Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Als ich darauf später mit Goethe allein war, fragte
er mich über Zelter. "Nun, sagte er, wie gefällt er
Ihnen?" Ich sprach über das durchaus Wohlthätige
seiner Persönlichkeit. "Er kann, fügte Goethe hinzu,
bey der ersten Bekanntschaft etwas sehr derbe, ja mit¬
unter sogar etwas roh erscheinen. Allein das ist nur
äußerlich. Ich kenne kaum jemanden, der zugleich so
zart wäre wie Zelter. Und dabey muß man nicht ver¬
gessen, daß er über ein halbes Jahrhundert in Berlin
zugebracht hat. Es lebt aber, wie ich an allem merke,
dort ein so verwegener Menschenschlag beysammen, daß
man mit der Delicatesse nicht weit reicht, sondern daß
man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas
grob seyn muß, um sich über Wasser zu halten."


Als ich darauf ſpaͤter mit Goethe allein war, fragte
er mich uͤber Zelter. „Nun, ſagte er, wie gefaͤllt er
Ihnen?“ Ich ſprach uͤber das durchaus Wohlthaͤtige
ſeiner Perſoͤnlichkeit. „Er kann, fuͤgte Goethe hinzu,
bey der erſten Bekanntſchaft etwas ſehr derbe, ja mit¬
unter ſogar etwas roh erſcheinen. Allein das iſt nur
aͤußerlich. Ich kenne kaum jemanden, der zugleich ſo
zart waͤre wie Zelter. Und dabey muß man nicht ver¬
geſſen, daß er uͤber ein halbes Jahrhundert in Berlin
zugebracht hat. Es lebt aber, wie ich an allem merke,
dort ein ſo verwegener Menſchenſchlag beyſammen, daß
man mit der Delicateſſe nicht weit reicht, ſondern daß
man Haare auf den Zaͤhnen haben und mitunter etwas
grob ſeyn muß, um ſich uͤber Waſſer zu halten.“


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0122" n="102"/>
          <p>Als ich darauf &#x017F;pa&#x0364;ter mit Goethe allein war, fragte<lb/>
er mich u&#x0364;ber Zelter. &#x201E;Nun, &#x017F;agte er, wie gefa&#x0364;llt er<lb/>
Ihnen?&#x201C; Ich &#x017F;prach u&#x0364;ber das durchaus Wohltha&#x0364;tige<lb/>
&#x017F;einer Per&#x017F;o&#x0364;nlichkeit. &#x201E;Er kann, fu&#x0364;gte Goethe hinzu,<lb/>
bey der er&#x017F;ten Bekannt&#x017F;chaft etwas &#x017F;ehr derbe, ja mit¬<lb/>
unter &#x017F;ogar etwas roh er&#x017F;cheinen. Allein das i&#x017F;t nur<lb/>
a&#x0364;ußerlich. Ich kenne kaum jemanden, der zugleich &#x017F;o<lb/><hi rendition="#g">zart</hi> wa&#x0364;re wie Zelter. Und dabey muß man nicht ver¬<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en, daß er u&#x0364;ber ein halbes Jahrhundert in <hi rendition="#g">Berlin</hi><lb/>
zugebracht hat. Es lebt aber, wie ich an allem merke,<lb/>
dort ein &#x017F;o verwegener Men&#x017F;chen&#x017F;chlag bey&#x017F;ammen, daß<lb/>
man mit der Delicate&#x017F;&#x017F;e nicht weit reicht, &#x017F;ondern daß<lb/>
man Haare auf den Za&#x0364;hnen haben und mitunter etwas<lb/>
grob &#x017F;eyn muß, um &#x017F;ich u&#x0364;ber Wa&#x017F;&#x017F;er zu halten.&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0122] Als ich darauf ſpaͤter mit Goethe allein war, fragte er mich uͤber Zelter. „Nun, ſagte er, wie gefaͤllt er Ihnen?“ Ich ſprach uͤber das durchaus Wohlthaͤtige ſeiner Perſoͤnlichkeit. „Er kann, fuͤgte Goethe hinzu, bey der erſten Bekanntſchaft etwas ſehr derbe, ja mit¬ unter ſogar etwas roh erſcheinen. Allein das iſt nur aͤußerlich. Ich kenne kaum jemanden, der zugleich ſo zart waͤre wie Zelter. Und dabey muß man nicht ver¬ geſſen, daß er uͤber ein halbes Jahrhundert in Berlin zugebracht hat. Es lebt aber, wie ich an allem merke, dort ein ſo verwegener Menſchenſchlag beyſammen, daß man mit der Delicateſſe nicht weit reicht, ſondern daß man Haare auf den Zaͤhnen haben und mitunter etwas grob ſeyn muß, um ſich uͤber Waſſer zu halten.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/122
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/122>, abgerufen am 31.10.2024.