und denen, welche seine eigne Natur dem Einzelnen in jedem besonderen Falle vorschreibt (siehe Angeborne Jdeen). Dieser Unterschied hat in Geschichte und Dichtung von je die größten tragischen Motive abgegeben und wird sie jederzeit abgeben. Gäbe es wirklich ein objektives Recht, wie könnte da ein Unterschied zwischen Recht und Gesetz sein!
Unter diesen Umständen dürfte es kaum möglich sein, in jener Phrase "das Gute um seiner selbst willen thun," einen bestimmten Sinn, einen materiellen Gehalt aufzu- finden. Ein von Menschen gegebenes Gesetz befolgt man nicht um seiner selbst willen, sondern entweder in Folge der Erkenntniß, daß es ein nothwendiges Bedingniß zur Erhaltung der Staatsgesellschaft darstellt, oder aus Furcht vor Strafe. Es kann nur Mittel sein, nicht Selbstzweck. Ueberdem geht dem Begriff "Gut", wie wir nachgewiesen haben, jeder absolute, zwingende Werth ab, und er kann schon darum nicht als Selbstzweck definirt werden. Es ist durchaus nicht schwer für den Einzelnen, sich auf einen Punkt geistiger Betrachtung zu erheben, von wel- chem aus ihm überhaupt alle moralischen Begriffe als nichtbindend und unterschiedslos erscheinen, und dies beweißt deutlich genug für die Wahrheit, daß diese Begriffe unserem geistigen Wesen keineswegs immanent oder angeboren sind. Von diesem Punkte aus kann es dem Einzelnen ganz gleichgültig für sich selbst oder sein
und denen, welche ſeine eigne Natur dem Einzelnen in jedem beſonderen Falle vorſchreibt (ſiehe Angeborne Jdeen). Dieſer Unterſchied hat in Geſchichte und Dichtung von je die größten tragiſchen Motive abgegeben und wird ſie jederzeit abgeben. Gäbe es wirklich ein objektives Recht, wie könnte da ein Unterſchied zwiſchen Recht und Geſetz ſein!
Unter dieſen Umſtänden dürfte es kaum möglich ſein, in jener Phraſe „das Gute um ſeiner ſelbſt willen thun,‟ einen beſtimmten Sinn, einen materiellen Gehalt aufzu- finden. Ein von Menſchen gegebenes Geſetz befolgt man nicht um ſeiner ſelbſt willen, ſondern entweder in Folge der Erkenntniß, daß es ein nothwendiges Bedingniß zur Erhaltung der Staatsgeſellſchaft darſtellt, oder aus Furcht vor Strafe. Es kann nur Mittel ſein, nicht Selbſtzweck. Ueberdem geht dem Begriff „Gut‟, wie wir nachgewieſen haben, jeder abſolute, zwingende Werth ab, und er kann ſchon darum nicht als Selbſtzweck definirt werden. Es iſt durchaus nicht ſchwer für den Einzelnen, ſich auf einen Punkt geiſtiger Betrachtung zu erheben, von wel- chem aus ihm überhaupt alle moraliſchen Begriffe als nichtbindend und unterſchiedslos erſcheinen, und dies beweißt deutlich genug für die Wahrheit, daß dieſe Begriffe unſerem geiſtigen Weſen keineswegs immanent oder angeboren ſind. Von dieſem Punkte aus kann es dem Einzelnen ganz gleichgültig für ſich ſelbſt oder ſein
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und denen, welche ſeine eigne Natur dem Einzelnen in
jedem beſonderen Falle vorſchreibt (ſiehe Angeborne Jdeen).
Dieſer Unterſchied hat in Geſchichte und Dichtung von
je die größten tragiſchen Motive abgegeben und wird
ſie jederzeit abgeben. Gäbe es wirklich ein objektives
Recht, wie könnte da ein Unterſchied zwiſchen Recht
und Geſetz ſein!
Unter dieſen Umſtänden dürfte es kaum möglich ſein,
in jener Phraſe „das Gute um ſeiner ſelbſt willen thun,‟
einen beſtimmten Sinn, einen materiellen Gehalt aufzu-
finden. Ein von Menſchen gegebenes Geſetz befolgt man
nicht um ſeiner ſelbſt willen, ſondern entweder in Folge
der Erkenntniß, daß es ein nothwendiges Bedingniß zur
Erhaltung der Staatsgeſellſchaft darſtellt, oder aus Furcht
vor Strafe. Es kann nur Mittel ſein, nicht Selbſtzweck.
Ueberdem geht dem Begriff „Gut‟, wie wir nachgewieſen
haben, jeder abſolute, zwingende Werth ab, und er
kann ſchon darum nicht als Selbſtzweck definirt werden.
Es iſt durchaus nicht ſchwer für den Einzelnen, ſich auf
einen Punkt geiſtiger Betrachtung zu erheben, von wel-
chem aus ihm überhaupt alle moraliſchen Begriffe als
nichtbindend und unterſchiedslos erſcheinen, und dies
beweißt deutlich genug für die Wahrheit, daß dieſe
Begriffe unſerem geiſtigen Weſen keineswegs immanent
oder angeboren ſind. Von dieſem Punkte aus kann es
dem Einzelnen ganz gleichgültig für ſich ſelbſt oder ſein
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/267>, abgerufen am 19.05.2024.
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