Ein überaus naschhafter Apothekerlehrling war dieser Unart wegen von seinem etwas groben Herrn öfters hart, jedoch stets erfolglos gezüchtigt worden. Der Herr, ein Mann ohne Reli- gion, wie die Leute sagten, naschte so gern als der Lehrling und verzieh deßhalb diesem um so weniger, weil sein eigner Genuß dadurch beeinträchtigt wurde. Wie Lehrlinge zu allerlei Verrichtungen gebraucht werden, wegen welcher sie keineswegs in die Lehre geschickt wurden, so hatte eines Tages der Unglück- liche, von dem ich spreche, den sehr verfänglichen Auftrag er- halten, in temporärer Abwesenheit der Köchin auf ein bra- tendes Spanferkel Acht zu haben und dasselbe mit Butter zu bestreichen. Der wonnigliche Duft dieses leckern Gerichtes war viel zu lockend, als daß der leicht verführbare Jüngling hätte der Versuchung widerstehen können. Einige Blasen, die sich auf der lieblich bräunlichen Haut des Spanferkels gebildet hatten, verlockten den Unglückseeligen, sie niederzudrücken. Die Haut war aber schon so gahr gebraten, daß sie mit krachendem Knistern einbrach und sich senkend lösete. Im Wahne, das abgelösete Fleckchen würde sich durch längeres Braten und Butterbestreichen wieder bräunen und auf diese Art completiren -- was man heftig wünscht, glaubt man gern -- naschte er das Stückchen Haut weg. Es schmeckte ihm jedoch so allerliebst, und sowohl die reizende Kürze des so spärlichen Genusses, als die reiche Masse des noch zu genießenden vorliegenden Objektes, welches sich ja, ex hypothesi, eben so gut suppliren konnte, brachte ihn dahin, daß er im Wonnetaumel der Ge- schmackslust, im Wirbel seeliger Vergessenheit, fast die ganze gar zu schmackhafte Hülle des ihn so süß anlächelnden Ferkels verzehrt hatte, als die Köchin herbeikam, die schreckliche Ent- stellung des zarten, nun schaudrig hautlos nackten, Gerichtes mit Schreck und Grausen gewahrte, und mit der furchtbaren Drohung: der Herr würde ihn diesesmal, ob des unerhörten Frevels, unfehlbar todtschlagen, den Sünder aus seinem Taumel
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Ein uͤberaus naſchhafter Apothekerlehrling war dieſer Unart wegen von ſeinem etwas groben Herrn oͤfters hart, jedoch ſtets erfolglos gezuͤchtigt worden. Der Herr, ein Mann ohne Reli- gion, wie die Leute ſagten, naſchte ſo gern als der Lehrling und verzieh deßhalb dieſem um ſo weniger, weil ſein eigner Genuß dadurch beeintraͤchtigt wurde. Wie Lehrlinge zu allerlei Verrichtungen gebraucht werden, wegen welcher ſie keineswegs in die Lehre geſchickt wurden, ſo hatte eines Tages der Ungluͤck- liche, von dem ich ſpreche, den ſehr verfaͤnglichen Auftrag er- halten, in temporaͤrer Abweſenheit der Koͤchin auf ein bra- tendes Spanferkel Acht zu haben und daſſelbe mit Butter zu beſtreichen. Der wonnigliche Duft dieſes leckern Gerichtes war viel zu lockend, als daß der leicht verfuͤhrbare Juͤngling haͤtte der Verſuchung widerſtehen koͤnnen. Einige Blaſen, die ſich auf der lieblich braͤunlichen Haut des Spanferkels gebildet hatten, verlockten den Ungluͤckſeeligen, ſie niederzudruͤcken. Die Haut war aber ſchon ſo gahr gebraten, daß ſie mit krachendem Kniſtern einbrach und ſich ſenkend loͤſete. Im