Allgemeine Zeitung. Nr. 105. Augsburg, 14. April 1840.Abd-El-Kader besitzt nur noch zwei kleine Seehäfen, Dellys im Osten von Algier, und Tenes zwischen Scherschel und Arzew. In der Besorgniß, diese beiden Städte könnten die alte Piraterie wieder beginnen, scheint vom Kriegsminister nun der bestimmte Befehl gegeben, dem Emir auch diese letzten Ressourcen an der Seeküste zu nehmen. Gegen Dellys ist eine französische Colonne im Anmarsch, und Tenes, dessen Bewohner, wie die Araber sagen, vor alten Zeiten die größten Hexenmeister gewesen, und heutiges Tages die größten Spitzbuben des Landes sind, soll durch die Kanonen der Kriegsdampfboote zerstört werden. Mit der Occupation von Collo, zwischen Dschischelli und Stora, welche in Bälde stattfinden soll, sind dann sämmtliche Punkte der Regentschaft Algier von der Insel Tabarka bis zum Fluß Maluia, wo das marokkanische Gebiet beginnt, in der Gewalt der Franzosen. Ueber die großen Operationen der französischen Armee gegen Abd-El-Kader, welche wohl im Laufe des Aprils beginnen werden, verlautet noch nichts Bestimmtes. Indessen scheint es außer allem Zweifel, daß man zunächst den Engpaß Teniah überschreiten und Medeah besetzen wird. General Pelet hat kürzlich im Spectateur Militaire auf die große strategische Wichtigkeit Medeahs besonders aufmerksam gemacht, und das Journal des Debats versicherte neulich, Medeah werde vor Allem besetzt und eine große militärische Niederlassung dort gegründet werden. Das Journal des Debats nennt übrigens Medeah ganz irrig eine Stadt der Provinz Algier. Medeah ist die Hauptstadt der Provinz Titeri, und war im Jahr 1830 die Residenz Mustapha-Bu-Mefrags, Bey's von Titeri, welcher von den Franzosen gefangen genommen wurde. Von Medeah wird, wie das Journal des Debats vermuthet, die Armee nach Miliana marschiren, einem Städtchen von nur 2000 Einwohnern in einer blühenden Gegend gelegen. Der Besitz Miliana's ist wichtig, weil man von dort die zahlreichen an den Ufern des Schelif wohnenden Araberstämme bedrohen kann. Ob eine zweite Colonne von Oran oder Mostaganem gegen Maskara und Tlemsan aufbrechen wird, scheint noch ganz ungewiß. Inzwischen haben drei Infanterieregimenter Befehl erhalten, sich nach Oran einzuschiffen, in dessen Umgegend Abd-El-Kader sehr bedeutende Streitmassen versammelt hat. Mehemed Ali und seine englischen Widersacher. Paris, 3 April. Die Unmöglichkeit für manche Leute, sich in die orientalischen Verhältnisse hinein zu denken, wird wieder einmal recht klar in dem Artikel: London, 16 März (Allg. Zeitung Nro. 88). Alle Voraussetzungen darin, die der besten aller Politiken da zu Grunde gelegt werden, sind nicht bloß falsch, sondern sie sind europäische Mißgeburten. "Ob es einem rebellischen Unterthan gestattet seyn soll, seinen rechtmäßigen Souverän zu berauben und am Ende zu entthronen?" - Dagegen kann man fragen: ob man einen Unterthanen rebellisch nennen dürfe, der sich wehrte, weil sein rechtmäßiger Souverän, einer im Angesicht Europa's eingegangenen Verpflichtung entgegen, trotz der abrathenden Meinung aller Mächte, mit den Waffen in der Hand ihn angriff? - ob es nicht ein augenscheinlicher Mißbrauch des Wortes berauben sey, wenn man damit die Regelung thatsächlicher und durch einen feierlichen Vergleich bereits anerkannter Verhältnisse bezeichnet? - ob man sich endlich nicht lächerlich mache mit der Meinung, der Vicekönig gehe damit um, den Sultan zu entthronen, wenn diese Voraussetzung nicht bloß durch nichst gerechtfertigt, sondern geradezu eine absurde ist? Der Artikel stellt ferner die Frage auf: ob man dulden solle, "daß durch die Beförderung der ehrgeizigen Plane des Vicekönigs das