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Allgemeine Zeitung. Nr. 53. Augsburg, 22. Februar 1840.

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Volkswille, die Pole des Staates ein. Absolutismus in seiner letzten Consequenz, und Demagogie in ihrer vollsten Entwicklung, sind vollkommen gleiche Größen, gleich schlecht, gleich gefährlich. Hinter beiden steht unmittelbar die Anarchie. Inmitten dieser Pole aber steht die geordnete Herrschaft des Gesetzes, unter verschiedenen Formen, so aber, daß immer das Gesetz der höchste Factor ist und den Willen jedes Einzelnen überragt. Die Garantien liegen daher für alle Staaten allein in der Art wie die Gesetze gemacht, und wie sie vollzogen und beobachtet werden. - In constitutionellen Ländern wird ein Entwurf vorgelegt, in den Kammern debattirt, verworfen, oder angenommen, und hierauf von der Regierung zum Gesetz erhoben. Er geht durch die Discussion beider Kammern, in denen jedes Mitglied seine Meinung abgibt, durch den Ministerrath, und letztlich beleuchtet auch noch die freie Presse den Gegenstand von allen Seiten. Gewiß eine vollkommen unbeschränkte Erörterung, bei der alle Stände vertreten sind, jede Ansicht gehört wird. Sind hier nicht alle denkbaren Garantien für die Wahrnehmung der Landesinteressen vorhanden? Und dennoch sehen wir bei einer solchen Procedur jedesmal die Hälfte des Landes mit dem selbstgeschaffenen Gesetze unzufrieden, und kaum geboren, versucht die Opposition das Kind im ersten Bade zu ertränken. Auf der andern Seite sehen wir patriotische Anstrengungen für das allgemeine Beste des Volks durch die entgegengesetzten speciellen Interessen mancher seiner Vertreter hintangesetzt. Wir sehen z. B. in Frankreich die Schutzzölle nur Einzelne schützen, und eine künstliche Theuerung unzähliger Artikel für die Nation hervorbringen; dennoch werden diese Artikel nicht freigegeben, diese schädlichen Zölle nicht aufgehoben; wir sehen, daß Frankreich seine Rentenconversion noch nicht ins Werk setzen konnte, und daß es fünf Procent Zinsen fortbezahlen muß, während es Geld genug um vier bekommt; wir sehen, daß es das Haarseil seiner Algier'schen Eroberung, das dem Mutterlande die besten Kräfte abzieht, nicht abschütteln kann, ja daß es nicht einmal wagen darf, davon zu reden! Woher mag das kommen? Daher, daß die Ueberzeugung der Klügsten, Ehrlichsten, Unbefangensten, gegen eine irregeführte Volksmeinung nicht aufkommen kann, und unter zwanzig Fällen nicht Einmal die Entscheidung herbeizuführen vermag, die in der Regel von hundert andern Dingen abhängig ist. Ein glänzender Redner bewältigt die Menge, reißt die Mehrzahl gegen ihre bessere Einsicht fort, indeß die gewichtigste, gründlichste Untersuchung ohne Eindruck verhallt, weil sie der Schmeichelkünste eines beredten Vortrags entbehrt. Alle partiellen, persönlichen oder Localinteressen, werden gegen die Gemeininteressen geltend gemacht; die Gewählten sind von ihren Wählern abhängig, die Angestellten von den Ministern, die Minister von der Gunst oder Ungunst des Augenblicks, der sie einsetzt und amovirt; die Presse verfolgt gewissenlos ihre Parteizwecke, und die freie Manifestation einer unabhängigen Meinung wird überall durch unüberwindliche Hindernisse paralysirt. Wir behaupten nicht, daß dieß immer der Fall sey, noch viel weniger daß mit der constitutionellen Praxis nicht genug gute Gesetze gemacht wurden: wo aber ist die Garantie, daß keine schlechten gemacht werden können; sind keine gemacht worden? - Wir sehen, in der Form der Gesetzgebung liegt diese Panacee nicht! Die Gewährleistungen, die einerseits allerdings vorhanden sind, werden durch eben so viele Hemmnisse aufgewogen, und das constitutionelle System ist an und für sich kein Vorbeugungsmittel für mögliche Uebel.

