Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite
Betragen in der Gefangenschaft.

Unter den Sinnen des Thieres steht der Tastsinn oben an; die übrigen sind schwach. Er ist
kurzsichtig und sieht bei Nacht gar nicht; er hört schlecht, denn man kann ihn leicht beschleichen. Noch
schwächer ist sein Geruch; denn er hält jeden zu beriechenden Gegenstand nahe an die Nase und wird
noch immer oft genug durch den Geruch getäuscht und verleitet, Sachen zu kosten, welche ihm der
Sinn des Geschmacks als ungenießbar bezeichnet. Bei großem Hunger oder Durst nimmt er
seinen eignen Koth zu sich und trinkt seinen eignen Harn. Der Tastsinn ersetzt die Schwächen der
übrigen Sinne wenigstens einigermaßen. Er zeigt sich hauptsächlich in den Vorderhänden, weniger
in den Hinterhänden und gar nicht im Schwanze. Durch Uebung und Erziehung wird dieser
Sinn einer großen Vervollkommnung fähig. Rengger's Cay brachte es so weit, daß er seinen
Herrn in der dunkelsten Nacht erkannte, sobald er nur einen Augenblick dessen gewöhnliche Kleidung
betastet hatte.

Die Laute, welche der Cay von sich giebt, wechseln im Einklange mit seinen Gemüthsbewe-
gungen. Man hört am häufigsten einen flötenden Ton von ihm, welcher, wie es scheint, aus Lange-
weile ausgestoßen wird. Verlangt er dagegen Etwas, so stöhnt er. Erstannen oder Verlegenheit
drückt er durch einen halb pfeifenden Ton aus; im Zorn schreit er mit tiefer und grober Stimme
mehrmals "Hu, hu!" Bei Furcht oder Schmerz kreischt, bei freudigen Ereignissen dagegen kichert er.
Mit diesen verschiedenen Tönen theilt der Leitaffe seiner Herde auch in der Freiheit seine Empfin-
dungen mit. Diese sprechen sich übrigens nicht allein durch Laute und Bewegungen, sondern zu-
weilen auch durch eine Art von Lachen und Weinen aus. Das Erstere besteht im Zurückziehen der
Mundwinkel; er giebt dabei aber keinen Ton von sich. Beim Weinen füllen sich seine Augen mit
Thränen, welche jedoch niemals über die Wangen herabfließen.

Wie alle Affen ist auch der Cay sehr unreinlich. Er läßt seinen Koth überall fallen und be-
schmuzt sich auch häufig damit und zwar um so mehr, je weniger Freiheit man ihm läßt; mit seinem
Harn besudelt er sich unaufhörlich.

Auch dieser Affe unterscheidet männliche und weibliche Menschen, und der männliche Affe liebt
mehr Frauen oder Mädchen, der weibliche mehr Männer und Knaben.

Es kommt nicht selten vor, daß sich die Cay's in der Gefangenschaft begatten und dort Junge
gebären. Jhre Zärtlichkeit für dieselben scheint hier noch größer zu sein, als in der Freiheit. Sie
geben sich den ganzen Tag mit ihrem Kinde ab, lassen es von keinem Menschen berühren, zeigen es
blos Leuten, welchen sie gewogen sind, und vertheidigen es muthig gegen jeden Andern.

Der Cay ist sehr empfindlich gegen Kälte und Feuchtigkeit und muß gegen sie geschützt sein,
wenn er nicht erkranken soll. Dies ist leicht, weil er sich gern in eine wollene Decke einwickelt. Jn
das Wasser geht er aus freien Stücken niemals. Auch hat man nie beobachtet, daß er sich durch
Schwimmen zu retten versuchte. Wohl aber weiß man, daß er bald untergeht, wenn man ihn in
das Wasser wirft. Jn der Gefangenschaft ist er vielen Krankheiten, namentlich dem Schnupfen und
Husten ausgesetzt und leidet, wie seine altweltlichen Vettern, ebenfalls oft genug an der Schwind-
sucht. Gegen die leichten Krankheiten helfen ärztliche Mittel oder bringen wenigstens dieselben Wir-
kungen hervor wie beim Menschen. Nach Rengger's Schätzung dürfte sich das Alter, welches er
erreichen kann, auf etwa funfzehn Jahre belaufen.

