Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Zweites Bändchen. Berlin, 1810.ihrer Wünsche umfaßt. Was will sie in der Welt? Sie zerreißt sich muthwillig. Beschränkte Naturen thun am Besten, sich gleich zu ergeben, da es ihnen an Kraft gebricht, die Nothwendigkeit zur Freiheit zu erheben. Beschränkte Naturen! rief Luise verletzt. O fühlen Sie denn nicht wie eine Schranke nach der andern vor diesen Augen fiel, die, ein höheres Ziel erfassend, muthig den dornigen Weg überschauen, der ausgebreitet daliegt? Kann sie den zarten Gliedern gebieten, nicht zu bluten, wenn die Dornen sie wund ritzen? Und sehen Sie nicht, wie der Schmerz, als ihr irrdisch Erbtheil, immer mehr hinter ihr zusammensinkt, und sie sich auf mächtigen Schwingen über sich selbst erhebt? Ich halte von solchen Kämpfen nicht viel, sagte Auguste kalt. Stehn ihr die Schwingen wirklich zu Gebot, wie Sie glauben, was überfliegt sie nicht gleich den mühseligen Weg, und erreicht so früher das Ziel? Weil sie, erwiederte Luise, ihre Kraft erst im Schmerze prüfte; weil ein wahrhaftes Leid den Menschen erschüttert und ihm alle Tiefen der Seele eröffnet, in denen er sich und die Welt und seine Bestimmung verstehen lernt. Glauben Sie das nicht, fiel Auguste ein, wer das Rechte von Anfang will, der findet es auch, der will denn auch nur das Eine in jeder wechselnden Gestaltung der Dinge, das ist seines Daseins ewiges unwandelbares Gebot. ihrer Wünsche umfaßt. Was will sie in der Welt? Sie zerreißt sich muthwillig. Beschränkte Naturen thun am Besten, sich gleich zu ergeben, da es ihnen an Kraft gebricht, die Nothwendigkeit zur Freiheit zu erheben. Beschränkte Naturen! rief Luise verletzt. O fühlen Sie denn nicht wie eine Schranke nach der andern vor diesen Augen fiel, die, ein höheres Ziel erfassend, muthig den dornigen Weg überschauen, der ausgebreitet daliegt? Kann sie den zarten Gliedern gebieten, nicht zu bluten, wenn die Dornen sie wund ritzen? Und sehen Sie nicht, wie der Schmerz, als ihr irrdisch Erbtheil, immer mehr hinter ihr zusammensinkt, und sie sich auf mächtigen Schwingen über sich selbst erhebt? Ich halte von solchen Kämpfen nicht viel, sagte Auguste kalt. Stehn ihr die Schwingen wirklich zu Gebot, wie Sie glauben, was überfliegt sie nicht gleich den mühseligen Weg, und erreicht so früher das Ziel? Weil sie, erwiederte Luise, ihre Kraft erst im Schmerze prüfte; weil ein wahrhaftes Leid den Menschen erschüttert und ihm alle Tiefen der Seele eröffnet, in denen er sich und die Welt und seine Bestimmung verstehen lernt. Glauben Sie das nicht, fiel Auguste ein, wer das Rechte von Anfang will, der findet es auch, der will denn auch nur das Eine in jeder wechselnden Gestaltung der Dinge, das ist seines Daseins ewiges unwandelbares Gebot. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0084" n="82"/> ihrer Wünsche umfaßt. Was will sie in der Welt? Sie zerreißt sich muthwillig. Beschränkte Naturen thun am Besten, sich gleich zu ergeben, da es ihnen an Kraft gebricht, die Nothwendigkeit zur Freiheit zu erheben. Beschränkte Naturen! rief Luise verletzt. O fühlen Sie denn nicht wie eine Schranke nach der andern vor diesen Augen fiel, die, ein höheres Ziel erfassend, muthig den dornigen Weg überschauen, der ausgebreitet daliegt? Kann sie den zarten Gliedern gebieten, nicht zu bluten, wenn die Dornen sie wund ritzen? Und sehen Sie nicht, wie der Schmerz, als ihr irrdisch Erbtheil, immer mehr hinter ihr zusammensinkt, und sie sich auf mächtigen Schwingen über sich selbst erhebt? Ich halte von solchen Kämpfen nicht viel, sagte Auguste kalt. Stehn ihr die Schwingen wirklich zu Gebot, wie Sie glauben, was überfliegt sie nicht gleich den mühseligen Weg, und erreicht so früher das Ziel? Weil sie, erwiederte Luise, ihre Kraft erst im Schmerze prüfte; weil ein wahrhaftes Leid den Menschen erschüttert und ihm alle Tiefen der Seele eröffnet, in denen er sich und die Welt und seine Bestimmung verstehen lernt. Glauben Sie das nicht, fiel Auguste ein, wer das Rechte von Anfang will, der findet es auch, der will denn auch nur das Eine in jeder wechselnden Gestaltung der Dinge, das ist seines Daseins ewiges unwandelbares Gebot.</p> </div> </body> </text> </TEI> [82/0084]
ihrer Wünsche umfaßt. Was will sie in der Welt? Sie zerreißt sich muthwillig. Beschränkte Naturen thun am Besten, sich gleich zu ergeben, da es ihnen an Kraft gebricht, die Nothwendigkeit zur Freiheit zu erheben. Beschränkte Naturen! rief Luise verletzt. O fühlen Sie denn nicht wie eine Schranke nach der andern vor diesen Augen fiel, die, ein höheres Ziel erfassend, muthig den dornigen Weg überschauen, der ausgebreitet daliegt? Kann sie den zarten Gliedern gebieten, nicht zu bluten, wenn die Dornen sie wund ritzen? Und sehen Sie nicht, wie der Schmerz, als ihr irrdisch Erbtheil, immer mehr hinter ihr zusammensinkt, und sie sich auf mächtigen Schwingen über sich selbst erhebt? Ich halte von solchen Kämpfen nicht viel, sagte Auguste kalt. Stehn ihr die Schwingen wirklich zu Gebot, wie Sie glauben, was überfliegt sie nicht gleich den mühseligen Weg, und erreicht so früher das Ziel? Weil sie, erwiederte Luise, ihre Kraft erst im Schmerze prüfte; weil ein wahrhaftes Leid den Menschen erschüttert und ihm alle Tiefen der Seele eröffnet, in denen er sich und die Welt und seine Bestimmung verstehen lernt. Glauben Sie das nicht, fiel Auguste ein, wer das Rechte von Anfang will, der findet es auch, der will denn auch nur das Eine in jeder wechselnden Gestaltung der Dinge, das ist seines Daseins ewiges unwandelbares Gebot.
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Zitationshilfe: | Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Zweites Bändchen. Berlin, 1810, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins02_1810/84>, abgerufen am 17.06.2024. |