Gleichgewicht der europäischen Mächte zerstört, und vielleicht ein allgemeiner Krieg in Europa herbeigeführt werde?" - Die erste Hälfte dieses Satzes ist rein unverständlich; auf die zweite würde heute bereits wohl der Sultan selbst antworten: "drängt euch nicht ein, macht nicht meinen Thron zur Mördergrube, ihr Käufer und Verkäufer, und ich werde in wenigen Wochen den Frieden und die Einigkeit in meinem Reiche allein hergestellt haben." - Das Berauben erklärt der für den Sultan so besorgte englische Aufsatz dadurch: man dürfe, ein unabhängiges Reich bilden wollen, berauben nennen. Was der Autor klug zu unterscheiden weiß! Wahrhaftig, das hätte man denen nicht zugetraut, die unabhängige Reiche umzuwerfen nicht berauben nennen. - Nach dem was, trotz den Mächten, im ersten Augenblicke nach Sultan Abd-ul-Medschids Thronbesteigung zwischen dem Souverän und dem Rebellen stattfand, ist jetzt die Behauptung, daß Mehemed Ali ein unabhängiges Reich gründen wolle, ohne jede Basis. Uebrigens muß man dem Verfasser des Aufsatzes vor Allem anrathen, nach dem Orient zu gehen, oder seine Landsleute zu hören, die dort gewesen sind, allenfalls auch Urquhart zu lesen, den leidenschaftlichen Gegner Mehemed Ali's, überhaupt sich zu unterrichten über das, was im Oriente möglich ist, und was nicht. Der armselige Wahn, Konstantinopel sey das Ziel aller Wünsche Mehemed Ali's, verräth eben ganz diese Unkenntniß und die europäische Gedankenenge. Weil für uns Konstantinopel von Interesse und Wichtigkeit ist, so bildet sich der Schreiber in London ein, Mehemed Ali wolle durchaus in die Kleider des Sultans schlüpfen, und der Einzug zwischen gaffenden Engländern in die byzantinische Kaiserstadt sey das non plus ultra seiner Ambition. Mehemed Ali denkt gewiß größer, als daß ein so elender Triumph für ihn einen Werth haben könnte. Zur weiteren Würdigung dieses Aufsatzes heben wir noch die sanguinischen Hoffnungen heraus, mit welchen der Hattischerif von Gülhane bekränzt wird. (Seit der Janitscharenvertilgung gibt es kaum eine Maaßregel, in welcher eine gewisse Partei nicht die Liberalisirung und Civilisirung der Türkei gesehen hätte.) Die alte Fabel von der Transportirung der Moreoten nach Aegypten wird als eine unläugbare Wahrheit, als ein geschichtliches Factum aufgetischt. *) Der Verfasser weiß offenbar nicht, wie die Pforte seiner Zeit das Ansinnen des leidenschaftlichen englischen Botschafters zurückwies, und wie alle Cabinette darüber dachten. Dann wird unter den Provinzen Mehemed Ali's auch Bagdad aufgezählt; **) eine merkwürdige Gefälligkeit für ihn. Der Rest des Artikels ist ein Manifest gegen Frankreich und ein englisches Lob Rußlands. Ueber die Wirkung des einen und andern ist uns um so weniger bange, als die überaus loyalen und uneigennützigen Unternehmungen Englands in Nord-Indien und gegen China alle Gemüther nothwendig mit Achtung für die unerschütterliche Redlichkeit und durchaus moralische Tendenz jenes Cabinets durchdringen müssen. Ostindien und China. Paris, 7 April. Man theilt mir einen Brief aus Singapur vom 13 Januar mit, aus dem hier ein Auszug folgt: Die große Krisis in Canton reißt uns, wie alle Häfen im Orient mit sich; ein großer Theil der aus Canton und Macao vertriebenen englischen Familien hält sich hier auf, in Erwartung der Wendung, welche die Dinge dort nehmen werden, *) Nach Prokesch's Denkwürdigkeiten, der damals in Griechenland und Aegypten mit eigenen Augen sah, erscheint die Transportirung doch nicht so ganz als Fabel. Und doch spricht sich Hr. v. Prokesch darin nichts weniger denn als Gegner des Vicekönigs und seines Sohnes aus. **) Doch wohl nur als eine von ihm erstrebte Provinz.
