Ich machte die Bemerkung, daß mir, als einem in der Ebene Geborenen, die düstere Erhabenheit solcher Massen ein unheimliches Gefühl errege und daß ich keineswegs Lust verspüre, in solchen Schluchten zu wandern.
"Dieses Gefühl, sagte Goethe, ist in der Ordnung. Denn im Grunde ist dem Menschen nur der Zustand gemäß, worin und wofür er geboren worden. Wen nicht große Zwecke in die Fremde treiben, der bleibt weit glücklicher zu Hause. Die Schweiz machte anfäng¬ lich auf mich so großen Eindruck, daß ich dadurch ver¬ wirrt und beunruhigt wurde; erst bey wiederholtem Aufenthalt, erst in späteren Jahren, wo ich die Gebirge bloß in mineralogischer Hinsicht betrachtete, konnte ich mich ruhig mit ihnen befassen."
Wir besahen darauf eine große Folge von Kupfer¬ stichen nach Gemälden neuer Künstler aus einer fran¬ zösischen Gallerie. Die Erfindung in diesen Bildern war fast durchgehends schwach, so daß wir unter vier¬ zig Stücken kaum vier bis fünf gute fanden. Diese gu¬ ten waren: ein Mädchen, das sich einen Liebesbrief schreiben läßt; eine Frau in einem maison a vendre, das niemand kaufen will; ein Fischfang; Musikanten vor einem Muttergottesbilde. Auch eine Landschaft in Poussin's Manier war nicht übel, wobey Goethe sich folgendermaßen äußerte: "Solche Künstler, sagte er, haben den allgemeinen Begriff von Poussin's Land¬
Ich machte die Bemerkung, daß mir, als einem in der Ebene Geborenen, die duͤſtere Erhabenheit ſolcher Maſſen ein unheimliches Gefuͤhl errege und daß ich keineswegs Luſt verſpuͤre, in ſolchen Schluchten zu wandern.
„Dieſes Gefuͤhl, ſagte Goethe, iſt in der Ordnung. Denn im Grunde iſt dem Menſchen nur der Zuſtand gemaͤß, worin und wofuͤr er geboren worden. Wen nicht große Zwecke in die Fremde treiben, der bleibt weit gluͤcklicher zu Hauſe. Die Schweiz machte anfaͤng¬ lich auf mich ſo großen Eindruck, daß ich dadurch ver¬ wirrt und beunruhigt wurde; erſt bey wiederholtem Aufenthalt, erſt in ſpaͤteren Jahren, wo ich die Gebirge bloß in mineralogiſcher Hinſicht betrachtete, konnte ich mich ruhig mit ihnen befaſſen.“
Wir beſahen darauf eine große Folge von Kupfer¬ ſtichen nach Gemaͤlden neuer Kuͤnſtler aus einer fran¬ zoͤſiſchen Gallerie. Die Erfindung in dieſen Bildern war faſt durchgehends ſchwach, ſo daß wir unter vier¬ zig Stuͤcken kaum vier bis fuͤnf gute fanden. Dieſe gu¬ ten waren: ein Maͤdchen, das ſich einen Liebesbrief ſchreiben laͤßt; eine Frau in einem maison à vendre, das niemand kaufen will; ein Fiſchfang; Muſikanten vor einem Muttergottesbilde. Auch eine Landſchaft in Pouſſin's Manier war nicht uͤbel, wobey Goethe ſich folgendermaßen aͤußerte: „Solche Kuͤnſtler, ſagte er, haben den allgemeinen Begriff von Pouſſin's Land¬
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Ich machte die Bemerkung, daß mir, als einem in
der Ebene Geborenen, die duͤſtere Erhabenheit ſolcher
Maſſen ein unheimliches Gefuͤhl errege und daß ich
keineswegs Luſt verſpuͤre, in ſolchen Schluchten zu
wandern.
„Dieſes Gefuͤhl, ſagte Goethe, iſt in der Ordnung.
Denn im Grunde iſt dem Menſchen nur der Zuſtand
gemaͤß, worin und wofuͤr er geboren worden. Wen
nicht große Zwecke in die Fremde treiben, der bleibt
weit gluͤcklicher zu Hauſe. Die Schweiz machte anfaͤng¬
lich auf mich ſo großen Eindruck, daß ich dadurch ver¬
wirrt und beunruhigt wurde; erſt bey wiederholtem
Aufenthalt, erſt in ſpaͤteren Jahren, wo ich die Gebirge
bloß in mineralogiſcher Hinſicht betrachtete, konnte ich
mich ruhig mit ihnen befaſſen.“
Wir beſahen darauf eine große Folge von Kupfer¬
ſtichen nach Gemaͤlden neuer Kuͤnſtler aus einer fran¬
zoͤſiſchen Gallerie. Die Erfindung in dieſen Bildern
war faſt durchgehends ſchwach, ſo daß wir unter vier¬
zig Stuͤcken kaum vier bis fuͤnf gute fanden. Dieſe gu¬
ten waren: ein Maͤdchen, das ſich einen Liebesbrief
ſchreiben laͤßt; eine Frau in einem maison à vendre,
das niemand kaufen will; ein Fiſchfang; Muſikanten
vor einem Muttergottesbilde. Auch eine Landſchaft in
Pouſſin's Manier war nicht uͤbel, wobey Goethe ſich
folgendermaßen aͤußerte: „Solche Kuͤnſtler, ſagte er,
haben den allgemeinen Begriff von Pouſſin's Land¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/130>, abgerufen am 31.10.2024.
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