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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Beschwerden der Jagd, sein Bogen neben ihm ab-
gespannt, seine Hunde schnobend um ihn! Aber
hier muß ich sizzen allein auf dem Felsen des
verwachsenen Strohms. Der Strohm und der
Sturm saust, ich höre nicht die Stimme meines
Geliebten.

Warum zaudert mein Salgar? Hat er sein
Wort vergessen? -- Da ist der Fels und der
Baum und hier der rauschende Strohm. Mit
der Nacht versprachst du hier zu seyn. Ach! wo-
hin hat sich mein Salgar verirrt? Mit dir wollt
ich fliehen, verlassen Vater und Bruder! die Stol-
zen! Lange sind unsere Geschlechter Feinde, aber
wir sind keine Feinde, o Salgar.

Schweig eine Weile o Wind, still eine klei-
ne Weile o Strohm, daß meine Stimme klinge
durch's Thal, daß mein Wandrer mich höre. Sal-
gar! Jch bin's die ruft. Hier ist der Baum
und der Fels. Salgar, mein Lieber, hier bin ich.
Warum zauderst du zu kommen?

Sich, der Mond erscheint. Die Fluth glänzt
im Thale. Die Felsen stehn grau den Hügel hin-
auf. Aber ich seh ihn nicht auf der Höhe. Sei-

ne
N 2



Beſchwerden der Jagd, ſein Bogen neben ihm ab-
geſpannt, ſeine Hunde ſchnobend um ihn! Aber
hier muß ich ſizzen allein auf dem Felſen des
verwachſenen Strohms. Der Strohm und der
Sturm ſauſt, ich hoͤre nicht die Stimme meines
Geliebten.

Warum zaudert mein Salgar? Hat er ſein
Wort vergeſſen? — Da iſt der Fels und der
Baum und hier der rauſchende Strohm. Mit
der Nacht verſprachſt du hier zu ſeyn. Ach! wo-
hin hat ſich mein Salgar verirrt? Mit dir wollt
ich fliehen, verlaſſen Vater und Bruder! die Stol-
zen! Lange ſind unſere Geſchlechter Feinde, aber
wir ſind keine Feinde, o Salgar.

Schweig eine Weile o Wind, ſtill eine klei-
ne Weile o Strohm, daß meine Stimme klinge
durch’s Thal, daß mein Wandrer mich hoͤre. Sal-
gar! Jch bin’s die ruft. Hier iſt der Baum
und der Fels. Salgar, mein Lieber, hier bin ich.
Warum zauderſt du zu kommen?

Sich, der Mond erſcheint. Die Fluth glaͤnzt
im Thale. Die Felſen ſtehn grau den Huͤgel hin-
auf. Aber ich ſeh ihn nicht auf der Hoͤhe. Sei-

ne
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[195/0083] Beſchwerden der Jagd, ſein Bogen neben ihm ab- geſpannt, ſeine Hunde ſchnobend um ihn! Aber hier muß ich ſizzen allein auf dem Felſen des verwachſenen Strohms. Der Strohm und der Sturm ſauſt, ich hoͤre nicht die Stimme meines Geliebten. Warum zaudert mein Salgar? Hat er ſein Wort vergeſſen? — Da iſt der Fels und der Baum und hier der rauſchende Strohm. Mit der Nacht verſprachſt du hier zu ſeyn. Ach! wo- hin hat ſich mein Salgar verirrt? Mit dir wollt ich fliehen, verlaſſen Vater und Bruder! die Stol- zen! Lange ſind unſere Geſchlechter Feinde, aber wir ſind keine Feinde, o Salgar. Schweig eine Weile o Wind, ſtill eine klei- ne Weile o Strohm, daß meine Stimme klinge durch’s Thal, daß mein Wandrer mich hoͤre. Sal- gar! Jch bin’s die ruft. Hier iſt der Baum und der Fels. Salgar, mein Lieber, hier bin ich. Warum zauderſt du zu kommen? Sich, der Mond erſcheint. Die Fluth glaͤnzt im Thale. Die Felſen ſtehn grau den Huͤgel hin- auf. Aber ich ſeh ihn nicht auf der Hoͤhe. Sei- ne N 2

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/83>, abgerufen am 01.06.2024.