Abd-El-Kader besitzt nur noch zwei kleine Seehäfen, Dellys im Osten von Algier, und Tenes zwischen Scherschel und Arzew. In der Besorgniß, diese beiden Städte könnten die alte Piraterie wieder beginnen, scheint vom Kriegsminister nun der bestimmte Befehl gegeben, dem Emir auch diese letzten Ressourcen an der Seeküste zu nehmen. Gegen Dellys ist eine französische Colonne im Anmarsch, und Tenes, dessen Bewohner, wie die Araber sagen, vor alten Zeiten die größten Hexenmeister gewesen, und heutiges Tages die größten Spitzbuben des Landes sind, soll durch die Kanonen der Kriegsdampfboote zerstört werden. Mit der Occupation von Collo, zwischen Dschischelli und Stora, welche in Bälde stattfinden soll, sind dann sämmtliche Punkte der Regentschaft Algier von der Insel Tabarka bis zum Fluß Maluia, wo das marokkanische Gebiet beginnt, in der Gewalt der Franzosen. Ueber die großen Operationen der französischen Armee gegen Abd-El-Kader, welche wohl im Laufe des Aprils beginnen werden, verlautet noch nichts Bestimmtes. Indessen scheint es außer allem Zweifel, daß man zunächst den Engpaß Teniah überschreiten und Medeah besetzen wird. General Pelet hat kürzlich im Spectateur Militaire auf die große strategische Wichtigkeit Medeahs besonders aufmerksam gemacht, und das Journal des Débats versicherte neulich, Medeah werde vor Allem besetzt und eine große militärische Niederlassung dort gegründet werden. Das Journal des Débats nennt übrigens Medeah ganz irrig eine Stadt der Provinz Algier. Medeah ist die Hauptstadt der Provinz Titeri, und war im Jahr 1830 die Residenz Mustapha-Bu-Mefrags, Bey's von Titeri, welcher von den Franzosen gefangen genommen wurde. Von Medeah wird, wie das Journal des Débats vermuthet, die Armee nach Miliana marschiren, einem Städtchen von nur 2000 Einwohnern in einer blühenden Gegend gelegen. Der Besitz Miliana's ist wichtig, weil man von dort die zahlreichen an den Ufern des Schelif wohnenden Araberstämme bedrohen kann. Ob eine zweite Colonne von Oran oder Mostaganem gegen Maskara und Tlemsan aufbrechen wird, scheint noch ganz ungewiß. Inzwischen haben drei Infanterieregimenter Befehl erhalten, sich nach Oran einzuschiffen, in dessen Umgegend Abd-El-Kader sehr bedeutende Streitmassen versammelt hat. Mehemed Ali und seine englischen Widersacher. Paris, 3 April. Die Unmöglichkeit für manche Leute, sich in die orientalischen Verhältnisse hinein zu denken, wird wieder einmal recht klar in dem Artikel: London, 16 März (Allg. Zeitung Nro. 88). Alle Voraussetzungen darin, die der besten aller Politiken da zu Grunde gelegt werden, sind nicht bloß falsch, sondern sie sind europäische Mißgeburten. „Ob es einem rebellischen Unterthan gestattet seyn soll, seinen rechtmäßigen Souverän zu berauben und am Ende zu entthronen?“ – Dagegen kann man fragen: ob man einen Unterthanen rebellisch nennen dürfe, der sich wehrte, weil sein rechtmäßiger Souverän, einer im Angesicht Europa's eingegangenen Verpflichtung entgegen, trotz der abrathenden Meinung aller Mächte, mit den Waffen in der Hand ihn angriff? – ob es nicht ein augenscheinlicher Mißbrauch des Wortes berauben sey, wenn man damit die Regelung thatsächlicher und durch einen feierlichen Vergleich bereits anerkannter Verhältnisse bezeichnet? – ob man sich endlich nicht lächerlich mache mit der Meinung, der Vicekönig gehe damit um, den Sultan zu entthronen, wenn diese Voraussetzung nicht bloß durch nichst gerechtfertigt, sondern geradezu eine absurde ist? Der Artikel stellt ferner die Frage auf: ob man dulden solle, „daß durch die Beförderung der ehrgeizigen Plane des Vicekönigs das Gleichgewicht der europäischen Mächte zerstört, und vielleicht ein allgemeiner Krieg in Europa herbeigeführt werde?