suchen, die die Freude meines Lebens geraubt ha- ben! So rief sie, und sprang vom Ufer in den Fluss.
Klaget mir nach, ihr Felsenklüfte, traurig töne mein Lied zurük, durch den Hain und vom Ufer!
Aber die Nymphen hatten den Wellen befoh- len, sorgfältig sie auf dem Rüken zu tragen. Grau- same Nymphen! rief sie, ach! zögert nicht mei- nen Tod! ach, verschlinget mich Wellen! aber die Wellen verschlangen sie nicht, sie trugen sie sanft auf dem Rüken, zum Ufer eines kleinen Ey- landes. Daphnis hatte mit schwimmen sich ans Eyland gerettet; wie zärtlich sie ihm in die Arme sank und ihr Entzüken, o das kann ich nicht singen! zärtlicher als wenn die Nachtigall ihrem Gefängniss entfliegt, ihr Gatte hatte Nächte durch im Wipfel kläglich geseufzet, sie fliegt izt ent- zükt dem schauernden Gatten zu, sie seufzen und schnäbeln und umschlagen sich mit ihren Flügeln, aber izt tönt ihr Entzüken in Freuden-Liedern die stille Nacht durch.
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ſuchen, die die Freude meines Lebens geraubt ha- ben! So rief ſie, und ſprang vom Ufer in den Fluſs.
Klaget mir nach, ihr Felſenklüfte, traurig töne mein Lied zurük, durch den Hain und vom Ufer!
Aber die Nymphen hatten den Wellen befoh- len, ſorgfältig ſie auf dem Rüken zu tragen. Grau- ſame Nymphen! rief ſie, ach! zögert nicht mei- nen Tod! ach, verſchlinget mich Wellen! aber die Wellen verſchlangen ſie nicht, ſie trugen ſie ſanft auf dem Rüken, zum Ufer eines kleinen Ey- landes. Daphnis hatte mit ſchwimmen ſich ans Eyland gerettet; wie zärtlich ſie ihm in die Arme ſank und ihr Entzüken, o das kann ich nicht ſingen! zärtlicher als wenn die Nachtigall ihrem Gefängniſs entfliegt, ihr Gatte hatte Nächte durch im Wipfel kläglich geſeufzet, ſie fliegt izt ent- zükt dem ſchauernden Gatten zu, ſie ſeufzen und ſchnäbeln und umſchlagen ſich mit ihren Flügeln, aber izt tönt ihr Entzüken in Freuden-Liedern die ſtille Nacht durch.
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ſuchen, die die Freude meines Lebens geraubt ha-
ben! So rief ſie, und ſprang vom Ufer in den Fluſs.
Klaget mir nach, ihr Felſenklüfte, traurig töne
mein Lied zurük, durch den Hain und vom Ufer!
Aber die Nymphen hatten den Wellen befoh-
len, ſorgfältig ſie auf dem Rüken zu tragen. Grau-
ſame Nymphen! rief ſie, ach! zögert nicht mei-
nen Tod! ach, verſchlinget mich Wellen! aber
die Wellen verſchlangen ſie nicht, ſie trugen ſie
ſanft auf dem Rüken, zum Ufer eines kleinen Ey-
landes. Daphnis hatte mit ſchwimmen ſich ans
Eyland gerettet; wie zärtlich ſie ihm in die
Arme ſank und ihr Entzüken, o das kann ich nicht
ſingen! zärtlicher als wenn die Nachtigall ihrem
Gefängniſs entfliegt, ihr Gatte hatte Nächte durch
im Wipfel kläglich geſeufzet, ſie fliegt izt ent-
zükt dem ſchauernden Gatten zu, ſie ſeufzen und
ſchnäbeln und umſchlagen ſich mit ihren Flügeln,
aber izt tönt ihr Entzüken in Freuden-Liedern
die ſtille Nacht durch.
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[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/76>, abgerufen am 15.06.2024.
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