Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Arbeit gehen und von dort zurückkommen; bald Spa¬
ziergänger aller Art längs den Krümmungen der Ilm,
besonders in der Richtung nach Oberweimar, das zu ge¬
wissen Tagen ein sehr besuchter Ort ist. Sodann die
Zeit der Heuerndte belebt diese Räume auf das Heiterste.
Hinterdrein sieht man weidende Schafherden, auch wohl
die stattlichen Schweizerkühe der nahen Oeconomie.

Heute jedoch war von allen diesen die Sinne er¬
quickenden Sommer-Erscheinungen noch keine Spur.
Auf den Wiesen waren kaum einige grünende Stellen
sichtbar, die Bäume des Parks standen noch in braunen
Zweigen und Knospen; doch verkündigte der Schlag der
Finken, so wie der hin und wieder vernehmbare Gesang
der Amsel und Drossel das Herannahen des Frühlings.

Die Luft war sommerartig, angenehm; es wehte
ein sehr linder Südwestwind. Einzelne kleine Gewitter¬
wolken zogen am heitern Himmel herüber; sehr hoch
bemerkte man sich auflösende Cirrus-Streifen. Wir be¬
trachteten die Wolken genau und sahen, daß sich die
ziehenden geballten der untern Region gleichfalls auf¬
lösten, woraus Goethe schloß, daß das Barometer im
Steigen begriffen seyn müsse.

Goethe sprach darauf sehr viel über das Steigen
und Fallen des Barometers, welches er die Wasserbe¬
jahung und Wasserverneinung nannte. Er sprach über
das Ein- und Ausathmen der Erde nach ewigen Ge¬
setzen; über eine mögliche Sündfluth bey fortwährender

Arbeit gehen und von dort zuruͤckkommen; bald Spa¬
ziergaͤnger aller Art laͤngs den Kruͤmmungen der Ilm,
beſonders in der Richtung nach Oberweimar, das zu ge¬
wiſſen Tagen ein ſehr beſuchter Ort iſt. Sodann die
Zeit der Heuerndte belebt dieſe Raͤume auf das Heiterſte.
Hinterdrein ſieht man weidende Schafherden, auch wohl
die ſtattlichen Schweizerkuͤhe der nahen Oeconomie.

Heute jedoch war von allen dieſen die Sinne er¬
quickenden Sommer-Erſcheinungen noch keine Spur.
Auf den Wieſen waren kaum einige gruͤnende Stellen
ſichtbar, die Baͤume des Parks ſtanden noch in braunen
Zweigen und Knospen; doch verkuͤndigte der Schlag der
Finken, ſo wie der hin und wieder vernehmbare Geſang
der Amſel und Droſſel das Herannahen des Fruͤhlings.

Die Luft war ſommerartig, angenehm; es wehte
ein ſehr linder Suͤdweſtwind. Einzelne kleine Gewitter¬
wolken zogen am heitern Himmel heruͤber; ſehr hoch
bemerkte man ſich aufloͤſende Cirrus-Streifen. Wir be¬
trachteten die Wolken genau und ſahen, daß ſich die
ziehenden geballten der untern Region gleichfalls auf¬
loͤſten, woraus Goethe ſchloß, daß das Barometer im
Steigen begriffen ſeyn muͤſſe.

Goethe ſprach darauf ſehr viel uͤber das Steigen
und Fallen des Barometers, welches er die Waſſerbe¬
jahung und Waſſerverneinung nannte. Er ſprach uͤber
das Ein- und Ausathmen der Erde nach ewigen Ge¬
ſetzen; uͤber eine moͤgliche Suͤndfluth bey fortwaͤhrender

