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Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868.

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und Sicherheit in der Handhabung der historischen Kritik, der Ergeb-
nisse, die damit erzielt worden sind, zu verkennen. Die Frage, um
die es sich hier handelt, ist eine andere. Ein Werk wie das Buckle's
ist sehr geeignet daran zu erinnern, in welchem Maass unklar, controvers,
beliebigen Meinungen ausgesetzt die Fundamente unserer Wissenschaft
sind. Und der tiefe Eindruck, den dasselbe nicht bloss in dem weiten
Kreise der Liebhaber jeder neuesten Paradoxie, mag sie Tischklopfen
oder Phalanstere oder das Oelblatt der Friedensfreunde heissen, son-
dern auch auf manche jüngeren Genossen unserer Studien gemacht hat,
darf uns wohl eine Mahnung sein, endlich auch für unsere Wissenschaft
die Begründung zu suchen, um die uns die Naturwissenschaften seit
Bacon -- wenn anders er diesen Ruhm verdient -- voraus sind.

Oder wäre eben das geleistet zu haben Buckle's Verdienst? hätte
er den wahren Sinn und Begriff unserer Disciplinen entwickelt, den
Bereich ihrer Competenzen festgestellt? wäre er der Bacon der Ge-
schichtswissenschaften und sein Werk das Organon, das uns geschicht-
lich denken lehrte? wäre in der Methode, die er lehrt, die Kraft, aus
den Bereichen der geschichtlichen Erkenntniss die idola specus, fori,
theatri u. s. w. zu entfernen, die uns jetzt noch in der Gestalt der
"Irrthümer", wie er sie nennt, vom freien Willen und der göttlichen
Providenz, der Ueberschätzung des moralischen Princips im Verhältniss
zum intellectuellen u. s. w. den Blick trüben? Und hätte er wirklich
recht damit, wenn er sich für den interessantesten Theil seiner Fun-
damentalsätze, für die vom freien Willen, auf unsern Kant beruft, der
wie er -- das ist seine Ansicht -- "die Wirklichkeit des freien Willens
in der Erscheinung für eine unhaltbare Thatsache" erkannt habe? ge-
hörte ihm damit die Priorität der jüngst in Deutschland mit so leb-
haftem Accent verkündeten Entdeckung, Kant's Lehre enthalte genau
das Gegentheil von dem, was man bisher in ihr zu finden geglaubt
habe, das Ergebniss der Kritik der reinen Vernunft und der prak-
tischen Vernunft sei, dass die eine so gut wie die andere in Wahr-
heit nicht sei?

Schon der Uebersetzer des Buckle'schen Werkes hat darauf auf-
merksam gemacht, dass bis jetzt die Kantische Philosophie die äusserste
Grenze sei, bis zu der sich die englischen Denker vorwagen; er nennt
die Philosophie Buckle's "ein unvollkommenes Denken, welches selbst

und Sicherheit in der Handhabung der historischen Kritik, der Ergeb-
nisse, die damit erzielt worden sind, zu verkennen. Die Frage, um
die es sich hier handelt, ist eine andere. Ein Werk wie das Buckle’s
ist sehr geeignet daran zu erinnern, in welchem Maass unklar, controvers,
beliebigen Meinungen ausgesetzt die Fundamente unserer Wissenschaft
sind. Und der tiefe Eindruck, den dasselbe nicht bloss in dem weiten
Kreise der Liebhaber jeder neuesten Paradoxie, mag sie Tischklopfen
oder Phalanstère oder das Oelblatt der Friedensfreunde heissen, son-
dern auch auf manche jüngeren Genossen unserer Studien gemacht hat,
darf uns wohl eine Mahnung sein, endlich auch für unsere Wissenschaft
die Begründung zu suchen, um die uns die Naturwissenschaften seit
Bacon — wenn anders er diesen Ruhm verdient — voraus sind.

