wenn es ihr gerade Spaß macht, tanzt sie so lustig und ausgelassen sonderbar auf dem Seile, daß die Zuschauer kaum noch Arme und Beine vom Schwanze unterscheiden können. Jn solchen Augen- blicken ist der Name "Spinnenaffe" vollständig angemessen; denn sie sieht dann einer riesigen Tarantel in ihren Zuckungen äußerst ähnlich. So lange dieses launige Spiel dauert, hält sie von Zeit zu Zeit inne und blickt mit freundlichem Hauptschütteln auf ihre Freunde, zieht rümpfend die Nase und stößt sanfte kurze Töne aus. Gewöhnlich wird sie gegen Sonnenuntergang am lebendigsten."
"Eine besondere Liebhaberei von ihr besteht darin, daß sie im Tauwerk hinaufklettert, bis sie ein wagerechtes Seil oder eine dünne Stange erreicht; hier hängt sie sich mit dem Schwanzende ganz knapp aber fest an und, schwingt sich langsam hin und wieder und reibt einen Arm mit dem andern von dem Handgelenke bis zum Ellbogen, als wollte sie das Haar gegen den Strich streichen. Sie muß
[Abbildung]
Der Miriki (Ateles oder Brachyteles hypoxanthus).
schlechterdings ihren Schwanz um irgend etwas winden, und wo möglich möchte sie keinen Schritt gehen, ohne sich mittelst dieses langen und geschmeidigen Gliedes zu versichern."
"Gegen viele ihrer Verwandten, die unverbesserliche Diebe sind und mit den Schwanzenden ganz ruhig Dinge stehlen, auf welche ihre Aufmerksamkeit gar nicht gewendet zu sein scheint, ist Sally sehr ehrenhaft und hat niemals Etwas entwendet, als höchstens gelegentlich eine Frucht oder ein Stückchen Kuchen. Jhre Mahlzeit hält sie an ihres Herrn Tische und beträgt sich dabei höchst anständig, ja, sie ißt nicht einmal, bevor sie die Erlaubniß dazu erhalten, und hält sich dann an ihren eignen Teller, gleich einem wohl erzogenem Geschöpfe. Jhre Nahrung besteht hauptsächlich aus Pflanzenstoffen, Früchten und Weißbrod, obschon sie hin und wieder mit einem Hühnerbein bewirthet wird. Rücksichtlich ihrer Speise ist sie ziemlich wählerisch, und wenn man ihr ein Stück gar zu trockenen Brodes giebt, so beschnuppert sie es argwöhnisch, wirft es auf den Boden und thut mit verächtlicher Miene, als ob es
Jagd. Aus dem Gefangenleben eines Miriki.
wenn es ihr gerade Spaß macht, tanzt ſie ſo luſtig und ausgelaſſen ſonderbar auf dem Seile, daß die Zuſchauer kaum noch Arme und Beine vom Schwanze unterſcheiden können. Jn ſolchen Augen- blicken iſt der Name „Spinnenaffe‟ vollſtändig angemeſſen; denn ſie ſieht dann einer rieſigen Tarantel in ihren Zuckungen äußerſt ähnlich. So lange dieſes launige Spiel dauert, hält ſie von Zeit zu Zeit inne und blickt mit freundlichem Hauptſchütteln auf ihre Freunde, zieht rümpfend die Naſe und ſtößt ſanfte kurze Töne aus. Gewöhnlich wird ſie gegen Sonnenuntergang am lebendigſten.‟
„Eine beſondere Liebhaberei von ihr beſteht darin, daß ſie im Tauwerk hinaufklettert, bis ſie ein wagerechtes Seil oder eine dünne Stange erreicht; hier hängt ſie ſich mit dem Schwanzende ganz knapp aber feſt an und, ſchwingt ſich langſam hin und wieder und reibt einen Arm mit dem andern von dem Handgelenke bis zum Ellbogen, als wollte ſie das Haar gegen den Strich ſtreichen. Sie muß
[Abbildung]
Der Miriki (Ateles oder Brachyteles hypoxanthus).