Sehen wir nun, ob auf der andern Seite eine rein monarchische Regierungsform den Regierten gar keine Garantien gewähre? Wenden wir uns zu diesem Ende zu einem rein monarchischen Staate, zu einem solchen, der, wiewohl mit Unrecht, für einen, jedem constitutionellen System abholden, gehalten wird. Wie werden z. B. in Oesterreich die Gesetze gemacht? Willkürlich? ohne Beiziehung der öffentlichen Meinung? motu proprio? Wird Niemand repräsentirt, wird nur die Convenienz der Regierung in Bedacht gezogen, nicht die der Regierten? Wir wollen sehen! - Wenn ein neues Gesetz, oder die Umwandlung eines alten nöthig erachtet wird, kommt zuvörderst diese Nothwendigkeit bei der dabei speciell betheiligten Stelle zur vollkommenen Berathung. Diese berichtet, und der Staatsrath untersucht die Nothwendigkeit, indem die Referenten aller administrativen und juridischen Sectionen, die ihn bilden, die aus dem Standpunkte ihrer einzelnen Branchen entspringenden Erwägungen unterlegen. Nach dem Berichte des Staatsraths entscheidet der Kaiser. Fällt diese Entscheidung affirmativ aus, so wird die Ausarbeitung des fraglichen Gegenstandes von der betreffenden Stelle demjenigen ihrer Hofräthe zugetheilt, der für denselben der geeignetste scheint. Ehe aber an diese Arbeit gegangen wird, werden die Gutachten, Daten und Erhebungen aller einzelnen Länderstellen eingeholt, die ihrerseits wieder von den Magistraten, Kreisämtern, und diese von den einzelnen Dominien alle besondern Nachweisungen fordern und erhalten. Wir sehen, daß auf diese Weise gleichfalls alle Interessen repräsentirt sind, und alle Stände; daß jeder Theil des Gemeinwesens hier eben so seine Vertretung findet, wie in einem constitutionellen Staate, nur auf anderm Wege. - Sind alle diese Vorbereitungen geschehen, die Enqueten vollständig, die Voracten geschlossen, dann schreitet der erwählte Mann des Faches an die Verfassung seines Operates. Dieses macht dann wieder denselben Weg durch alle betreffenden Hofstellen, den Staatsrath und durch die Ministerconferenz, bis es nach diesem vielfachen Scrutinium endlich die Sanction des Kaisers erhält. In Aeußerung der individuellen Meinung ist der Freiheit des Urtheils durchaus keine Schranke gestellt: jedes Votum wird motivirt und ist vollkommen unabhängig, denn kein Beamter kann ohne gerichtliche Untersuchung seines Platzes entsetzt werden. Mit welcher Gewissenhaftigkeit die Gegenstände geprüft, mit welcher Sorgfalt und Gründlichkeit sie erwogen werden, dafür diene zum Beispiel, daß bei einem neu zu erscheinenden Taxgesetz vier Entwürfe beseitigt, und erst der fünfte gutgeheißen wurde. Wir wollen sicher nicht, im Widerspruche mit der constitutionellen Praxis, behaupten, auf diesem Wege sey man vor jedem Mißbrauche gesichert; was aber die Garantien für eine gute Gesetzgebung anlangt, so fragen wir, ob solche größer oder in liberalerem Geiste auf der andern Seite vorhanden, und ob hier der Willkür des Einzelnen oder dort der Willkür der Menge sicherer Schranken gesetzt seyen? Wir fragen, ob die Gesetze in den rein monarchischen Ländern Oesterreichs minder gründlich, minder gewissenhaft, minder freisinnig und vor Allem minder fördernd für die Wohlfahrt des Landes verfaßt werden, als z. B. gleich nebenan, im constitutionellen Ungarn, auf dem Wege öffentlicher Berathung?

