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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Der Wasserfall.
dichten Armen, wie aus ungeheueren Brunnenröhren, von der Zinne
der hohen, jetzt das grollende Gewölk unmittelbar berührenden
Felsenwand in die Lüfte heraus. Eine Last von Steinen, --
viele davon über einen Centner schwer, führt der entfesselt einher¬
brausende Strom mit sich und schleudert sie wie gigantischen schwar¬
zen Hagel hinab ins Thal. Von den Vorsprüngen der Felsenwand
abprallend, wiederholen sie ihre Bogensprünge, bis sie zuletzt in
schmetterndem Sturze den Schuttkessel erreichen. Die wechselseitige
Friktion, der elektrische Anprall der Steine erhitzt diese so, daß
schwefeliger Brandgeruch ringsum sich verbreitet. Dann kommen
auch Baumstämme, entwurzelte Tannenbäume in dem heulenden
Wasserschwalle herab, und je nach Größe oder Gewicht fliegen
einige, von Windstößen entführt, gleich verirrten Schindeln eines
abgedeckten Hauses um sich selber wirbelnd, langsam durch die
Lüfte hernieder, während andere wie Riesenpfeile von der Höhe
daherschmettern und unten tief in das Erdreich sich einbohren. Die
sonst silberhelle, sanft schwebende Wassergarbe gleicht einer uner¬
meßlichen, verkehrten dunkelbraunen Rauchsäule, deren Wallen und
Wogen desto ausgedehnter wird, je näher sie dem Boden sinkt.
Oft von einer Windsbraut fortgerafft, fällt sie thalauf oder thalab
von der lothrechten Bahn ihres Schwerpunktes weit verschlagen in
die Tiefe, oder sie stäubt über die ganze Breite des Thales nach
der gegenüberstehenden Mauer der hohen Schiltwaldfluh hinaus.
Ja, es begegnet dann sogar, daß der dicke Schlammschwall gleich
wirbelndem Rauch in die Höhe gejagt, rückwärts überschlagend, an
den Ort seines Ursprunges zurückgetrieben, von Neuem den sau¬
senden Sturz beginnt, und in sekundenlanger schauerlicher Blöße
die Felsenwand und den fortwährenden Steinhagel als selbststän¬
diges Schreckensbild sehen läßt. Schwarze, lastschwer hereinhän¬
gende Wolkendecken, die den schmalen Streifen des, über die hohen
Felsenwände des engen Thales hereinschauenden Himmels ver¬
bergen, -- das gelbe Feuer der im Grunde der Landschaft oder

Der Waſſerfall.
dichten Armen, wie aus ungeheueren Brunnenröhren, von der Zinne
der hohen, jetzt das grollende Gewölk unmittelbar berührenden
Felſenwand in die Lüfte heraus. Eine Laſt von Steinen, —
viele davon über einen Centner ſchwer, führt der entfeſſelt einher¬
brauſende Strom mit ſich und ſchleudert ſie wie gigantiſchen ſchwar¬
zen Hagel hinab ins Thal. Von den Vorſprüngen der Felſenwand
abprallend, wiederholen ſie ihre Bogenſprünge, bis ſie zuletzt in
ſchmetterndem Sturze den Schuttkeſſel erreichen. Die wechſelſeitige
Friktion, der elektriſche Anprall der Steine erhitzt dieſe ſo, daß
ſchwefeliger Brandgeruch ringsum ſich verbreitet. Dann kommen
auch Baumſtämme, entwurzelte Tannenbäume in dem heulenden
Waſſerſchwalle herab, und je nach Größe oder Gewicht fliegen
einige, von Windſtößen entführt, gleich verirrten Schindeln eines
abgedeckten Hauſes um ſich ſelber wirbelnd, langſam durch die
Lüfte hernieder, während andere wie Rieſenpfeile von der Höhe
daherſchmettern und unten tief in das Erdreich ſich einbohren. Die
ſonſt ſilberhelle, ſanft ſchwebende Waſſergarbe gleicht einer uner¬
meßlichen, verkehrten dunkelbraunen Rauchſäule, deren Wallen und
Wogen deſto ausgedehnter wird, je näher ſie dem Boden ſinkt.
