England die Herren J. J. Ewer et Comp. 72 Newgate-Street in London; für Belgien und Holland die resp. königl. Brief-Postämter und das Postbureau in Lüttich. Abonnementspreis in Köln vierteljährlich 1 Thlr. 15 Sgr., in allen übrigen Orten Preußens 1 Thlr. 24 Sgr. 6 Pf. Inserate: die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf. Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen der Zeitung die weiteste Verbreitung. Uebersicht Deutschland. Köln. (Der Aufstand in Frankfurt) Berlin. (Held ‒ Neue Ministerkombination. ‒ Verbrüderungsfest). Wien. (Die Vorfälle vom 13). Samter. (Libelt nach Frankfurt gewählt). Dresden. (Ministerkrisis) Naumburg. (Tumult). Hildburghausen. (Fortschaffung eines Ministers). Düsseldorf (Die verhafteten Demokraten) Bonn. (Bauerband). Wiesbaden. (Attentat). Breslau. (Mißtrauensvotum). Leobschütz. (Die Exesse in Beneschau). Ungarn. Pesth. (Batthyany. ‒ Der kroatische Krieg. ‒ Rüstungen. ‒ Erlaß des Ministers. ‒ Vom Kriegsschauplatz). Italien. (Die Eroberung Messina's. ‒ Dekret der Regierung in Palermo. ‒ Rüstungen ‒ Reaktionäre Unruhen in Neapel. ‒ Durando's Proklamation. ‒ Der Waffenstillstand verlängert) Franz. Republik Paris. (Die Wahlen. ‒ Legitimistische Agitation und Komplotte im Süden ‒ National-Versammlung). Straßburg. (Deutsche Auswanderer. ‒ Hecker) Großbritannien. London. (Cirkular des chartistischen Vollziehungsraths. ‒ Lage des britischen Handels. ‒ Kriegsmaßregeln gegen Irland. ‒ Wie die Pariser Insurgenten in den Handel kommen). Dublin. (Neue Bewegung der Insurgenten). Hinter-Indien. (Aufstand in Siam unterdrückt). Central-Amerika. (Bürgerkrieg. ‒ Die Engländer im Mosquitolande) Deutschland. ** Köln, 20. Sept. _ 103 Berlin, 18. Septbr. Da das neue Ministerium immer noch auf sich warten läßt, beschäftigt sich heute ganz Berlin mit den heute in mehreren Tausend Exemplaren veröffentlichten Ideen des Demagogen Held. Seit acht Tagen waren bekanntlich die Angriffe der Demokraten gegen Held an der Tagesordnung, da man ihn einer Verbindung mit dem Prinzen von Preußen beschuldigte. Held läugnete den Verrath in allen Clubs und Versammlungen und behauptete, daß er nur die Freiheit und die Wohlfahrt des Volkes begründen wollte. Freiheit ohne Brod nütze dem Volke nichts und deshalb strebte er danach, Brod und Freiheit zu verschaffen; wie er das gethan, das wollte er binnen Kurzem der ganzen Welt bekannt machen. Heute endlich hat er Berlin damit beglückt; mit der Ueberschrift: „Meine Idee für die Verfassung Preußens und Deutschlands“ werden Riesenplakate in der ganzen Stadt umhergetragen. In diesem Plakat nun gesteht Hr. Held mit der ganzen Unverschämtheit eines Berliner Literaten ein, daß er dem Prinzen von Preußen die Krone hat verschaffen wollen, und untersteht sich dabei noch zu behaupten, er habe dies nur im Interesse des Volks gethan. Er macht ein langes verworrenes Gefalbader über den Charakter der Bewegung, drohende Bourgeoisie, Tyrannei, Elend u. s. w., und schlägt ein demokratisch-sozial-konstitutionelles Aufgehen Deutschlands in Preußen vor: ein einiges und untheilbares deutsches Reich mit dem Prinzen von Preußen an der Spitze! Die Majorität des Volks sei noch nicht reif, die Constituanten unfähig ‒ also muß anders verfahren, oktroyirt werden. Volk und Krone ernennen einen Tribun auf 4 Wochen (Hrn. Held), der als Diktator die Verfassung oktroyirt. Hat Preußen diesen beneidenswerthen Zustand erschaffen, so schließt sich das übrige Deutschland höchst ungezwungen an, und so entsteht ein deutsches Reich. Dazu gehört aber ein energischer Fürst; Friedrich Wilhelm IV. paßt nicht dazu, er wird aber vielleicht abdanken und der Prinz von Preußen, der legitime Nachfolger, wäre der Mann dazu. Es fragt sich nur: 1) ob jener Prinz mit dem alten System so ganz und gar gebrochen hat, um sich dem neuen mit ganzer Seele hingeben zu können; 2) ob das Volk zu seiner Ehrenhaftigkeit das Vertrauen gewinnen kann, daß ihm seine Zusagen heilig sein werden; 3) ob er Luft und Kraft hat, eine weltgeschichtliche (!) Mission zu übernehmen. Held schließt damit, daß er vielleicht die Genugthuung gehabt