“ – Die erste Hälfte dieses Satzes ist rein unverständlich; auf die zweite würde heute bereits wohl der Sultan selbst antworten: „drängt euch nicht ein, macht nicht meinen Thron zur Mördergrube, ihr Käufer und Verkäufer, und ich werde in wenigen Wochen den Frieden und die Einigkeit in meinem Reiche allein hergestellt haben.“ – Das Berauben erklärt der für den Sultan so besorgte englische Aufsatz dadurch: man dürfe, ein unabhängiges Reich bilden wollen, berauben nennen. Was der Autor klug zu unterscheiden weiß! Wahrhaftig, das hätte man denen nicht zugetraut, die unabhängige Reiche umzuwerfen nicht berauben nennen. – Nach dem was, trotz den Mächten, im ersten Augenblicke nach Sultan Abd-ul-Medschids Thronbesteigung zwischen dem Souverän und dem Rebellen stattfand, ist jetzt die Behauptung, daß Mehemed Ali ein unabhängiges Reich gründen wolle, ohne jede Basis. Uebrigens muß man dem Verfasser des Aufsatzes vor Allem anrathen, nach dem Orient zu gehen, oder seine Landsleute zu hören, die dort gewesen sind, allenfalls auch Urquhart zu lesen, den leidenschaftlichen Gegner Mehemed Ali's, überhaupt sich zu unterrichten über das, was im Oriente möglich ist, und was nicht. Der armselige Wahn, Konstantinopel sey das Ziel aller Wünsche Mehemed Ali's, verräth eben ganz diese Unkenntniß und die europäische Gedankenenge. Weil für uns Konstantinopel von Interesse und Wichtigkeit ist, so bildet sich der Schreiber in London ein, Mehemed Ali wolle durchaus in die Kleider des Sultans schlüpfen, und der Einzug zwischen gaffenden Engländern in die byzantinische Kaiserstadt sey das non plus ultra seiner Ambition. Mehemed Ali denkt gewiß größer, als daß ein so elender Triumph für ihn einen Werth haben könnte. Zur weiteren Würdigung dieses Aufsatzes heben wir noch die sanguinischen Hoffnungen heraus, mit welchen der Hattischerif von Gülhane bekränzt wird. (Seit der Janitscharenvertilgung gibt es kaum eine Maaßregel, in welcher eine gewisse Partei nicht die Liberalisirung und Civilisirung der Türkei gesehen hätte.) Die alte Fabel von der Transportirung der Moreoten nach Aegypten wird als eine unläugbare Wahrheit, als ein geschichtliches Factum aufgetischt. *) Der Verfasser weiß offenbar nicht, wie die Pforte seiner Zeit das Ansinnen des leidenschaftlichen englischen Botschafters zurückwies, und wie alle Cabinette darüber dachten. Dann wird unter den Provinzen Mehemed Ali's auch Bagdad aufgezählt; **) eine merkwürdige Gefälligkeit für ihn. Der Rest des Artikels ist ein Manifest gegen Frankreich und ein englisches Lob Rußlands. Ueber die Wirkung des einen und andern ist uns um so weniger bange, als die überaus loyalen und uneigennützigen Unternehmungen Englands in Nord-Indien und gegen China alle Gemüther nothwendig mit Achtung für die unerschütterliche Redlichkeit und durchaus moralische Tendenz jenes Cabinets durchdringen müssen. Ostindien und China. Paris, 7 April. Man theilt mir einen Brief aus Singapur vom 13 Januar mit, aus dem hier ein Auszug folgt: Die große Krisis in Canton reißt uns, wie alle Häfen im Orient mit sich; ein großer Theil der aus Canton und Macao vertriebenen englischen Familien hält sich hier auf, in Erwartung der Wendung, welche die Dinge dort nehmen werden, *) Nach Prokesch's Denkwürdigkeiten, der damals in Griechenland und Aegypten mit eigenen Augen sah, erscheint die Transportirung doch nicht so ganz als Fabel. Und doch spricht sich Hr. v. Prokesch darin nichts weniger denn als Gegner des Vicekönigs und seines Sohnes aus. **) Doch wohl nur als eine von ihm erstrebte Provinz.
