dringenden und vollbringenden großen Geistes im Universum giebt, -- dann wird er tief ergriffen, erschüttert vor jenem imposanten Riesenbau der Alpen stehen, der von Gewalten emporgerichtet wurde, für deren materielles Entstehen und Wirken die Naturwissenschaften zwar allgemeine, aus den Erscheinungen gewonnene Normen auf¬ stellen und ihr Verhältniß zu anderen Naturgesetzen nachweisen, deren ganze Aufgabe, Ausdehnung und Gränzen im Weltall das menschliche Ergründen und Erkennen aber nur zu ahnen vermag.
Nur wenige Menschen kennen die wirkliche und volle Ma¬ jestät des Alpengebäudes. Sie entschleiert sich da am Aller¬ wenigsten, wo die breiten Heerstraßen über Joche und Bergsättel laufen, oder wo das kleinliche Treiben des alltäglichen Verkehrs¬ lebens an die Fußschemel dieses Schöpfungswunders sich heran¬ gewagt hat. In die Geheimnisse der verborgenen Gebirgswelt mußt Du hineindringen, in die Einsamkeit der scheinbar ver¬ schlossenen Schluchten und Thaltiefen, wo der Kulturtrieb des Menschen ohnmächtig ermattet, weil er die Schwäche seines Stre¬ bens gegenüber der Erhabenheit der Alpennatur erkennt, -- über Urwelt-Getrümmer mußt Du klimmen, durch Gletscherlabyrinthe und Eiswüsten in das Tempelheiligthum eingehen, welches sich dort vor Deinem erbangenden Blicke frei und kühn in den Aether empor¬ wölbt. Da wird sie Dir entgegentreten die unbeschreiblich hohe Pracht der Alpenwelt in ihrer ganzen Herrlichkeit und Größe, da wirds mit Geisterstimmen Dich mächtig umrauschen, und über¬ wältiget wirst Du niedersinken vor diesen verkörperten Gottesge¬ danken. Und hast Du Dich dann aufgerafft von dem ersten gewaltigen Eindrucke, -- hast Du im Anschauen der gigantischen Massen das Herz Dir ausgeweitet und empfänglich gemacht für noch größere und herrlichere Offenbarungen, dann richte kühn eine Frage an jene Mausoleen urvordenklicher Zeiten, dann forsche, welche Hand sie emporgehoben hat aus der Tiefe ewiger Nacht in das Reich des Lichtes, -- dann schlage die Geschichte ihrer
Das Alpengebäude.
dringenden und vollbringenden großen Geiſtes im Univerſum giebt, — dann wird er tief ergriffen, erſchüttert vor jenem impoſanten Rieſenbau der Alpen ſtehen, der von Gewalten emporgerichtet wurde, für deren materielles Entſtehen und Wirken die Naturwiſſenſchaften zwar allgemeine, aus den Erſcheinungen gewonnene Normen auf¬ ſtellen und ihr Verhältniß zu anderen Naturgeſetzen nachweiſen, deren ganze Aufgabe, Ausdehnung und Gränzen im Weltall das menſchliche Ergründen und Erkennen aber nur zu ahnen vermag.