haben würde, diese Fragen mit Ja beantworten und dies Ja mit Beweisen belegen zu können, wenn ihm die Gelegenheit zur Ergründung alles dessen geworden wäre. Diese Gelegenheit sei ihm aber durch die seitens der Demokraten gegen ihn öffentlich gewordenen Verdächtigungen entrückt worden. Der arme Hr. Held! Man erzählt sich hier aber die Sache anders. Held hat seine ganze Idee schriftlich durch eine Mittelsperson dem Prinzen von Preußen zugeschickt, der aber nicht darauf eingehen wollte. Daß Held eine desfallsige Anfrage an den Prinzen gerichtet hat, gestand er mündlich gestern selbst ein, er setzte nur hinzu, keine Antwort vom Prinzen auf diese Anfrage erhalten zu haben. Geld erhalten zu haben, leugnet Hr. Held. Im Uebrigen besitzt er trotz dieser plumpen Entschuldigung seines Bundes mit der Contrerevolution immer noch das Vertrauen eines Theils des Berliner Volks, was das schlimmste Zeugniß für den Bildungsstand der Berliner Demokraten ist. In der That, man muß merkwürdig leichtgläubig sein, um sich durch solches Larifari täuschen zu lassen, und solch phantastisches Gefasel für aufrichtig zu halten! Nachschrift: Neueste Minister-Combination: v. Beckerath: Präsident. Pinder: Inneres. Der frühere Bundestagsgesandte Graf Döhnhoff: Aeußeres. General Pfuel (von Höllenstein): Krieg. Wenzel: Justiz. Camphausen der Jüngere: Finanzen. v. Rabe: Handel und Arbeit. Ladenberg: Kultus. ‒ Die gestern auf dem Exerzierplatze vor dem Schönhauser Thore von Demokraten zur Verbrüderung des Militärs mit dem Volke abgehaltene große Volksversammlung war, ungeachtet des unfreundlichen Wetters, von Civilisten und Soldaten außerordentlich zahlreich besucht und endete ohne die geringste Störung so erwünscht, daß Soldaten und Bürger, geführt von der Frauenwelt, jubelnd nach der Stadt Hand in Hand zogen. Von einem Armeebefehle, den nach mehreren Zeitungen der König bereits im Sinne des von der Nationalversammlung am 7. d. Mts. auf den Stein'schen Antrag gefaßten Beschlusses erlassen haben soll, weiß das Militär hier bis heute noch nichts, und ist Männern, die davon zuerst unterrichtet sein müßten, auch noch nicht zur Kenntniß gekommen. Man erwartet indeß täglich einen königlichen Armeebefehl, welcher das Militär vor reaktionären und republikanischen Bestrebungen warnen soll. (D. Z.) 61 Wien, 15. September. Was ich Ihnen gestern voraussichtlich geschrieben, ist eingetroffen, das czechische Büreaukratengenie Strobach ist unter 321 Votirenden mit 230 Stimmen wieder zum Präsidenten des Reichstags ernannt worden. Schuselka hatte 85 Stimmen erhalten. Strobach besitzt die schöne Tugend, die Redner der Linken möglichst zu unterbrechen und nicht zu Wort kommen zu lassen, während er denen der Rechten die breiteste Grundlage gestattet. Im Laufe seiner bisherigen Amtsthätigkeit ist von allen Seiten eine Anzahl Proteste gegen seine Willkür erhoben worden und der Reichstag würde diesmal an seiner statt doch einen andern Präsidenten erwählt haben, wenn nicht die parlamentarische Taktlosigkeit der demokratischen Linken Alles verdorben hätte. Unmittelbar vor der Wahl hatte nämlich Löhner, ein deutscher Pedant zu dem absoluten Czechen-Fanatismus, einen Antrag eingebracht, der eine Art Mißtrauen wider den Präsidenten enthielt und nun von diesem sofort dahin exploitirt wurde, daß er den Präsidentensessel dem Vicepräsidenten Ritter von Straßer überließ und ihn ersuchte, über Löhner's Antrag abstimmen zu lassen. Ein Czeche beantragte sofort, darüber zur Tagesordnung überzugehen und die Kammer gehorchte. So war Löhner abgefahren, die Linke hatte eine Schlappe mehr erhalten. Bei der Stimmung der Kammer, die Löhner kennen mußte, war es eine Albernheit, einen solchen Antrag unmittelbar vor der Neuwahl zu stellen. Unter solche Kapitalalbernheiten der Linken rechne ich auch die Kleinigkeit, daß Kudlich, als am 13. Ritter Don Quixotte von Straßer Italien eine „deutsche Eroberung“ nannte, bei dem Worte „deutsch“ mit den Händen applaudirte und Bravo rief. In Beziehung auf die Vorfälle vom 13. habe ich noch dieses nachzutragen: Latour wollte am 13. der Henker von Wien werden. Er