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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Westfalen im 17. Jahrhundert.
auf die Messen und besonders nach Holland. Hatten sie an dem
Hausierhandel einmal Geschmack gefunden, so liessen sie auch in
schlechten Zeiten nicht leicht davon ab, wurden aber dann meistenteils
durch die Not gezwungen, ihre Waren zu Schleuderpreisen loszu-
schlagen, wodurch sie auch die Preise der Kaufleute drückten und das
ganze Handwerk schädigten. Dazu kam noch, dass die holländischen
Händler ihnen statt barem Geld meist Waren, Kaffee, Zucker,
Öl u. s. w. in Zahlung gaben. Mit diesen Artikeln mussten sie, da
sie kein bares Geld heimbrachten, wieder die Arbeiter bezahlen.
Dadurch entstand ein verderbliches Trucksystem zum Nachteil der
Arbeiter und nur zum Vorteil der Kaufleute, welche den armen
Handwerkern die Waren mit grossem Gewinn abhandelten. Die Ar-
beiter waren um so mehr dazu gezwungen, ihre Waren zum Kauf-
mann zu tragen, weil sie durch diesen ihre Rohmaterialien, Eisen, Stahl,
Holz u. s. w., beziehen mussten. So hatten die Kaufleute allen Nutzen,
die Handwerker allen Schaden dieser neuen Einrichtung.

Gegen diese verderblichen Neuerungen erhoben sich die selb-
ständigen Handwerksmeister, setzten eine Kommission ein und er-
langten am 18. November 1687 eine Revision ihres Privilegiums,
welche zugleich mit dem Sechsmannsbrief publiziert wurde. Hierdurch
wurde auch bei den Messermachern noch einmal der alte handwerks-
mässige Betrieb formell vollständig wieder hergestellt.

In erster Reihe stand die Sorge für tüchtige Arbeiter, Materialien
und Waren. Um Meister zu werden, musste man eine Lehrzeit von
sechs Jahren, in welcher sowohl das Schmieden als das Reiden ge-
trieben wurde, ausgestanden haben, ein Meisterstück anfertigen,
24 Jahre alt sein, ein Eintrittsgeld von zwei Goldgulden zahlen und
sich in die Handwerksrolle eintragen lassen. Alle diejenigen, welche
im Laufe der Zeit sich widerrechtlich als Meister etabliert hatten,
sollten suspendiert werden.

Sowohl die von den Hammerschmieden gelieferten Stangen Stahl,
wie die fertigen Messerklingen sollten mit den Erbzeichen der Meister
versehen werden, welchen nach der Schau durch die Ratsleute das
allgemeine Beizeichen hinzugefügt wurde, ohne welches kein Schleifer
eine Klinge schleifen durfte.

Um die Selbständigkeit der Handwerksmeister zu sichern, wurde
gegen die Arbeitsteilung angekämpft; jeder Einzelne sollte zugleich
schmieden, reiden und fertigmachen. Dadurch sollten die Hand-
werker aus Lohnarbeitern wieder selbständige Meister werden. Die
Preise der Rohmaterialien wurden festgesetzt. Der Kaufmann sollte

Westfalen im 17. Jahrhundert.
auf die Messen und besonders nach Holland. Hatten sie an dem
Hausierhandel einmal Geschmack gefunden, so lieſsen sie auch in
schlechten Zeiten nicht leicht davon ab, wurden aber dann meistenteils
durch die Not gezwungen, ihre Waren zu Schleuderpreisen loszu-
schlagen, wodurch sie auch die Preise der Kaufleute drückten und das
ganze Handwerk schädigten. Dazu kam noch, daſs die holländischen
Händler ihnen statt barem Geld meist Waren, Kaffee, Zucker,
Öl u. s. w. in Zahlung gaben. Mit diesen Artikeln muſsten sie, da
sie kein bares Geld heimbrachten, wieder die Arbeiter bezahlen.
Dadurch entstand ein verderbliches Trucksystem zum Nachteil der
Arbeiter und nur zum Vorteil der Kaufleute, welche den armen
Handwerkern die Waren mit groſsem Gewinn abhandelten. Die Ar-
beiter waren um so mehr dazu gezwungen, ihre Waren zum Kauf-
mann zu tragen, weil sie durch diesen ihre Rohmaterialien, Eisen, Stahl,
Holz u. s. w., beziehen muſsten. So hatten die Kaufleute allen Nutzen,
die Handwerker allen Schaden dieser neuen Einrichtung.

