um sich, zwar minder vollkommen, aber doch mit neuem Interesse, dem Leben und den Sitten anzuschmiegen. Der Tragödien wa¬ ren viele vom Theater verschwunden, und Voltaire ließ die jetzt dargebotene bedeutende Gelegenheit nicht aus den Händen, Corneil¬ le's Werke herauszugeben, um zu zeigen, wie mangelhaft sein Vorgänger gewesen sey, den er, der allgemeinen Stimme nach, nicht erreicht haben sollte.
Und eben dieser Voltaire, das Wunder seiner Zeit, war nun selbst bejahrt wie die Literatur, die er beynah ein Jahrhundert hin¬ durch belebt und beherrscht hatte. Neben ihm existirten und vegetirten noch, in mehr oder weniger thätigem und glücklichem Alter, vie¬ le Literatoren, die nach und nach verschwan¬ den. Der Einfluß der Societät auf die Schriftsteller nahm immer mehr überhand: denn die beste Gesellschaft, bestehend aus Per¬ sonen von Geburt, Rang und Vermögen,
um ſich, zwar minder vollkommen, aber doch mit neuem Intereſſe, dem Leben und den Sitten anzuſchmiegen. Der Tragoͤdien wa¬ ren viele vom Theater verſchwunden, und Voltaire ließ die jetzt dargebotene bedeutende Gelegenheit nicht aus den Haͤnden, Corneil¬ le's Werke herauszugeben, um zu zeigen, wie mangelhaft ſein Vorgaͤnger geweſen ſey, den er, der allgemeinen Stimme nach, nicht erreicht haben ſollte.
Und eben dieſer Voltaire, das Wunder ſeiner Zeit, war nun ſelbſt bejahrt wie die Literatur, die er beynah ein Jahrhundert hin¬ durch belebt und beherrſcht hatte. Neben ihm exiſtirten und vegetirten noch, in mehr oder weniger thaͤtigem und gluͤcklichem Alter, vie¬ le Literatoren, die nach und nach verſchwan¬ den. Der Einfluß der Societaͤt auf die Schriftſteller nahm immer mehr uͤberhand: denn die beſte Geſellſchaft, beſtehend aus Per¬ ſonen von Geburt, Rang und Vermoͤgen,
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um ſich, zwar minder vollkommen, aber doch
mit neuem Intereſſe, dem Leben und den
Sitten anzuſchmiegen. Der Tragoͤdien wa¬
ren viele vom Theater verſchwunden, und
Voltaire ließ die jetzt dargebotene bedeutende
Gelegenheit nicht aus den Haͤnden, Corneil¬
le's Werke herauszugeben, um zu zeigen,
wie mangelhaft ſein Vorgaͤnger geweſen ſey,
den er, der allgemeinen Stimme nach, nicht
erreicht haben ſollte.
Und eben dieſer Voltaire, das Wunder
ſeiner Zeit, war nun ſelbſt bejahrt wie die
Literatur, die er beynah ein Jahrhundert hin¬
durch belebt und beherrſcht hatte. Neben ihm
exiſtirten und vegetirten noch, in mehr oder
weniger thaͤtigem und gluͤcklichem Alter, vie¬
le Literatoren, die nach und nach verſchwan¬
den. Der Einfluß der Societaͤt auf die
Schriftſteller nahm immer mehr uͤberhand:
denn die beſte Geſellſchaft, beſtehend aus Per¬
ſonen von Geburt, Rang und Vermoͤgen,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/96>, abgerufen am 31.10.2024.
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