Die geistigen Eigenschaften des Cay sind unserer vollsten Beachtung würdig. Er lernt schon
in den ersten Tagen seiner Gefangenschaft seinen Herrn und Wärter kennen, sucht sich bei ihm
Nahrung, Wärme, Schutz und Hilfe, vertraut ihm vollständig, freut sich, wenn dieser mit ihm spielt,
läßt sich alle Neckereien gern von ihm gefallen, zeigt nach einiger Trennung beim Wiedersehen eine
ausgelassene Freude und giebt sich demselben zuletzt so hin, daß er bald seine Freiheit ganz vergißt
und zum halben Hausthier wird. Ein altes Männchen, welches Rengger besaß, machte sich zu-
weilen von seinem Riemen los und entfloh im ersten Gefühl der Freude über die erlangte Freiheit,
kehrte aber nach Verlauf von zwei bis drei Tagen immer wieder in seine Gefangenschaft zurück, suchte
seinen Wärter wieder auf und ließ sich nun ohne alle Umstände von diesem anbinden. Diejenigen

Betragen in der Gefangenſchaft.

Unter den Sinnen des Thieres ſteht der Taſtſinn oben an; die übrigen ſind ſchwach. Er iſt
kurzſichtig und ſieht bei Nacht gar nicht; er hört ſchlecht, denn man kann ihn leicht beſchleichen. Noch
ſchwächer iſt ſein Geruch; denn er hält jeden zu beriechenden Gegenſtand nahe an die Naſe und wird
noch immer oft genug durch den Geruch getäuſcht und verleitet, Sachen zu koſten, welche ihm der
Sinn des Geſchmacks als ungenießbar bezeichnet. Bei großem Hunger oder Durſt nimmt er
ſeinen eignen Koth zu ſich und trinkt ſeinen eignen Harn. Der Taſtſinn erſetzt die Schwächen der
übrigen Sinne wenigſtens einigermaßen. Er zeigt ſich hauptſächlich in den Vorderhänden, weniger
in den Hinterhänden und gar nicht im Schwanze. Durch Uebung und Erziehung wird dieſer
Sinn einer großen Vervollkommnung fähig. Rengger’s Cay brachte es ſo weit, daß er ſeinen
Herrn in der dunkelſten Nacht erkannte, ſobald er nur einen Augenblick deſſen gewöhnliche Kleidung
betaſtet hatte.

Die Laute, welche der Cay von ſich giebt, wechſeln im Einklange mit ſeinen Gemüthsbewe-
gungen. Man hört am häufigſten einen flötenden Ton von ihm, welcher, wie es ſcheint, aus Lange-
weile ausgeſtoßen wird. Verlangt er dagegen Etwas, ſo ſtöhnt er. Erſtannen oder Verlegenheit
drückt er durch einen halb pfeifenden Ton aus; im Zorn ſchreit er mit tiefer und grober Stimme
mehrmals „Hu, hu!‟ Bei Furcht oder Schmerz kreiſcht, bei freudigen Ereigniſſen dagegen kichert er.
Mit dieſen verſchiedenen Tönen theilt der Leitaffe ſeiner Herde auch in der Freiheit ſeine Empfin-
dungen mit. Dieſe ſprechen ſich übrigens nicht allein durch Laute und Bewegungen, ſondern zu-
weilen auch durch eine Art von Lachen und Weinen aus. Das Erſtere beſteht im Zurückziehen der
Mundwinkel; er giebt dabei aber keinen Ton von ſich. Beim Weinen füllen ſich ſeine Augen mit
Thränen, welche jedoch niemals über die Wangen herabfließen.

Wie alle Affen iſt auch der Cay ſehr unreinlich. Er läßt ſeinen Koth überall fallen und be-
ſchmuzt ſich auch häufig damit und zwar um ſo mehr, je weniger Freiheit man ihm läßt; mit ſeinem
Harn beſudelt er ſich unaufhörlich.

Auch dieſer Affe unterſcheidet männliche und weibliche Menſchen, und der männliche Affe liebt
mehr Frauen oder Mädchen, der weibliche mehr Männer und Knaben.

