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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. consonantische ableitungen. D. th.
freilich sehr frühe in einzelne wörter und ganze reihen
festgesetzt haben, denn im ags. zeigt sich da. wo goth. th
und d schwanken, entschieden d und kein d, nicht we-
niger im ahd. t und kein d. So stehet z. b. für goth.
seths (satio) ags. saed, ahd. sat, statt der organischen for-
men ags. saed, ahd. sad. Die richtigkeit meiner ansicht
bestätigt sehr einleuchtend das griechische und lateinische.
Wäre nämlich das ahd. t, ags. d in dergleichen formen
organisch, so entspräche ihm ein gr. th, allein alle ver-
gleichbaren wörter gewähren t, woraus offenbar ein ags.
d und ahd. d folgt. Hiermit schwindet jeder zweifel über
das verhältnis der gr. formen meta, pater, meter (1,
590.) zu den deutschen, die ags. mid, fäder, moder, soll-
ten mid, fäder, moder lauten, die ahd. mit, vatar, muo-
tar: mid, vadar, muodar, wie es goth. richtig heißt mith
und es zwischen fadrein und faths schwankt. Durch die
voreilige lautsenkung bildete sich hier ags. eine media,
die erst der ahd. mundart geziemt hätte, und ahd. eine
tenuis, die fälschlich zur griechischen einstimmt *).

Dieses angewandt auf unsere lingualableitungen richte
ich mich nach folgenden regeln: 1) wo im goth. th, im
ags. d, im ahd. d erscheint, waltet kein bedenken, z. b.
goth. meritha, ahd. marida (fama). 2) wechseln im goth.
th und d, so rechne ich die ableitung zu th, wenn schon
im ags. durchaus d, im ahd. durchaus t stehen sollte,
z. b. haubith, haubidis, ags. heasod, ahd. haupit. 3) kommt
im goth. nur d vor und zwar im nom. und acc. sg., wo
sonst gewöhnlich th erscheint; so entscheide ich mich für
d, wiewohl völlige sicherheit abgeht; noch größere un-
gewisheit herrscht für das d in wörtern, deren nom.
und acc. nicht nachzuweisen ist, z. b. es könnte zwar un-
leds (pauper) aber auch un-leths heißen. 4) mangelt ein
wort im goth. ganz, welches ahd. t, ags. d zeigt, so darf
es nur muthmaßlich unter die d-ableitungen gesetzt wer-
den. 5) einzelne ableitungen bestimmt die analogie oder
die vergleichung des griechischen, nämlich t fordert
goth. th, ahd. d; hingegen th goth. d, ahd. t. Das latein
hilft hier wenig aus, weil ihm asp. fehlt und in beiden
fällen t zu stehen pflegt.

Am meisten zu bedauern ist die unsicherheit zwischen
d und d im altn. (2, 68). Rasks regel entfernt sich nicht
nur vom ags. und ahd. gebrauch, sondern auch vom go-

*) ein beispiel der theil 1, 1075. 15. zu 584, vermutheten rückkehr.
P

III. conſonantiſche ableitungen. D. þ.
freilich ſehr frühe in einzelne wörter und ganze reihen
feſtgeſetzt haben, denn im agſ. zeigt ſich da. wo goth. þ
und d ſchwanken, entſchieden d und kein ð, nicht we-
niger im ahd. t und kein d. So ſtehet z. b. für goth.
ſêþs (ſatio) agſ. ſæd, ahd. ſât, ſtatt der organiſchen for-
men agſ. ſæð, ahd. ſâd. Die richtigkeit meiner anſicht
beſtätigt ſehr einleuchtend das griechiſche und lateiniſche.
Wäre nämlich das ahd. t, agſ. d in dergleichen formen
organiſch, ſo entſpräche ihm ein gr. θ, allein alle ver-
gleichbaren wörter gewähren τ, woraus offenbar ein agſ.
ð und ahd. d folgt. Hiermit ſchwindet jeder zweifel über
das verhältnis der gr. formen μετά, πατήρ, μήτηρ (1,
590.) zu den deutſchen, die agſ. mid, fäder, môder, ſoll-
ten mið, fäðer, môðer lauten, die ahd. mit, vatar, muo-
tar: mid, vadar, muodar, wie es goth. richtig heißt miþ
und es zwiſchen fadrein und faþs ſchwankt. Durch die
voreilige lautſenkung bildete ſich hier agſ. eine media,
die erſt der ahd. mundart geziemt hätte, und ahd. eine
tenuis, die fälſchlich zur griechiſchen einſtimmt *).