Nur wenige Menſchen kennen die wirkliche und volle Ma¬ jeſtät des Alpengebäudes. Sie entſchleiert ſich da am Aller¬ wenigſten, wo die breiten Heerſtraßen über Joche und Bergſättel laufen, oder wo das kleinliche Treiben des alltäglichen Verkehrs¬ lebens an die Fußſchemel dieſes Schöpfungswunders ſich heran¬ gewagt hat. In die Geheimniſſe der verborgenen Gebirgswelt mußt Du hineindringen, in die Einſamkeit der ſcheinbar ver¬ ſchloſſenen Schluchten und Thaltiefen, wo der Kulturtrieb des Menſchen ohnmächtig ermattet, weil er die Schwäche ſeines Stre¬ bens gegenüber der Erhabenheit der Alpennatur erkennt, — über Urwelt-Getrümmer mußt Du klimmen, durch Gletſcherlabyrinthe und Eiswüſten in das Tempelheiligthum eingehen, welches ſich dort vor Deinem erbangenden Blicke frei und kühn in den Aether empor¬ wölbt. Da wird ſie Dir entgegentreten die unbeſchreiblich hohe Pracht der Alpenwelt in ihrer ganzen Herrlichkeit und Größe, da wirds mit Geiſterſtimmen Dich mächtig umrauſchen, und über¬ wältiget wirſt Du niederſinken vor dieſen verkörperten Gottesge¬ danken. Und haſt Du Dich dann aufgerafft von dem erſten gewaltigen Eindrucke, — haſt Du im Anſchauen der gigantiſchen Maſſen das Herz Dir ausgeweitet und empfänglich gemacht für noch größere und herrlichere Offenbarungen, dann richte kühn eine Frage an jene Mauſoleen urvordenklicher Zeiten, dann forſche, welche Hand ſie emporgehoben hat aus der Tiefe ewiger Nacht in das Reich des Lichtes, — dann ſchlage die Geſchichte ihrer
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Das Alpengebäude.
dringenden und vollbringenden großen Geiſtes im Univerſum giebt,
— dann wird er tief ergriffen, erſchüttert vor jenem impoſanten
Rieſenbau der Alpen ſtehen, der von Gewalten emporgerichtet wurde,
für deren materielles Entſtehen und Wirken die Naturwiſſenſchaften
zwar allgemeine, aus den Erſcheinungen gewonnene Normen auf¬
ſtellen und ihr Verhältniß zu anderen Naturgeſetzen nachweiſen,
deren ganze Aufgabe, Ausdehnung und Gränzen im Weltall das
menſchliche Ergründen und Erkennen aber nur zu ahnen vermag.
Nur wenige Menſchen kennen die wirkliche und volle Ma¬
jeſtät des Alpengebäudes. Sie entſchleiert ſich da am Aller¬
wenigſten, wo die breiten Heerſtraßen über Joche und Bergſättel
laufen, oder wo das kleinliche Treiben des alltäglichen Verkehrs¬
lebens an die Fußſchemel dieſes Schöpfungswunders ſich heran¬
gewagt hat. In die Geheimniſſe der verborgenen Gebirgswelt
mußt Du hineindringen, in die Einſamkeit der ſcheinbar ver¬
ſchloſſenen Schluchten und Thaltiefen, wo der Kulturtrieb des
Menſchen ohnmächtig ermattet, weil er die Schwäche ſeines Stre¬
bens gegenüber der Erhabenheit der Alpennatur erkennt, — über
Urwelt-Getrümmer mußt Du klimmen, durch Gletſcherlabyrinthe und
Eiswüſten in das Tempelheiligthum eingehen, welches ſich dort vor
Deinem erbangenden Blicke frei und kühn in den Aether empor¬
wölbt. Da wird ſie Dir entgegentreten die unbeſchreiblich hohe
Pracht der Alpenwelt in ihrer ganzen Herrlichkeit und Größe, da
wirds mit Geiſterſtimmen Dich mächtig umrauſchen, und über¬
wältiget wirſt Du niederſinken vor dieſen verkörperten Gottesge¬
danken. Und haſt Du Dich dann aufgerafft von dem erſten
gewaltigen Eindrucke, — haſt Du im Anſchauen der gigantiſchen
Maſſen das Herz Dir ausgeweitet und empfänglich gemacht für
noch größere und herrlichere Offenbarungen, dann richte kühn eine
Frage an jene Mauſoleen urvordenklicher Zeiten, dann forſche,
welche Hand ſie emporgehoben hat aus der Tiefe ewiger Nacht
in das Reich des Lichtes, — dann ſchlage die Geſchichte ihrer
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/20>, abgerufen am 15.05.2024.
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