1. Abschnitt.sogar der Uebergang an die Türken nicht mehr als etwas besonders Schreckliches erschien. Selbst wenn sie nur gegen drückende Regierungen damit gedroht haben sollten, so wäre dieß doch ein Zeichen, daß man mit dem Gedanken halben- weges vertraut geworden war. Schon um 1480 giebt Battista Mantovano deutlich zu verstehen, daß die meisten Anwohner der adriatischen Küste etwas der Art voraussähen und daß namentlich Ancona es wünsche 1). Als die Ro- magna unter Leo X. sich sehr bedrückt fühlte, sagte einst ein Abgeordneter von Ravenna dem Legaten Cardinal Giulio Medici ins Gesicht: "Monsignore, die erlauchte "Republik Venedig will uns nicht, um keinen Streit mit "der Kirche zu bekommen, wenn aber der Türke nach Ra- "gusa kommt, so werden wir uns ihm übergeben 2)."
Eine Aufgabe Spaniens.Angesichts der damals schon begonnenen Unterjochung Italiens durch die Spanier ist es ein leidiger aber doch gar nicht grundloser Trost, daß nunmehr das Land wenig- stens vor der Barbarisirung durch die Türken-Herrschaft geschützt war 3). Sich selber hätte es bei der Entzweiung seiner Herrscher schwerlich vor diesem Schicksal bewahrt.
Objectivität der Politik.Wenn man nach all Diesem von der damaligen ita- lienischen Staatskunst etwas Gutes sagen soll, so kann sich dies nur auf die objective, vorurtheilslose Behandlung solcher Fragen beziehen, welche nicht durch Furcht, Leiden-
1)Bapt. Mantuanus, de calamitatibus temporum, zu Ende des zweiten Buches, im Gesang der Nereide Doris an die türkische Flotte.
2)Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 55.
3) Ranke, Geschichten der romanischen und germanischen Völker. -- Michelet's Ansicht (Reforme, p. 467), die Türken würden sich in Italien occidentalisirt haben, überzeugt mich nicht. -- Vielleicht zum erstenmal ist jene Bestimmung Spaniens angedeutet in der Festrede welche Fedra Inghirami 1510 vor Julius II. hielt, zur Feier der Einnahme von Bugia durch die Flotte Ferdinands d. Cath. Vgl. Anecdota litteraria II, p. 149.
1. Abſchnitt.ſogar der Uebergang an die Türken nicht mehr als etwas beſonders Schreckliches erſchien. Selbſt wenn ſie nur gegen drückende Regierungen damit gedroht haben ſollten, ſo wäre dieß doch ein Zeichen, daß man mit dem Gedanken halben- weges vertraut geworden war. Schon um 1480 giebt Battiſta Mantovano deutlich zu verſtehen, daß die meiſten Anwohner der adriatiſchen Küſte etwas der Art vorausſähen und daß namentlich Ancona es wünſche 1). Als die Ro- magna unter Leo X. ſich ſehr bedrückt fühlte, ſagte einſt ein Abgeordneter von Ravenna dem Legaten Cardinal Giulio Medici ins Geſicht: „Monſignore, die erlauchte „Republik Venedig will uns nicht, um keinen Streit mit „der Kirche zu bekommen, wenn aber der Türke nach Ra- „guſa kommt, ſo werden wir uns ihm übergeben 2).“
Eine Aufgabe Spaniens.Angeſichts der damals ſchon begonnenen Unterjochung Italiens durch die Spanier iſt es ein leidiger aber doch gar nicht grundloſer Troſt, daß nunmehr das Land wenig- ſtens vor der Barbariſirung durch die Türken-Herrſchaft geſchützt war 3). Sich ſelber hätte es bei der Entzweiung ſeiner Herrſcher ſchwerlich vor dieſem Schickſal bewahrt.
Objectivität der Politik.Wenn man nach all Dieſem von der damaligen ita- lieniſchen Staatskunſt etwas Gutes ſagen ſoll, ſo kann ſich dies nur auf die objective, vorurtheilsloſe Behandlung ſolcher Fragen beziehen, welche nicht durch Furcht, Leiden-
1)Bapt. Mantuanus, de calamitatibus temporum, zu Ende des zweiten Buches, im Geſang der Nereide Doris an die türkiſche Flotte.
2)Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 55.
3) Ranke, Geſchichten der romaniſchen und germaniſchen Völker. — Michelet's Anſicht (Réforme, p. 467), die Türken würden ſich in Italien occidentaliſirt haben, überzeugt mich nicht. — Vielleicht zum erſtenmal iſt jene Beſtimmung Spaniens angedeutet in der Feſtrede welche Fedra Inghirami 1510 vor Julius II. hielt, zur Feier der Einnahme von Bugia durch die Flotte Ferdinands d. Cath. Vgl. Anecdota litteraria II, p. 149.
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dieß doch ein Zeichen, daß man mit dem Gedanken halben-
weges vertraut geworden war. Schon um 1480 giebt
Battiſta Mantovano deutlich zu verſtehen, daß die meiſten
Anwohner der adriatiſchen Küſte etwas der Art vorausſähen
und daß namentlich Ancona es wünſche 1). Als die Ro-
magna unter Leo X. ſich ſehr bedrückt fühlte, ſagte einſt
ein Abgeordneter von Ravenna dem Legaten Cardinal
Giulio Medici ins Geſicht: „Monſignore, die erlauchte
„Republik Venedig will uns nicht, um keinen Streit mit
„der Kirche zu bekommen, wenn aber der Türke nach Ra-
„guſa kommt, ſo werden wir uns ihm übergeben 2).“
1. Abſchnitt.
Angeſichts der damals ſchon begonnenen Unterjochung
Italiens durch die Spanier iſt es ein leidiger aber doch
gar nicht grundloſer Troſt, daß nunmehr das Land wenig-
ſtens vor der Barbariſirung durch die Türken-Herrſchaft
geſchützt war 3). Sich ſelber hätte es bei der Entzweiung
ſeiner Herrſcher ſchwerlich vor dieſem Schickſal bewahrt.
Eine Aufgabe
Spaniens.
Wenn man nach all Dieſem von der damaligen ita-
lieniſchen Staatskunſt etwas Gutes ſagen ſoll, ſo kann ſich
dies nur auf die objective, vorurtheilsloſe Behandlung
ſolcher Fragen beziehen, welche nicht durch Furcht, Leiden-
Objectivität
der Politik.
1) Bapt. Mantuanus, de calamitatibus temporum, zu Ende des
zweiten Buches, im Geſang der Nereide Doris an die türkiſche Flotte.
2) Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 55.
3) Ranke, Geſchichten der romaniſchen und germaniſchen Völker. —
Michelet's Anſicht (Réforme, p. 467), die Türken würden ſich in
Italien occidentaliſirt haben, überzeugt mich nicht. — Vielleicht zum
erſtenmal iſt jene Beſtimmung Spaniens angedeutet in der Feſtrede
welche Fedra Inghirami 1510 vor Julius II. hielt, zur Feier der
Einnahme von Bugia durch die Flotte Ferdinands d. Cath. Vgl.
Anecdota litteraria II, p. 149.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/106>, abgerufen am 13.06.2024.
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