Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846.Die vorgesetzte Dienstbehörde. gen Urtheilssinn, wie ich ihn selten unter solchen Leutengefunden habe. Ich bin überzeugt, daß der Mensch zu höchst Bedeutendem berufen war, aber seine Armuth fesselte ihn in den Koth der Gesellschaft und ließ seine Gaben unbenutzt verderben. Eines Morgens trat Schwind, so hieß der Schuster, "Der Herr Doktor haben sich wohl gewundert," Diese Einleitung setzte mich in neugierige Verwunde¬ Die vorgeſetzte Dienſtbehoͤrde. gen Urtheilsſinn, wie ich ihn ſelten unter ſolchen Leutengefunden habe. Ich bin uͤberzeugt, daß der Menſch zu hoͤchſt Bedeutendem berufen war, aber ſeine Armuth feſſelte ihn in den Koth der Geſellſchaft und ließ ſeine Gaben unbenutzt verderben. Eines Morgens trat Schwind, ſo hieß der Schuſter, „Der Herr Doktor haben ſich wohl gewundert,“ Dieſe Einleitung ſetzte mich in neugierige Verwunde¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0140" n="126"/><fw place="top" type="header">Die vorgeſetzte Dienſtbehoͤrde.<lb/></fw>gen Urtheilsſinn, wie ich ihn ſelten unter ſolchen Leuten<lb/> gefunden habe. Ich bin uͤberzeugt, daß der Menſch zu<lb/> hoͤchſt Bedeutendem berufen war, aber ſeine Armuth<lb/> feſſelte ihn in den Koth der Geſellſchaft und ließ ſeine<lb/> Gaben unbenutzt verderben.</p><lb/> <p>Eines Morgens trat Schwind, ſo hieß der Schuſter,<lb/> mit ſehr verlegener Miene in mein Zimmer, nachdem er<lb/> den Tag vorher ausgeblieben war. Statt wie ſonſt mir<lb/> ſogleich ſeine Neuigkeiten aufzutiſchen, nahm er nach kur¬<lb/> zem Gruß die Kleider, und begab ſich mit auffallender<lb/> Schweigſamkeit auf den Korridor, von wo ich bald das<lb/> Geraͤuſch ſeiner eifrigen Buͤrſte vernahm. Als er wieder<lb/> hereinkam, hing er die Sachen an ihren gewoͤhnlichen<lb/> Ort, und machte ſich, da ich von meiner Arbeit nicht<lb/> aufblickte, noch einen Vorwand der Beſchaͤftigung.</p><lb/> <p>„Der Herr Doktor haben ſich wohl gewundert,“<lb/> ſagte er endlich, daß ich geſtern morgen nicht zur Auf¬<lb/> wartung gekommen bin. Aber wahrhaftig, ich war nicht<lb/> Schuld daran, daß ich die Nacht auf der Polizei geſeſſen<lb/> habe.“ —</p><lb/> <p>Dieſe Einleitung ſetzte mich in neugierige Verwunde¬<lb/> rung, denn ich kannte Schwind als einen ordentlichen<lb/> ruhigen Menſchen. Ich ſchob meine Akten zur Seite<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [126/0140]
Die vorgeſetzte Dienſtbehoͤrde.
gen Urtheilsſinn, wie ich ihn ſelten unter ſolchen Leuten
gefunden habe. Ich bin uͤberzeugt, daß der Menſch zu
hoͤchſt Bedeutendem berufen war, aber ſeine Armuth
feſſelte ihn in den Koth der Geſellſchaft und ließ ſeine
Gaben unbenutzt verderben.
Eines Morgens trat Schwind, ſo hieß der Schuſter,
mit ſehr verlegener Miene in mein Zimmer, nachdem er
den Tag vorher ausgeblieben war. Statt wie ſonſt mir
ſogleich ſeine Neuigkeiten aufzutiſchen, nahm er nach kur¬
zem Gruß die Kleider, und begab ſich mit auffallender
Schweigſamkeit auf den Korridor, von wo ich bald das
Geraͤuſch ſeiner eifrigen Buͤrſte vernahm. Als er wieder
hereinkam, hing er die Sachen an ihren gewoͤhnlichen
Ort, und machte ſich, da ich von meiner Arbeit nicht
aufblickte, noch einen Vorwand der Beſchaͤftigung.
„Der Herr Doktor haben ſich wohl gewundert,“
ſagte er endlich, daß ich geſtern morgen nicht zur Auf¬
wartung gekommen bin. Aber wahrhaftig, ich war nicht
Schuld daran, daß ich die Nacht auf der Polizei geſeſſen
habe.“ —
Dieſe Einleitung ſetzte mich in neugierige Verwunde¬
rung, denn ich kannte Schwind als einen ordentlichen
ruhigen Menſchen. Ich ſchob meine Akten zur Seite
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Zitationshilfe: | Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/140>, abgerufen am 10.06.2024. |