Wir sehen daher, daß die liberalen Garantien nicht in der Form liegen, und die rein monarchische sie durchaus nicht ausschließe. - Was nun die zweite Gewährleistung, die Befolgung und Ausführung der Gesetze betrifft, so hat zuverlässig die reine Monarchie die größere Concentration der Executivgewalt für sich; da aber am Ende die Ausführung immer von dem Pflichtgefühle und der Thätigkeit der beaufsichtigenden und vollziehenden Beamten abhängt, so dürfte die Wage sich hier ziemlich gleich, schwerlich aber zum Nachtheile rein monarchischer Länder stellen. Frägt man, welche Garantien in monarchischen Staaten gegen die Uebergriffe oder die Willkür des

Volkswille, die Pole des Staates ein. Absolutismus in seiner letzten Consequenz, und Demagogie in ihrer vollsten Entwicklung, sind vollkommen gleiche Größen, gleich schlecht, gleich gefährlich. Hinter beiden steht unmittelbar die Anarchie. Inmitten dieser Pole aber steht die geordnete Herrschaft des Gesetzes, unter verschiedenen Formen, so aber, daß immer das Gesetz der höchste Factor ist und den Willen jedes Einzelnen überragt. Die Garantien liegen daher für alle Staaten allein in der Art wie die Gesetze gemacht, und wie sie vollzogen und beobachtet werden. – In constitutionellen Ländern wird ein Entwurf vorgelegt, in den Kammern debattirt, verworfen, oder angenommen, und hierauf von der Regierung zum Gesetz erhoben. Er geht durch die Discussion beider Kammern, in denen jedes Mitglied seine Meinung abgibt, durch den Ministerrath, und letztlich beleuchtet auch noch die freie Presse den Gegenstand von allen Seiten. Gewiß eine vollkommen unbeschränkte Erörterung, bei der alle Stände vertreten sind, jede Ansicht gehört wird. Sind hier nicht alle denkbaren Garantien für die Wahrnehmung der Landesinteressen vorhanden? Und dennoch sehen wir bei einer solchen Procedur jedesmal die Hälfte des Landes mit dem selbstgeschaffenen Gesetze unzufrieden, und kaum geboren, versucht die Opposition das Kind im ersten Bade zu ertränken. Auf der andern Seite sehen wir patriotische Anstrengungen für das allgemeine Beste des Volks durch die entgegengesetzten speciellen Interessen mancher seiner Vertreter hintangesetzt. Wir sehen z. B. in Frankreich die Schutzzölle nur Einzelne schützen, und eine künstliche Theuerung unzähliger Artikel für die Nation hervorbringen; dennoch werden diese Artikel nicht freigegeben, diese schädlichen Zölle nicht aufgehoben; wir sehen, daß Frankreich seine Rentenconversion noch nicht ins Werk setzen konnte, und daß es fünf Procent Zinsen fortbezahlen muß, während es Geld genug um vier bekommt; wir sehen, daß es das Haarseil seiner Algier'schen Eroberung, das dem Mutterlande die besten Kräfte abzieht, nicht abschütteln kann, ja daß es nicht einmal wagen darf, davon zu reden! Woher mag das kommen? Daher, daß die Ueberzeugung der Klügsten, Ehrlichsten, Unbefangensten, gegen eine irregeführte Volksmeinung nicht aufkommen kann, und unter zwanzig Fällen nicht Einmal die Entscheidung herbeizuführen vermag, die in der Regel von hundert andern Dingen abhängig ist. Ein glänzender Redner bewältigt die Menge, reißt die Mehrzahl gegen ihre bessere Einsicht fort, indeß die gewichtigste, gründlichste Untersuchung ohne Eindruck verhallt, weil sie der Schmeichelkünste eines beredten Vortrags entbehrt. Alle partiellen, persönlichen oder Localinteressen, werden gegen die Gemeininteressen geltend gemacht; die Gewählten sind von ihren Wählern abhängig, die Angestellten von den Ministern, die Minister von der Gunst oder Ungunst des Augenblicks, der sie einsetzt und amovirt; die Presse verfolgt gewissenlos ihre Parteizwecke, und die freie Manifestation einer unabhängigen Meinung wird überall durch unüberwindliche Hindernisse paralysirt. Wir behaupten nicht, daß dieß immer der Fall sey, noch viel weniger daß mit der constitutionellen Praxis nicht genug gute Gesetze gemacht wurden: wo aber ist die Garantie, daß keine schlechten gemacht werden können; sind keine gemacht worden? – Wir sehen, in der Form der Gesetzgebung liegt diese Panacee nicht! Die Gewährleistungen, die einerseits allerdings vorhanden sind, werden durch eben so viele Hemmnisse aufgewogen, und das constitutionelle System ist an und für sich kein Vorbeugungsmittel für mögliche Uebel.