Es kommt nicht ſelten vor, daß ſich die Cay’s in der Gefangenſchaft begatten und dort Junge
gebären. Jhre Zärtlichkeit für dieſelben ſcheint hier noch größer zu ſein, als in der Freiheit. Sie
geben ſich den ganzen Tag mit ihrem Kinde ab, laſſen es von keinem Menſchen berühren, zeigen es
blos Leuten, welchen ſie gewogen ſind, und vertheidigen es muthig gegen jeden Andern.

Der Cay iſt ſehr empfindlich gegen Kälte und Feuchtigkeit und muß gegen ſie geſchützt ſein,
wenn er nicht erkranken ſoll. Dies iſt leicht, weil er ſich gern in eine wollene Decke einwickelt. Jn
das Waſſer geht er aus freien Stücken niemals. Auch hat man nie beobachtet, daß er ſich durch
Schwimmen zu retten verſuchte. Wohl aber weiß man, daß er bald untergeht, wenn man ihn in
das Waſſer wirft. Jn der Gefangenſchaft iſt er vielen Krankheiten, namentlich dem Schnupfen und
Huſten ausgeſetzt und leidet, wie ſeine altweltlichen Vettern, ebenfalls oft genug an der Schwind-
ſucht. Gegen die leichten Krankheiten helfen ärztliche Mittel oder bringen wenigſtens dieſelben Wir-
kungen hervor wie beim Menſchen. Nach Rengger’s Schätzung dürfte ſich das Alter, welches er
erreichen kann, auf etwa funfzehn Jahre belaufen.

