Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

auch nur gegründete Vermuthungen über das Nähere dieses
Verhältnisses besitzen wir heute nicht, und wir sind weit
entfernt, diese Unwissenheit nicht eingestehen zu wollen.
Mag uns indessen noch so Vieles und Manches über die
genauere Art der organischen Schöpfung unklar oder
zweifelhaft sein -- so viel können wir doch mit Bestimmt-
heit sagen, daß sie ohne das Zuthun äußerer
Gewalten vor sich gegangen sein kann und
muß
. Wenn uns diese Schöpfung heute, indem wir
uns in der uns umgebenden Natur umsehen, über die
Maßen imponirt, und der geistige Eindruck einer un-
mittelbaren schaffenden Ursache sich nicht immer abweisen
läßt, so ist der Grund für dieses Gefühl eben nur
darin zu suchen, daß wir die endlichen Wirkungen einer
während vieler Millionen von Jahren thätigen Aktion
natürlicher Kräfte in ein Gesammtbild vereinigt vor uns
sehen, und, indem wir nur an das Gegenwärtige, nicht
an das Vergangene denken, uns auf den ersten Anblick
nicht wohl vorstellen mögen, daß die Natur dieses Alles
aus sich selbst hervorgebracht habe. Aber dennoch ist
dieses so. Mag es auch im Einzelnen geschehen sein,
wie es wolle, das Gesetz der Aehnlichkeiten, der Proto-
rypenbildung, der nothwendigen Abhängigkeit, welche die
organischen Wesen in Entstehung und Form von den
äußeren Zuständen der Erdrinde zeigen, mit einem Wort
die allmählige Hervorbildung höherer organischer Formen

auch nur gegründete Vermuthungen über das Nähere dieſes
Verhältniſſes beſitzen wir heute nicht, und wir ſind weit
entfernt, dieſe Unwiſſenheit nicht eingeſtehen zu wollen.
Mag uns indeſſen noch ſo Vieles und Manches über die
genauere Art der organiſchen Schöpfung unklar oder
zweifelhaft ſein — ſo viel können wir doch mit Beſtimmt-
heit ſagen, daß ſie ohne das Zuthun äußerer
Gewalten vor ſich gegangen ſein kann und
muß
. Wenn uns dieſe Schöpfung heute, indem wir
uns in der uns umgebenden Natur umſehen, über die
Maßen imponirt, und der geiſtige Eindruck einer un-
mittelbaren ſchaffenden Urſache ſich nicht immer abweiſen
läßt, ſo iſt der Grund für dieſes Gefühl eben nur
darin zu ſuchen, daß wir die endlichen Wirkungen einer
während vieler Millionen von Jahren thätigen Aktion
natürlicher Kräfte in ein Geſammtbild vereinigt vor uns
ſehen, und, indem wir nur an das Gegenwärtige, nicht
an das Vergangene denken, uns auf den erſten Anblick
nicht wohl vorſtellen mögen, daß die Natur dieſes Alles
aus ſich ſelbſt hervorgebracht habe. Aber dennoch iſt
dieſes ſo. Mag es auch im Einzelnen geſchehen ſein,
wie es wolle, das Geſetz der Aehnlichkeiten, der Proto-
rypenbildung, der nothwendigen Abhängigkeit, welche die
organiſchen Weſen in Entſtehung und Form von den
äußeren Zuſtänden der Erdrinde zeigen, mit einem Wort
die allmählige Hervorbildung höherer organiſcher Formen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0109" n="89"/>
auch nur gegründete Vermuthungen über das Nähere die&#x017F;es<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;es be&#x017F;itzen wir heute nicht, und wir &#x017F;ind weit<lb/>
entfernt, die&#x017F;e Unwi&#x017F;&#x017F;enheit nicht einge&#x017F;tehen zu wollen.<lb/>
Mag uns inde&#x017F;&#x017F;en noch &#x017F;o Vieles und Manches über die<lb/>