Sehen wir nun, ob auf der andern Seite eine rein monarchische Regierungsform den Regierten gar keine Garantien gewähre? Wenden wir uns zu diesem Ende zu einem rein monarchischen Staate, zu einem solchen, der, wiewohl mit Unrecht, für einen, jedem constitutionellen System abholden, gehalten wird. Wie werden z. B. in Oesterreich die Gesetze gemacht? Willkürlich? ohne Beiziehung der öffentlichen Meinung? motu proprio? Wird Niemand repräsentirt, wird nur die Convenienz der Regierung in Bedacht gezogen, nicht die der Regierten? Wir wollen sehen! – Wenn ein neues Gesetz, oder die Umwandlung eines alten nöthig erachtet wird, kommt zuvörderst diese Nothwendigkeit bei der dabei speciell betheiligten Stelle zur vollkommenen Berathung. Diese berichtet, und der Staatsrath untersucht die Nothwendigkeit, indem die Referenten aller administrativen und juridischen Sectionen, die ihn bilden, die aus dem Standpunkte ihrer einzelnen Branchen entspringenden Erwägungen unterlegen. Nach dem Berichte des Staatsraths entscheidet der Kaiser. Fällt diese Entscheidung affirmativ aus, so wird die Ausarbeitung des fraglichen Gegenstandes von der betreffenden Stelle demjenigen ihrer Hofräthe zugetheilt, der für denselben der geeignetste scheint. Ehe aber an diese Arbeit gegangen wird, werden die Gutachten, Daten und Erhebungen aller einzelnen Länderstellen eingeholt, die ihrerseits wieder von den Magistraten, Kreisämtern, und diese von den einzelnen Dominien alle besondern Nachweisungen fordern und erhalten. Wir sehen, daß auf diese Weise gleichfalls alle Interessen repräsentirt sind, und alle Stände; daß jeder Theil des Gemeinwesens hier eben so seine Vertretung findet, wie in einem constitutionellen Staate, nur auf anderm Wege. – Sind alle diese Vorbereitungen geschehen, die Enquêten vollständig, die Voracten geschlossen, dann schreitet der erwählte Mann des Faches an die Verfassung seines Operates. Dieses macht dann wieder denselben Weg durch alle betreffenden Hofstellen, den Staatsrath und durch die Ministerconferenz, bis es nach diesem vielfachen Scrutinium endlich die Sanction des Kaisers erhält. In Aeußerung der individuellen Meinung ist der Freiheit des Urtheils durchaus keine Schranke gestellt: jedes Votum wird motivirt und ist vollkommen unabhängig, denn kein Beamter kann ohne gerichtliche Untersuchung seines Platzes entsetzt werden. Mit welcher Gewissenhaftigkeit die Gegenstände geprüft, mit welcher Sorgfalt und Gründlichkeit sie erwogen werden, dafür diene zum Beispiel, daß bei einem neu zu erscheinenden Taxgesetz vier Entwürfe beseitigt, und erst der fünfte gutgeheißen wurde. Wir wollen sicher nicht, im Widerspruche mit der constitutionellen Praxis, behaupten, auf diesem Wege sey man vor jedem Mißbrauche gesichert; was aber die Garantien für eine gute Gesetzgebung anlangt, so fragen wir, ob solche größer oder in liberalerem Geiste auf der andern Seite vorhanden, und ob hier der Willkür des Einzelnen oder dort der Willkür der Menge sicherer Schranken gesetzt seyen? Wir fragen, ob die Gesetze in den rein monarchischen Ländern Oesterreichs minder gründlich, minder gewissenhaft, minder freisinnig und vor Allem minder fördernd für die Wohlfahrt des Landes verfaßt werden, als z. B. gleich nebenan, im constitutionellen Ungarn, auf dem Wege öffentlicher Berathung?

