dann leise auf und niederwandelnd. Mahnte ich sie zur Ruhe, so gehorchte sie, legte sich und stellte sich schlafend. Sobald ich aber in meine Kammer zurück¬ gekehrt war und sie sich unbeobachtet glaubte, richtete sie sich auf und begann ihre Wandelgänge von Neuem. Sie schlummerte nicht, sie fragte nach nichts und ant¬ wortete nur mit stummen, aber deutlichen Geberden; sie nahm nur gezwungen die nothdürftigste Nahrung.
"O, daß das arme Hirn in dieser Zersetzung sich leise erschöpft hätte, aber seit gestern -- --"
"Seit gestern?" drängte ich gespannt.
"Seit gestern -- --"
Ein schriller Schrei aus dem Nebenzimmer unterbrach ihn. Er sprang auf und lauschte hinter dem Vorhang an der sacht geöffneten Thür. "Wer faßt es, Fräulein Hardine," sagte er darauf, als es drinnen wieder still geworden war, "wer erträgt es, die friedfertigste Creatur enden zu sehen unter den Qualen einer Mörderin, sie mit Gewalt vom Aeußersten abhalten zu müssen, -- -- o, Gott, Gott! gestern in der Dämmerstunde, ein unbewachter Moment und -- sie würde -- --"
Der Mann konnte nicht weiter; auch ich stand erschüttert bis in's Mark. Seit Monden, wo der
dann leiſe auf und niederwandelnd. Mahnte ich ſie zur Ruhe, ſo gehorchte ſie, legte ſich und ſtellte ſich ſchlafend. Sobald ich aber in meine Kammer zurück¬ gekehrt war und ſie ſich unbeobachtet glaubte, richtete ſie ſich auf und begann ihre Wandelgänge von Neuem. Sie ſchlummerte nicht, ſie fragte nach nichts und ant¬ wortete nur mit ſtummen, aber deutlichen Geberden; ſie nahm nur gezwungen die nothdürftigſte Nahrung.
„O, daß das arme Hirn in dieſer Zerſetzung ſich leiſe erſchöpft hätte, aber ſeit geſtern — —“
„Seit geſtern?“ drängte ich geſpannt.
„Seit geſtern — —“
Ein ſchriller Schrei aus dem Nebenzimmer unterbrach ihn. Er ſprang auf und lauſchte hinter dem Vorhang an der ſacht geöffneten Thür. „Wer faßt es, Fräulein Hardine,“ ſagte er darauf, als es drinnen wieder ſtill geworden war, „wer erträgt es, die friedfertigſte Creatur enden zu ſehen unter den Qualen einer Mörderin, ſie mit Gewalt vom Aeußerſten abhalten zu müſſen, — — o, Gott, Gott! geſtern in der Dämmerſtunde, ein unbewachter Moment und — ſie würde — —“
Der Mann konnte nicht weiter; auch ich ſtand erſchüttert bis in’s Mark. Seit Monden, wo der
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0205"n="201"/>
dann leiſe auf und niederwandelnd. Mahnte ich ſie<lb/>
zur Ruhe, ſo gehorchte ſie, legte ſich und ſtellte ſich<lb/>ſchlafend. Sobald ich aber in meine Kammer zurück¬<lb/>
gekehrt war und ſie ſich unbeobachtet glaubte, richtete<lb/>ſie ſich auf und begann ihre Wandelgänge von Neuem.<lb/>
Sie ſchlummerte nicht, ſie fragte nach nichts und ant¬<lb/>
wortete nur mit ſtummen, aber deutlichen Geberden;<lb/>ſie nahm nur gezwungen die nothdürftigſte Nahrung.</p><lb/><p>„O, daß das arme Hirn in dieſer Zerſetzung ſich<lb/>
leiſe erſchöpft hätte, aber ſeit geſtern ——“</p><lb/><p>„Seit geſtern?“ drängte ich geſpannt.</p><lb/><p>„Seit geſtern ——“</p><lb/><p>Ein ſchriller Schrei aus dem Nebenzimmer<lb/>
unterbrach ihn. Er ſprang auf und lauſchte hinter<lb/>
dem Vorhang an der ſacht geöffneten Thür. „Wer<lb/>
faßt es, Fräulein Hardine,“ſagte er darauf, als es<lb/>
drinnen wieder ſtill geworden war, „wer erträgt es,<lb/>
die friedfertigſte Creatur enden zu ſehen unter den<lb/>
Qualen einer Mörderin, ſie mit Gewalt vom Aeußerſten<lb/>
abhalten zu müſſen, —— o, Gott, Gott! geſtern in<lb/>
der Dämmerſtunde, ein unbewachter Moment und —<lb/>ſie würde ——“</p><lb/><p>Der Mann konnte nicht weiter; auch ich ſtand<lb/>
erſchüttert bis in’s Mark. Seit Monden, wo der<lb/></p></div></body></text></TEI>
[201/0205]
dann leiſe auf und niederwandelnd. Mahnte ich ſie
zur Ruhe, ſo gehorchte ſie, legte ſich und ſtellte ſich
ſchlafend. Sobald ich aber in meine Kammer zurück¬
gekehrt war und ſie ſich unbeobachtet glaubte, richtete
ſie ſich auf und begann ihre Wandelgänge von Neuem.
Sie ſchlummerte nicht, ſie fragte nach nichts und ant¬
wortete nur mit ſtummen, aber deutlichen Geberden;
ſie nahm nur gezwungen die nothdürftigſte Nahrung.
„O, daß das arme Hirn in dieſer Zerſetzung ſich
leiſe erſchöpft hätte, aber ſeit geſtern — —“
„Seit geſtern?“ drängte ich geſpannt.
„Seit geſtern — —“
Ein ſchriller Schrei aus dem Nebenzimmer
unterbrach ihn. Er ſprang auf und lauſchte hinter
dem Vorhang an der ſacht geöffneten Thür. „Wer
faßt es, Fräulein Hardine,“ ſagte er darauf, als es
drinnen wieder ſtill geworden war, „wer erträgt es,
die friedfertigſte Creatur enden zu ſehen unter den
Qualen einer Mörderin, ſie mit Gewalt vom Aeußerſten
abhalten zu müſſen, — — o, Gott, Gott! geſtern in
der Dämmerſtunde, ein unbewachter Moment und —
ſie würde — —“
Der Mann konnte nicht weiter; auch ich ſtand
erſchüttert bis in’s Mark. Seit Monden, wo der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/205>, abgerufen am 17.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.