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Mit der Occupation von Collo, zwischen Dschischelli und Stora, welche in Bälde stattfinden soll, sind dann sämmtliche Punkte der Regentschaft Algier von der Insel Tabarka bis zum Fluß Maluia, wo das marokkanische Gebiet beginnt, in der Gewalt der Franzosen.</p><lb/> <p>Ueber die großen Operationen der französischen Armee gegen Abd-El-Kader, welche wohl im Laufe des Aprils beginnen werden, verlautet noch nichts Bestimmtes. Indessen scheint es außer allem Zweifel, daß man zunächst den Engpaß Teniah überschreiten und Medeah besetzen wird. General Pelet hat kürzlich im <hi rendition="#g">Spectateur Militaire</hi> auf die große strategische Wichtigkeit Medeahs besonders aufmerksam gemacht, und das <hi rendition="#g">Journal des Débats</hi> versicherte neulich, Medeah werde vor Allem besetzt und eine große militärische Niederlassung dort gegründet werden. Das Journal des Débats nennt übrigens Medeah ganz irrig eine Stadt der Provinz Algier. Medeah ist die Hauptstadt der Provinz Titeri, und war im Jahr 1830 die Residenz Mustapha-Bu-Mefrags, Bey's von Titeri, welcher von den Franzosen gefangen genommen wurde. Von Medeah wird, wie das Journal des Débats vermuthet, die Armee nach Miliana marschiren, einem Städtchen von nur 2000 Einwohnern in einer blühenden Gegend gelegen. Der Besitz Miliana's ist wichtig, weil man von dort die zahlreichen an den Ufern des Schelif wohnenden Araberstämme bedrohen kann. Ob eine zweite Colonne von Oran oder Mostaganem gegen Maskara und Tlemsan aufbrechen wird, scheint noch ganz ungewiß. 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Der Artikel stellt ferner die Frage auf: ob man dulden solle, „daß durch die Beförderung der ehrgeizigen Plane des Vicekönigs das Gleichgewicht der europäischen Mächte zerstört, und vielleicht ein allgemeiner Krieg in Europa herbeigeführt werde?“ – Die erste Hälfte dieses Satzes ist rein unverständlich; auf die zweite würde heute bereits wohl der Sultan selbst antworten: „drängt euch nicht ein, macht nicht meinen Thron zur Mördergrube, ihr Käufer und Verkäufer, und ich werde in wenigen Wochen den Frieden und die Einigkeit in meinem Reiche allein hergestellt haben.“ – Das <hi rendition="#g">Berauben</hi> erklärt der für den Sultan so besorgte englische Aufsatz dadurch: man dürfe, ein <hi rendition="#g">unabhängiges Reich bilden wollen</hi>, berauben nennen. Was der Autor klug zu unterscheiden weiß! 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Weil für uns Konstantinopel von Interesse und Wichtigkeit ist, so bildet sich der Schreiber in London ein, Mehemed Ali wolle durchaus in die Kleider des Sultans schlüpfen, und der Einzug zwischen gaffenden Engländern in die byzantinische Kaiserstadt sey das non plus ultra seiner Ambition. Mehemed Ali denkt gewiß größer, als daß ein so elender Triumph für ihn einen Werth haben könnte. Zur weiteren Würdigung dieses Aufsatzes heben wir noch die sanguinischen Hoffnungen heraus, mit welchen der Hattischerif von Gülhane bekränzt wird. (Seit der Janitscharenvertilgung gibt es kaum eine Maaßregel, in welcher eine gewisse Partei nicht die Liberalisirung und Civilisirung der Türkei gesehen hätte.) 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Abd-El-Kader besitzt nur noch zwei kleine Seehäfen, Dellys im Osten von Algier, und Tenes zwischen Scherschel und Arzew. In der Besorgniß, diese beiden Städte könnten die alte Piraterie wieder beginnen, scheint vom Kriegsminister nun der bestimmte Befehl gegeben, dem Emir auch diese letzten Ressourcen an der Seeküste zu nehmen. Gegen Dellys ist eine französische Colonne im Anmarsch, und Tenes, dessen Bewohner, wie die Araber sagen, vor alten Zeiten die größten Hexenmeister gewesen, und heutiges Tages die größten Spitzbuben des Landes sind, soll durch die Kanonen der Kriegsdampfboote zerstört werden. Mit der Occupation von Collo, zwischen Dschischelli und Stora, welche in Bälde stattfinden soll, sind dann sämmtliche Punkte der Regentschaft Algier von der Insel Tabarka bis zum Fluß Maluia, wo das marokkanische Gebiet beginnt, in der Gewalt der Franzosen.