Dieſes angewandt auf unſere lingualableitungen richte
ich mich nach folgenden regeln: 1) wo im goth. þ, im
agſ. ð, im ahd. d erſcheint, waltet kein bedenken, z. b.
goth. mêriþa, ahd. mârida (fama). 2) wechſeln im goth.
þ und d, ſo rechne ich die ableitung zu þ, wenn ſchon
im agſ. durchaus d, im ahd. durchaus t ſtehen ſollte,
z. b. háubiþ, háubidis, agſ. heáſod, ahd. haupit. 3) kommt
im goth. nur d vor und zwar im nom. und acc. ſg., wo
ſonſt gewöhnlich þ erſcheint; ſo entſcheide ich mich für
d, wiewohl völlige ſicherheit abgeht; noch größere un-
gewisheit herrſcht für das d in wörtern, deren nom.
und acc. nicht nachzuweiſen iſt, z. b. es könnte zwar un-
lêds (pauper) aber auch un-lêþs heißen. 4) mangelt ein
wort im goth. ganz, welches ahd. t, agſ. d zeigt, ſo darf
es nur muthmaßlich unter die d-ableitungen geſetzt wer-
den. 5) einzelne ableitungen beſtimmt die analogie oder
die vergleichung des griechiſchen, nämlich τ fordert
goth. þ, ahd. d; hingegen θ goth. d, ahd. t. Das latein
hilft hier wenig aus, weil ihm aſp. fehlt und in beiden
fällen t zu ſtehen pflegt.

Am meiſten zu bedauern iſt die unſicherheit zwiſchen
d und ð im altn. (2, 68). Raſks regel entfernt ſich nicht
nur vom agſ. und ahd. gebrauch, ſondern auch vom go-

*) ein beiſpiel der theil 1, 1075. 15. zu 584, vermutheten rückkehr.
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[225/0243] III. conſonantiſche ableitungen. D. þ. freilich ſehr frühe in einzelne wörter und ganze reihen feſtgeſetzt haben, denn im agſ. zeigt ſich da. wo goth. þ und d ſchwanken, entſchieden d und kein ð, nicht we- niger im ahd. t und kein d. So ſtehet z. b. für goth. ſêþs (ſatio) agſ. ſæd, ahd. ſât, ſtatt der organiſchen for- men agſ. ſæð, ahd. ſâd. Die richtigkeit meiner anſicht beſtätigt ſehr einleuchtend das griechiſche und lateiniſche. Wäre nämlich das ahd. t, agſ. d in dergleichen formen organiſch, ſo entſpräche ihm ein gr. θ, allein alle ver- gleichbaren wörter gewähren τ, woraus offenbar ein agſ. ð und ahd. d folgt. Hiermit ſchwindet jeder zweifel über das verhältnis der gr. formen μετά, πατήρ, μήτηρ (1, 590.) zu den deutſchen, die agſ. mid, fäder, môder, ſoll- ten mið, fäðer, môðer lauten, die ahd. mit, vatar, muo- tar: mid, vadar, muodar, wie es goth. richtig heißt miþ und es zwiſchen fadrein und faþs ſchwankt. Durch die voreilige lautſenkung bildete ſich hier agſ. eine media, die erſt der ahd. mundart geziemt hätte, und ahd. eine tenuis, die fälſchlich zur griechiſchen einſtimmt *). Dieſes angewandt auf unſere lingualableitungen richte ich mich nach folgenden regeln: 1) wo im goth. þ, im agſ. ð, im ahd. d erſcheint, waltet kein bedenken, z. b. goth. mêriþa, ahd. mârida (fama). 2) wechſeln im goth. þ und d, ſo rechne ich die ableitung zu þ, wenn ſchon im agſ. durchaus d, im ahd. durchaus t ſtehen ſollte, z. b. háubiþ, háubidis, agſ. heáſod, ahd. haupit. 3) kommt im goth. nur d vor und zwar im nom. und acc. ſg., wo ſonſt gewöhnlich þ erſcheint; ſo entſcheide ich mich für d, wiewohl völlige ſicherheit abgeht; noch größere un- gewisheit herrſcht für das d in wörtern, deren nom. und acc. nicht nachzuweiſen iſt, z. b. es könnte zwar un- lêds (pauper) aber auch un-lêþs heißen. 4) mangelt ein wort im goth. ganz, welches ahd. t, agſ. d zeigt, ſo darf es nur muthmaßlich unter die d-ableitungen geſetzt wer- den. 5) einzelne ableitungen beſtimmt die analogie oder die vergleichung des griechiſchen, nämlich τ fordert goth. þ, ahd. d; hingegen θ goth. d, ahd. t. Das latein hilft hier wenig aus, weil ihm aſp. fehlt und in beiden fällen t zu ſtehen pflegt. Am meiſten zu bedauern iſt die unſicherheit zwiſchen d und ð im altn. (2, 68). Raſks regel entfernt ſich nicht nur vom agſ. und ahd. gebrauch, ſondern auch vom go- *) ein beiſpiel der theil 1, 1075. 15. zu 584, vermutheten rückkehr. P

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/243>, abgerufen am 31.10.2024.