genauere Art der organi&#x017F;chen Schöpfung unklar oder<lb/>
zweifelhaft &#x017F;ein &#x2014; &#x017F;o viel können wir doch mit Be&#x017F;timmt-<lb/>
heit &#x017F;agen, <hi rendition="#g">daß &#x017F;ie ohne das Zuthun äußerer<lb/>
Gewalten vor &#x017F;ich gegangen &#x017F;ein kann und<lb/>
muß</hi>. Wenn uns die&#x017F;e Schöpfung heute, indem wir<lb/>
uns in der uns umgebenden Natur um&#x017F;ehen, über die<lb/>
Maßen imponirt, und der gei&#x017F;tige Eindruck einer un-<lb/>
mittelbaren &#x017F;chaffenden Ur&#x017F;ache &#x017F;ich nicht immer abwei&#x017F;en<lb/>
läßt, &#x017F;o i&#x017F;t der Grund für die&#x017F;es Gefühl eben nur<lb/>
darin zu &#x017F;uchen, daß wir die endlichen Wirkungen einer<lb/>
während vieler Millionen von Jahren thätigen Aktion<lb/>
natürlicher Kräfte in <hi rendition="#g">ein</hi> Ge&#x017F;ammtbild vereinigt vor uns<lb/>
&#x017F;ehen, und, indem wir nur an das Gegenwärtige, nicht<lb/>
an das Vergangene denken, uns auf den er&#x017F;ten Anblick<lb/>
nicht wohl vor&#x017F;tellen mögen, daß die Natur die&#x017F;es Alles<lb/>
aus &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t hervorgebracht habe. Aber dennoch i&#x017F;t<lb/>
die&#x017F;es &#x017F;o. Mag es auch im Einzelnen ge&#x017F;chehen &#x017F;ein,<lb/>
wie es wolle, das Ge&#x017F;etz der Aehnlichkeiten, der Proto-<lb/>
rypenbildung, der nothwendigen Abhängigkeit, welche die<lb/>
organi&#x017F;chen We&#x017F;en in Ent&#x017F;tehung und Form von den<lb/>
äußeren Zu&#x017F;tänden der Erdrinde zeigen, mit einem Wort<lb/>
die allmählige Hervorbildung höherer organi&#x017F;cher Formen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0109] auch nur gegründete Vermuthungen über das Nähere dieſes Verhältniſſes beſitzen wir heute nicht, und wir ſind weit entfernt, dieſe Unwiſſenheit nicht eingeſtehen zu wollen. Mag uns indeſſen noch ſo Vieles und Manches über die genauere Art der organiſchen Schöpfung unklar oder zweifelhaft ſein — ſo viel können wir doch mit Beſtimmt- heit ſagen, daß ſie ohne das Zuthun äußerer Gewalten vor ſich gegangen ſein kann und muß. Wenn uns dieſe Schöpfung heute, indem wir uns in der uns umgebenden Natur umſehen, über die Maßen imponirt, und der geiſtige Eindruck einer un- mittelbaren ſchaffenden Urſache ſich nicht immer abweiſen läßt, ſo iſt der Grund für dieſes Gefühl eben nur darin zu ſuchen, daß wir die endlichen Wirkungen einer während vieler Millionen von Jahren thätigen Aktion natürlicher Kräfte in ein Geſammtbild vereinigt vor uns ſehen, und, indem wir nur an das Gegenwärtige, nicht an das Vergangene denken, uns auf den erſten Anblick nicht wohl vorſtellen mögen, daß die Natur dieſes Alles aus ſich ſelbſt hervorgebracht habe. Aber dennoch iſt dieſes ſo. Mag es auch im Einzelnen geſchehen ſein, wie es wolle, das Geſetz der Aehnlichkeiten, der Proto- rypenbildung, der nothwendigen Abhängigkeit, welche die organiſchen Weſen in Entſtehung und Form von den äußeren Zuſtänden der Erdrinde zeigen, mit einem Wort die allmählige Hervorbildung höherer organiſcher Formen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/109
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/109>, abgerufen am 20.05.2024.