sterblichkeit war der Gegenstand jeder Unterhaltung. Ich möchte keineswegs das Glück entbehren an eine künftige Fortdauer zu glauben; ja ich möchte mit Lorenzo von Medici sagen, daß alle diejenigen auch für dieses Le¬ ben todt sind, die kein anderes hoffen; allein solche unbegreifliche Dinge liegen zu fern, um ein Gegen¬ stand täglicher Betrachtung und gedankenzerstörender Speculation zu seyn. Und ferner: wer eine Fortdauer glaubt, der sey glücklich im Stillen, aber er hat nicht Ursache sich darauf etwas einzubilden. Bey Gelegenheit von Tiedge's Urania indeß machte ich die Bemerkung, daß, eben wie der Adel, so auch die Frommen eine gewisse Aristokratie bilden. Ich fand dumme Weiber, die stolz waren weil sie mit Tiedge an Unsterblichkeit glaubten, und ich mußte es leiden, daß manche mich über diesen Punkt auf eine sehr dünkelhafte Weise exa¬ minirte. Ich ärgerte sie aber, indem ich sagte: es könne mir ganz recht seyn, wenn nach Ablauf dieses Lebens uns ein abermaliges beglücke; allein ich wolle mir aus¬ bitten, daß mir drüben niemand von denen begegne, die hier daran geglaubt hätten. Denn sonst würde meine Plage erst recht angehen! Die Frommen würden um mich herumkommen und sagen: haben wir nicht Recht gehabt? haben wir es nicht vorhergesagt? ist es nicht eingetroffen? Und damit würde denn auch drüben der Langenweile kein Ende seyn."
"Die Beschäftigung mit Unsterblichkeits-Ideen, fuhr
ſterblichkeit war der Gegenſtand jeder Unterhaltung. Ich moͤchte keineswegs das Gluͤck entbehren an eine kuͤnftige Fortdauer zu glauben; ja ich moͤchte mit Lorenzo von Medici ſagen, daß alle diejenigen auch fuͤr dieſes Le¬ ben todt ſind, die kein anderes hoffen; allein ſolche unbegreifliche Dinge liegen zu fern, um ein Gegen¬ ſtand taͤglicher Betrachtung und gedankenzerſtoͤrender Speculation zu ſeyn. Und ferner: wer eine Fortdauer glaubt, der ſey gluͤcklich im Stillen, aber er hat nicht Urſache ſich darauf etwas einzubilden. Bey Gelegenheit von Tiedge's Urania indeß machte ich die Bemerkung, daß, eben wie der Adel, ſo auch die Frommen eine gewiſſe Ariſtokratie bilden. Ich fand dumme Weiber, die ſtolz waren weil ſie mit Tiedge an Unſterblichkeit glaubten, und ich mußte es leiden, daß manche mich uͤber dieſen Punkt auf eine ſehr duͤnkelhafte Weiſe exa¬ minirte. Ich aͤrgerte ſie aber, indem ich ſagte: es koͤnne mir ganz recht ſeyn, wenn nach Ablauf dieſes Lebens uns ein abermaliges begluͤcke; allein ich wolle mir aus¬ bitten, daß mir druͤben niemand von denen begegne, die hier daran geglaubt haͤtten. Denn ſonſt wuͤrde meine Plage erſt recht angehen! Die Frommen wuͤrden um mich herumkommen und ſagen: haben wir nicht Recht gehabt? haben wir es nicht vorhergeſagt? iſt es nicht eingetroffen? Und damit wuͤrde denn auch druͤben der Langenweile kein Ende ſeyn.“
„Die Beſchaͤftigung mit Unſterblichkeits-Ideen, fuhr
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ſterblichkeit war der Gegenſtand jeder Unterhaltung. Ich
moͤchte keineswegs das Gluͤck entbehren an eine kuͤnftige
Fortdauer zu glauben; ja ich moͤchte mit Lorenzo von
Medici ſagen, daß alle diejenigen auch fuͤr dieſes Le¬
ben todt ſind, die kein anderes hoffen; allein ſolche
unbegreifliche Dinge liegen zu fern, um ein Gegen¬
ſtand taͤglicher Betrachtung und gedankenzerſtoͤrender
Speculation zu ſeyn. Und ferner: wer eine Fortdauer
glaubt, der ſey gluͤcklich im Stillen, aber er hat nicht
Urſache ſich darauf etwas einzubilden. Bey Gelegenheit
von Tiedge's Urania indeß machte ich die Bemerkung,
daß, eben wie der Adel, ſo auch die Frommen eine
gewiſſe Ariſtokratie bilden. Ich fand dumme Weiber,
die ſtolz waren weil ſie mit Tiedge an Unſterblichkeit
glaubten, und ich mußte es leiden, daß manche mich
uͤber dieſen Punkt auf eine ſehr duͤnkelhafte Weiſe exa¬
minirte. Ich aͤrgerte ſie aber, indem ich ſagte: es koͤnne
mir ganz recht ſeyn, wenn nach Ablauf dieſes Lebens
uns ein abermaliges begluͤcke; allein ich wolle mir aus¬
bitten, daß mir druͤben niemand von denen begegne,
die hier daran geglaubt haͤtten. Denn ſonſt wuͤrde
meine Plage erſt recht angehen! Die Frommen wuͤrden
um mich herumkommen und ſagen: haben wir nicht
Recht gehabt? haben wir es nicht vorhergeſagt? iſt es
nicht eingetroffen? Und damit wuͤrde denn auch druͤben
der Langenweile kein Ende ſeyn.“
„Die Beſchaͤftigung mit Unſterblichkeits-Ideen, fuhr
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/141>, abgerufen am 31.10.2024.
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