Ueber die großen Operationen der französischen Armee gegen Abd-El-Kader, welche wohl im Laufe des Aprils beginnen werden, verlautet noch nichts Bestimmtes. Indessen scheint es außer allem Zweifel, daß man zunächst den Engpaß Teniah überschreiten und Medeah besetzen wird. General Pelet hat kürzlich im Spectateur Militaire auf die große strategische Wichtigkeit Medeahs besonders aufmerksam gemacht, und das Journal des Débats versicherte neulich, Medeah werde vor Allem besetzt und eine große militärische Niederlassung dort gegründet werden. Das Journal des Débats nennt übrigens Medeah ganz irrig eine Stadt der Provinz Algier. Medeah ist die Hauptstadt der Provinz Titeri, und war im Jahr 1830 die Residenz Mustapha-Bu-Mefrags, Bey's von Titeri, welcher von den Franzosen gefangen genommen wurde. Von Medeah wird, wie das Journal des Débats vermuthet, die Armee nach Miliana marschiren, einem Städtchen von nur 2000 Einwohnern in einer blühenden Gegend gelegen. Der Besitz Miliana's ist wichtig, weil man von dort die zahlreichen an den Ufern des Schelif wohnenden Araberstämme bedrohen kann. Ob eine zweite Colonne von Oran oder Mostaganem gegen Maskara und Tlemsan aufbrechen wird, scheint noch ganz ungewiß. Inzwischen haben drei Infanterieregimenter Befehl erhalten, sich nach Oran einzuschiffen, in dessen Umgegend Abd-El-Kader sehr bedeutende Streitmassen versammelt hat.
Mehemed Ali und seine englischen Widersacher.
_ Paris, 3 April. Die Unmöglichkeit für manche Leute, sich in die orientalischen Verhältnisse hinein zu denken, wird wieder einmal recht klar in dem Artikel: London, 16 März (Allg. Zeitung Nro. 88). Alle Voraussetzungen darin, die der besten aller Politiken da zu Grunde gelegt werden, sind nicht bloß falsch, sondern sie sind europäische Mißgeburten. „Ob es einem rebellischen Unterthan gestattet seyn soll, seinen rechtmäßigen Souverän zu berauben und am Ende zu entthronen?“ – Dagegen kann man fragen: ob man einen Unterthanen rebellisch nennen dürfe, der sich wehrte, weil sein rechtmäßiger Souverän, einer im Angesicht Europa's eingegangenen Verpflichtung entgegen, trotz der abrathenden Meinung aller Mächte, mit den Waffen in der Hand ihn angriff? – ob es nicht ein augenscheinlicher Mißbrauch des Wortes berauben sey, wenn man damit die Regelung thatsächlicher und durch einen feierlichen Vergleich bereits anerkannter Verhältnisse bezeichnet? – ob man sich endlich nicht lächerlich mache mit der Meinung, der Vicekönig gehe damit um, den Sultan zu entthronen, wenn diese Voraussetzung nicht bloß durch nichst gerechtfertigt, sondern geradezu eine absurde ist? Der Artikel stellt ferner die Frage auf: ob man dulden solle, „daß durch die Beförderung der ehrgeizigen Plane des Vicekönigs das Gleichgewicht der europäischen Mächte zerstört, und vielleicht ein allgemeiner Krieg in Europa herbeigeführt werde?“ – Die erste Hälfte dieses Satzes ist rein unverständlich; auf die zweite würde heute bereits wohl der Sultan selbst antworten: „drängt euch nicht ein, macht nicht meinen Thron zur Mördergrube, ihr Käufer und Verkäufer, und ich werde in wenigen Wochen den Frieden und die Einigkeit in meinem Reiche allein hergestellt haben.