Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

standen zu werden, ist weit weniger unerträglich, als verstanden und nicht erhört!

Die Julirevolution war die Frucht eines Jrrthums, den die Autoritäten nicht hegen durften, ohne sich selbst wehe zu thun. Sie entsprang aus dem Hader, den die Vertheilung der Erbschaft Napoleons erregte. Napoleon hatte sich der Revolution bemächtigt. Er wurde gestürzt von einer Reaktion, die den Fürsten, Zeuge dessen die Juliordonnanzen, nicht klar geworden war. Die Bourbonen nahmen von den Tuilerien wieder Besitz, von den alten Vorurtheilen und Privilegien, von ihren frühern Leidenschaften; sie hatten nichts vergessen und nichts gelernt. Die Restauration wurde als ein Sühnopfer Ludwigs XVJ. ausgelegt. Die außerordentliche Periode der französischen Geschichte wurde aus den Annalen derselben gestrichen. Die Reaktion gegen Napoleon wurde falsch verstanden. Ja, der Corse war inpopulär, sein Ehrgeiz brannte durch sein Antlitz durch, alle Welt sah es, die Völker geriethen in Extase, als es schon unmöglich geworden schien, diesen Koloß zu zertrümmern. Aber was wollten sie retten? Jhre Dynastien. Gewiß ihre Dynastien, doch unter dem Siegel eines Vertrages, unter dem Versprechen einer gleichgetheilten Beute: Euch die Macht, uns die Freiheit!

Jch will nicht von Treulosigkeit sprechen, ich spreche nur von einem Jrrthum. Die Julirevolution soll in meinen Augen keine gehässige Rache, keine Strafe seyn; denn wie kann das Volk, das noch immer so schwache,

standen zu werden, ist weit weniger unerträglich, als verstanden und nicht erhört!

Die Julirevolution war die Frucht eines Jrrthums, den die Autoritäten nicht hegen durften, ohne sich selbst wehe zu thun. Sie entsprang aus dem Hader, den die Vertheilung der Erbschaft Napoleons erregte. Napoleon hatte sich der Revolution bemächtigt. Er wurde gestürzt von einer Reaktion, die den Fürsten, Zeuge dessen die Juliordonnanzen, nicht klar geworden war. Die Bourbonen nahmen von den Tuilerien wieder Besitz, von den alten Vorurtheilen und Privilegien, von ihren frühern Leidenschaften; sie hatten nichts vergessen und nichts gelernt. Die Restauration wurde als ein Sühnopfer Ludwigs XVJ. ausgelegt. Die außerordentliche Periode der französischen Geschichte wurde aus den Annalen derselben gestrichen. Die Reaktion gegen Napoleon wurde falsch verstanden. Ja, der Corse war inpopulär, sein Ehrgeiz brannte durch sein Antlitz durch, alle Welt sah es, die Völker geriethen in Extase, als es schon unmöglich geworden schien, diesen Koloß zu zertrümmern. Aber was wollten sie retten? Jhre Dynastien. Gewiß ihre Dynastien, doch unter dem Siegel eines Vertrages, unter dem Versprechen einer gleichgetheilten Beute: Euch die Macht, uns die Freiheit!

Jch will nicht von Treulosigkeit sprechen, ich spreche nur von einem Jrrthum. Die Julirevolution soll in meinen Augen keine gehässige Rache, keine Strafe seyn; denn wie kann das Volk, das noch immer so schwache,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0145" n="117"/>
standen zu werden, ist weit weniger unerträglich, als verstanden und nicht erhört!</p>
        <p>Die Julirevolution war die Frucht eines Jrrthums, den die Autoritäten nicht hegen durften, ohne sich selbst wehe zu thun. Sie entsprang aus dem Hader, den die Vertheilung der Erbschaft Napoleons erregte. Napoleon hatte sich der Revolution bemächtigt. Er wurde gestürzt von einer Reaktion, die den Fürsten, Zeuge dessen die Juliordonnanzen, nicht klar geworden war. Die Bourbonen nahmen von den Tuilerien wieder Besitz, von den alten Vorurtheilen und Privilegien, von ihren frühern Leidenschaften; sie hatten nichts vergessen und nichts gelernt. Die Restauration wurde als ein Sühnopfer Ludwigs <hi rendition="#aq">XVJ.</hi> ausgelegt. Die außerordentliche Periode der französischen Geschichte wurde aus den Annalen derselben gestrichen. Die Reaktion gegen Napoleon wurde falsch verstanden. Ja, der Corse war inpopulär, sein Ehrgeiz brannte durch sein Antlitz durch, alle Welt sah es, die Völker geriethen in Extase, als es schon unmöglich geworden schien, diesen Koloß zu zertrümmern. Aber was wollten sie retten? Jhre Dynastien. Gewiß ihre Dynastien, doch unter dem Siegel eines Vertrages, unter dem Versprechen einer gleichgetheilten Beute: Euch die Macht, uns die Freiheit!</p>
        <p>Jch will nicht von Treulosigkeit sprechen, ich spreche nur von einem Jrrthum. Die Julirevolution soll in meinen Augen keine gehässige Rache, keine Strafe seyn; denn wie kann das Volk, das noch immer so schwache,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0145] standen zu werden, ist weit weniger unerträglich, als verstanden und nicht erhört! Die Julirevolution war die Frucht eines Jrrthums, den die Autoritäten nicht hegen durften, ohne sich selbst wehe zu thun. Sie entsprang aus dem Hader, den die Vertheilung der Erbschaft Napoleons erregte. Napoleon hatte sich der Revolution bemächtigt. Er wurde gestürzt von einer Reaktion, die den Fürsten, Zeuge dessen die Juliordonnanzen, nicht klar geworden war. Die Bourbonen nahmen von den Tuilerien wieder Besitz, von den alten Vorurtheilen und Privilegien, von ihren frühern Leidenschaften; sie hatten nichts vergessen und nichts gelernt. Die Restauration wurde als ein Sühnopfer Ludwigs XVJ. ausgelegt. Die außerordentliche Periode der französischen Geschichte wurde aus den Annalen derselben gestrichen. Die Reaktion gegen Napoleon wurde falsch verstanden. Ja, der Corse war inpopulär, sein Ehrgeiz brannte durch sein Antlitz durch, alle Welt sah es, die Völker geriethen in Extase, als es schon unmöglich geworden schien, diesen Koloß zu zertrümmern. Aber was wollten sie retten? Jhre Dynastien. Gewiß ihre Dynastien, doch unter dem Siegel eines Vertrages, unter dem Versprechen einer gleichgetheilten Beute: Euch die Macht, uns die Freiheit! Jch will nicht von Treulosigkeit sprechen, ich spreche nur von einem Jrrthum. Die Julirevolution soll in meinen Augen keine gehässige Rache, keine Strafe seyn; denn wie kann das Volk, das noch immer so schwache,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/145
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/145>, abgerufen am 11.05.2024.