Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.
Von den Zeiten des Aristoteles an bis an das Ende des sechszehnten Jahrhunderts hat man sich von den Gesetzen der Bewegung überhaupt die sonderbarsten und irrigsten Vorstellungen gemacht. Die Peripatetiker glaubten, die Geschwindigkeit des Falles verhalte sich, wie das Gewicht der Körper, und der zehnmal schwerere falle zehnmal schneller, als der leichtere. Dies war eine sehr falsche Anwendung des metaphysischen Grundsatzes, daß sich die Wirkung, wie ihre Ursache, verhalte. Man vergaß dabey, daß das zehnmal größere Gewicht die Bewegung, die es erzeugt, auch einer zehnmal größern Masse mitzutheilen hat, und daß bey dieser Vertheilung auf jeden Theil der Masse nicht mehr Geschwindigkeit kömmt, als er durch sein Gewicht allein, und ohne Verbindung mit den übrigen, ebenfalls würde erhalten haben. Es ist das eben so viel, als ob man sich einbilden wollte, zehn gleich geschickte Läufer könnten zusammen einen Weg schneller zurücklegen, als einer von ihnen allein. Diesen Irrthum der aristotelischen Physik nahm der große Galilei schon zu der Zeit wahr, als er noch zu Pisa die Philosophie studirte. Er vertheidigte damals die richtigere Meinung in den gewöhnlichen Disputirübungen gegen seine Lehrer. Kaum aber war er selbst zum Lehrer auf dieser hohen Schule ernannt, als er sich öffentlich gegen diesen und viele andere Sätze der peripatetischen Physik erklärte. Er ließ von der Kuppel der dasigen Kirche Körper von sehr ungleichem Gewicht herabfallen, die doch den Boden
Von den Zeiten des Ariſtoteles an bis an das Ende des ſechszehnten Jahrhunderts hat man ſich von den Geſetzen der Bewegung uͤberhaupt die ſonderbarſten und irrigſten Vorſtellungen gemacht. Die Peripatetiker glaubten, die Geſchwindigkeit des Falles verhalte ſich, wie das Gewicht der Koͤrper, und der zehnmal ſchwerere falle zehnmal ſchneller, als der leichtere. Dies war eine ſehr falſche Anwendung des metaphyſiſchen Grundſatzes, daß ſich die Wirkung, wie ihre Urſache, verhalte. Man vergaß dabey, daß das zehnmal groͤßere Gewicht die Bewegung, die es erzeugt, auch einer zehnmal groͤßern Maſſe mitzutheilen hat, und daß bey dieſer Vertheilung auf jeden Theil der Maſſe nicht mehr Geſchwindigkeit koͤmmt, als er durch ſein Gewicht allein, und ohne Verbindung mit den uͤbrigen, ebenfalls wuͤrde erhalten haben. Es iſt das eben ſo viel, als ob man ſich einbilden wollte, zehn gleich geſchickte Laͤufer koͤnnten zuſammen einen Weg ſchneller zuruͤcklegen, als einer von ihnen allein. Dieſen Irrthum der ariſtoteliſchen Phyſik nahm der große Galilei ſchon zu der Zeit wahr, als er noch zu Piſa die Philoſophie ſtudirte. Er vertheidigte damals die richtigere Meinung in den gewoͤhnlichen Diſputiruͤbungen gegen ſeine Lehrer. Kaum aber war er ſelbſt zum Lehrer auf dieſer hohen Schule ernannt, als er ſich oͤffentlich gegen dieſen und viele andere Saͤtze der peripatetiſchen Phyſik erklaͤrte. Er ließ von der Kuppel der daſigen Kirche Koͤrper von ſehr ungleichem Gewicht herabfallen, die doch den Boden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0124" xml:id="P.2.118" n="118"/><lb/> Schaͤrfe erfordern, kan man es = 15 par. Fuß (eigentlich 15,0957) annehmen. So fallen die Koͤrper nach <hi rendition="#aq">II.</hi> in der zwoten Secunde 3X15 oder 45, in der dritten 5X15 oder 75, in der vierten 7X15 oder 105 Fuß; und in vier Secunden zuſammen durch 16X15 oder 240 Fuß. <hi rendition="#b">Dechales</hi> (<hi rendition="#aq">Mund. mathem. To. II.</hi>) gab zwar ſeinen Verſuchen gemaͤß <hi rendition="#aq">g</hi>=16 1/2 Schuh an; allein die hier angefuͤhrte Beſtimmung, welche <hi rendition="#b">Huygens</hi> aus Verſuchen mit dem Pendel gezogen hat, iſt weit genauer und richtiger, ſ. <hi rendition="#b">Pendel.