Zeit, Bewunderung, alles ist verblichen. Es ließ mich so kalt, als sähe ich eine Abbildung von der Arke Noäh, in die mit hängenden Ohren alles ehe¬ gepaarte Vieh zieht. Der Maler war nicht begei¬ stert, so wenig als jene Zeit, so wenig als Napoleon selbst, so wenig als das Volk, das ihn umgibt; es ist eine vielfarbige glänzende Leerheit. Das Gemälde ist von solcher Ausdehnung, daß es in dem kleinen Theater, wo man es siehet, den Vorhang bildet. Es enthält mehr als als sechzig Figuren in Lebens¬ größe, alle Portraits. Der Moment ist gewählt, wo Napoleon der vor ihm knieenden Kaiserin die Krone aufsetzt. Er kniet vor nichts, nicht vor seinem Gotte, nicht vor seinem Glücke; weder Triumph ist in ihm, noch Demuth. Es ist eine Krönung, wie die eines marklosen Erbfürsten. Nichts als Weiber, Pfaffen und goldene Knechte. Gibt es etwas Lächerlicheres, als daß sich Napoleon in der Kirche Notre-Dame von einer angst-zitternden Geistlichkeit Brief und Siegel darüber geben ließ, daß er ein Held gewesen? Gibt es etwas Herzempörenderes, als diese Hochzeit, zwi¬ schen dem Manne des Lebens und der Leiche der Vergangenheit? Napoleon hätte sich zu Pferde sol¬ len krönen lassen, sich die Krone hinaufreichen lassen, nicht herabreichen. Er sollte den Thron zieren, der Thron nicht ihn. Keiner von jenen Soldaten war anwesend, die ihn so groß gemacht; nichts als Schlep¬
Zeit, Bewunderung, alles iſt verblichen. Es ließ mich ſo kalt, als ſähe ich eine Abbildung von der Arke Noäh, in die mit hängenden Ohren alles ehe¬ gepaarte Vieh zieht. Der Maler war nicht begei¬ ſtert, ſo wenig als jene Zeit, ſo wenig als Napoleon ſelbſt, ſo wenig als das Volk, das ihn umgibt; es iſt eine vielfarbige glänzende Leerheit. Das Gemälde iſt von ſolcher Ausdehnung, daß es in dem kleinen Theater, wo man es ſiehet, den Vorhang bildet. Es enthält mehr als als ſechzig Figuren in Lebens¬ größe, alle Portraits. Der Moment iſt gewählt, wo Napoleon der vor ihm knieenden Kaiſerin die Krone aufſetzt. Er kniet vor nichts, nicht vor ſeinem Gotte, nicht vor ſeinem Glücke; weder Triumph iſt in ihm, noch Demuth. Es iſt eine Krönung, wie die eines markloſen Erbfürſten. Nichts als Weiber, Pfaffen und goldene Knechte. Gibt es etwas Lächerlicheres, als daß ſich Napoleon in der Kirche Notre-Dame von einer angſt-zitternden Geiſtlichkeit Brief und Siegel darüber geben ließ, daß er ein Held geweſen? Gibt es etwas Herzempörenderes, als dieſe Hochzeit, zwi¬ ſchen dem Manne des Lebens und der Leiche der Vergangenheit? Napoleon hätte ſich zu Pferde ſol¬ len krönen laſſen, ſich die Krone hinaufreichen laſſen, nicht herabreichen. Er ſollte den Thron zieren, der Thron nicht ihn. Keiner von jenen Soldaten war anweſend, die ihn ſo groß gemacht; nichts als Schlep¬
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Zeit, Bewunderung, alles iſt verblichen. Es ließ
mich ſo kalt, als ſähe ich eine Abbildung von der
Arke Noäh, in die mit hängenden Ohren alles ehe¬
gepaarte Vieh zieht. Der Maler war nicht begei¬
ſtert, ſo wenig als jene Zeit, ſo wenig als Napoleon
ſelbſt, ſo wenig als das Volk, das ihn umgibt; es
iſt eine vielfarbige glänzende Leerheit. Das Gemälde
iſt von ſolcher Ausdehnung, daß es in dem kleinen
Theater, wo man es ſiehet, den Vorhang bildet.
Es enthält mehr als als ſechzig Figuren in Lebens¬
größe, alle Portraits. Der Moment iſt gewählt, wo
Napoleon der vor ihm knieenden Kaiſerin die Krone
aufſetzt. Er kniet vor nichts, nicht vor ſeinem Gotte,
nicht vor ſeinem Glücke; weder Triumph iſt in ihm,
noch Demuth. Es iſt eine Krönung, wie die eines
markloſen Erbfürſten. Nichts als Weiber, Pfaffen
und goldene Knechte. Gibt es etwas Lächerlicheres,
als daß ſich Napoleon in der Kirche Notre-Dame von
einer angſt-zitternden Geiſtlichkeit Brief und Siegel
darüber geben ließ, daß er ein Held geweſen? Gibt
es etwas Herzempörenderes, als dieſe Hochzeit, zwi¬
ſchen dem Manne des Lebens und der Leiche der
Vergangenheit? Napoleon hätte ſich zu Pferde ſol¬
len krönen laſſen, ſich die Krone hinaufreichen laſſen,
nicht herabreichen. Er ſollte den Thron zieren, der
Thron nicht ihn. Keiner von jenen Soldaten war
anweſend, die ihn ſo groß gemacht; nichts als Schlep¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/106>, abgerufen am 15.06.2024.
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