Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Abends war ich im Theater, wo ich zum ersten Mal
den Wallenstein sah. Goethe hatte nicht zuviel ge¬
sagt; der Eindruck war groß und mein tiefstes Innere
aufregend. Die Schauspieler, größtentheils noch aus
der Zeit, wo Schiller und Goethe persönlich auf sie
einwirkten, brachten mir ein Ensemble bedeutender Per¬
sonen vor Augen, wie sie, beym Lesen, meiner Einbil¬
dungskraft nicht mit der Individualität erschienen waren,
weßhalb denn das Stück mit außerordentlicher Kraft an
mir vorüberging und ich es sogar während der Nacht
nicht aus dem Sinn brachte.


Abends bey Goethe. Er saß noch in seinem Lehn¬
stuhl und schien ein wenig schwach. Seine erste Frage
war nach dem Wallenstein. Ich gab ihm Rechen¬
schaft von dem Eindruck, den das Stück von der Bühne
herunter auf mich gemacht; er hörte es mit sichtbarer
Freude.

Herr Soret kam, von Frau von Goethe hereinge¬
führt, und blieb ein Stündchen, indem er im Auftrag
des Großherzogs goldene Medaillen brachte, deren Vor¬
zeigung und Besprechung Goethen eine angenehme Un¬
terhaltung zu gewähren schien.

Abends war ich im Theater, wo ich zum erſten Mal
den Wallenſtein ſah. Goethe hatte nicht zuviel ge¬
ſagt; der Eindruck war groß und mein tiefſtes Innere
aufregend. Die Schauſpieler, groͤßtentheils noch aus
der Zeit, wo Schiller und Goethe perſoͤnlich auf ſie
einwirkten, brachten mir ein Enſemble bedeutender Per¬
ſonen vor Augen, wie ſie, beym Leſen, meiner Einbil¬
dungskraft nicht mit der Individualitaͤt erſchienen waren,
weßhalb denn das Stuͤck mit außerordentlicher Kraft an
mir voruͤberging und ich es ſogar waͤhrend der Nacht
nicht aus dem Sinn brachte.


Abends bey Goethe. Er ſaß noch in ſeinem Lehn¬
ſtuhl und ſchien ein wenig ſchwach. Seine erſte Frage
war nach dem Wallenſtein. Ich gab ihm Rechen¬
ſchaft von dem Eindruck, den das Stuͤck von der Buͤhne
herunter auf mich gemacht; er hoͤrte es mit ſichtbarer
Freude.

Herr Soret kam, von Frau von Goethe hereinge¬
fuͤhrt, und blieb ein Stuͤndchen, indem er im Auftrag
des Großherzogs goldene Medaillen brachte, deren Vor¬
zeigung und Beſprechung Goethen eine angenehme Un¬
terhaltung zu gewaͤhren ſchien.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0110" n="90"/>
        </div>
        <div n="2">
          <dateline rendition="#right">Sonnabend den 15. November 18<supplied>2</supplied><supplied>3</supplied>.<lb/></dateline>
          <p>Abends war ich im Theater, wo ich zum er&#x017F;ten Mal<lb/>
den <hi rendition="#g">Wallen&#x017F;tein</hi> &#x017F;ah. Goethe hatte nicht zuviel ge¬<lb/>
&#x017F;agt; der Eindruck war groß und mein tief&#x017F;tes Innere<lb/>
aufregend. Die Schau&#x017F;pieler, gro&#x0364;ßtentheils noch aus<lb/>
der Zeit, wo Schiller und Goethe per&#x017F;o&#x0364;nlich auf &#x017F;ie<lb/>
einwirkten, brachten mir ein En&#x017F;emble bedeutender Per¬<lb/>
&#x017F;onen vor Augen, wie &#x017F;ie, beym Le&#x017F;en, meiner Einbil¬<lb/>
dungskraft nicht mit der Individualita&#x0364;t er&#x017F;chienen waren,<lb/>
weßhalb denn das Stu&#x0364;ck mit außerordentlicher Kraft an<lb/>
mir voru&#x0364;berging und ich es &#x017F;ogar wa&#x0364;hrend der Nacht<lb/>
nicht aus dem Sinn brachte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <dateline rendition="#right">Sonntag den 16. November 1823.<lb/></dateline>
          <p>Abends bey Goethe. Er &#x017F;aß noch in &#x017F;einem Lehn¬<lb/>
&#x017F;tuhl und &#x017F;chien ein wenig &#x017F;chwach. Seine er&#x017F;te Frage<lb/>
war nach dem Wallen&#x017F;tein. Ich gab ihm Rechen¬<lb/>
&#x017F;chaft von dem Eindruck, den das Stu&#x0364;ck von der Bu&#x0364;hne<lb/>
herunter auf mich gemacht; er ho&#x0364;rte es mit &#x017F;ichtbarer<lb/>
Freude.</p><lb/>
          <p>Herr <hi rendition="#g">Soret</hi> kam, von Frau von Goethe hereinge¬<lb/>
fu&#x0364;hrt, und blieb ein Stu&#x0364;ndchen, indem er im Auftrag<lb/>
des Großherzogs goldene Medaillen brachte, deren Vor¬<lb/>
zeigung und Be&#x017F;prechung Goethen eine angenehme Un¬<lb/>
terhaltung zu gewa&#x0364;hren &#x017F;chien.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0110] Sonnabend den 15. November 1823. Abends war ich im Theater, wo ich zum erſten Mal den Wallenſtein ſah. Goethe hatte nicht zuviel ge¬ ſagt; der Eindruck war groß und mein tiefſtes Innere aufregend. Die Schauſpieler, groͤßtentheils noch aus der Zeit, wo Schiller und Goethe perſoͤnlich auf ſie einwirkten, brachten mir ein Enſemble bedeutender Per¬ ſonen vor Augen, wie ſie, beym Leſen, meiner Einbil¬ dungskraft nicht mit der Individualitaͤt erſchienen waren, weßhalb denn das Stuͤck mit außerordentlicher Kraft an mir voruͤberging und ich es ſogar waͤhrend der Nacht nicht aus dem Sinn brachte. Sonntag den 16. November 1823. Abends bey Goethe. Er ſaß noch in ſeinem Lehn¬ ſtuhl und ſchien ein wenig ſchwach. Seine erſte Frage war nach dem Wallenſtein. Ich gab ihm Rechen¬ ſchaft von dem Eindruck, den das Stuͤck von der Buͤhne herunter auf mich gemacht; er hoͤrte es mit ſichtbarer Freude. Herr Soret kam, von Frau von Goethe hereinge¬ fuͤhrt, und blieb ein Stuͤndchen, indem er im Auftrag des Großherzogs goldene Medaillen brachte, deren Vor¬ zeigung und Beſprechung Goethen eine angenehme Un¬ terhaltung zu gewaͤhren ſchien.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/110
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/110>, abgerufen am 31.10.2024.