Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zu können; aber es wird ihm nie gelingen, dem Armen, nie. Und doch find' ich nicht nur Trost, sondern gewiß auch hülfreiche Kraft in der Ueberzeugung, daß Ihr ohne einen Rachegedanken gegen mich aus diesem Leben scheiden werdet, sagte Theobald; ist ja doch die versöhnende Liebe, die in der Verzeihung liegt, der reinste Abglanz des Göttlichen, wie es im Menschen erscheint. Die Liebe, ja, entgegnete der Hauptmann, sie wirft ein milderndes Licht auf die starre Nothwendigkeit, aber sie vermag diese nicht aufzuheben, wie die Sonne die Gletscher unserer Gebirge nur zu vergolden, aber nicht zu schmelzen vermag ... glaubt es mir, wenn Euch die Erfahrung nicht schon die Lehre gegeben. Wie müßte sie uns sonst den herbsten Schmerz dieses Daseins bereiten! -- Den sonst so ruhigen Klang der Stimme hatte bei diesen letzten Worten ein hörbares Zittern durchklungen, als sich vor der Thüre ein Geräusch vernehmen ließ. Mein Weib, meine arme Melanie! rief der Hauptmann leise aus. Theobald trat rasch hervor, um den Gefangenen in seine Arme zu schließen, während unaufhaltsame Thränen aus seinen Augen schossen. -- Ja, geht, flüsterte der Verurtheilte, die Umarmung erwidernd; sie kennt Euch und weiß die Bitterkeit ihres Schmerzes noch nicht zu ertragen. Gebt mir nochmals den Trost, edler, unglück- zu können; aber es wird ihm nie gelingen, dem Armen, nie. Und doch find' ich nicht nur Trost, sondern gewiß auch hülfreiche Kraft in der Ueberzeugung, daß Ihr ohne einen Rachegedanken gegen mich aus diesem Leben scheiden werdet, sagte Theobald; ist ja doch die versöhnende Liebe, die in der Verzeihung liegt, der reinste Abglanz des Göttlichen, wie es im Menschen erscheint. Die Liebe, ja, entgegnete der Hauptmann, sie wirft ein milderndes Licht auf die starre Nothwendigkeit, aber sie vermag diese nicht aufzuheben, wie die Sonne die Gletscher unserer Gebirge nur zu vergolden, aber nicht zu schmelzen vermag … glaubt es mir, wenn Euch die Erfahrung nicht schon die Lehre gegeben. Wie müßte sie uns sonst den herbsten Schmerz dieses Daseins bereiten! — Den sonst so ruhigen Klang der Stimme hatte bei diesen letzten Worten ein hörbares Zittern durchklungen, als sich vor der Thüre ein Geräusch vernehmen ließ. Mein Weib, meine arme Melanie! rief der Hauptmann leise aus. Theobald trat rasch hervor, um den Gefangenen in seine Arme zu schließen, während unaufhaltsame Thränen aus seinen Augen schossen. — Ja, geht, flüsterte der Verurtheilte, die Umarmung erwidernd; sie kennt Euch und weiß die Bitterkeit ihres Schmerzes noch nicht zu ertragen. Gebt mir nochmals den Trost, edler, unglück- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0097"/> zu können; aber es wird ihm nie gelingen, dem Armen, nie.</p><lb/> <p>Und doch find' ich nicht nur Trost, sondern gewiß auch hülfreiche Kraft in der Ueberzeugung, daß Ihr ohne einen Rachegedanken gegen mich aus diesem Leben scheiden werdet, sagte Theobald; ist ja doch die versöhnende Liebe, die in der Verzeihung liegt, der reinste Abglanz des Göttlichen, wie es im Menschen erscheint.</p><lb/> <p>Die Liebe, ja, entgegnete der Hauptmann, sie wirft ein milderndes Licht auf die starre Nothwendigkeit, aber sie vermag diese nicht aufzuheben, wie die Sonne die Gletscher unserer Gebirge nur zu vergolden, aber nicht zu schmelzen vermag … glaubt es mir, wenn Euch die Erfahrung nicht schon die Lehre gegeben. Wie müßte sie uns sonst den herbsten Schmerz dieses Daseins bereiten! —</p><lb/> <p>Den sonst so ruhigen Klang der Stimme hatte bei diesen letzten Worten ein hörbares Zittern durchklungen, als sich vor der Thüre ein Geräusch vernehmen ließ. Mein Weib, meine arme Melanie! rief der Hauptmann leise aus.</p><lb/> <p>Theobald trat rasch hervor, um den Gefangenen in seine Arme zu schließen, während unaufhaltsame Thränen aus seinen Augen schossen. — Ja, geht, flüsterte der Verurtheilte, die Umarmung erwidernd; sie kennt Euch und weiß die Bitterkeit ihres Schmerzes noch nicht zu ertragen.</p><lb/> <p>Gebt mir nochmals den Trost, edler, unglück-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0097]
zu können; aber es wird ihm nie gelingen, dem Armen, nie.
Und doch find' ich nicht nur Trost, sondern gewiß auch hülfreiche Kraft in der Ueberzeugung, daß Ihr ohne einen Rachegedanken gegen mich aus diesem Leben scheiden werdet, sagte Theobald; ist ja doch die versöhnende Liebe, die in der Verzeihung liegt, der reinste Abglanz des Göttlichen, wie es im Menschen erscheint.
Die Liebe, ja, entgegnete der Hauptmann, sie wirft ein milderndes Licht auf die starre Nothwendigkeit, aber sie vermag diese nicht aufzuheben, wie die Sonne die Gletscher unserer Gebirge nur zu vergolden, aber nicht zu schmelzen vermag … glaubt es mir, wenn Euch die Erfahrung nicht schon die Lehre gegeben. Wie müßte sie uns sonst den herbsten Schmerz dieses Daseins bereiten! —
Den sonst so ruhigen Klang der Stimme hatte bei diesen letzten Worten ein hörbares Zittern durchklungen, als sich vor der Thüre ein Geräusch vernehmen ließ. Mein Weib, meine arme Melanie! rief der Hauptmann leise aus.
Theobald trat rasch hervor, um den Gefangenen in seine Arme zu schließen, während unaufhaltsame Thränen aus seinen Augen schossen. — Ja, geht, flüsterte der Verurtheilte, die Umarmung erwidernd; sie kennt Euch und weiß die Bitterkeit ihres Schmerzes noch nicht zu ertragen.
Gebt mir nochmals den Trost, edler, unglück-
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/97>, abgerufen am 13.06.2024. |