</hi> <hi rendition="#c"><hi rendition="#b">Geſchichte dieſer Geſetze.</hi></hi></p> <p>Von den Zeiten des <hi rendition="#b">Ariſtoteles</hi> an bis an das Ende des ſechszehnten Jahrhunderts hat man ſich von den Geſetzen der Bewegung uͤberhaupt die ſonderbarſten und irrigſten Vorſtellungen gemacht. Die Peripatetiker glaubten, die Geſchwindigkeit des Falles verhalte ſich, wie das Gewicht der Koͤrper, und der zehnmal ſchwerere falle zehnmal ſchneller, als der leichtere. Dies war eine ſehr falſche Anwendung des metaphyſiſchen Grundſatzes, daß ſich die Wirkung, wie ihre Urſache, verhalte. Man vergaß dabey, daß das zehnmal groͤßere Gewicht die Bewegung, die es erzeugt, auch einer zehnmal groͤßern Maſſe mitzutheilen hat, und daß bey dieſer Vertheilung auf jeden Theil der Maſſe nicht mehr Geſchwindigkeit koͤmmt, als er durch ſein Gewicht allein, und ohne Verbindung mit den uͤbrigen, ebenfalls wuͤrde erhalten haben. Es iſt das eben ſo viel, als ob man ſich einbilden wollte, zehn gleich geſchickte Laͤufer koͤnnten zuſammen einen Weg ſchneller zuruͤcklegen, als einer von ihnen allein.</p> <p>Dieſen Irrthum der ariſtoteliſchen Phyſik nahm der große <hi rendition="#b">Galilei</hi> ſchon zu der Zeit wahr, als er noch zu Piſa die Philoſophie ſtudirte. Er vertheidigte damals die richtigere Meinung in den gewoͤhnlichen Diſputiruͤbungen gegen ſeine Lehrer. Kaum aber war er ſelbſt zum Lehrer auf dieſer hohen Schule ernannt, als er ſich oͤffentlich gegen dieſen und viele andere Saͤtze der peripatetiſchen Phyſik erklaͤrte. Er ließ von der Kuppel der daſigen Kirche Koͤrper von ſehr ungleichem Gewicht herabfallen, die doch den Boden<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [118/0124]
Schaͤrfe erfordern, kan man es = 15 par. Fuß (eigentlich 15,0957) annehmen. So fallen die Koͤrper nach II. in der zwoten Secunde 3X15 oder 45, in der dritten 5X15 oder 75, in der vierten 7X15 oder 105 Fuß; und in vier Secunden zuſammen durch 16X15 oder 240 Fuß. Dechales (Mund. mathem. To. II.) gab zwar ſeinen Verſuchen gemaͤß g=16 1/2 Schuh an; allein die hier angefuͤhrte Beſtimmung, welche Huygens aus Verſuchen mit dem Pendel gezogen hat, iſt weit genauer und richtiger, ſ. Pendel. Geſchichte dieſer Geſetze.
Von den Zeiten des Ariſtoteles an bis an das Ende des ſechszehnten Jahrhunderts hat man ſich von den Geſetzen der Bewegung uͤberhaupt die ſonderbarſten und irrigſten Vorſtellungen gemacht. Die Peripatetiker glaubten, die Geſchwindigkeit des Falles verhalte ſich, wie das Gewicht der Koͤrper, und der zehnmal ſchwerere falle zehnmal ſchneller, als der leichtere. Dies war eine ſehr falſche Anwendung des metaphyſiſchen Grundſatzes, daß ſich die Wirkung, wie ihre Urſache, verhalte. Man vergaß dabey, daß das zehnmal groͤßere Gewicht die Bewegung, die es erzeugt, auch einer zehnmal groͤßern Maſſe mitzutheilen hat, und daß bey dieſer Vertheilung auf jeden Theil der Maſſe nicht mehr Geſchwindigkeit koͤmmt, als er durch ſein Gewicht allein, und ohne Verbindung mit den uͤbrigen, ebenfalls wuͤrde erhalten haben. Es iſt das eben ſo viel, als ob man ſich einbilden wollte, zehn gleich geſchickte Laͤufer koͤnnten zuſammen einen Weg ſchneller zuruͤcklegen, als einer von ihnen allein.
Dieſen Irrthum der ariſtoteliſchen Phyſik nahm der große Galilei ſchon zu der Zeit wahr, als er noch zu Piſa die Philoſophie ſtudirte. Er vertheidigte damals die richtigere Meinung in den gewoͤhnlichen Diſputiruͤbungen gegen ſeine Lehrer. Kaum aber war er ſelbſt zum Lehrer auf dieſer hohen Schule ernannt, als er ſich oͤffentlich gegen dieſen und viele andere Saͤtze der peripatetiſchen Phyſik erklaͤrte. Er ließ von der Kuppel der daſigen Kirche Koͤrper von ſehr ungleichem Gewicht herabfallen, die doch den Boden
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