Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Feststellung des Gegenstandes. die Gesetzgebung und der Juristenstand haben sich hier nichtals die Organe einer nationalen Rechtsbildung bewährt. Wenn daher v. Savigny annimmt (System. I. S. 86), seit der Re- ception des römischen Rechts sey das Volksrecht mit dem wis- senschaftlichen Recht identisch geworden, so ist dieß eine An- sicht, welche die Geschichte nicht bestätigt. Aber er irrt auch, wenn er sagt: "daß die dem gemeinen Recht angehörenden Gewohnheiten ohne Ausnahme durch das Medium wissenschaft- licher Verarbeitung und Anerkennung hindurch gegangen sind" (a. a. O. S. 193). Denn auch die Germanisten, welche doch vor Allem dieses müßten zu Wege gebracht haben, sind in der Erfüllung ihrer Aufgabe noch nicht so weit gekommen. -- Wenn dessenungeachtet das Volksrecht in Deutschland noch nicht ganz untergegangen ist, ja wenn die Nation unter den ungünstigsten Verhältnissen noch nicht alle Kraft verloren hat, selbständig an der Rechtserzeugung Theil zu nehmen, so hat sie dadurch wohl auf das Bündigste den Beweis geführt, daß sie sich ihren eingeborenen, germanischen Charakter und ihre kerngesunde Natur zu bewahren wußte, und daß sie noch das Vermögen zu einer kräftigen Erhebung in sich trägt. II. Das Juristenrecht. Wenn man unter dem Juristenrecht oder, wie v. Sa- Feſtſtellung des Gegenſtandes. die Geſetzgebung und der Juriſtenſtand haben ſich hier nichtals die Organe einer nationalen Rechtsbildung bewaͤhrt. Wenn daher v. Savigny annimmt (Syſtem. I. S. 86), ſeit der Re- ception des roͤmiſchen Rechts ſey das Volksrecht mit dem wiſ- ſenſchaftlichen Recht identiſch geworden, ſo iſt dieß eine An- ſicht, welche die Geſchichte nicht beſtaͤtigt. Aber er irrt auch, wenn er ſagt: „daß die dem gemeinen Recht angehoͤrenden Gewohnheiten ohne Ausnahme durch das Medium wiſſenſchaft- licher Verarbeitung und Anerkennung hindurch gegangen ſind“ (a. a. O. S. 193). Denn auch die Germaniſten, welche doch vor Allem dieſes muͤßten zu Wege gebracht haben, ſind in der Erfuͤllung ihrer Aufgabe noch nicht ſo weit gekommen. — Wenn deſſenungeachtet das Volksrecht in Deutſchland noch nicht ganz untergegangen iſt, ja wenn die Nation unter den unguͤnſtigſten Verhaͤltniſſen noch nicht alle Kraft verloren hat, ſelbſtaͤndig an der Rechtserzeugung Theil zu nehmen, ſo hat ſie dadurch wohl auf das Buͤndigſte den Beweis gefuͤhrt, daß ſie ſich ihren eingeborenen, germaniſchen Charakter und ihre kerngeſunde Natur zu bewahren wußte, und daß ſie noch das Vermoͤgen zu einer kraͤftigen Erhebung in ſich traͤgt. II. Das Juriſtenrecht. Wenn man unter dem Juriſtenrecht oder, wie v. Sa- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0097" n="85"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Feſtſtellung des Gegenſtandes</hi>.</fw><lb/> die Geſetzgebung und der Juriſtenſtand haben ſich hier nicht<lb/> als die Organe einer nationalen Rechtsbildung bewaͤhrt. Wenn<lb/> daher v. Savigny annimmt (Syſtem. