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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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blumichte. Der Sinn beyder Worte ist verschieden, doch p1c_351.002
wird der Dichter immer das erste wählen. Selbst die flüssigen p1c_351.003
Consonanten werden unangenehm, wenn sie ohne Grund p1c_351.004
aus bloßer Nachlässigkeit wiederkehren. Non il n'y - a p1c_351.005
rien, que Nanine n'honore - Iam satis terris nivis p1c_351.006
atque dirae grandinis. Hor
. Dieß mißfiel einigen p1c_351.007
so, daß sie tetrae lesen wollten statt terris, welches aber p1c_351.008
zu viel Aehnlichkeit mit dirae hat. Venusina digna lucerna. p1c_351.009
Iuvenal
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Anmerk. 3. Der Reim ist eine Aehnlichkeit p1c_351.011
im Klange der Sylben. Wenn diese Aehnlichkeit ohne p1c_351.012
Grund und Gesetz aus bloßer Nachlässigkeit entsteht, so fällt p1c_351.013
dies auf und verursacht eine Art Mißbehagen, weil man p1c_351.014
dergleichen nicht erwarten konnte, zumal wenn die Wortstellung p1c_351.015
besonders aufmerksam darauf macht. O fortunatam p1c_351.016
natam me Consule Romam. Cicero. mousai p1c_351.017
Pieriethen aoidesi kleiousai. Hesiod. espepe nun p1c_351.018
moi mousai, olumpia domat' ekhousai. Homer. Non p1c_351.019
satis est pulcra esse poemata, dulcia sunto, et p1c_351.020
quocunque volent animum auditoris agunto. Horat. p1c_351.021
Quot coelum stellas tot habet tua Roma puellas. p1c_351.022
Ovid. Quin etiam absenti prosunt tibi cynthia p1c_351.023
venti. Propert. Diligo praestantem, non odi Cinna p1c_351.024
negantem. Martial. Tollentemque minas et sibila p1c_351.025
colla tumentem - Sed neque currentem se, nec p1c_351.026
cognoscit euntem, tollentemve manu saxumque immane p1c_351.027
moventem. Virg
. Doch scheint das omoioteleuton p1c_351.028
hier zuweilen mit Fleiß angebracht und nicht ohne Grund

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Πιεριηθεν ἀοιδησι κλειουσαι. Hesiod. ἐσπεπε νυν p1c_351.018
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/409>, abgerufen am 03.06.2024.