Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.Umkehr. Leben kann man nicht von Tönen, Poesie geht ohne Schuh, Und so wandt' ich denn der Schönen Endlich auch den Rücken zu: Lange durch die Welt getrieben Hat mich nun die irre Hast, Immer doch bin ich geblieben Nur ein ungeschickter Gast. Ueberall zu spät zum Schmause Kam ich, wenn die andern voll, Trank die Neigen vor dem Hause, Wußt' nicht, wem ich's trinken soll. Mußt' mich vor Fortuna bücken Ehrfurchtsvoll bis auf die Zeh'n, Vornehm wandt' sie mir den Rücken, Ließ mich so gebogen stehn. Und als ich mich aufgerichtet Wieder frisch und frei und stolz, Sah ich Berg' und Thal gelichtet, Blühen jedes dürre Holz. Welt hat eine plumpe Pfote, Wandern kann man ohne Schuh -- Deck' mit Deinem Morgenrothe Wieder nur den Wandrer zu! Umkehr. Leben kann man nicht von Toͤnen, Poeſie geht ohne Schuh, Und ſo wandt' ich denn der Schoͤnen Endlich auch den Ruͤcken zu: Lange durch die Welt getrieben Hat mich nun die irre Haſt, Immer doch bin ich geblieben Nur ein ungeſchickter Gaſt. Ueberall zu ſpaͤt zum Schmauſe Kam ich, wenn die andern voll, Trank die Neigen vor dem Hauſe, Wußt' nicht, wem ich's trinken ſoll. Mußt' mich vor Fortuna buͤcken Ehrfurchtsvoll bis auf die Zeh'n, Vornehm wandt' ſie mir den Ruͤcken, Ließ mich ſo gebogen ſtehn. Und als ich mich aufgerichtet Wieder friſch und frei und ſtolz, Sah ich Berg' und Thal gelichtet, Bluͤhen jedes duͤrre Holz. Welt hat eine plumpe Pfote, Wandern kann man ohne Schuh — Deck' mit Deinem Morgenrothe Wieder nur den Wandrer zu! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0120" n="102"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b #g">Umkehr.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">L</hi>eben kann man nicht von Toͤnen,</l><lb/> <l>Poeſie geht ohne Schuh,</l><lb/> <l>Und ſo wandt' ich denn der Schoͤnen</l><lb/> <l>Endlich auch den Ruͤcken zu:</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Lange durch die Welt getrieben</l><lb/> <l>Hat mich nun die irre Haſt,</l><lb/> <l>Immer doch bin ich geblieben</l><lb/> <l>Nur ein ungeſchickter Gaſt.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Ueberall zu ſpaͤt zum Schmauſe</l><lb/> <l>Kam ich, wenn die andern voll,</l><lb/> <l>Trank die Neigen vor dem Hauſe,</l><lb/> <l>Wußt' nicht, wem ich's trinken ſoll.</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>Mußt' mich vor Fortuna buͤcken</l><lb/> <l>Ehrfurchtsvoll bis auf die Zeh'n,</l><lb/> <l>Vornehm wandt' ſie mir den Ruͤcken,</l><lb/> <l>Ließ mich ſo gebogen ſtehn.</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l>Und als ich mich aufgerichtet</l><lb/> <l>Wieder friſch und frei und ſtolz,</l><lb/> <l>Sah ich Berg' und Thal gelichtet,</l><lb/> <l>Bluͤhen jedes duͤrre Holz.</l><lb/> </lg> <lg n="6"> <l>Welt hat eine plumpe Pfote,</l><lb/> <l>Wandern kann man ohne Schuh —</l><lb/> <l>Deck' mit Deinem Morgenrothe</l><lb/> <l>Wieder nur den Wandrer zu!</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [102/0120]
Umkehr.
Leben kann man nicht von Toͤnen,
Poeſie geht ohne Schuh,
Und ſo wandt' ich denn der Schoͤnen
Endlich auch den Ruͤcken zu:
Lange durch die Welt getrieben
Hat mich nun die irre Haſt,
Immer doch bin ich geblieben
Nur ein ungeſchickter Gaſt.
Ueberall zu ſpaͤt zum Schmauſe
Kam ich, wenn die andern voll,
Trank die Neigen vor dem Hauſe,
Wußt' nicht, wem ich's trinken ſoll.
Mußt' mich vor Fortuna buͤcken
Ehrfurchtsvoll bis auf die Zeh'n,
Vornehm wandt' ſie mir den Ruͤcken,
Ließ mich ſo gebogen ſtehn.
Und als ich mich aufgerichtet
Wieder friſch und frei und ſtolz,
Sah ich Berg' und Thal gelichtet,
Bluͤhen jedes duͤrre Holz.
Welt hat eine plumpe Pfote,
Wandern kann man ohne Schuh —
Deck' mit Deinem Morgenrothe
Wieder nur den Wandrer zu!
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