Wir sehen daher, daß die liberalen Garantien nicht in der Form liegen, und die rein monarchische sie durchaus nicht ausschließe. – Was nun die zweite Gewährleistung, die Befolgung und Ausführung der Gesetze betrifft, so hat zuverlässig die reine Monarchie die größere Concentration der Executivgewalt für sich; da aber am Ende die Ausführung immer von dem Pflichtgefühle und der Thätigkeit der beaufsichtigenden und vollziehenden Beamten abhängt, so dürfte die Wage sich hier ziemlich gleich, schwerlich aber zum Nachtheile rein monarchischer Länder stellen. Frägt man, welche Garantien in monarchischen Staaten gegen die Uebergriffe oder die Willkür des

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[0423/0007] Volkswille, die Pole des Staates ein. Absolutismus in seiner letzten Consequenz, und Demagogie in ihrer vollsten Entwicklung, sind vollkommen gleiche Größen, gleich schlecht, gleich gefährlich. Hinter beiden steht unmittelbar die Anarchie. Inmitten dieser Pole aber steht die geordnete Herrschaft des Gesetzes, unter verschiedenen Formen, so aber, daß immer das Gesetz der höchste Factor ist und den Willen jedes Einzelnen überragt. Die Garantien liegen daher für alle Staaten allein in der Art wie die Gesetze gemacht, und wie sie vollzogen und beobachtet werden. – In constitutionellen Ländern wird ein Entwurf vorgelegt, in den Kammern debattirt, verworfen, oder angenommen, und hierauf von der Regierung zum Gesetz erhoben. Er geht durch die Discussion beider Kammern, in denen jedes Mitglied seine Meinung abgibt, durch den Ministerrath, und letztlich beleuchtet auch noch die freie Presse den Gegenstand von allen Seiten. Gewiß eine vollkommen unbeschränkte Erörterung, bei der alle Stände vertreten sind, jede Ansicht gehört wird. Sind hier nicht alle denkbaren Garantien für die Wahrnehmung der Landesinteressen vorhanden? Und dennoch sehen wir bei einer solchen Procedur jedesmal die Hälfte des Landes mit dem selbstgeschaffenen Gesetze unzufrieden, und kaum geboren, versucht die Opposition das Kind im ersten Bade zu ertränken. Auf der andern Seite sehen wir patriotische Anstrengungen für das allgemeine Beste des Volks durch die entgegengesetzten speciellen Interessen mancher seiner Vertreter hintangesetzt. Wir sehen z. B. in Frankreich die Schutzzölle nur Einzelne schützen, und eine künstliche Theuerung unzähliger Artikel für die Nation hervorbringen; dennoch werden diese Artikel nicht freigegeben, diese schädlichen Zölle nicht aufgehoben; wir sehen, daß Frankreich seine Rentenconversion noch nicht ins Werk setzen konnte, und daß es fünf Procent Zinsen fortbezahlen muß, während es Geld genug um vier bekommt; wir sehen, daß es das Haarseil seiner Algier'schen Eroberung, das dem Mutterlande die besten Kräfte abzieht, nicht abschütteln kann, ja daß es nicht einmal wagen darf, davon zu reden! Woher mag das kommen? Daher, daß die Ueberzeugung der Klügsten, Ehrlichsten, Unbefangensten, gegen eine irregeführte Volksmeinung nicht aufkommen kann, und unter zwanzig Fällen nicht Einmal die Entscheidung herbeizuführen vermag, die in der Regel von hundert andern Dingen abhängig ist. Ein glänzender Redner bewältigt die Menge, reißt die Mehrzahl gegen ihre bessere Einsicht fort, indeß die gewichtigste, gründlichste Untersuchung ohne Eindruck verhallt, weil sie der Schmeichelkünste eines beredten Vortrags entbehrt. Alle partiellen, persönlichen oder Localinteressen, werden gegen die Gemeininteressen geltend gemacht; die Gewählten sind von ihren Wählern abhängig, die Angestellten von den Ministern, die Minister von der Gunst oder Ungunst des Augenblicks, der sie einsetzt und amovirt; die Presse verfolgt gewissenlos ihre Parteizwecke, und die freie Manifestation einer unabhängigen Meinung wird überall durch unüberwindliche Hindernisse paralysirt. Wir behaupten nicht, daß dieß immer der Fall sey, noch viel weniger daß mit der constitutionellen Praxis nicht genug gute Gesetze gemacht wurden: wo aber ist die Garantie, daß keine schlechten gemacht werden können; sind keine gemacht worden? – Wir sehen, in der Form der Gesetzgebung liegt diese Panacee nicht! Die Gewährleistungen, die einerseits allerdings vorhanden sind, werden durch eben so viele Hemmnisse aufgewogen, und das