Die geiſtigen Eigenſchaften des Cay ſind unſerer vollſten Beachtung würdig. Er lernt ſchon
in den erſten Tagen ſeiner Gefangenſchaft ſeinen Herrn und Wärter kennen, ſucht ſich bei ihm
Nahrung, Wärme, Schutz und Hilfe, vertraut ihm vollſtändig, freut ſich, wenn dieſer mit ihm ſpielt,
läßt ſich alle Neckereien gern von ihm gefallen, zeigt nach einiger Trennung beim Wiederſehen eine
ausgelaſſene Freude und giebt ſich demſelben zuletzt ſo hin, daß er bald ſeine Freiheit ganz vergißt
und zum halben Hausthier wird. Ein altes Männchen, welches Rengger beſaß, machte ſich zu-
weilen von ſeinem Riemen los und entfloh im erſten Gefühl der Freude über die erlangte Freiheit,
kehrte aber nach Verlauf von zwei bis drei Tagen immer wieder in ſeine Gefangenſchaft zurück, ſuchte
ſeinen Wärter wieder auf und ließ ſich nun ohne alle Umſtände von dieſem anbinden. Diejenigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <pb facs="#f0169" n="111"/>
          <fw place="top" type="header">Betragen in der Gefangen&#x017F;chaft.</fw><lb/>
          <p>Unter den Sinnen des Thieres &#x017F;teht der Ta&#x017F;t&#x017F;inn oben an; die übrigen &#x017F;ind &#x017F;chwach. Er i&#x017F;t<lb/>
kurz&#x017F;ichtig und &#x017F;ieht bei Nacht gar nicht; er hört &#x017F;chlecht, denn man kann ihn leicht be&#x017F;chleichen. Noch<lb/>
&#x017F;chwächer i&#x017F;t &#x017F;ein Geruch; denn er hält jeden zu beriechenden Gegen&#x017F;tand nahe an die Na&#x017F;e und wird<lb/>
noch immer oft genug durch den Geruch getäu&#x017F;cht und verleitet, Sachen zu ko&#x017F;ten, welche ihm der<lb/>
Sinn des Ge&#x017F;chmacks als ungenießbar bezeichnet. Bei großem Hunger oder Dur&#x017F;t nimmt er<lb/>
&#x017F;einen eignen Koth zu &#x017F;ich und trinkt &#x017F;einen eignen Harn. Der Ta&#x017F;t&#x017F;inn er&#x017F;etzt die Schwächen der<lb/>
übrigen Sinne wenig&#x017F;tens einigermaßen. Er zeigt &#x017F;ich haupt&#x017F;ächlich in den Vorderhänden, weniger<lb/>
in den Hinterhänden und gar nicht im Schwanze. Durch Uebung und Erziehung wird die&#x017F;er<lb/>
Sinn einer großen Vervollkommnung fähig. Rengger&#x2019;s <hi rendition="#g">Cay</hi> brachte es &#x017F;o weit, daß er &#x017F;einen<lb/>
Herrn in der dunkel&#x017F;ten Nacht erkannte, &#x017F;obald er nur einen Augenblick de&#x017F;&#x017F;en gewöhnliche Kleidung<lb/>
beta&#x017F;tet hatte.</p><lb/>
          <p>Die Laute, welche der <hi rendition="#g">Cay</hi> von &#x017F;ich giebt, wech&#x017F;eln im Einklange mit &#x017F;einen Gemüthsbewe-<lb/>
gungen. Man hört am häufig&#x017F;ten einen flötenden Ton von ihm, welcher, wie es &#x017F;cheint, aus Lange-<lb/>
weile ausge&#x017F;toßen wird. Verlangt er dagegen Etwas, &#x017F;o &#x017F;töhnt er. Er&#x017F;tannen oder Verlegenheit<lb/>
drückt er durch einen halb pfeifenden Ton aus; im Zorn &#x017F;chreit er mit tiefer und grober Stimme<lb/>
mehrmals &#x201E;Hu, hu!&#x201F; Bei Furcht oder Schmerz krei&#x017F;cht, bei freudigen Ereigni&#x017F;&#x017F;en dagegen kichert er.<lb/>
Mit die&#x017F;en ver&#x017F;chiedenen Tönen theilt der Leitaffe &#x017F;einer Herde auch in der Freiheit &#x017F;eine Empfin-<lb/>
dungen mit. Die&#x017F;e &#x017F;prechen &#x017F;ich übrigens nicht allein durch Laute und Bewegungen, &#x017F;ondern zu-<lb/>
weilen auch durch eine Art von Lachen und Weinen aus. Das Er&#x017F;tere be&#x017F;teht im Zurückziehen der<lb/>
Mundwinkel; er giebt dabei aber keinen Ton von &#x017F;ich. Beim Weinen füllen &#x017F;ich &#x017F;eine Augen mit<lb/>
Thränen, welche jedoch niemals über die Wangen herabfließen.</p><lb/>
          <p>Wie alle Affen i&#x017F;t auch der <hi rendition="#g">Cay</hi> &#x017F;ehr unreinlich. Er läßt &#x017F;einen Koth überall fallen und be-<lb/>
&#x017F;chmuzt &#x017F;ich auch häufig damit und zwar um &#x017F;o mehr, je weniger Freiheit man ihm läßt; mit &#x017F;einem<lb/>