Wahne, das abgeloͤſete Fleckchen wuͤrde ſich durch laͤngeres Braten und Butterbeſtreichen wieder braͤunen und auf dieſe Art completiren — was man heftig wuͤnſcht, glaubt man gern — naſchte er das Stuͤckchen Haut weg. Es ſchmeckte ihm jedoch ſo allerliebſt, und ſowohl die reizende Kuͤrze des ſo ſpaͤrlichen Genuſſes, als die reiche Maſſe des noch zu genießenden vorliegenden Objektes, welches ſich ja, ex hypothesi, eben ſo gut ſuppliren konnte, brachte ihn dahin, daß er im Wonnetaumel der Ge- ſchmacksluſt, im Wirbel ſeeliger Vergeſſenheit, faſt die ganze gar zu ſchmackhafte Huͤlle des ihn ſo ſuͤß anlaͤchelnden Ferkels verzehrt hatte, als die Koͤchin herbeikam, die ſchreckliche Ent- ſtellung des zarten, nun ſchaudrig hautlos nackten, Gerichtes mit Schreck und Grauſen gewahrte, und mit der furchtbaren Drohung: der Herr wuͤrde ihn dieſesmal, ob des unerhoͤrten Frevels, unfehlbar todtſchlagen, den Suͤnder aus ſeinem Taumel
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Ein uͤberaus naſchhafter Apothekerlehrling war dieſer Unart
wegen von ſeinem etwas groben Herrn oͤfters hart, jedoch ſtets
erfolglos gezuͤchtigt worden. Der Herr, ein Mann ohne Reli-
gion, wie die Leute ſagten, naſchte ſo gern als der Lehrling
und verzieh deßhalb dieſem um ſo weniger, weil ſein eigner
Genuß dadurch beeintraͤchtigt wurde. Wie Lehrlinge zu allerlei
Verrichtungen gebraucht werden, wegen welcher ſie keineswegs
in die Lehre geſchickt wurden, ſo hatte eines Tages der Ungluͤck-
liche, von dem ich ſpreche, den ſehr verfaͤnglichen Auftrag er-
halten, in temporaͤrer Abweſenheit der Koͤchin auf ein bra-
tendes Spanferkel Acht zu haben und daſſelbe mit Butter zu
beſtreichen. Der wonnigliche Duft dieſes leckern Gerichtes war
viel zu lockend, als daß der leicht verfuͤhrbare Juͤngling haͤtte
der Verſuchung widerſtehen koͤnnen. Einige Blaſen, die ſich
auf der lieblich braͤunlichen Haut des Spanferkels gebildet
hatten, verlockten den Ungluͤckſeeligen, ſie niederzudruͤcken. Die
Haut war aber ſchon ſo gahr gebraten, daß ſie mit krachendem
Kniſtern einbrach und ſich ſenkend loͤſete. Im Wahne, das
abgeloͤſete Fleckchen wuͤrde ſich durch laͤngeres Braten und
Butterbeſtreichen wieder braͤunen und auf dieſe Art completiren
— was man heftig wuͤnſcht, glaubt man gern — naſchte er das
Stuͤckchen Haut weg. Es ſchmeckte ihm jedoch ſo allerliebſt,
und ſowohl die reizende Kuͤrze des ſo ſpaͤrlichen Genuſſes,
als die reiche Maſſe des noch zu genießenden vorliegenden
Objektes, welches ſich ja, ex hypothesi, eben ſo gut ſuppliren
konnte, brachte ihn dahin, daß er im Wonnetaumel der Ge-
ſchmacksluſt, im Wirbel ſeeliger Vergeſſenheit, faſt die ganze
gar zu ſchmackhafte Huͤlle des ihn ſo ſuͤß anlaͤchelnden Ferkels
verzehrt hatte, als die Koͤchin herbeikam, die ſchreckliche Ent-
ſtellung des zarten, nun ſchaudrig hautlos nackten, Gerichtes
mit Schreck und Grauſen gewahrte, und mit der furchtbaren
Drohung: der Herr wuͤrde ihn dieſesmal, ob des unerhoͤrten
Frevels, unfehlbar todtſchlagen, den Suͤnder aus ſeinem Taumel
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/193>, abgerufen am 10.06.2024.
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