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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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zwischen die Schultern ziehend und mit aller Macht
nach dem Ausgange strebend. -- "Was ist's? was
habt ihr mit unserm Johannes?" rief Friedrich
gebieterisch.

"Das sollt Ihr früh genug gewahr werden,"
keuchte ein altes Weib mit der Küchenschürze und
einem Wischhader in der Hand. -- Schande! Jo-
hannes, der arme Teufel, dem zu Hause das Schlech-
teste gut genug sein mußte, hatte versucht, sich ein
halbes Pfündchen Butter für die kommende Dürre
zu sichern, und ohne daran zu denken, daß er es,
sauber in sein Schnupftuch gewickelt, in der Tasche
geborgen, war er an's Küchenfeuer getreten und nun
rann das Fett schmählich die Rockschöße entlang.

Allgemeiner Aufruhr; die Mädchen sprangen zu-
rück, aus Furcht, sich zu beschmutzen, oder stießen den
Delinquenten vorwärts. Andere machten Platz, so-
wohl aus Mitleid als Vorsicht. Aber Friedrich trat
vor: "Lumpenhund!" rief er; ein paar derbe Maul-
schellen trafen den geduldigen Schützling; dann stieß
er ihn an die Thür und gab ihm einen tüchtigen
Fußtritt mit auf den Weg. Er kehrte niederge-
schlagen zurück; seine Würde war verletzt, das all-
gemeine Gelächter schnitt ihm durch die Seele, ob
er sich gleich durch einen tapfern Juchheschrei wieder
in den Gang zu bringen suchte -- es wollte nicht
mehr recht gehen. Er war im Begriff, sich wieder

zwiſchen die Schultern ziehend und mit aller Macht
nach dem Ausgange ſtrebend. — „Was iſt’s? was
habt ihr mit unſerm Johannes?“ rief Friedrich
gebieteriſch.

„Das ſollt Ihr früh genug gewahr werden,“
keuchte ein altes Weib mit der Küchenſchürze und
einem Wiſchhader in der Hand. — Schande! Jo-
hannes, der arme Teufel, dem zu Hauſe das Schlech-
teſte gut genug ſein mußte, hatte verſucht, ſich ein
halbes Pfündchen Butter für die kommende Dürre
zu ſichern, und ohne daran zu denken, daß er es,
ſauber in ſein Schnupftuch gewickelt, in der Taſche
geborgen, war er an’s Küchenfeuer getreten und nun
rann das Fett ſchmählich die Rockſchöße entlang.

Allgemeiner Aufruhr; die Mädchen ſprangen zu-
rück, aus Furcht, ſich zu beſchmutzen, oder ſtießen den
Delinquenten vorwärts. Andere machten Platz, ſo-
wohl aus Mitleid als Vorſicht. Aber Friedrich trat
vor: „Lumpenhund!“ rief er; ein paar derbe Maul-
ſchellen trafen den geduldigen Schützling; dann ſtieß
er ihn an die Thür und gab ihm einen tüchtigen
Fußtritt mit auf den Weg. Er kehrte niederge-
ſchlagen zurück; ſeine Würde war verletzt, das all-
gemeine Gelächter ſchnitt ihm durch die Seele, ob
er ſich gleich durch einen tapfern Juchheſchrei wieder
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[197/0213] zwiſchen die Schultern ziehend und mit aller Macht nach dem Ausgange ſtrebend. — „Was iſt’s? was habt ihr mit unſerm Johannes?“ rief Friedrich gebieteriſch. „Das ſollt Ihr früh genug gewahr werden,“ keuchte ein altes Weib mit der Küchenſchürze und einem Wiſchhader in der Hand. — Schande! Jo- hannes, der arme Teufel, dem zu Hauſe das Schlech- teſte gut genug ſein mußte, hatte verſucht, ſich ein halbes Pfündchen Butter für die kommende Dürre zu ſichern, und ohne daran zu denken, daß er es, ſauber in ſein Schnupftuch gewickelt, in der Taſche geborgen, war er an’s Küchenfeuer getreten und nun rann das Fett ſchmählich die Rockſchöße entlang. Allgemeiner Aufruhr; die Mädchen ſprangen zu- rück, aus Furcht, ſich zu beſchmutzen, oder ſtießen den Delinquenten vorwärts. Andere machten Platz, ſo- wohl aus Mitleid als Vorſicht. Aber Friedrich trat vor: „Lumpenhund!“ rief er; ein paar derbe Maul- ſchellen trafen den geduldigen Schützling; dann ſtieß er ihn an die Thür und gab ihm einen tüchtigen Fußtritt mit auf den Weg. Er kehrte niederge- ſchlagen zurück; ſeine Würde war verletzt, das all- gemeine Gelächter ſchnitt ihm durch die Seele, ob er ſich gleich durch einen tapfern Juchheſchrei wieder in den Gang zu bringen ſuchte — es wollte nicht mehr recht gehen. Er war im Begriff, ſich wieder

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/213>, abgerufen am 20.05.2024.