ſchlechterdings ihren Schwanz um irgend etwas winden, und wo möglich möchte ſie keinen Schritt gehen, ohne ſich mittelſt dieſes langen und geſchmeidigen Gliedes zu verſichern.‟
„Gegen viele ihrer Verwandten, die unverbeſſerliche Diebe ſind und mit den Schwanzenden ganz ruhig Dinge ſtehlen, auf welche ihre Aufmerkſamkeit gar nicht gewendet zu ſein ſcheint, iſt Sally ſehr ehrenhaft und hat niemals Etwas entwendet, als höchſtens gelegentlich eine Frucht oder ein Stückchen Kuchen. Jhre Mahlzeit hält ſie an ihres Herrn Tiſche und beträgt ſich dabei höchſt anſtändig, ja, ſie ißt nicht einmal, bevor ſie die Erlaubniß dazu erhalten, und hält ſich dann an ihren eignen Teller, gleich einem wohl erzogenem Geſchöpfe. Jhre Nahrung beſteht hauptſächlich aus Pflanzenſtoffen, Früchten und Weißbrod, obſchon ſie hin und wieder mit einem Hühnerbein bewirthet wird. Rückſichtlich ihrer Speiſe iſt ſie ziemlich wähleriſch, und wenn man ihr ein Stück gar zu trockenen Brodes giebt, ſo beſchnuppert ſie es argwöhniſch, wirft es auf den Boden und thut mit verächtlicher Miene, als ob es
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0163"n="105"/><fwplace="top"type="header">Jagd. Aus dem Gefangenleben eines Miriki.</fw><lb/>
wenn es ihr gerade Spaß macht, tanzt ſie ſo luſtig und ausgelaſſen ſonderbar auf dem Seile, daß<lb/>
die Zuſchauer kaum noch Arme und Beine vom Schwanze unterſcheiden können. Jn ſolchen Augen-<lb/>
blicken iſt der Name „Spinnenaffe‟ vollſtändig angemeſſen; denn ſie ſieht dann einer rieſigen<lb/><hirendition="#g">Tarantel</hi> in ihren Zuckungen äußerſt ähnlich. So lange dieſes launige Spiel dauert, hält ſie von<lb/>
Zeit zu Zeit inne und blickt mit freundlichem Hauptſchütteln auf ihre Freunde, zieht rümpfend die Naſe<lb/>
und ſtößt ſanfte kurze Töne aus. Gewöhnlich wird ſie gegen Sonnenuntergang am lebendigſten.‟</p><lb/><p>„Eine beſondere Liebhaberei von ihr beſteht darin, daß ſie im Tauwerk hinaufklettert, bis ſie ein<lb/>
wagerechtes Seil oder eine dünne Stange erreicht; hier hängt ſie ſich mit dem Schwanzende ganz knapp<lb/>
aber feſt an und, ſchwingt ſich langſam hin und wieder und reibt einen Arm mit dem andern von dem<lb/>
Handgelenke bis zum Ellbogen, als wollte ſie das Haar gegen den Strich ſtreichen. Sie muß<lb/><figure><head><hirendition="#c"><hirendition="#g">Der Miriki</hi> (<hirendition="#aq">Ateles</hi> oder <hirendition="#aq">Brachyteles hypoxanthus</hi>).</hi></head></figure><lb/>ſchlechterdings ihren Schwanz um irgend etwas winden, und wo möglich möchte ſie keinen Schritt gehen,<lb/>
ohne ſich mittelſt dieſes langen und geſchmeidigen Gliedes zu verſichern.‟</p><lb/><p>„Gegen viele ihrer Verwandten, die unverbeſſerliche Diebe ſind und mit den Schwanzenden ganz<lb/>
ruhig Dinge ſtehlen, auf welche ihre Aufmerkſamkeit gar nicht gewendet zu ſein ſcheint, iſt Sally ſehr<lb/>
ehrenhaft und hat niemals Etwas entwendet, als höchſtens gelegentlich eine Frucht oder ein Stückchen<lb/>
Kuchen. Jhre Mahlzeit hält ſie an ihres Herrn Tiſche und beträgt ſich dabei höchſt anſtändig, ja,<lb/>ſie ißt nicht einmal, bevor ſie die Erlaubniß dazu erhalten, und hält ſich dann an ihren eignen Teller,<lb/>
gleich einem wohl erzogenem Geſchöpfe. Jhre Nahrung beſteht hauptſächlich aus Pflanzenſtoffen,<lb/>
Früchten und Weißbrod, obſchon ſie hin und wieder mit einem Hühnerbein bewirthet wird. Rückſichtlich<lb/>
ihrer Speiſe iſt ſie ziemlich wähleriſch, und wenn man ihr ein Stück gar zu trockenen Brodes giebt, ſo<lb/>
beſchnuppert ſie es argwöhniſch, wirft es auf den Boden und thut mit verächtlicher Miene, als ob es<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[105/0163]
Jagd. Aus dem Gefangenleben eines Miriki.