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 86), ſeit der Re-<lb/> ception des roͤmiſchen Rechts ſey das Volksrecht mit dem wiſ-<lb/> ſenſchaftlichen Recht identiſch geworden, ſo iſt dieß eine An-<lb/> ſicht, welche die Geſchichte nicht beſtaͤtigt. Aber er irrt auch,<lb/> wenn er ſagt: „daß die dem gemeinen Recht angehoͤrenden<lb/> Gewohnheiten ohne Ausnahme durch das Medium wiſſenſchaft-<lb/> licher Verarbeitung und Anerkennung hindurch gegangen ſind“<lb/> (a. a. O. S. 193). Denn auch die Germaniſten, welche doch<lb/> vor Allem dieſes muͤßten zu Wege gebracht haben, ſind in der<lb/> Erfuͤllung ihrer Aufgabe noch nicht ſo weit gekommen. —<lb/> Wenn deſſenungeachtet das Volksrecht in Deutſchland noch<lb/> nicht ganz untergegangen iſt, ja wenn die Nation unter den<lb/> unguͤnſtigſten Verhaͤltniſſen noch nicht alle Kraft verloren hat,<lb/> ſelbſtaͤndig an der Rechtserzeugung Theil zu nehmen, ſo hat<lb/> ſie dadurch wohl auf das Buͤndigſte den Beweis gefuͤhrt, daß<lb/> ſie ſich ihren eingeborenen, germaniſchen Charakter und ihre<lb/> kerngeſunde Natur zu bewahren wußte, und daß ſie noch das<lb/> Vermoͤgen zu einer kraͤftigen Erhebung in ſich traͤgt.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head><hi rendition="#aq">II.</hi><hi rendition="#g">Das Juriſtenrecht</hi>.</head><lb/> <p>Wenn man unter dem Juriſtenrecht oder, wie v. Sa-<lb/> vigny es nennt, dem wiſſenſchaftlichen Recht das ganze poſi-<lb/> tive Rechtsmaterial in ſeiner vollſtaͤndigen wiſſenſchaftlichen<lb/> Verarbeitung verſtehen wollte, ſo wuͤrde darin jede Verſchie-<lb/> denheit des Rechts nach ſeinen beſonderen Quellen und ſeiner<lb/> urſpruͤnglichen Beſchaffenheit aufgehen, und wir haͤtten dann<lb/> ein, wenigſtens in formeller Beziehung einheitliches Rechtsganze<lb/> vor uns. Denn die Wiſſenſchaft in ihrer doppelten Richtung<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [85/0097]
Feſtſtellung des Gegenſtandes.
die Geſetzgebung und der Juriſtenſtand haben ſich hier nicht
als die Organe einer nationalen Rechtsbildung bewaͤhrt. Wenn
daher v. Savigny annimmt (Syſtem. I. S. 86), ſeit der Re-
ception des roͤmiſchen Rechts ſey das Volksrecht mit dem wiſ-
ſenſchaftlichen Recht identiſch geworden, ſo iſt dieß eine An-
ſicht, welche die Geſchichte nicht beſtaͤtigt. Aber er irrt auch,
wenn er ſagt: „daß die dem gemeinen Recht angehoͤrenden
Gewohnheiten ohne Ausnahme durch das Medium wiſſenſchaft-
licher Verarbeitung und Anerkennung hindurch gegangen ſind“
(a. a. O. S. 193). Denn auch die Germaniſten, welche doch
vor Allem dieſes muͤßten zu Wege gebracht haben, ſind in der
Erfuͤllung ihrer Aufgabe noch nicht ſo weit gekommen. —
Wenn deſſenungeachtet das Volksrecht in Deutſchland noch
nicht ganz untergegangen iſt, ja wenn die Nation unter den
unguͤnſtigſten Verhaͤltniſſen noch nicht alle Kraft verloren hat,
ſelbſtaͤndig an der Rechtserzeugung Theil zu nehmen, ſo hat
ſie dadurch wohl auf das Buͤndigſte den Beweis gefuͤhrt, daß
ſie ſich ihren eingeborenen, germaniſchen Charakter und ihre
kerngeſunde Natur zu bewahren wußte, und daß ſie noch das
Vermoͤgen zu einer kraͤftigen Erhebung in ſich traͤgt.
II. Das Juriſtenrecht.
Wenn man unter dem Juriſtenrecht oder, wie v. Sa-
vigny es nennt, dem wiſſenſchaftlichen Recht das ganze poſi-
tive Rechtsmaterial in ſeiner vollſtaͤndigen wiſſenſchaftlichen
Verarbeitung verſtehen wollte, ſo wuͤrde darin jede Verſchie-
denheit des Rechts nach ſeinen beſonderen Quellen und ſeiner
urſpruͤnglichen Beſchaffenheit aufgehen, und wir haͤtten dann
ein, wenigſtens in formeller Beziehung einheitliches Rechtsganze
vor uns. Denn die Wiſſenſchaft in ihrer doppelten Richtung
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