Harn be&#x017F;udelt er &#x017F;ich unaufhörlich.</p><lb/>
          <p>Auch die&#x017F;er Affe unter&#x017F;cheidet männliche und weibliche Men&#x017F;chen, und der männliche Affe liebt<lb/>
mehr Frauen oder Mädchen, der weibliche mehr Männer und Knaben.</p><lb/>
          <p>Es kommt nicht &#x017F;elten vor, daß &#x017F;ich die <hi rendition="#g">Cay&#x2019;s</hi> in der Gefangen&#x017F;chaft begatten und dort Junge<lb/>
gebären. Jhre Zärtlichkeit für die&#x017F;elben &#x017F;cheint hier noch größer zu &#x017F;ein, als in der Freiheit. Sie<lb/>
geben &#x017F;ich den ganzen Tag mit ihrem Kinde ab, la&#x017F;&#x017F;en es von keinem Men&#x017F;chen berühren, zeigen es<lb/>
blos Leuten, welchen &#x017F;ie gewogen &#x017F;ind, und vertheidigen es muthig gegen jeden Andern.</p><lb/>
          <p>Der <hi rendition="#g">Cay</hi> i&#x017F;t &#x017F;ehr empfindlich gegen Kälte und Feuchtigkeit und muß gegen &#x017F;ie ge&#x017F;chützt &#x017F;ein,<lb/>
wenn er nicht erkranken &#x017F;oll. Dies i&#x017F;t leicht, weil er &#x017F;ich gern in eine wollene Decke einwickelt. Jn<lb/>
das Wa&#x017F;&#x017F;er geht er aus freien Stücken niemals. Auch hat man nie beobachtet, daß er &#x017F;ich durch<lb/>
Schwimmen zu retten ver&#x017F;uchte. Wohl aber weiß man, daß er bald untergeht, wenn man ihn in<lb/>
das Wa&#x017F;&#x017F;er wirft. Jn der Gefangen&#x017F;chaft i&#x017F;t er vielen Krankheiten, namentlich dem Schnupfen und<lb/>
Hu&#x017F;ten ausge&#x017F;etzt und leidet, wie &#x017F;eine altweltlichen Vettern, ebenfalls oft genug an der Schwind-<lb/>
&#x017F;ucht. Gegen die leichten Krankheiten helfen ärztliche Mittel oder bringen wenig&#x017F;tens die&#x017F;elben Wir-<lb/>
kungen hervor wie beim Men&#x017F;chen. Nach Rengger&#x2019;s Schätzung dürfte &#x017F;ich das Alter, welches er<lb/>
erreichen kann, auf etwa funfzehn Jahre belaufen.</p><lb/>
          <p>Die gei&#x017F;tigen Eigen&#x017F;chaften des <hi rendition="#g">Cay</hi> &#x017F;ind un&#x017F;erer voll&#x017F;ten Beachtung würdig. Er lernt &#x017F;chon<lb/>
in den er&#x017F;ten Tagen &#x017F;einer Gefangen&#x017F;chaft &#x017F;einen Herrn und Wärter kennen, &#x017F;ucht &#x017F;ich bei ihm<lb/>
Nahrung, Wärme, Schutz und Hilfe, vertraut ihm voll&#x017F;tändig, freut &#x017F;ich, wenn die&#x017F;er mit ihm &#x017F;pielt,<lb/>
läßt &#x017F;ich alle Neckereien gern von ihm gefallen, zeigt nach einiger Trennung beim Wieder&#x017F;ehen eine<lb/>
ausgela&#x017F;&#x017F;ene Freude und giebt &#x017F;ich dem&#x017F;elben zuletzt &#x017F;o hin, daß er bald &#x017F;eine Freiheit ganz vergißt<lb/>
und zum halben Hausthier wird. Ein altes Männchen, welches Rengger be&#x017F;aß, machte &#x017F;ich zu-<lb/>
weilen von &#x017F;einem Riemen los und entfloh im er&#x017F;ten Gefühl der Freude über die erlangte Freiheit,<lb/>
kehrte aber nach Verlauf von zwei bis drei Tagen immer wieder in &#x017F;eine Gefangen&#x017F;chaft zurück, &#x017F;uchte<lb/>
&#x017F;einen Wärter wieder auf und ließ &#x017F;ich nun ohne alle Um&#x017F;tände von die&#x017F;em anbinden. Diejenigen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0169] Betragen in der Gefangenſchaft. Unter den Sinnen des Thieres ſteht der Taſtſinn oben an; die übrigen ſind ſchwach. Er iſt kurzſichtig und ſieht bei Nacht gar nicht; er hört ſchlecht, denn man kann ihn leicht beſchleichen. Noch ſchwächer iſt ſein Geruch; denn er hält jeden zu beriechenden Gegenſtand nahe an die Naſe und wird noch immer oft genug durch den Geruch getäuſcht und verleitet, Sachen zu koſten, welche ihm der Sinn des Geſchmacks als ungenießbar bezeichnet. Bei großem Hunger oder Durſt nimmt er ſeinen eignen Koth zu ſich und trinkt ſeinen eignen Harn. Der Taſtſinn erſetzt die Schwächen der übrigen Sinne wenigſtens einigermaßen. Er zeigt ſich hauptſächlich