wenn es ihr gerade Spaß macht, tanzt ſie ſo luſtig und ausgelaſſen ſonderbar auf dem Seile, daß
die Zuſchauer kaum noch Arme und Beine vom Schwanze unterſcheiden können. Jn ſolchen Augen-
blicken iſt der Name „Spinnenaffe‟ vollſtändig angemeſſen; denn ſie ſieht dann einer rieſigen
Tarantel in ihren Zuckungen äußerſt ähnlich. So lange dieſes launige Spiel dauert, hält ſie von
Zeit zu Zeit inne und blickt mit freundlichem Hauptſchütteln auf ihre Freunde, zieht rümpfend die Naſe
und ſtößt ſanfte kurze Töne aus. Gewöhnlich wird ſie gegen Sonnenuntergang am lebendigſten.‟
„Eine beſondere Liebhaberei von ihr beſteht darin, daß ſie im Tauwerk hinaufklettert, bis ſie ein
wagerechtes Seil oder eine dünne Stange erreicht; hier hängt ſie ſich mit dem Schwanzende ganz knapp
aber feſt an und, ſchwingt ſich langſam hin und wieder und reibt einen Arm mit dem andern von dem
Handgelenke bis zum Ellbogen, als wollte ſie das Haar gegen den Strich ſtreichen. Sie muß
[Abbildung Der Miriki (Ateles oder Brachyteles hypoxanthus).]
ſchlechterdings ihren Schwanz um irgend etwas winden, und wo möglich möchte ſie keinen Schritt gehen,
ohne ſich mittelſt dieſes langen und geſchmeidigen Gliedes zu verſichern.‟
„Gegen viele ihrer Verwandten, die unverbeſſerliche Diebe ſind und mit den Schwanzenden ganz
ruhig Dinge ſtehlen, auf welche ihre Aufmerkſamkeit gar nicht gewendet zu ſein ſcheint, iſt Sally ſehr
ehrenhaft und hat niemals Etwas entwendet, als höchſtens gelegentlich eine Frucht oder ein Stückchen
Kuchen. Jhre Mahlzeit hält ſie an ihres Herrn Tiſche und beträgt ſich dabei höchſt anſtändig, ja,
ſie ißt nicht einmal, bevor ſie die Erlaubniß dazu erhalten, und hält ſich dann an ihren eignen Teller,
gleich einem wohl erzogenem Geſchöpfe. Jhre Nahrung beſteht hauptſächlich aus Pflanzenſtoffen,
Früchten und Weißbrod, obſchon ſie hin und wieder mit einem Hühnerbein bewirthet wird. Rückſichtlich
ihrer Speiſe iſt ſie ziemlich wähleriſch, und wenn man ihr ein Stück gar zu trockenen Brodes giebt, ſo
beſchnuppert ſie es argwöhniſch, wirft es auf den Boden und thut mit verächtlicher Miene, als ob es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/163>, abgerufen am 31.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.