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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
"Excellenz lassen bitten," und Effi folgte dem Diener
bis in ein Vorzimmer, wo sie sich niederließ und
trotz der Erregung, in der sie sich befand, den Bilder¬
schmuck an den Wänden musterte. Da war zunächst
Guido Reni's Aurora, gegenüber aber hingen englische
Kupferstiche, Stiche nach Benjamin West, in der
bekannten Aquatinta-Manier von viel Licht und
Schatten. Eines der Bilder war König Lear im
Unwetter auf der Heide.

Effi hatte ihre Musterung kaum beendet, als
die Thür des angrenzenden Zimmers sich öffnete
und eine große schlanke Dame von einem sofort für
sie einnehmenden Ausdruck auf die Bittstellerin zutrat
und ihr die Hand reichte. ,Meine liebe, gnädigste
Frau," sagte sie, "welche Freude für mich, Sie wieder¬
zusehen ..."

Und während sie das sagte, schritt sie auf das
Sofa zu und zog Effi, während sie selber Platz
nahm, zu sich nieder.

Effi war bewegt durch die sich in allem
aussprechende Herzensgüte. Keine Spur von Über¬
heblichkeit oder Vorwurf, nur menschlich schöne Teil¬
nahme. "Womit kann ich Ihnen dienen?" nahm die
Ministerin noch einmal das Wort.

Um Effi's Mund zuckte es. Endlich sagte sie:
"Was mich herführt, ist eine Bitte, deren Erfüllung

Effi Brieſt
„Excellenz laſſen bitten,“ und Effi folgte dem Diener
bis in ein Vorzimmer, wo ſie ſich niederließ und
trotz der Erregung, in der ſie ſich befand, den Bilder¬
ſchmuck an den Wänden muſterte. Da war zunächſt
Guido Reni's Aurora, gegenüber aber hingen engliſche
Kupferſtiche, Stiche nach Benjamin Weſt, in der
bekannten Aquatinta-Manier von viel Licht und
Schatten. Eines der Bilder war König Lear im
Unwetter auf der Heide.

Effi hatte ihre Muſterung kaum beendet, als
die Thür des angrenzenden Zimmers ſich öffnete
und eine große ſchlanke Dame von einem ſofort für
ſie einnehmenden Ausdruck auf die Bittſtellerin zutrat
und ihr die Hand reichte. ‚Meine liebe, gnädigſte
Frau,“ ſagte ſie, „welche Freude für mich, Sie wieder¬
zuſehen …“

Und während ſie das ſagte, ſchritt ſie auf das
Sofa zu und zog Effi, während ſie ſelber Platz
nahm, zu ſich nieder.

Effi war bewegt durch die ſich in allem
ausſprechende Herzensgüte. Keine Spur von Über¬
heblichkeit oder Vorwurf, nur menſchlich ſchöne Teil¬
nahme. „Womit kann ich Ihnen dienen?“ nahm die
Miniſterin noch einmal das Wort.

Um Effi's Mund zuckte es. Endlich ſagte ſie:
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[473/0482] Effi Brieſt „Excellenz laſſen bitten,“ und Effi folgte dem Diener bis in ein Vorzimmer, wo ſie ſich niederließ und trotz der Erregung, in der ſie ſich befand, den Bilder¬ ſchmuck an den Wänden muſterte. Da war zunächſt Guido Reni's Aurora, gegenüber aber hingen engliſche Kupferſtiche, Stiche nach Benjamin Weſt, in der bekannten Aquatinta-Manier von viel Licht und Schatten. Eines der Bilder war König Lear im Unwetter auf der Heide. Effi hatte ihre Muſterung kaum beendet, als die Thür des angrenzenden Zimmers ſich öffnete und eine große ſchlanke Dame von einem ſofort für ſie einnehmenden Ausdruck auf die Bittſtellerin zutrat und ihr die Hand reichte. ‚Meine liebe, gnädigſte Frau,“ ſagte ſie, „welche Freude für mich, Sie wieder¬ zuſehen …“ Und während ſie das ſagte, ſchritt ſie auf das Sofa zu und zog Effi, während ſie ſelber Platz nahm, zu ſich nieder. Effi war bewegt durch die ſich in allem ausſprechende Herzensgüte. Keine Spur von Über¬ heblichkeit oder Vorwurf, nur menſchlich ſchöne Teil¬ nahme. „Womit kann ich Ihnen dienen?“ nahm die Miniſterin noch einmal das Wort. Um Effi's Mund zuckte es. Endlich ſagte ſie: „Was mich herführt, iſt eine Bitte, deren Erfüllung

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/482>, abgerufen am 03.06.2024.