constitutionelle System ist an und für sich kein Vorbeugungsmittel für mögliche Uebel. Sehen wir nun, ob auf der andern Seite eine rein monarchische Regierungsform den Regierten gar keine Garantien gewähre? Wenden wir uns zu diesem Ende zu einem rein monarchischen Staate, zu einem solchen, der, wiewohl mit Unrecht, für einen, jedem constitutionellen System abholden, gehalten wird. Wie werden z. B. in Oesterreich die Gesetze gemacht? Willkürlich? ohne Beiziehung der öffentlichen Meinung? motu proprio? Wird Niemand repräsentirt, wird nur die Convenienz der Regierung in Bedacht gezogen, nicht die der Regierten? Wir wollen sehen! – Wenn ein neues Gesetz, oder die Umwandlung eines alten nöthig erachtet wird, kommt zuvörderst diese Nothwendigkeit bei der dabei speciell betheiligten Stelle zur vollkommenen Berathung. Diese berichtet, und der Staatsrath untersucht die Nothwendigkeit, indem die Referenten aller administrativen und juridischen Sectionen, die ihn bilden, die aus dem Standpunkte ihrer einzelnen Branchen entspringenden Erwägungen unterlegen. Nach dem Berichte des Staatsraths entscheidet der Kaiser. Fällt diese Entscheidung affirmativ aus, so wird die Ausarbeitung des fraglichen Gegenstandes von der betreffenden Stelle demjenigen ihrer Hofräthe zugetheilt, der für denselben der geeignetste scheint. Ehe aber an diese Arbeit gegangen wird, werden die Gutachten, Daten und Erhebungen aller einzelnen Länderstellen eingeholt, die ihrerseits wieder von den Magistraten, Kreisämtern, und diese von den einzelnen Dominien alle besondern Nachweisungen fordern und erhalten. Wir sehen, daß auf diese Weise gleichfalls alle Interessen repräsentirt sind, und alle Stände; daß jeder Theil des Gemeinwesens hier eben so seine Vertretung findet, wie in einem constitutionellen Staate, nur auf anderm Wege. – Sind alle diese Vorbereitungen geschehen, die Enquêten vollständig, die Voracten geschlossen, dann schreitet der erwählte Mann des Faches an die Verfassung seines Operates. Dieses macht dann wieder denselben Weg durch alle betreffenden Hofstellen, den Staatsrath und durch die Ministerconferenz, bis es nach diesem vielfachen Scrutinium endlich die Sanction des Kaisers erhält. In Aeußerung der individuellen Meinung ist der Freiheit des Urtheils durchaus keine Schranke gestellt: jedes Votum wird motivirt und ist vollkommen unabhängig, denn kein Beamter kann ohne gerichtliche Untersuchung seines Platzes entsetzt werden. Mit welcher Gewissenhaftigkeit die Gegenstände geprüft, mit welcher Sorgfalt und Gründlichkeit sie erwogen werden, dafür diene zum Beispiel, daß bei einem neu zu erscheinenden Taxgesetz vier Entwürfe beseitigt, und erst der fünfte gutgeheißen wurde. Wir wollen sicher nicht, im Widerspruche mit der constitutionellen Praxis, behaupten, auf diesem Wege sey man vor jedem Mißbrauche gesichert; was aber die Garantien für eine gute Gesetzgebung anlangt, so fragen wir, ob solche größer oder in liberalerem Geiste auf der andern Seite vorhanden, und ob hier der Willkür des Einzelnen oder dort der Willkür der Menge sicherer Schranken gesetzt seyen? Wir fragen, ob die Gesetze in den rein monarchischen Ländern Oesterreichs minder gründlich, minder gewissenhaft, minder freisinnig und vor Allem minder fördernd für die Wohlfahrt des Landes verfaßt werden, als z. B. gleich nebenan, im constitutionellen Ungarn, auf dem Wege öffentlicher Berathung? Wir sehen daher, daß die liberalen Garantien nicht in der Form liegen, und die rein monarchische sie durchaus nicht ausschließe. – Was nun die zweite Gewährleistung, die Befolgung und Ausführung der Gesetze betrifft, so hat zuverlässig die reine Monarchie die größere Concentration der Executivgewalt für sich; da aber am Ende die Ausführung immer von dem Pflichtgefühle und der Thätigkeit der beaufsichtigenden und vollziehenden Beamten abhängt, so dürfte die Wage sich hier ziemlich gleich, schwerlich aber zum Nachtheile rein monarchischer Länder stellen. Frägt man, welche Garantien in monarchischen Staaten gegen die Uebergriffe oder die Willkür des

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 53. Augsburg, 22. Februar 1840, S. 0423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_053_18400222/7>, abgerufen am 10.11.2024.