der sich weigerte, einen Reiter im Wallenstein zu spielen. Ich ließ ihm aber sagen, wenn er die Rolle nicht spie¬ len wolle, so würde ich sie selber spielen. Das wirkte. Denn sie kannten mich beym Theater und wußten, daß ich in solchen Dingen keinen Spaß verstand, und daß ich verrückt genug war, mein Wort zu halten und das Tollste zu thun."
Und würden Sie im Ernst die Rolle gespielt haben? fragte ich.
"Ja, sagte Goethe, ich hätte sie gespielt und würde den Herrn Becker herunter gespielt haben, denn ich kannte die Rolle besser als er."
Wir öffneten darauf die Mappen und schritten zur Betrachtung der Kupfer und Zeichnungen. Goethe ver¬ fährt hiebey in Bezug auf mich sehr sorgfältig, und ich fühle, daß es seine Absicht ist, mich in der Kunstbe¬ trachtung auf eine höhere Stufe der Einsicht zu bringen. Nur das in seiner Art durchaus Vollendete zeigt er mir und macht mir des Künstlers Intention und Ver¬ dienst deutlich, damit ich erreichen möge, die Gedanken der Besten nachzudenken und den Besten gleich zu em¬ pfinden. "Dadurch, sagte er heute, bildet sich das, was wir Geschmack nennen. Denn den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Aller¬ vorzüglichsten. Ich zeige Ihnen daher nur das Beste; und wenn Sie sich darin befestigen, so haben Sie einen Maßstab für das Übrige, das Sie nicht überschätzen,
der ſich weigerte, einen Reiter im Wallenſtein zu ſpielen. Ich ließ ihm aber ſagen, wenn er die Rolle nicht ſpie¬ len wolle, ſo wuͤrde ich ſie ſelber ſpielen. Das wirkte. Denn ſie kannten mich beym Theater und wußten, daß ich in ſolchen Dingen keinen Spaß verſtand, und daß ich verruͤckt genug war, mein Wort zu halten und das Tollſte zu thun.“
Und wuͤrden Sie im Ernſt die Rolle geſpielt haben? fragte ich.
„Ja, ſagte Goethe, ich haͤtte ſie geſpielt und wuͤrde den Herrn Becker herunter geſpielt haben, denn ich kannte die Rolle beſſer als er.“
Wir oͤffneten darauf die Mappen und ſchritten zur Betrachtung der Kupfer und Zeichnungen. Goethe ver¬ faͤhrt hiebey in Bezug auf mich ſehr ſorgfaͤltig, und ich fuͤhle, daß es ſeine Abſicht iſt, mich in der Kunſtbe¬ trachtung auf eine hoͤhere Stufe der Einſicht zu bringen. Nur das in ſeiner Art durchaus Vollendete zeigt er mir und macht mir des Kuͤnſtlers Intention und Ver¬ dienſt deutlich, damit ich erreichen moͤge, die Gedanken der Beſten nachzudenken und den Beſten gleich zu em¬ pfinden. „Dadurch, ſagte er heute, bildet ſich das, was wir Geſchmack nennen. Denn den Geſchmack kann man nicht am Mittelgut bilden, ſondern nur am Aller¬ vorzuͤglichſten. Ich zeige Ihnen daher nur das Beſte; und wenn Sie ſich darin befeſtigen, ſo haben Sie einen Maßſtab fuͤr das Übrige, das Sie nicht uͤberſchaͤtzen,
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der ſich weigerte, einen Reiter im Wallenſtein zu ſpielen.
Ich ließ ihm aber ſagen, wenn er die Rolle nicht ſpie¬
len wolle, ſo wuͤrde ich ſie ſelber ſpielen. Das wirkte.
Denn ſie kannten mich beym Theater und wußten, daß
ich in ſolchen Dingen keinen Spaß verſtand, und daß
ich verruͤckt genug war, mein Wort zu halten und das
Tollſte zu thun.“
Und wuͤrden Sie im Ernſt die Rolle geſpielt haben?
fragte ich.
„Ja, ſagte Goethe, ich haͤtte ſie geſpielt und wuͤrde
den Herrn Becker herunter geſpielt haben, denn ich
kannte die Rolle beſſer als er.“
Wir oͤffneten darauf die Mappen und ſchritten zur
Betrachtung der Kupfer und Zeichnungen. Goethe ver¬
faͤhrt hiebey in Bezug auf mich ſehr ſorgfaͤltig, und ich
fuͤhle, daß es ſeine Abſicht iſt, mich in der Kunſtbe¬
trachtung auf eine hoͤhere Stufe der Einſicht zu bringen.
Nur das in ſeiner Art durchaus Vollendete zeigt er
mir und macht mir des Kuͤnſtlers Intention und Ver¬
dienſt deutlich, damit ich erreichen moͤge, die Gedanken
der Beſten nachzudenken und den Beſten gleich zu em¬
pfinden. „Dadurch, ſagte er heute, bildet ſich das,
was wir Geſchmack nennen. Denn den Geſchmack kann
man nicht am Mittelgut bilden, ſondern nur am Aller¬
vorzuͤglichſten. Ich zeige Ihnen daher nur das Beſte;
und wenn Sie ſich darin befeſtigen, ſo haben Sie einen
Maßſtab fuͤr das Übrige, das Sie nicht uͤberſchaͤtzen,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/143>, abgerufen am 31.10.2024.
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