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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.
keinem gegründeten Zweifel unterworffen ist, daß ein
Landesherr einen Mörder begnadigen 62), auch in denje-
nigen Ehehindernisfällen des Mosaischen Rechts, die
nicht auf natürliche, sondern blos auf willkührliche Vor-
schriften sich gründen, dispensiren könne 63).

Die heutigen Juden sehen zwar die Gesetze Mo-
sis noch heutiges Tages als Vorschriften Gottes von im-
merwährender Verbindlichkeit an; 64) allein in Ansehung
des heutigen Gebrauchs derselben ist zwischen Religions-
oder Ceremonialsachen und denen bürgerlichen Geschäften
derselben ein Unterschied zu machen. In Ansehung der
erstern gestattet man ihnen noch heutiges Tages den
Gebrauch des Mosaischen Rechts mit Inbegrif der in
ihrem Talmud enthaltenen nähern Bestimmungen und
Erklärungen dieser Gesetze; allein in bürgerlichen Rechts-
sachen, z. B. Ehesachen, nur die äussere Form der
Ehe ausgenommen, welche man ihrem Ritual überläs-
set, deßgleichen in Testamenten, Successionsfällen, Vor-
mundschaften, Verträgen u. d. sind die Juden nach den
gemeinen Rechten und den Gesetzen des Landes, in wel-
chem sie wohnen und den Schuz geniessen, sich zu rich-
ten schuldig, sie mögen nun entweder unter sich selbst
oder mit denen Christen es zu thun haben 65). Avto-

nomie
62) koch Institut. iur. crim. §. 148. ibique allegati.
Deßgleichen Hommel in den philos. Gedanken §. 57.
63) Schott in der Einleitung in das Eherecht §. 133.
64) S. Moses Mendelsohn Ritualgesetze der Ju-
den
(Berlin 1778.) in der Einleitung.
65) L. 7. u. 8. C. de Iudaeis. Man vergleiche auch das
von Ihro Röm. Kayserl. Majestät allergnädigst con-
firmirte und von Dero hohen Commißion publicirte
neue
Reglement der Judenschaft in Hamburg von
1710. art. 23. Desgleichen die Königl. Preuß. Ver-
ord-

1. Buch. 1. Tit.
keinem gegruͤndeten Zweifel unterworffen iſt, daß ein
Landesherr einen Moͤrder begnadigen 62), auch in denje-
nigen Ehehindernisfaͤllen des Moſaiſchen Rechts, die
nicht auf natuͤrliche, ſondern blos auf willkuͤhrliche Vor-
ſchriften ſich gruͤnden, dispenſiren koͤnne 63).

Die heutigen Juden ſehen zwar die Geſetze Mo-
ſis noch heutiges Tages als Vorſchriften Gottes von im-
merwaͤhrender Verbindlichkeit an; 64) allein in Anſehung
des heutigen Gebrauchs derſelben iſt zwiſchen Religions-
oder Ceremonialſachen und denen buͤrgerlichen Geſchaͤften
derſelben ein Unterſchied zu machen. In Anſehung der
erſtern geſtattet man ihnen noch heutiges Tages den
Gebrauch des Moſaiſchen Rechts mit Inbegrif der in
ihrem Talmud enthaltenen naͤhern Beſtimmungen und
Erklaͤrungen dieſer Geſetze; allein in buͤrgerlichen Rechts-
ſachen, z. B. Eheſachen, nur die aͤuſſere Form der
Ehe ausgenommen, welche man ihrem Ritual uͤberlaͤſ-
ſet, deßgleichen in Teſtamenten, Succeſſionsfaͤllen, Vor-
mundſchaften, Vertraͤgen u. d. ſind die Juden nach den
gemeinen Rechten und den Geſetzen des Landes, in wel-
chem ſie wohnen und den Schuz genieſſen, ſich zu rich-
ten ſchuldig, ſie moͤgen nun entweder unter ſich ſelbſt
oder mit denen Chriſten es zu thun haben 65). Avto-

nomie
62) koch Inſtitut. iur. crim. §. 148. ibique allegati.
Deßgleichen Hommel in den philoſ. Gedanken §. 57.
63) Schott in der Einleitung in das Eherecht §. 133.
64) S. Moſes Mendelſohn Ritualgeſetze der Ju-
den
(Berlin 1778.) in der Einleitung.
65) L. 7. u. 8. C. de Iudaeis. Man vergleiche auch das
von Ihro Roͤm. Kayſerl. Majeſtaͤt allergnaͤdigſt con-
firmirte und von Dero hohen Commißion publicirte
neue
Reglement der Judenſchaft in Hamburg von
1710. art. 23. Desgleichen die Koͤnigl. Preuß. Ver-
ord-
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[154/0174] 1. Buch. 1. Tit. keinem gegruͤndeten Zweifel unterworffen iſt, daß ein Landesherr einen Moͤrder begnadigen 62), auch in denje- nigen Ehehindernisfaͤllen des Moſaiſchen Rechts, die nicht auf natuͤrliche, ſondern blos auf willkuͤhrliche Vor- ſchriften ſich gruͤnden, dispenſiren koͤnne 63). Die heutigen Juden ſehen zwar die Geſetze Mo- ſis noch heutiges Tages als Vorſchriften Gottes von im- merwaͤhrender Verbindlichkeit an; 64) allein in Anſehung des heutigen Gebrauchs derſelben iſt zwiſchen Religions- oder Ceremonialſachen und denen buͤrgerlichen Geſchaͤften derſelben ein Unterſchied zu machen. In Anſehung der erſtern geſtattet man ihnen noch heutiges Tages den Gebrauch des Moſaiſchen Rechts mit Inbegrif der in ihrem Talmud enthaltenen naͤhern Beſtimmungen und Erklaͤrungen dieſer Geſetze; allein in buͤrgerlichen Rechts- ſachen, z. B. Eheſachen, nur die aͤuſſere Form der Ehe ausgenommen, welche man ihrem Ritual uͤberlaͤſ- ſet, deßgleichen in Teſtamenten, Succeſſionsfaͤllen, Vor- mundſchaften, Vertraͤgen u. d. ſind die Juden nach den gemeinen Rechten und den Geſetzen des Landes, in wel- chem ſie wohnen und den Schuz genieſſen, ſich zu rich- ten ſchuldig, ſie moͤgen nun entweder unter ſich ſelbſt oder mit denen Chriſten es zu thun haben 65). Avto- nomie 62) koch Inſtitut. iur. crim. §. 148. ibique allegati. Deßgleichen Hommel in den philoſ. Gedanken §. 57. 63) Schott in der Einleitung in das Eherecht §. 133. 64) S. Moſes Mendelſohn Ritualgeſetze der Ju- den (Berlin 1778.) in der Einleitung. 65) L. 7. u. 8. C. de Iudaeis. Man vergleiche auch das von Ihro Roͤm. Kayſerl. Majeſtaͤt allergnaͤdigſt con- firmirte und von Dero hohen Commißion publicirte neue Reglement der Judenſchaft in Hamburg von 1710. art. 23. Desgleichen die Koͤnigl. Preuß. Ver- ord-

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/174>, abgerufen am 10.11.2024.