zu der Rückreise nach Reckenburg entschlossen. "Bei des Vaters ausgesetzter Lage und unserer Mittellosig¬ keit," so sagte die Mutter, "ist die Gräfin Dein und auch mein letzter Anhalt. Verscherze ihn uns nicht, liebe Tochter. Dort kannst Du wirken, mir nützest Du nichts. Ich bin nicht krank, und stieße mir etwas zu, habe ich da nicht das liebe Kind, Dorothee?"
Das liebe Kind, Dorothee! Sie mir an einem Sorgenstuhle, an einem Krankenbette vorzustellen, mit ihrer freundlichen, leise geschäftigen Art, -- wahrlich, es konnte mir nichts Beruhigenderes widerfahren, als daß sie im Ernste gar nicht mehr an die Rückkehr in das einsame Waldhaus dachte, und daß eine abzehrende Krankheit ihres Vaters die Täuschung einer näher liegenden Pflicht gestattete. "Halten Sie Ihre Augen über meinem Liebling, Fräulein Hardine," flüsterte sie beim Abschied in mein Ohr. "Ich werde der gnä¬ digen Frau Mutter helfen und dienen an Ihrer Statt."
So schieden wir, und als gegen die Weihnachts¬ zeit jene erste Kunde von Fabers Verschwinden ein¬ traf, stand ich schon längst wieder auf meinem Recken¬ burger Posten und Dorothee saß, -- zu meiner inner¬ lichsten Befriedigung! -- geruhig daheim in ihrer Mädchenstube. Dort fand ich sie, wenn ich in den
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zu der Rückreiſe nach Reckenburg entſchloſſen. „Bei des Vaters ausgeſetzter Lage und unſerer Mittelloſig¬ keit,“ ſo ſagte die Mutter, „iſt die Gräfin Dein und auch mein letzter Anhalt. Verſcherze ihn uns nicht, liebe Tochter. Dort kannſt Du wirken, mir nützeſt Du nichts. Ich bin nicht krank, und ſtieße mir etwas zu, habe ich da nicht das liebe Kind, Dorothee?“
Das liebe Kind, Dorothee! Sie mir an einem Sorgenſtuhle, an einem Krankenbette vorzuſtellen, mit ihrer freundlichen, leiſe geſchäftigen Art, — wahrlich, es konnte mir nichts Beruhigenderes widerfahren, als daß ſie im Ernſte gar nicht mehr an die Rückkehr in das einſame Waldhaus dachte, und daß eine abzehrende Krankheit ihres Vaters die Täuſchung einer näher liegenden Pflicht geſtattete. „Halten Sie Ihre Augen über meinem Liebling, Fräulein Hardine,“ flüſterte ſie beim Abſchied in mein Ohr. „Ich werde der gnä¬ digen Frau Mutter helfen und dienen an Ihrer Statt.“
So ſchieden wir, und als gegen die Weihnachts¬ zeit jene erſte Kunde von Fabers Verſchwinden ein¬ traf, ſtand ich ſchon längſt wieder auf meinem Recken¬ burger Poſten und Dorothee ſaß, — zu meiner inner¬ lichſten Befriedigung! — geruhig daheim in ihrer Mädchenſtube. Dort fand ich ſie, wenn ich in den
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zu der Rückreiſe nach Reckenburg entſchloſſen. „Bei
des Vaters ausgeſetzter Lage und unſerer Mittelloſig¬
keit,“ ſo ſagte die Mutter, „iſt die Gräfin Dein und
auch mein letzter Anhalt. Verſcherze ihn uns nicht,
liebe Tochter. Dort kannſt Du wirken, mir nützeſt
Du nichts. Ich bin nicht krank, und ſtieße mir etwas
zu, habe ich da nicht das liebe Kind, Dorothee?“
Das liebe Kind, Dorothee! Sie mir an einem
Sorgenſtuhle, an einem Krankenbette vorzuſtellen, mit
ihrer freundlichen, leiſe geſchäftigen Art, — wahrlich,
es konnte mir nichts Beruhigenderes widerfahren, als
daß ſie im Ernſte gar nicht mehr an die Rückkehr in
das einſame Waldhaus dachte, und daß eine abzehrende
Krankheit ihres Vaters die Täuſchung einer näher
liegenden Pflicht geſtattete. „Halten Sie Ihre Augen
über meinem Liebling, Fräulein Hardine,“ flüſterte ſie
beim Abſchied in mein Ohr. „Ich werde der gnä¬
digen Frau Mutter helfen und dienen an Ihrer Statt.“
So ſchieden wir, und als gegen die Weihnachts¬
zeit jene erſte Kunde von Fabers Verſchwinden ein¬
traf, ſtand ich ſchon längſt wieder auf meinem Recken¬
burger Poſten und Dorothee ſaß, — zu meiner inner¬
lichſten Befriedigung! — geruhig daheim in ihrer
Mädchenſtube. Dort fand ich ſie, wenn ich in den
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/55>, abgerufen am 17.06.2024.
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