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0155" n="135"/>
Arbeit gehen und von dort zuru&#x0364;ckkommen; bald Spa¬<lb/>
zierga&#x0364;nger aller Art la&#x0364;ngs den Kru&#x0364;mmungen der Ilm,<lb/>
be&#x017F;onders in der Richtung nach Oberweimar, das zu ge¬<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Tagen ein &#x017F;ehr be&#x017F;uchter Ort i&#x017F;t. Sodann die<lb/>
Zeit der Heuerndte belebt die&#x017F;e Ra&#x0364;ume auf das Heiter&#x017F;te.<lb/>
Hinterdrein &#x017F;ieht man weidende Schafherden, auch wohl<lb/>
die &#x017F;tattlichen Schweizerku&#x0364;he der nahen Oeconomie.</p><lb/>
          <p>Heute jedoch war von allen die&#x017F;en die Sinne er¬<lb/>
quickenden Sommer-Er&#x017F;cheinungen noch keine Spur.<lb/>
Auf den Wie&#x017F;en waren kaum einige gru&#x0364;nende Stellen<lb/>
&#x017F;ichtbar, die Ba&#x0364;ume des Parks &#x017F;tanden noch in braunen<lb/>
Zweigen und Knospen; doch verku&#x0364;ndigte der Schlag der<lb/>
Finken, &#x017F;o wie der hin und wieder vernehmbare Ge&#x017F;ang<lb/>
der Am&#x017F;el und Dro&#x017F;&#x017F;el das Herannahen des Fru&#x0364;hlings.</p><lb/>
          <p>Die Luft war &#x017F;ommerartig, angenehm; es wehte<lb/>
ein &#x017F;ehr linder Su&#x0364;dwe&#x017F;twind. Einzelne kleine Gewitter¬<lb/>
wolken zogen am heitern Himmel heru&#x0364;ber; &#x017F;ehr hoch<lb/>
bemerkte man &#x017F;ich auflo&#x0364;&#x017F;ende Cirrus-Streifen. Wir be¬<lb/>
trachteten die Wolken genau und &#x017F;ahen, daß &#x017F;ich die<lb/>
ziehenden geballten der untern Region gleichfalls auf¬<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;ten, woraus Goethe &#x017F;chloß, daß das Barometer im<lb/>
Steigen begriffen &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
          <p>Goethe &#x017F;prach darauf &#x017F;ehr viel u&#x0364;ber das Steigen<lb/>
und Fallen des Barometers, welches er die Wa&#x017F;&#x017F;erbe¬<lb/>
jahung und Wa&#x017F;&#x017F;erverneinung nannte. Er &#x017F;prach u&#x0364;ber<lb/>
das Ein- und Ausathmen der Erde nach ewigen Ge¬<lb/>
&#x017F;etzen; u&#x0364;ber eine mo&#x0364;gliche Su&#x0364;ndfluth bey fortwa&#x0364;hrender<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0155] Arbeit gehen und von dort zuruͤckkommen; bald Spa¬ ziergaͤnger aller Art laͤngs den Kruͤmmungen der Ilm, beſonders in der Richtung nach Oberweimar, das zu ge¬ wiſſen Tagen ein ſehr beſuchter Ort iſt. Sodann die Zeit der Heuerndte belebt dieſe Raͤume auf das Heiterſte. Hinterdrein ſieht man weidende Schafherden, auch wohl die ſtattlichen Schweizerkuͤhe der nahen Oeconomie. Heute jedoch war von allen dieſen die Sinne er¬ quickenden Sommer-Erſcheinungen noch keine Spur. Auf den Wieſen waren kaum einige gruͤnende Stellen ſichtbar, die Baͤume des Parks ſtanden noch in braunen Zweigen und Knospen; doch verkuͤndigte der Schlag der Finken, ſo wie der hin und wieder vernehmbare Geſang der Amſel und Droſſel das Herannahen des Fruͤhlings. Die Luft war ſommerartig, angenehm; es wehte ein ſehr linder Suͤdweſtwind. Einzelne kleine Gewitter¬ wolken zogen am heitern Himmel heruͤber; ſehr hoch bemerkte man ſich aufloͤſende Cirrus-Streifen. Wir be¬ trachteten die Wolken genau und ſahen, daß ſich die ziehenden geballten der untern Region gleichfalls auf¬ loͤſten, woraus Goethe ſchloß, daß das Barometer im Steigen begriffen ſeyn muͤſſe. Goethe ſprach darauf ſehr viel uͤber das Steigen und Fallen des Barometers, welches er die Waſſerbe¬ jahung und Waſſerverneinung nannte. Er ſprach uͤber das Ein- und Ausathmen der Erde nach ewigen Ge¬ ſetzen; uͤber eine moͤgliche Suͤndfluth bey fortwaͤhrender

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/155
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/155>, abgerufen am 01.11.2024.