hatte schon vor 8 Tagen der Erzherzogin Sophie versprochen, Wien in Belagerungszustand zu versetzen, er hatte Windischgrätz die Weisung gegeben, sich bereit zu halten, auf die erste telegraphische Depesche mit einem Separattrain nach Wien zu eilen, um das Kommando zu übernehmen. Ohne die Permanenz des Reichstags würde dieser Kuppelplan am 13. zur Ausführung gekommen sein. Aber Latour hatte sich geirrt, als er glaubte, den Reichstag schon mit einigen erlogenen anonymen Briefen, die er selber hatte anfertigen und sich zubringen lassen, auseinanderzusprengen, um ihn dann nie mehr zusammenkommen zu lassen. Was ich Ihnen hier mittheile, beruht nicht auf bloßen Gerüchten, es wird sowohl durch die Zeitungen, als auch durch eine Menge Zuschriften, die bewährte Personen erhalten haben, bestätigt. Als der Reichstag beschlossen hatte, daß das Militär zurückgezogen werde, als die von überallher herbeieilende Nationalgarde erkannte, daß die der Aula gemachten Beschuldigungen erlogen waren und sie sich immer mehr für dieselbe entschied, da zogen sich diese tapferen Mordgesellen wieder aus ihrem Kuppelgewebe zurück, denn sie sahen ein, daß sie vom Volke mit ihrer Soldateska zerschmettert würden. Aber das Volk sieht es meistens zu spät ein! Dies ist die wahre Sachlage, zu deren Ueberzeugung heute Morgen die Mehrheit des Volks sich bekennt. Ueberall stehen Gruppen, überall werden einzelne Thatsachen herbeigebracht, welche gegen die Banditenschaar zeugen. ‒ Das Militär war mit geistigen Getränken aufgewärmt worden; die Posten der akademischen Legion hatte man bei Seite zu schieben oder weit entfernt zu stellen gewußt; ein Theil der Nationalgarde der Stadt war nach Schönbrunn befohlen worden, während die Nationalgarde der um Schönbrunn liegenden Dörfer in die Stadt hatte marschiren müssen. Bourgeoisie, Büreaukratie und Ultramontanismus sprachen nur von zu mordenden Studentenbuben und republikanischen Wühlern. Die königlichen Geier glaubten schon ihre Krallen in das Herz des Volkes einzuschlagen, aber sie fanden das Volk wachsam. Da maskirten sie sich mit der gewohnten volksbeglückenden Heuchlermiene und heulten in rührender Weise: „Mitbürger! Die gesetzliche Ordnung ist heute abermals auf höchst betrübende Weise gestört worden. Das Ministerium wird nicht eher ruhen, bis Friede und Ordnung in die Mauern der Residenz wiedergekehrt sind. Fern sei Euch der Gedanke, daß durch das Erscheinen der Linientruppen die durch Se. Majestät verbürgten Freiheiten im Entferntesten geschmälert werden sollen u. s. w. Alle auf Aufregung berechneten Gerüchte, wie das von der Aufhebung der akademischen Legion, sowie andere Eingriffe in die konstitutionellen Rechte müssen daher als lügenhaft bezeichnet werden.“ Wäre der Reichstag nicht, wie alle Reichstage, d. h. in den meisten Fällen erbärmlich-matt, er hätte gestern das Ministerium stürzen müssen. Aber er hörte die Schulbubenrechtfertigung Bach's, die ehrliche Verrätherei Dobblhof's und die kurz abgebrochene Bescheidung des Kriegsministers sogar mit Beifall an. Er hatte nicht ausgeschlafen, wird sich vielleicht morgen ermannen. Nachdem ich Vorstehendes geschrieben, habe ich Folgendes erfahren: Der Generalmarsch ist am 13. geschlagen worden, ohne daß ein Grund vorgelegen hat; das Ministerium hat die Bewegung wollen heraustrommeln lassen. ‒ Während dessen empfing das Ministerium im Reichstag in einemfort Depeschen und entfernte sich zuletzt bis auf Latour, der nun urplötzlich die Lügen erklärte,

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Marx-Engels-Gesamtausgabe: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-20T13:08:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jürgen Herres: Konvertierung TUSTEP nach XML (2017-03-20T13:08:10Z)
Maria Ermakova, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Frank Wiegand: Konvertierung XML nach DTA-Basisformat (2017-03-20T13:08:10Z)

Weitere Informationen:

Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 108. Köln, 21. September 1848, S. 0537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz108_1848/1>, abgerufen am 28.03.2024.