“ – Das Berauben erklärt der für den Sultan so besorgte englische Aufsatz dadurch: man dürfe, ein unabhängiges Reich bilden wollen, berauben nennen. Was der Autor klug zu unterscheiden weiß! Wahrhaftig, das hätte man denen nicht zugetraut, die unabhängige Reiche umzuwerfen nicht berauben nennen. – Nach dem was, trotz den Mächten, im ersten Augenblicke nach Sultan Abd-ul-Medschids Thronbesteigung zwischen dem Souverän und dem Rebellen stattfand, ist jetzt die Behauptung, daß Mehemed Ali ein unabhängiges Reich gründen wolle, ohne jede Basis. Uebrigens muß man dem Verfasser des Aufsatzes vor Allem anrathen, nach dem Orient zu gehen, oder seine Landsleute zu hören, die dort gewesen sind, allenfalls auch Urquhart zu lesen, den leidenschaftlichen Gegner Mehemed Ali's, überhaupt sich zu unterrichten über das, was im Oriente möglich ist, und was nicht. Der armselige Wahn, Konstantinopel sey das Ziel aller Wünsche Mehemed Ali's, verräth eben ganz diese Unkenntniß und die europäische Gedankenenge. Weil für uns Konstantinopel von Interesse und Wichtigkeit ist, so bildet sich der Schreiber in London ein, Mehemed Ali wolle durchaus in die Kleider des Sultans schlüpfen, und der Einzug zwischen gaffenden Engländern in die byzantinische Kaiserstadt sey das non plus ultra seiner Ambition. Mehemed Ali denkt gewiß größer, als daß ein so elender Triumph für ihn einen Werth haben könnte. Zur weiteren Würdigung dieses Aufsatzes heben wir noch die sanguinischen Hoffnungen heraus, mit welchen der Hattischerif von Gülhane bekränzt wird. (Seit der Janitscharenvertilgung gibt es kaum eine Maaßregel, in welcher eine gewisse Partei nicht die Liberalisirung und Civilisirung der Türkei gesehen hätte.) Die alte Fabel von der Transportirung der Moreoten nach Aegypten wird als eine unläugbare Wahrheit, als ein geschichtliches Factum aufgetischt. *) Der Verfasser weiß offenbar nicht, wie die Pforte seiner Zeit das Ansinnen des leidenschaftlichen englischen Botschafters zurückwies, und wie alle Cabinette darüber dachten. Dann wird unter den Provinzen Mehemed Ali's auch Bagdad aufgezählt; **) eine merkwürdige Gefälligkeit für ihn. Der Rest des Artikels ist ein Manifest gegen Frankreich und ein englisches Lob Rußlands. Ueber die Wirkung des einen und andern ist uns um so weniger bange, als die überaus loyalen und uneigennützigen Unternehmungen Englands in Nord-Indien und gegen China alle Gemüther nothwendig mit Achtung für die unerschütterliche Redlichkeit und durchaus moralische Tendenz jenes Cabinets durchdringen müssen.
Ostindien und China.
_ Paris, 7 April. Man theilt mir einen Brief aus Singapur vom 13 Januar mit, aus dem hier ein Auszug folgt: Die große Krisis in Canton reißt uns, wie alle Häfen im Orient mit sich; ein großer Theil der aus Canton und Macao vertriebenen englischen Familien hält sich hier auf, in Erwartung der Wendung, welche die Dinge dort nehmen werden,
*) Nach Prokesch's Denkwürdigkeiten, der damals in Griechenland und Aegypten mit eigenen Augen sah, erscheint die Transportirung doch nicht so ganz als Fabel. Und doch spricht sich Hr. v. Prokesch darin nichts weniger denn als Gegner des Vicekönigs und seines Sohnes aus.
**) Doch wohl nur als eine von ihm erstrebte Provinz.
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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