Oder wäre eben das geleistet zu haben Buckle’s Verdienst? hätte
er den wahren Sinn und Begriff unserer Disciplinen entwickelt, den
Bereich ihrer Competenzen festgestellt? wäre er der Bacon der Ge-
schichtswissenschaften und sein Werk das Organon, das uns geschicht-
lich denken lehrte? wäre in der Methode, die er lehrt, die Kraft, aus
den Bereichen der geschichtlichen Erkenntniss die idola specus, fori,
theatri u. s. w. zu entfernen, die uns jetzt noch in der Gestalt der
„Irrthümer“, wie er sie nennt, vom freien Willen und der göttlichen
Providenz, der Ueberschätzung des moralischen Princips im Verhältniss
zum intellectuellen u. s. w. den Blick trüben? Und hätte er wirklich
recht damit, wenn er sich für den interessantesten Theil seiner Fun-
damentalsätze, für die vom freien Willen, auf unsern Kant beruft, der
wie er — das ist seine Ansicht — „die Wirklichkeit des freien Willens
in der Erscheinung für eine unhaltbare Thatsache“ erkannt habe? ge-
hörte ihm damit die Priorität der jüngst in Deutschland mit so leb-
haftem Accent verkündeten Entdeckung, Kant’s Lehre enthalte genau
das Gegentheil von dem, was man bisher in ihr zu finden geglaubt
habe, das Ergebniss der Kritik der reinen Vernunft und der prak-
tischen Vernunft sei, dass die eine so gut wie die andere in Wahr-
heit nicht sei?

Schon der Uebersetzer des Buckle’schen Werkes hat darauf auf-
merksam gemacht, dass bis jetzt die Kantische Philosophie die äusserste
Grenze sei, bis zu der sich die englischen Denker vorwagen; er nennt
die Philosophie Buckle’s „ein unvollkommenes Denken, welches selbst

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[45/0054] und Sicherheit in der Handhabung der historischen Kritik, der Ergeb- nisse, die damit erzielt worden sind, zu verkennen. Die Frage, um die es sich hier handelt, ist eine andere. Ein Werk wie das Buckle’s ist sehr geeignet daran zu erinnern, in welchem Maass unklar, controvers, beliebigen Meinungen ausgesetzt die Fundamente unserer Wissenschaft sind. Und der tiefe Eindruck, den dasselbe nicht bloss in dem weiten Kreise der Liebhaber jeder neuesten Paradoxie, mag sie Tischklopfen oder Phalanstère oder das Oelblatt der Friedensfreunde heissen, son- dern auch auf manche jüngeren Genossen unserer Studien gemacht hat, darf uns wohl eine Mahnung sein, endlich auch für unsere Wissenschaft die Begründung zu suchen, um die uns die Naturwissenschaften seit Bacon — wenn anders er diesen Ruhm verdient — voraus sind. Oder wäre eben das geleistet zu haben Buckle’s Verdienst? hätte er den wahren Sinn und Begriff unserer Disciplinen entwickelt, den Bereich ihrer Competenzen festgestellt? wäre er der Bacon der Ge- schichtswissenschaften und sein Werk das Organon, das uns geschicht- lich denken lehrte? wäre in der Methode, die er lehrt, die Kraft, aus den Bereichen der geschichtlichen Erkenntniss die idola specus, fori, theatri u. s. w. zu entfernen, die uns jetzt noch in der Gestalt der „Irrthümer“, wie er sie nennt, vom freien Willen und der göttlichen Providenz, der Ueberschätzung des moralischen Princips im Verhältniss zum intellectuellen u. s. w. den Blick trüben? Und hätte er wirklich recht damit, wenn er sich für den interessantesten Theil seiner Fun- damentalsätze, für die vom freien Willen, auf unsern Kant beruft, der wie er — das ist seine Ansicht — „die Wirklichkeit des freien Willens in der Erscheinung für eine unhaltbare Thatsache“ erkannt habe? ge- hörte ihm damit die Priorität der jüngst in Deutschland mit so leb- haftem Accent verkündeten Entdeckung, Kant’s Lehre enthalte genau das Gegentheil von dem, was man bisher in ihr zu finden geglaubt habe, das Ergebniss der Kritik der reinen Vernunft und der prak- tischen Vernunft sei, dass die eine so gut wie die andere in Wahr- heit nicht sei? Schon der Uebersetzer des Buckle’schen Werkes hat darauf auf- merksam gemacht, dass bis jetzt die Kantische Philosophie die äusserste Grenze sei, bis zu der sich die englischen Denker vorwagen; er nennt die Philosophie Buckle’s „ein unvollkommenes Denken, welches selbst

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_historik_1868/54>, abgerufen am 31.10.2024.