wieder und blieb dabei "jeder Zoll ein Konig", und zwar ein ge¬ rechter und wohlwollender König und ehrliebender Offizier, den der Gedanke an sein preußischesporte-epee auf richtigem Wege erhielt1).
Der Kaiser konnte heftig werden, ließ sich aber in der Dis¬ cussion von der etwaigen Heftigkeit dessen, mit dem er discutirte, nicht anstecken, sondern brach dann die Unterredung vornehm freundlich ab. Ausbrüche wie in Versailles bei Abwehr des Kaiser¬ titels waren sehr selten. Wenn er heftig wurde gegen Leute, denen er wohlwollte, wie dem Grafen Roon oder mir, so war er entweder durch den Gegenstand selbst erregt oder durch fremde, außer¬ amtliche Besprechungen vorher an Auffassungen gebunden, die sich sachlich nicht vertreten ließen. Graf Roon hörte dergleichen Ex¬ plosionen an, wie ein Militär in der Front den Verweis eines hohen Vorgesetzten, den er nicht verdient zu haben glaubt, aber er litt nervös darunter und secundär auch körperlich. Auf mich haben Ausbrüche von Heftigkeit des Kaisern, die ich seltner erlebte als Roon, niemals contagiös, eher abkühlend gewirkt. Ich hatte mir die Logik zurechtgelegt, daß ein Herrscher, der mir in dem Maße Vertrauen und Wohlwollen schenkte, wie Wilhelm I., in seinen Unregelmäßigkeiten für mich die Natur einer vis major habe, gegen die zu reagiren mir nicht gegeben sei, etwa wie das Wetter oder die See, wie ein Naturereigniß, auf das ich mich einrichten müsse; und wenn mir das nicht gelang, so hatte ich eben meine Aufgabe nicht richtig angegriffen. Dieser mein Eindruck beruhte nicht auf meiner generellen Auffassung der Stellung eines Königs von Gottes Gnaden zu seinem Diener, sondern auf meiner persön¬ lichen Liebe zu Kaiser Wilhelm I. Ihm gegenüber lag mir persönliche Empfindlichkeit sehr fern, er konnte mich ziemlich un¬ gerecht behandeln, ohne in mir Gefühle der Entrüstung hervor¬
1) S. Bd. I 285 f.
Otto Fürst von Bismarck. Gedanken und Erinnerungen. II. 19
Freiheit von Eitelkeit, Furcht vor Kritik. Treue.
wieder und blieb dabei „jeder Zoll ein Konig“, und zwar ein ge¬ rechter und wohlwollender König und ehrliebender Offizier, den der Gedanke an ſein preußiſchesporte-épée auf richtigem Wege erhielt1).
Der Kaiſer konnte heftig werden, ließ ſich aber in der Dis¬ cuſſion von der etwaigen Heftigkeit deſſen, mit dem er diſcutirte, nicht anſtecken, ſondern brach dann die Unterredung vornehm freundlich ab. Ausbrüche wie in Verſailles bei Abwehr des Kaiſer¬ titels waren ſehr ſelten. Wenn er heftig wurde gegen Leute, denen er wohlwollte, wie dem Grafen Roon oder mir, ſo war er entweder durch den Gegenſtand ſelbſt erregt oder durch fremde, außer¬ amtliche Beſprechungen vorher an Auffaſſungen gebunden, die ſich ſachlich nicht vertreten ließen. Graf Roon hörte dergleichen Ex¬ ploſionen an, wie ein Militär in der Front den Verweis eines hohen Vorgeſetzten, den er nicht verdient zu haben glaubt, aber er litt nervös darunter und ſecundär auch körperlich. Auf mich haben Ausbrüche von Heftigkeit des Kaiſern, die ich ſeltner erlebte als Roon, niemals contagiös, eher abkühlend gewirkt. Ich hatte mir die Logik zurechtgelegt, daß ein Herrſcher, der mir in dem Maße Vertrauen und Wohlwollen ſchenkte, wie Wilhelm I., in ſeinen Unregelmäßigkeiten für mich die Natur einer vis major habe, gegen die zu reagiren mir nicht gegeben ſei, etwa wie das Wetter oder die See, wie ein Naturereigniß, auf das ich mich einrichten müſſe; und wenn mir das nicht gelang, ſo hatte ich eben meine Aufgabe nicht richtig angegriffen. Dieſer mein Eindruck beruhte nicht auf meiner generellen Auffaſſung der Stellung eines Königs von Gottes Gnaden zu ſeinem Diener, ſondern auf meiner perſön¬ lichen Liebe zu Kaiſer Wilhelm I. Ihm gegenüber lag mir perſönliche Empfindlichkeit ſehr fern, er konnte mich ziemlich un¬ gerecht behandeln, ohne in mir Gefühle der Entrüſtung hervor¬
1) S. Bd. I 285 f.
Otto Fürſt von Bismarck. Gedanken und Erinnerungen. II. 19
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Freiheit von Eitelkeit, Furcht vor Kritik. Treue.
wieder und blieb dabei „jeder Zoll ein Konig“, und zwar ein ge¬
rechter und wohlwollender König und ehrliebender Offizier, den der
Gedanke an ſein preußiſches porte-épée auf richtigem Wege
erhielt 1).
Der Kaiſer konnte heftig werden, ließ ſich aber in der Dis¬
cuſſion von der etwaigen Heftigkeit deſſen, mit dem er diſcutirte,
nicht anſtecken, ſondern brach dann die Unterredung vornehm
freundlich ab. Ausbrüche wie in Verſailles bei Abwehr des Kaiſer¬
titels waren ſehr ſelten. Wenn er heftig wurde gegen Leute, denen
er wohlwollte, wie dem Grafen Roon oder mir, ſo war er entweder
durch den Gegenſtand ſelbſt erregt oder durch fremde, außer¬
amtliche Beſprechungen vorher an Auffaſſungen gebunden, die ſich
ſachlich nicht vertreten ließen. Graf Roon hörte dergleichen Ex¬
ploſionen an, wie ein Militär in der Front den Verweis eines
hohen Vorgeſetzten, den er nicht verdient zu haben glaubt, aber
er litt nervös darunter und ſecundär auch körperlich. Auf mich
haben Ausbrüche von Heftigkeit des Kaiſern, die ich ſeltner erlebte
als Roon, niemals contagiös, eher abkühlend gewirkt. Ich hatte
mir die Logik zurechtgelegt, daß ein Herrſcher, der mir in dem
Maße Vertrauen und Wohlwollen ſchenkte, wie Wilhelm I., in
ſeinen Unregelmäßigkeiten für mich die Natur einer vis major habe,
gegen die zu reagiren mir nicht gegeben ſei, etwa wie das Wetter
oder die See, wie ein Naturereigniß, auf das ich mich einrichten
müſſe; und wenn mir das nicht gelang, ſo hatte ich eben meine
Aufgabe nicht richtig angegriffen. Dieſer mein Eindruck beruhte
nicht auf meiner generellen Auffaſſung der Stellung eines Königs
von Gottes Gnaden zu ſeinem Diener, ſondern auf meiner perſön¬
lichen Liebe zu Kaiſer Wilhelm I. Ihm gegenüber lag mir
perſönliche Empfindlichkeit ſehr fern, er konnte mich ziemlich un¬
gerecht behandeln, ohne in mir Gefühle der Entrüſtung hervor¬
1) S. Bd. I 285 f.
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/313>, abgerufen am 13.06.2024.
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