Oft von einer Windsbraut fortgerafft, fällt ſie thalauf oder thalab
von der lothrechten Bahn ihres Schwerpunktes weit verſchlagen in
die Tiefe, oder ſie ſtäubt über die ganze Breite des Thales nach
der gegenüberſtehenden Mauer der hohen Schiltwaldfluh hinaus.
Ja, es begegnet dann ſogar, daß der dicke Schlammſchwall gleich
wirbelndem Rauch in die Höhe gejagt, rückwärts überſchlagend, an
den Ort ſeines Urſprunges zurückgetrieben, von Neuem den ſau¬
ſenden Sturz beginnt, und in ſekundenlanger ſchauerlicher Blöße
die Felſenwand und den fortwährenden Steinhagel als ſelbſtſtän¬
diges Schreckensbild ſehen läßt. Schwarze, laſtſchwer hereinhän¬
gende Wolkendecken, die den ſchmalen Streifen des, über die hohen
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[155/0183] Der Waſſerfall. dichten Armen, wie aus ungeheueren Brunnenröhren, von der Zinne der hohen, jetzt das grollende Gewölk unmittelbar berührenden Felſenwand in die Lüfte heraus. Eine Laſt von Steinen, — viele davon über einen Centner ſchwer, führt der entfeſſelt einher¬ brauſende Strom mit ſich und ſchleudert ſie wie gigantiſchen ſchwar¬ zen Hagel hinab ins Thal. Von den Vorſprüngen der Felſenwand abprallend, wiederholen ſie ihre Bogenſprünge, bis ſie zuletzt in ſchmetterndem Sturze den Schuttkeſſel erreichen. Die wechſelſeitige Friktion, der elektriſche Anprall der Steine erhitzt dieſe ſo, daß ſchwefeliger Brandgeruch ringsum ſich verbreitet. Dann kommen auch Baumſtämme, entwurzelte Tannenbäume in dem heulenden Waſſerſchwalle herab, und je nach Größe oder Gewicht fliegen einige, von Windſtößen entführt, gleich verirrten Schindeln eines abgedeckten Hauſes um ſich ſelber wirbelnd, langſam durch die Lüfte hernieder, während andere wie Rieſenpfeile von der Höhe daherſchmettern und unten tief in das Erdreich ſich einbohren. Die ſonſt ſilberhelle, ſanft ſchwebende Waſſergarbe gleicht einer uner¬ meßlichen, verkehrten dunkelbraunen Rauchſäule, deren Wallen und Wogen deſto ausgedehnter wird, je näher ſie dem Boden ſinkt. Oft von einer Windsbraut fortgerafft, fällt ſie thalauf oder thalab von der lothrechten Bahn ihres Schwerpunktes weit verſchlagen in die Tiefe, oder ſie ſtäubt über die ganze Breite des Thales nach der gegenüberſtehenden Mauer der hohen Schiltwaldfluh hinaus. Ja, es begegnet dann ſogar, daß der dicke Schlammſchwall gleich wirbelndem Rauch in die Höhe gejagt, rückwärts überſchlagend, an den Ort ſeines Urſprunges zurückgetrieben, von Neuem den ſau¬ ſenden Sturz beginnt, und in ſekundenlanger ſchauerlicher Blöße die Felſenwand und den fortwährenden Steinhagel als ſelbſtſtän¬ diges Schreckensbild ſehen läßt. Schwarze, laſtſchwer hereinhän¬ gende Wolkendecken, die den ſchmalen Streifen des, über die hohen Felſenwände des engen Thales hereinſchauenden Himmels ver¬ bergen, — das gelbe Feuer der im Grunde der Landſchaft oder

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/183>, abgerufen am 10.11.2024.