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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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Reime. Das that auch Wieland und gab seiner achtzeiligen p1c_371.002
Stanze im Oberon eine freyere Form, ließ männliche p1c_371.003
und weibliche Reime in längern und kürzern Versen abwechseln p1c_371.004
und die gleichen Reime oft zusammenfallen. So p1c_371.005
ersetzte er, was der deutschen Stanze an musikalischer p1c_371.006
Weichheit abging, durch Leichtigkeit und Kraft. Das p1c_371.007
Einzige bleibt jedoch zu wünschen übrig, daß die deutsche p1c_371.008
Stanze die Chiave oder das weibliche Schlußdistichon regelmäßig p1c_371.009
beybehielte. Dadurch bekommt jeder Periode, jede p1c_371.010
Stanze einen so ruhigen Schluß, der für das erzählende p1c_371.011
Gedicht durchgängig anzurathen ist. Wieland hat dies nicht p1c_371.012
beobachtet. Allein die Stanzen, wo er es thut, sind immer p1c_371.013
vorzüglicher, als andre. Die eigentliche Ottava hat, p1c_371.014
wie Schiller vortrefflich sagt, die Liebe geschaffen. Daher p1c_371.015
muß sie auch nur für höhere lyrische Gegenstände aufbehalten p1c_371.016
werden, und vor allen Dingen für kleinere Stücke, wo p1c_371.017
eine Art Zwang zur Ründung, nicht zur Gezwungenheit p1c_371.018
wird. d) Die Sonnette haben auch ein regelmäßiges p1c_371.019
Reimsystem. Sie bestehen aus zwey Quatrains, in denen p1c_371.020
sich je vier Reime correspondiren, und zwey Terzetten, in p1c_371.021
denen sich wenigstens ein Reim correspondiren muß. Beym p1c_371.022
Petrark correspondiren sich auch gewöhnlich alle drey Reime p1c_371.023
der Terzetten. Mit diesen vierzehn Versen ist das Gedicht p1c_371.024
beschlossen. Für die Weichheit des Sonnets sind selbst im p1c_371.025
Deutschen die abwechselnden weiblichen Ausgänge anzuempfehlen. p1c_371.026
e) Das Rondeau ward besonders von den p1c_371.027
Franzosen zu den Zeiten des Marot in Aufnahme gebracht. p1c_371.028
Es besteht aus drey Couplets, das erste von fünf, das

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Reime. Das that auch Wieland und gab seiner achtzeiligen p1c_371.002
Stanze im Oberon eine freyere Form, ließ männliche p1c_371.003
und weibliche Reime in längern und kürzern Versen abwechseln p1c_371.004
und die gleichen Reime oft zusammenfallen. So p1c_371.005
ersetzte er, was der deutschen Stanze an musikalischer p1c_371.006
Weichheit abging, durch Leichtigkeit und Kraft. Das p1c_371.007
Einzige bleibt jedoch zu wünschen übrig, daß die deutsche p1c_371.008
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beybehielte. Dadurch bekommt jeder Periode, jede p1c_371.010
Stanze einen so ruhigen Schluß, der für das erzählende p1c_371.011
Gedicht durchgängig anzurathen ist. Wieland hat dies nicht p1c_371.012
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vorzüglicher, als andre. Die eigentliche Ottava hat, p1c_371.014
wie Schiller vortrefflich sagt, die Liebe geschaffen. Daher p1c_371.015
muß sie auch nur für höhere lyrische Gegenstände aufbehalten p1c_371.016
werden, und vor allen Dingen für kleinere Stücke, wo p1c_371.017
eine Art Zwang zur Ründung, nicht zur Gezwungenheit p1c_371.018
wird. d) Die Sonnette haben auch ein regelmäßiges p1c_371.019
Reimsystem. Sie bestehen aus zwey Quatrains, in denen p1c_371.020
sich je vier Reime correspondiren, und zwey Terzetten, in p1c_371.021
denen sich wenigstens ein Reim correspondiren muß. Beym p1c_371.022
Petrark correspondiren sich auch gewöhnlich alle drey Reime p1c_371.023
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/429>, abgerufen am 03.06.2024.