in den Vorderhänden, weniger in den Hinterhänden und gar nicht im Schwanze. Durch Uebung und Erziehung wird dieſer Sinn einer großen Vervollkommnung fähig. Rengger’s Cay brachte es ſo weit, daß er ſeinen Herrn in der dunkelſten Nacht erkannte, ſobald er nur einen Augenblick deſſen gewöhnliche Kleidung betaſtet hatte. Die Laute, welche der Cay von ſich giebt, wechſeln im Einklange mit ſeinen Gemüthsbewe- gungen. Man hört am häufigſten einen flötenden Ton von ihm, welcher, wie es ſcheint, aus Lange- weile ausgeſtoßen wird. Verlangt er dagegen Etwas, ſo ſtöhnt er. Erſtannen oder Verlegenheit drückt er durch einen halb pfeifenden Ton aus; im Zorn ſchreit er mit tiefer und grober Stimme mehrmals „Hu, hu!‟ Bei Furcht oder Schmerz kreiſcht, bei freudigen Ereigniſſen dagegen kichert er. Mit dieſen verſchiedenen Tönen theilt der Leitaffe ſeiner Herde auch in der Freiheit ſeine Empfin- dungen mit. Dieſe ſprechen ſich übrigens nicht allein durch Laute und Bewegungen, ſondern zu- weilen auch durch eine Art von Lachen und Weinen aus. Das Erſtere beſteht im Zurückziehen der Mundwinkel; er giebt dabei aber keinen Ton von ſich. Beim Weinen füllen ſich ſeine Augen mit Thränen, welche jedoch niemals über die Wangen herabfließen. Wie alle Affen iſt auch der Cay ſehr unreinlich. Er läßt ſeinen Koth überall fallen und be- ſchmuzt ſich auch häufig damit und zwar um ſo mehr, je weniger Freiheit man ihm läßt; mit ſeinem Harn beſudelt er ſich unaufhörlich. Auch dieſer Affe unterſcheidet männliche und weibliche Menſchen, und der männliche Affe liebt mehr Frauen oder Mädchen, der weibliche mehr Männer und Knaben. Es kommt nicht ſelten vor, daß ſich die Cay’s in der Gefangenſchaft begatten und dort Junge gebären. Jhre Zärtlichkeit für dieſelben ſcheint hier noch größer zu ſein, als in der Freiheit. Sie geben ſich den ganzen Tag mit ihrem Kinde ab, laſſen es von keinem Menſchen berühren, zeigen es blos Leuten, welchen ſie gewogen ſind, und vertheidigen es muthig gegen jeden Andern. Der Cay iſt ſehr empfindlich gegen Kälte und Feuchtigkeit und muß gegen ſie geſchützt ſein, wenn er nicht erkranken ſoll. Dies iſt leicht, weil er ſich gern in eine wollene Decke einwickelt. Jn das Waſſer geht er aus freien Stücken niemals. Auch hat man nie beobachtet, daß er ſich durch Schwimmen zu retten verſuchte. Wohl aber weiß man, daß er bald untergeht, wenn man ihn in das Waſſer wirft. Jn der Gefangenſchaft iſt er vielen Krankheiten, namentlich dem Schnupfen und Huſten ausgeſetzt und leidet, wie ſeine altweltlichen Vettern, ebenfalls oft genug an der Schwind- ſucht. Gegen die leichten Krankheiten helfen ärztliche Mittel oder bringen wenigſtens dieſelben Wir- kungen hervor wie beim Menſchen. Nach Rengger’s Schätzung dürfte ſich das Alter, welches er erreichen kann, auf etwa funfzehn Jahre belaufen. Die geiſtigen Eigenſchaften des Cay ſind unſerer vollſten Beachtung würdig. Er lernt ſchon in den erſten Tagen ſeiner Gefangenſchaft ſeinen Herrn und Wärter kennen, ſucht ſich bei ihm Nahrung, Wärme, Schutz und Hilfe, vertraut ihm vollſtändig, freut ſich, wenn dieſer mit ihm ſpielt, läßt ſich alle Neckereien gern von ihm gefallen, zeigt nach einiger Trennung beim Wiederſehen eine ausgelaſſene Freude und giebt ſich demſelben zuletzt ſo hin, daß er bald ſeine Freiheit ganz vergißt und zum halben Hausthier wird. Ein altes Männchen, welches Rengger beſaß, machte ſich zu- weilen von ſeinem Riemen los und entfloh im erſten Gefühl der Freude über die erlangte Freiheit, kehrte aber nach Verlauf von zwei bis drei Tagen immer wieder in ſeine Gefangenſchaft zurück, ſuchte ſeinen Wärter wieder auf und ließ ſich nun ohne alle Umſtände von dieſem anbinden. Diejenigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/169
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/169>, abgerufen am 01.11.2024.