ist das hypothetisch oder bedingt geltende gemeine Recht, dessen Natur also bald von der Beschaffenheit der Rechtsverhältnisse, bald aber auch von der verschiedenartigen Ausbildung des Rechts selbst bestimmt wird.
3. Diesen beiden Arten des gemeinen Rechts, welche als gemeines Landrecht zu bezeichnen sind, kann man nun noch eine dritte unter der Bezeichnung: gemeines Ständerecht hinzu- fügen. Dasselbe befaßt dann die gemeinrechtlichen Principien des deutschen Ständerechts, und gehört mit Rücksicht auf die Unmittelbarkeit und den Umfang seiner Geltung, wenigstens in wichtigen Beziehungen, dem unbedingt gemeinen Recht, wegen seiner Beschränkung auf die einzelnen Stände aber im Gegensatz zu der übrigen Bevölkerung dem bedingt gemeinen Rechte an. Dem Begriff nach ist also dessen selbständige Bedeutung, dem gemeinen Landrecht gegenüber, durchaus gerechtfertigt; es fragt sich nur, ob im heutigen Rechtsleben die Ständeunterschiede noch von einer solchen Wichtigkeit sind, daß es angemessen ist, darauf eine besondere Art des gemeinen Rechts zu begründen. Aber diese Frage wird sich erst weiter unten, wo von dem Ständerechte als Volksrecht genauer zu handeln ist, (Kap. 7.) erledigen lassen; jedenfalls ist schon in dem Angeführten die gegebene Eintheilung vom Standpuncte der Theorie aus in das gehörige Licht gestellt.
Jene Eintheilung des gemeinen Rechts in ein unbedingtes und bedingtes läßt sich nun auf den gesammten Rechtsstoff, ohne Rücksicht auf seinen Gegenstand, übertragen, insofern er überhaupt zu einer gemeinrechtlichen Ausbildung gekommen ist. Denn wenn es z. B. im Bereiche des Staatsrechts manche Lehren giebt, die bis jetzt nur eine specielle Normirung erhalten haben, und denen noch keine gemeinrechtliche Durchbildung im Leben
Drittes Kapitel.
iſt das hypothetiſch oder bedingt geltende gemeine Recht, deſſen Natur alſo bald von der Beſchaffenheit der Rechtsverhaͤltniſſe, bald aber auch von der verſchiedenartigen Ausbildung des Rechts ſelbſt beſtimmt wird.
3. Dieſen beiden Arten des gemeinen Rechts, welche als gemeines Landrecht zu bezeichnen ſind, kann man nun noch eine dritte unter der Bezeichnung: gemeines Staͤnderecht hinzu- fuͤgen. Daſſelbe befaßt dann die gemeinrechtlichen Principien des deutſchen Staͤnderechts, und gehoͤrt mit Ruͤckſicht auf die Unmittelbarkeit und den Umfang ſeiner Geltung, wenigſtens in wichtigen Beziehungen, dem unbedingt gemeinen Recht, wegen ſeiner Beſchraͤnkung auf die einzelnen Staͤnde aber im Gegenſatz zu der uͤbrigen Bevoͤlkerung dem bedingt gemeinen Rechte an. Dem Begriff nach iſt alſo deſſen ſelbſtaͤndige Bedeutung, dem gemeinen Landrecht gegenuͤber, durchaus gerechtfertigt; es fragt ſich nur, ob im heutigen Rechtsleben die Staͤndeunterſchiede noch von einer ſolchen Wichtigkeit ſind, daß es angemeſſen iſt, darauf eine beſondere Art des gemeinen Rechts zu begruͤnden. Aber dieſe Frage wird ſich erſt weiter unten, wo von dem Staͤnderechte als Volksrecht genauer zu handeln iſt, (Kap. 7.) erledigen laſſen; jedenfalls iſt ſchon in dem Angefuͤhrten die gegebene Eintheilung vom Standpuncte der Theorie aus in das gehoͤrige Licht geſtellt.
