Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Stelle an Ihrem Herzen verdient. Aber ver¬
geben Sie mir: das Bild ist ungeschickt groß,
und dieses Metall, dieses Glas macht mir tau¬
send Aengsten, wenn Sie ein Kind in die
Höhe heben, etwas vor sich hintragen, wenn
die Kutsche schwankt, wenn wir durchs Ge¬
büsch dringen, eben jetzt, wie wir vom Fel¬
sen herabstiegen. Mir ist die Möglichkeit
schrecklich, daß irgend ein unvorgesehener Stoß,
ein Fall, eine Berührung Ihnen schädlich und
verderblich seyn könnte. Thun Sie es mir
zu Liebe, entfernen Sie das Bild, nicht aus
Ihrem Andenken, nicht aus Ihrem Zimmer;
ja geben Sie ihm den schönsten, den heiligsten
Ort Ihrer Wohnung: nur von Ihrer Brust
entfernen Sie etwas, dessen Nähe mir, viel¬
leicht aus übertriebener Aengstlichkeit, so ge¬
fährlich scheint.

Ottilie schwieg, und hatte während er
sprach vor sich hingesehen; dann, ohne Ueber¬
eilung und ohne Zaudern, mit einem Blick

Stelle an Ihrem Herzen verdient. Aber ver¬
geben Sie mir: das Bild iſt ungeſchickt groß,
und dieſes Metall, dieſes Glas macht mir tau¬
ſend Aengſten, wenn Sie ein Kind in die
Hoͤhe heben, etwas vor ſich hintragen, wenn
die Kutſche ſchwankt, wenn wir durchs Ge¬
buͤſch dringen, eben jetzt, wie wir vom Fel¬
ſen herabſtiegen. Mir iſt die Moͤglichkeit
ſchrecklich, daß irgend ein unvorgeſehener Stoß,
ein Fall, eine Beruͤhrung Ihnen ſchaͤdlich und
verderblich ſeyn koͤnnte. Thun Sie es mir
zu Liebe, entfernen Sie das Bild, nicht aus
Ihrem Andenken, nicht aus Ihrem Zimmer;
ja geben Sie ihm den ſchoͤnſten, den heiligſten
Ort Ihrer Wohnung: nur von Ihrer Bruſt
entfernen Sie etwas, deſſen Naͤhe mir, viel¬
leicht aus uͤbertriebener Aengſtlichkeit, ſo ge¬
faͤhrlich ſcheint.

Ottilie ſchwieg, und hatte waͤhrend er
ſprach vor ſich hingeſehen; dann, ohne Ueber¬
eilung und ohne Zaudern, mit einem Blick

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0137" n="132"/>
Stelle an Ihrem Herzen verdient. Aber ver¬<lb/>
geben Sie mir: das Bild i&#x017F;t unge&#x017F;chickt groß,<lb/>
und die&#x017F;es Metall, die&#x017F;es Glas macht mir tau¬<lb/>
&#x017F;end Aeng&#x017F;ten, wenn Sie ein Kind in die<lb/>
Ho&#x0364;he heben, etwas vor &#x017F;ich hintragen, wenn<lb/>
die Kut&#x017F;che &#x017F;chwankt, wenn wir durchs Ge¬<lb/>
bu&#x0364;&#x017F;ch dringen, eben jetzt, wie wir vom Fel¬<lb/>
&#x017F;en herab&#x017F;tiegen. Mir i&#x017F;t die Mo&#x0364;glichkeit<lb/>
&#x017F;chrecklich, daß irgend ein unvorge&#x017F;ehener Stoß,<lb/>
ein Fall, eine Beru&#x0364;hrung Ihnen &#x017F;cha&#x0364;dlich und<lb/>
verderblich &#x017F;eyn ko&#x0364;nnte. Thun Sie es mir<lb/>
zu Liebe, entfernen Sie das Bild, nicht aus<lb/>
Ihrem Andenken, nicht aus Ihrem Zimmer;<lb/>
ja geben Sie ihm den &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten, den heilig&#x017F;ten<lb/>
Ort Ihrer Wohnung: nur von Ihrer Bru&#x017F;t<lb/>
entfernen Sie etwas, de&#x017F;&#x017F;en Na&#x0364;he mir, viel¬<lb/>
leicht aus u&#x0364;bertriebener Aeng&#x017F;tlichkeit, &#x017F;o ge¬<lb/>
fa&#x0364;hrlich &#x017F;cheint.</p><lb/>
        <p>Ottilie &#x017F;chwieg, und hatte wa&#x0364;hrend er<lb/>
&#x017F;prach vor &#x017F;ich hinge&#x017F;ehen; dann, ohne Ueber¬<lb/>
eilung und ohne Zaudern, mit einem Blick<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0137] Stelle an Ihrem Herzen verdient. Aber ver¬ geben Sie mir: das Bild iſt ungeſchickt groß, und dieſes Metall, dieſes Glas macht mir tau¬ ſend Aengſten, wenn Sie ein Kind in die Hoͤhe heben, etwas vor ſich hintragen, wenn die Kutſche ſchwankt, wenn wir durchs Ge¬ buͤſch dringen, eben jetzt, wie wir vom Fel¬ ſen herabſtiegen. Mir iſt die Moͤglichkeit ſchrecklich, daß irgend ein unvorgeſehener Stoß, ein Fall, eine Beruͤhrung Ihnen ſchaͤdlich und verderblich ſeyn koͤnnte. Thun Sie es mir zu Liebe, entfernen Sie das Bild, nicht aus Ihrem Andenken, nicht aus Ihrem Zimmer; ja geben Sie ihm den ſchoͤnſten, den heiligſten Ort Ihrer Wohnung: nur von Ihrer Bruſt entfernen Sie etwas, deſſen Naͤhe mir, viel¬ leicht aus uͤbertriebener Aengſtlichkeit, ſo ge¬ faͤhrlich ſcheint. Ottilie ſchwieg, und hatte waͤhrend er ſprach vor ſich hingeſehen; dann, ohne Ueber¬ eilung und ohne Zaudern, mit einem Blick

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/137
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/137>, abgerufen am 31.10.2024.