Gegen diese verderblichen Neuerungen erhoben sich die selb-
ständigen Handwerksmeister, setzten eine Kommission ein und er-
langten am 18. November 1687 eine Revision ihres Privilegiums,
welche zugleich mit dem Sechsmannsbrief publiziert wurde. Hierdurch
wurde auch bei den Messermachern noch einmal der alte handwerks-
mäſsige Betrieb formell vollständig wieder hergestellt.

In erster Reihe stand die Sorge für tüchtige Arbeiter, Materialien
und Waren. Um Meister zu werden, muſste man eine Lehrzeit von
sechs Jahren, in welcher sowohl das Schmieden als das Reiden ge-
trieben wurde, ausgestanden haben, ein Meisterstück anfertigen,
24 Jahre alt sein, ein Eintrittsgeld von zwei Goldgulden zahlen und
sich in die Handwerksrolle eintragen lassen. Alle diejenigen, welche
im Laufe der Zeit sich widerrechtlich als Meister etabliert hatten,
sollten suspendiert werden.

Sowohl die von den Hammerschmieden gelieferten Stangen Stahl,
wie die fertigen Messerklingen sollten mit den Erbzeichen der Meister
versehen werden, welchen nach der Schau durch die Ratsleute das
allgemeine Beizeichen hinzugefügt wurde, ohne welches kein Schleifer
eine Klinge schleifen durfte.

Um die Selbständigkeit der Handwerksmeister zu sichern, wurde
gegen die Arbeitsteilung angekämpft; jeder Einzelne sollte zugleich
schmieden, reiden und fertigmachen. Dadurch sollten die Hand-
werker aus Lohnarbeitern wieder selbständige Meister werden. Die
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[1194/1216] Westfalen im 17. Jahrhundert. auf die Messen und besonders nach Holland. Hatten sie an dem Hausierhandel einmal Geschmack gefunden, so lieſsen sie auch in schlechten Zeiten nicht leicht davon ab, wurden aber dann meistenteils durch die Not gezwungen, ihre Waren zu Schleuderpreisen loszu- schlagen, wodurch sie auch die Preise der Kaufleute drückten und das ganze Handwerk schädigten. Dazu kam noch, daſs die holländischen Händler ihnen statt barem Geld meist Waren, Kaffee, Zucker, Öl u. s. w. in Zahlung gaben. Mit diesen Artikeln muſsten sie, da sie kein bares Geld heimbrachten, wieder die Arbeiter bezahlen. Dadurch entstand ein verderbliches Trucksystem zum Nachteil der Arbeiter und nur zum Vorteil der Kaufleute, welche den armen Handwerkern die Waren mit groſsem Gewinn abhandelten. Die Ar- beiter waren um so mehr dazu gezwungen, ihre Waren zum Kauf- mann zu tragen, weil sie durch diesen ihre Rohmaterialien, Eisen, Stahl, Holz u. s. w., beziehen muſsten. So hatten die Kaufleute allen Nutzen, die Handwerker allen Schaden dieser neuen Einrichtung. Gegen diese verderblichen Neuerungen erhoben sich die selb- ständigen Handwerksmeister, setzten eine Kommission ein und er- langten am 18. November 1687 eine Revision ihres Privilegiums, welche zugleich mit dem Sechsmannsbrief publiziert wurde. Hierdurch wurde auch bei den Messermachern noch einmal der alte handwerks- mäſsige Betrieb formell vollständig wieder hergestellt. In erster Reihe stand die Sorge für tüchtige Arbeiter, Materialien und Waren. Um Meister zu werden, muſste man eine Lehrzeit von sechs Jahren, in welcher sowohl das Schmieden als das Reiden ge- trieben wurde, ausgestanden haben, ein Meisterstück anfertigen, 24 Jahre alt sein, ein Eintrittsgeld von zwei Goldgulden zahlen und sich in die Handwerksrolle eintragen lassen. Alle diejenigen, welche im Laufe der Zeit sich widerrechtlich als Meister etabliert hatten, sollten suspendiert werden. Sowohl die von den Hammerschmieden gelieferten Stangen Stahl, wie die fertigen Messerklingen sollten mit den Erbzeichen der Meister versehen werden, welchen nach der Schau durch die Ratsleute das allgemeine Beizeichen hinzugefügt wurde, ohne welches kein Schleifer eine Klinge schleifen durfte. Um die Selbständigkeit der Handwerksmeister zu sichern, wurde gegen die Arbeitsteilung angekämpft; jeder Einzelne sollte zugleich schmieden, reiden und fertigmachen. Dadurch sollten die Hand- werker aus Lohnarbeitern wieder selbständige Meister werden. Die Preise der Rohmaterialien wurden festgesetzt. Der Kaufmann sollte

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 1194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/1216>, abgerufen am 15.06.2024.