Jene Eintheilung des gemeinen Rechts in ein unbedingtes und bedingtes laͤßt ſich nun auf den geſammten Rechtsſtoff, ohne Ruͤckſicht auf ſeinen Gegenſtand, uͤbertragen, inſofern er uͤberhaupt zu einer gemeinrechtlichen Ausbildung gekommen iſt. Denn wenn es z. B. im Bereiche des Staatsrechts manche Lehren giebt, die bis jetzt nur eine ſpecielle Normirung erhalten haben, und denen noch keine gemeinrechtliche Durchbildung im Leben
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0110"n="98"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Drittes Kapitel</hi>.</fw><lb/>
iſt das hypothetiſch oder bedingt geltende gemeine Recht, deſſen<lb/>
Natur alſo bald von der Beſchaffenheit der Rechtsverhaͤltniſſe,<lb/>
bald aber auch von der verſchiedenartigen Ausbildung des Rechts<lb/>ſelbſt beſtimmt wird.</p><lb/><p>3. Dieſen beiden Arten des gemeinen Rechts, welche als<lb/>
gemeines Landrecht zu bezeichnen ſind, kann man nun noch<lb/>
eine dritte unter der Bezeichnung: gemeines Staͤnderecht hinzu-<lb/>
fuͤgen. Daſſelbe befaßt dann die gemeinrechtlichen Principien<lb/>
des deutſchen Staͤnderechts, und gehoͤrt mit Ruͤckſicht auf die<lb/>
Unmittelbarkeit und den Umfang ſeiner Geltung, wenigſtens in<lb/>
wichtigen Beziehungen, dem unbedingt gemeinen Recht, wegen<lb/>ſeiner Beſchraͤnkung auf die einzelnen Staͤnde aber im Gegenſatz<lb/>
zu der uͤbrigen Bevoͤlkerung dem bedingt gemeinen Rechte an.<lb/>
Dem Begriff nach iſt alſo deſſen ſelbſtaͤndige Bedeutung, dem<lb/>
gemeinen Landrecht gegenuͤber, durchaus gerechtfertigt; es fragt<lb/>ſich nur, ob im heutigen Rechtsleben die Staͤndeunterſchiede<lb/>
noch von einer ſolchen Wichtigkeit ſind, daß es angemeſſen iſt,<lb/>
darauf eine beſondere Art des gemeinen Rechts zu begruͤnden.<lb/>
Aber dieſe Frage wird ſich erſt weiter unten, wo von dem<lb/>
Staͤnderechte als Volksrecht genauer zu handeln iſt, (Kap. 7.)<lb/>
erledigen laſſen; jedenfalls iſt ſchon in dem Angefuͤhrten die<lb/>
gegebene Eintheilung vom Standpuncte der Theorie aus in<lb/>
das gehoͤrige Licht geſtellt.</p><lb/><p>Jene Eintheilung des gemeinen Rechts in ein unbedingtes<lb/>
und bedingtes laͤßt ſich nun auf den geſammten Rechtsſtoff, ohne<lb/>
Ruͤckſicht auf ſeinen Gegenſtand, uͤbertragen, inſofern er uͤberhaupt<lb/>
zu einer gemeinrechtlichen Ausbildung gekommen iſt. Denn<lb/>
wenn es z. B. im Bereiche des Staatsrechts manche Lehren<lb/>
giebt, die bis jetzt nur eine ſpecielle Normirung erhalten haben,<lb/>
und denen noch keine gemeinrechtliche Durchbildung im Leben<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[98/0110]
Drittes Kapitel.
iſt das hypothetiſch oder bedingt geltende gemeine Recht, deſſen
Natur alſo bald von der Beſchaffenheit der Rechtsverhaͤltniſſe,
bald aber auch von der verſchiedenartigen Ausbildung des Rechts
ſelbſt beſtimmt wird.
3. Dieſen beiden Arten des gemeinen Rechts, welche als
gemeines Landrecht zu bezeichnen ſind, kann man nun noch
eine dritte unter der Bezeichnung: gemeines Staͤnderecht hinzu-
fuͤgen. Daſſelbe befaßt dann die gemeinrechtlichen Principien
des deutſchen Staͤnderechts, und gehoͤrt mit Ruͤckſicht auf die
Unmittelbarkeit und den Umfang ſeiner Geltung, wenigſtens in
wichtigen Beziehungen, dem unbedingt gemeinen Recht, wegen
ſeiner Beſchraͤnkung auf die einzelnen Staͤnde aber im Gegenſatz
zu der uͤbrigen Bevoͤlkerung dem bedingt gemeinen Rechte an.
Dem Begriff nach iſt alſo deſſen ſelbſtaͤndige Bedeutung, dem
gemeinen Landrecht gegenuͤber, durchaus gerechtfertigt; es fragt
ſich nur, ob im heutigen Rechtsleben die Staͤndeunterſchiede
noch von einer ſolchen Wichtigkeit ſind, daß es angemeſſen iſt,
darauf eine beſondere Art des gemeinen Rechts zu begruͤnden.
Aber dieſe Frage wird ſich erſt weiter unten, wo von dem
Staͤnderechte als Volksrecht genauer zu handeln iſt, (Kap. 7.)
erledigen laſſen; jedenfalls iſt ſchon in dem Angefuͤhrten die
gegebene Eintheilung vom Standpuncte der Theorie aus in
das gehoͤrige Licht geſtellt.
Jene Eintheilung des gemeinen Rechts in ein unbedingtes
und bedingtes laͤßt ſich nun auf den geſammten Rechtsſtoff, ohne
Ruͤckſicht auf ſeinen Gegenſtand, uͤbertragen, inſofern er uͤberhaupt
zu einer gemeinrechtlichen Ausbildung gekommen iſt. Denn
wenn es z. B. im Bereiche des Staatsrechts manche Lehren
giebt, die bis jetzt nur eine ſpecielle Normirung erhalten haben,
und denen noch keine gemeinrechtliche Durchbildung im Leben
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/110>, abgerufen am 13.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.