Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Zweites Kapitel. auch wiederum nur ein Theil ist, so kann man auch das Recht,welches der gesammten Menschheit oder doch mehren gleichzei- tig oder doch unter gleichen Bedingungen lebenden Völkern gemeinschaftlich ist, in der besonderen Färbung und mit den Eigenthümlichkeiten, welche es bei dem einzelnen Volke an- nimmt, zu dessen Volksrecht zählen. Je näher nun die Völ- ker durch Zeit, Bildung, Religion, Verfassung, wechselseitigen Verkehr u. s. w. einander gerückt sind, desto mehr wird sich die Verschiedenheit der Rechte verwischen, und eine gewisse Gleichmäßigkeit an deren Stelle treten, welche zu Vergleichun- gen auffordert, und eine reiche Quelle der Erkenntniß auch für das einzelne Recht werden kann. Aber man hüte sich auch hier vor Uebertreibungen. So lange die Völker überhaupt noch eine bestimmte Nationalität bewahren, wird diese sich un- ter allen Umständen auch auf die Rechtsbildung geltend ma- chen, und einem verbreiteten Rechtsinstitute, welches sich unter ähnlichen Verhältnissen bei verschiedenen Völkern ausgebildet hat, wird stets noch etwas Eigenthümliches, eine besondere, nationale Färbung anhängen, deren Vernachlässigung die schlimm- sten Folgen herbeiführen müßte. Darum ist es so wichtig, daß man jedes einzelne Recht und auch das fremde, wenn man sich damit beschäftigt, nicht bloß fragmentarisch, sondern in seiner vollen Totalität auffasse und erkenne, -- eine Vor- sicht, welche die comparative Jurisprudenz der neueren Zeit so oft aus den Augen setzt. Es entsteht nun aber die weitere Frage, wer denn ei- Zweites Kapitel. auch wiederum nur ein Theil iſt, ſo kann man auch das Recht,welches der geſammten Menſchheit oder doch mehren gleichzei- tig oder doch unter gleichen Bedingungen lebenden Voͤlkern gemeinſchaftlich iſt, in der beſonderen Faͤrbung und mit den Eigenthuͤmlichkeiten, welche es bei dem einzelnen Volke an- nimmt, zu deſſen Volksrecht zaͤhlen. Je naͤher nun die Voͤl- ker durch Zeit, Bildung, Religion, Verfaſſung, wechſelſeitigen Verkehr u. ſ. w. einander geruͤckt ſind, deſto mehr wird ſich die Verſchiedenheit der Rechte verwiſchen, und eine gewiſſe Gleichmaͤßigkeit an deren Stelle treten, welche zu Vergleichun- gen auffordert, und eine reiche Quelle der Erkenntniß auch fuͤr das einzelne Recht werden kann. Aber man huͤte ſich auch hier vor Uebertreibungen. So lange die Voͤlker uͤberhaupt noch eine beſtimmte Nationalitaͤt bewahren, wird dieſe ſich un- ter allen Umſtaͤnden auch auf die Rechtsbildung geltend ma- chen, und einem verbreiteten Rechtsinſtitute, welches ſich unter aͤhnlichen Verhaͤltniſſen bei verſchiedenen Voͤlkern ausgebildet hat, wird ſtets noch etwas Eigenthuͤmliches, eine beſondere, nationale Faͤrbung anhaͤngen, deren Vernachlaͤſſigung die ſchlimm- ſten Folgen herbeifuͤhren muͤßte. Darum iſt es ſo wichtig, daß man jedes einzelne Recht und auch das fremde, wenn man ſich damit beſchaͤftigt, nicht bloß fragmentariſch, ſondern in ſeiner vollen Totalitaͤt auffaſſe und erkenne, — eine Vor- ſicht, welche die comparative Jurisprudenz der neueren Zeit ſo oft aus den Augen ſetzt. 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Zweites Kapitel.
auch wiederum nur ein Theil iſt, ſo kann man auch das Recht,
welches der geſammten Menſchheit oder doch mehren gleichzei-
tig oder doch unter gleichen Bedingungen lebenden Voͤlkern
gemeinſchaftlich iſt, in der beſonderen Faͤrbung und mit den
Eigenthuͤmlichkeiten, welche es bei dem einzelnen Volke an-
nimmt, zu deſſen Volksrecht zaͤhlen. Je naͤher nun die Voͤl-
ker durch Zeit, Bildung, Religion, Verfaſſung, wechſelſeitigen
Verkehr u. ſ. w. einander geruͤckt ſind, deſto mehr wird ſich
die Verſchiedenheit der Rechte verwiſchen, und eine gewiſſe
Gleichmaͤßigkeit an deren Stelle treten, welche zu Vergleichun-
gen auffordert, und eine reiche Quelle der Erkenntniß auch fuͤr
das einzelne Recht werden kann. Aber man huͤte ſich auch
hier vor Uebertreibungen. So lange die Voͤlker uͤberhaupt
noch eine beſtimmte Nationalitaͤt bewahren, wird dieſe ſich un-
ter allen Umſtaͤnden auch auf die Rechtsbildung geltend ma-
chen, und einem verbreiteten Rechtsinſtitute, welches ſich unter
aͤhnlichen Verhaͤltniſſen bei verſchiedenen Voͤlkern ausgebildet
hat, wird ſtets noch etwas Eigenthuͤmliches, eine beſondere,
nationale Faͤrbung anhaͤngen, deren Vernachlaͤſſigung die ſchlimm-
ſten Folgen herbeifuͤhren muͤßte. Darum iſt es ſo wichtig,
daß man jedes einzelne Recht und auch das fremde, wenn
man ſich damit beſchaͤftigt, nicht bloß fragmentariſch, ſondern
in ſeiner vollen Totalitaͤt auffaſſe und erkenne, — eine Vor-
ſicht, welche die comparative Jurisprudenz der neueren Zeit ſo
oft aus den Augen ſetzt.
Es entſteht nun aber die weitere Frage, wer denn ei-
gentlich das bei der Bildung des Volksrechts thaͤtige Subject
iſt? Wir antworten: das Volk, und zwar als das Natur-
ganze, welches die Grundlage des Staates ausmacht, und in
ſeiner individuellen Geſtaltung als lebendiger Organismus ein
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